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Glaube als Beziehung
ОглавлениеGlaube ist aber noch mehr als das. In unserem Sprachgebrauch kommt das Wort „glauben“ wohl vor allem als Synonym von „denken“ vor.
„Ich glaube, es fängt gleich an zu regnen.“
„Meine Frau kommt, glaub' ich, ein paar Minuten später.“
„Ich habe geglaubt, dass der Film um 20 Uhr läuft.“
Seltener benutzen wir das Wort im Sinne von „für wahr halten“:
„Ich glaube dir.“
„Er hat mir dies glaubwürdig versichert.“
„Wer's glaubt wird selig.“
Dieser inzwischen auch schon etwas aus der Mode gekommene Spruch – eigentlich ein zutiefst religiöser Satz – zeigt schön wie wir das Wort „Glaube“ in einer geradezu entmystifizierten Art benutzen. „Wer's glaubt wird selig“ bedeutet so viel wie: „Wer das für wahr hält, der glaubt am Ende noch ans Christkind.“
Wie bereits gezeigt, kennen wir das Wort „Glaube“ aber auch im Zusammenhang „an etwas glauben“: an sich selbst glauben, an einen Sportler glauben (bzw. an dessen Sieg), an jemanden glauben. Dieser Glaube ist Ausdruck eines Vertrauensverhältnisses. Wenn ich daran glaube, dass mein Lieblingsverein gewinnt, obwohl er in der Tabelle zehn Plätze schlechter steht als der FC Bayern, dann beruht dieser Glaube nicht auf Wissen oder realistischer Einschätzung sondern darauf, dass mich etwas mit meinem Lieblingsverein verbindet, ein Gefühl, ja eine Liebe, die mich glauben, mich hoffen lässt, die Jungs mögen die übermächtigen Bayern bezwingen. Dieser Glaube ist oft Glaube wider besseren Wissens. Gerade im Sport ist dies oftmals abzulesen, wenn die Verbundenheit von Fans mit ihrem Team geradezu antiproportional zu dessen Spielstärke zu stehen scheint, so z.B. in Hamburg, wo der erstklassige HSV wohl keine so tief verbundene Anhängerschar besitzt wie der zweitklassige Verein St. Pauli.
Glaube in diesem Sinne ist also ein Vertrauen, ein Hoffen auf jemanden, dem man sich emotional verbunden fühlt. Glaube muss dabei kein religiöses oder spirituelles Gefühl sein, es ist in erster Linie eben ein emotionales Vertrauensverhältnis.
Verwenden wir das Verb glauben wie gesehen meist in einem komplett nichtreligiösen Kontext, so wird der Glaube als Substantiv oft mit Kirche oder Gott gleichgesetzt. „Glaube ist das, was sich in der Kirche abspielt.“ Kein Wunder, schließlich hat die Kirche zu allen Zeiten versucht sich ein Monopol in Sachen Glauben zu manifestieren. So wurde jahrhundertelang jegliche Art religiöser Praktik außerhalb der Kirchen radikal verfolgt. Glaube, so die Argumentation, benötige eine Instanz, welche den Glauben an Gott in geordnete, von Bibelkennern festgesetzte Bahnen lenkt, damit nicht „Schwärmerei“ oder andere „Abarten“ des Glaubens an Gott entstünden. Die Kirche hat dabei so „gute“ Arbeit geleistet, dass selbst heute noch diese Vorstellung in den Köpfen vieler präsent ist: Glaube geht nur in der Kirche. Dabei unterliegt dieses Denken einem gravierenden Fehler: zu denken, Glaube sei eine Art Mitgliedschaft in einem Verein, welche zwangsläufig mit Mitgliedsbeiträgen (Kirchensteuern), einem klaren Bekenntnis zum Verein und seinen Inhalten und mit festen Regeln verbunden sei. Dabei wird übersehen, dass Glaube eben keine Mitgliedschaft ist, kein äußerliches Bekenntnis und keine exklusive Zugehörigkeit zu einem Verein oder einer bestimmten Gruppe. Glaube ist ein Gefühl. Glaube ist eine emotionale Bindung. Niemand kann diese Bindung, dieses Vertrauensverhältnis überprüfen oder in eine Kategorie stecken, niemand kann es überprüfen oder denjenigen der solch eine Bindung verspürt zu einer Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft zwingen. Glaube ist letztlich wie eine Liebesbeziehung: etwas durch und durch Privates und Individuelles. Wir erleben diese Art von Glaube, von Vertrauen in jemanden, tagtäglich in unseren Partnerschaften, in der Familie, in der Beziehung zu besten Freunden, aber auch im Verhältnis zu uns selbst. Der Glaube an sich selbst, das Vertrauen auf eigene Stärken ist ein Thema, das uns immer wieder wesentlich bewegt. Wieder einmal ist es der Sport, in dem dieser Glaube an sich selbst besonders gut abzulesen ist, besonders in Individualsportarten. Es gewinnt nicht immer der bessere Boxer, Tennisspieler oder Leichtathlet. Nicht selten hat derjenige, welcher durch den Glauben an die eigene Stärke die meisten Energien freisetzen kann, die Nase vorn. Und oft ist die im Wettkampf aufkeimende Erkenntnis „Heute kann ich ihn/sie schlagen!“ die Kraft, welche den Ausschlag zum Sieg gibt. Noch einmal sei das Beispiel der Profiradsportler angeführt, die am Ende einer unglaublich kräftezehrenden Etappe am letzten Berganstieg auf einmal Kräfte freisetzen können, von denen sie selbst kaum glaubten sie zu besitzen (vorausgesetzt diese Kräfte werden nicht wie so oft in der Vergangenheit durch Dopingsubstanzen geschaffen). Hat ein Fahrer in diesem Moment einmal den Glauben an sich gefunden, dann ist er nicht nur erfüllt von dieser Gewissheit, den Sieg schaffen zu können, dann ist er praktisch unbesiegbar. Dieser Glaube an sich selbst ist eine Kraft, die unwiderstehlich ist. Sie kann ungeahnte Reserven anzapfen, die allen Regeln der Wissenschaft zu widersprechen scheinen. Wer dies selbst einmal erlebt hat, für den wird es ein unvergessenes Erlebnis bleiben. Der Glaube an sich selbst ist letztlich nichts anderes als die zuvor bereits beschriebene Motivation, welche die klar unterlegenen Mädchen zum Sieg beim Kickerspiel getragen hat; nur, dass in dem Fall der Glaube an sich selbst von außen genährt wurde. In der Gemeinschaft vieler, die an einen glauben, fällt es leichter diese inneren Reserven anzuzapfen. Die Stärke herausragender Individualsportler ist es, diese Kraft in sich freizusetzen, ohne die Unterstützung vieler zu haben. Hier zeigt sich vor allem die mentale Stärke derer, die in Auswärtsbegegnungen oder als Underdog gegen die lautstarke Unterstützung des Gegners durch die Fans den Glauben an sich selbst entfachen können. Diese Sportler sind daher nicht zuletzt gute Vorbilder für andere, letztlich für uns alle, die wir so oft Schwierigkeiten haben, den Glauben an uns selbst zu finden und auf unsere Stärken zu vertrauen.
Nun ist aber Glaube im umfassenden Sinn nicht nur der Glaube und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sondern es ist ein Inbeziehungtreten. Glaube ist die unmittelbare Ausdrucksform eines Vertrauensverhältnisses. Ich glaube meinem Partner und glaube in seine/ihre Fähigkeiten, weil wir dieses intensive Vertrauensverhältnis zueinander aufgebaut haben. Der Glaube eines Kindes ist unerschütterlich, weil sein Vertrauensverhältnis zu seiner Mutter oder seinem Vater (noch) nicht erschüttert worden ist. Sind die Eltern in der Nähe, so ist nichts zu fürchten, keine Dunkelheit, keine fremden Menschen, keine andere Gefahr. Einem Kind muss man Liebe nicht beibringen, es wurde mit dieser selbstverständlichen Liebe zu seinen Eltern geboren. Glaube, Liebe, Vertrauen, sie beziehen sich voll und ganz auf die vertrauten Menschen, also bei einem kleinen Kind zuallererst auf die eigenen Eltern. Später, im Lauf des Lebens, lernt ein Mensch auch anderen und sich selbst zu trauen, jemandem Vertrauen zu schenken und andere Menschen zu lieben. Der Glaube an andere Menschen, an ihre Liebe, ihre Zuverlässigkeit, ihre Stärke oder ihre Kompetenz, er ist dabei immer an dieses Vertrauensverhältnis gebunden, an die Zuversicht, dass der Mensch, dem man vertraut, einen nicht enttäuschen wird.