Читать книгу Der Teufel trug Jeans - Tibor Simbasi - Страница 5
Gemischte Gefühle
ОглавлениеWie vom Donnerschlag gerührt liefen wir am ersten Tag durch Berlin. Das kann es doch gar nicht geben, das musste ein Traum sein. Es war überwältigend was die Geschäfte alles an Waren ausgestellt hatten. Voll mit all den schönen Sachen, wie im Schlaraffenland. Haufenweise Orangen, Kisten voller Bananen, ganze Berge mit Süßwaren, Kleidung in allen denkbaren Farben. Hunderte Schuhe in den Regalen, die neuesten Spielwaren, Dreiräder, Fahrräder, Radios, Fernseher, ja sogar Autos. Hier konnte man alles bekommen. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus und träumten von den Sachen, die wir nun bald besitzen würden. Jetzt konnte ein neues, besseres Leben beginnen. Das Paradies war da, das Wirtschaftswunder wartete auf uns und wir würden daran teilhaben. Nichts konnte uns mehr bremsen. Die Freude war sehr groß, allgegenwärtig, nicht mehr zu bändigen.
Doch es sollte ganz, ganz anders kommen.
Nach der Meldung bei den zuständigen Behörden wurden wir in einem Auffanglager untergebracht. Neue Papiere, wie etwa ein Ausweis, mussten beantragt und ausgestellt werden. Der Vater wurde von der Flucht unterrichtet. Nach wenigen Tagen ging es per Luftreise weiter nach Frankfurt/Main. Von dort mit dem Bus in ein Flüchtlingslager nahe Gießen. Solange noch keine Wohnung vorhanden war sollte das Lager unsere vorläufige Unterkunft sein. Von karitativen Vereinen erhielten wir eine Grundausstattung mit Hygieneartikel und wurden neu eingekleidet.
Eine Woche später besuchte uns der Vater. Die Begrüßung, eine große Enttäuschung. „Ach, da sind ja nun alle“, war seine ganze Freude beim Wiedersehen. Keine Herzlichkeit, keine Umarmung, keine Aufmerksamkeit für die Kinder, einfach Nichts. Selbst die während seiner Abwesenheit geborene Tochter interessierte ihn nicht. „Konrad, Christian“, befahl er, „ihr passt auf die Kleinen auf, eure Mutter und ich wir haben etwas zu bereden“. Beide sind dann gegangen. Eine eisige Kälte breitete sich im Zimmer aus. Mir war sofort klar, er hat sich überhaupt nicht geändert. Da hatten wir falsch gehofft. Die Angst vor ihm war wieder da.
Zwei Stunden später kam die Mutter allein zurück. Der Vater hat sich von uns Kindern nicht mal verabschiedet.
Der Aufenthalt im Lager war sehr eintönig. Den ganzen Tag herumlungern und warten ist langweilig. Vor allem für Kinder. Die einzige Abwechslung, die wir hatten, war ein Ausflug zu einem Obstbauern. Da gerade Erntezeit war sind viele Leute aus dem Lager auf dessen Felder und haben sich durch pflücken von Johannisbeeren ein wenig Geld verdient. Die Mutter ist mit uns Größeren auch dahin gefahren. Während die Erwachsenen am Abend einige volle Kisten mit dem gepflückten Obst abliefern konnten waren bei den Kindern mehr Johannisbeeren im Magen als in der Obstkiste. Aber wir hatten viel Spaß. Zu viel Spaß und Appetit, wie sich am nächsten Tag herausstellte, wir hielten uns stets in der Nähe der Toilette auf.
Es vergingen weitere 4 Wochen bis eine Wohnung gefunden war.
An einem Samstag im Juli wurden wir vom Vater, seiner Schwester und deren Mann abgeholt.
Tante und Onkel haben sich vorgestellt und waren recht freundlich, begrüßten uns herzlich. Nun fuhren alle zusammen zu der neuen Wohnung, in den neuen unbekannten Ort, in die neue Zukunft. Was würde sie uns bringen?