Читать книгу Dark World I - Tillmann Wagenhofer - Страница 6

Kapitel 3 - Auf der Flucht

Оглавление

Das war vor nicht einmal einem Tag gewesen.

Maddy richtete sich mühsam auf, fiel aber mit einem Aufschrei zurück auf...ja, auf was eigentlich? In dem Augenblick kam ihr wieder eiskalt zu Bewusstsein, was geschehen war. die Ecar Lupus...Ödland-Wölfe...! Sie hatte sie getötet. Einen nach dem anderen. Den ersten hatte sie sauber geköpft, als das Tier an ihr vorbeigesprungen war. Dass sie es noch bei zwei weiteren der großen Raubtiere geschafft hatte, durfte man getrost als Wunder bezeichnen. Ab dem Punkt war der Kampf zu einem schmerzhaften, verworrenen Blutbad geworden. Maddy wurde gebissen, Krallen rissen ihr einen Schenkel auf, einer der Ecar Lupus schnappte ihren linken Unterarm - den sie mit einem sauberen Stich ins Maul des Tieres retten konnte. Irgendwann, vermutlich nur einen Moment später, lag sie auf dem Boden, über sich die geifernde, wütende Bestie. Der letzte Stich, bevor ihr das Biest das Gesicht mit einem grausamen Biss zerfleischt hätte. Warum bin ich nicht tot? Das war zwar eine wichtige, aber nicht die entscheidende Frage. Denn zunächst einmal zählte, dass sie noch am Leben war. Und dass sie hier wegkam. Am besten schnell. Die Kadaver der Ödland-Wölfe um sie herum, die allmählich zu riechen begannen, deren Blut in der Hitze des Tages rasch gammlig werden würde, musste ganz zwangsläufig Aasfresser anlocken - oder auch andere Raubtiere auf der Suche nach einfachem Futter. Blöderweise gehörte Maddy, so lange sie schwach und fast wehrlos mittendrin lag, genauso zur Speisekarte wie die toten Bestien um sie herum. Es kostete sie all ihre Kraft, den Schmerz der Bisse und Kratzer so weit von sich zu schieben, dass sie sich, mühsam und ächzend, in sitzende Position bringen konnte.

In diesem Augenblick hörte sie das Trommeln von Klauenhufen.

Nein...das darf nicht sein...! dachte sie mit hochkochender, bitterer Wut. Ich habe diese Nacht überlebt, um von meinen Häschern eingeholt zu werden? Um doch noch zu sterben? Sie stieß einen frustrierten Schrei aus, der Grimm gab ihr neue Kraft, Maddy ignorierte den brennenden, stechenden Schmerz und kam auf die Füße, wenn auch breitbeinig, wandte sich mühsam um. Und erstarrte. Denn anstatt den Leuten des Lords, die sie erwartet hatte, kam da nur ein einzelner Reiter. Dieser trug keine Rüstung - genau genommen hatte er nur einen Lendenschurz an, allerdings erkannte Maddy einige verschiedene Waffen an dem primitiven Sattel und auf dem Rücken des Fremden. Jung war er, seine für einen Mann langen Haare trug er offen. Maddy benötigte einige Momente, ehe ihr klar wurde, mit was für einer Art von Mann sie es hier zu tun hatte: Einem Tribal! Ein schmutziger, ungläubiger Barbar! Naja, dachte sie, schmutzig ist er nicht, auf den ersten Blick. Doch alleine die Tätowierungen wirkten fremdartig, und sie erinnerte sich an die blutigen Geschichten über die Grausamkeit der Stämme.

Roter Speer zügelte seinen Ecar. Der Anblick, der sich dem jungen Krieger bot, war geboren aus uralten Schauergeschichten über Wesen, die ihre Gestalt verändern konnten, um ihre Beute anzulocken und sie dann abzuschlachten. Inmitten mehrerer riesigen Kadaver von Ödland-Wölfen, deren Blut und Innereien meterweit umhergespritzt waren, erhob sich eine junge Frau. Über und über mit Blut besudelt, das ihre Haare verkleben ließ, dazwischen strahlend blaue Augen, die ihn feindselig musterten. Das ebenfalls rot gefärbte Schwert, das sie mit beiden Händen hielt, stellte eine im Gegensatz zu dem Rätsel ihrer Person eindeutige Drohung dar. Der junge Tribal nahm einen der leichten Wurfspieße und ritt langsam näher. Notfalls konnte er diese Frau - falls es eine war - mit Speeren töten. Die erkannte seine Absicht, doch anstatt Angst verzog sie das Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen. "Na, los, dreckiger Barbar...komm' schon!", schrie sie mit einem Mal. Trotz der puren Kampfeswut in ihrer Stimme und dem Inhalt dessen, WAS sie sagte, machte sie diese Reaktion von einem potentiellen Blut-Wesen zu einem Menschen. Roter Speer senkte langsam den Spieß. "Was...wer bist du?", verbesserte er sich. Er hatte aus dem starken Akzent der Fremden den Eisenmenschen herausgehört - genauer gesagt, diese Frau musste aus einer der Städte stammen, das hätte jeder Stammeskrieger auf der Stelle herausgehört.

Maddy starrte den Tribal verdutzt an. Eben noch schien er drauf und dran gewesen zu sein, sie einfach auf sichere Entfernung zu töten - wie sie es nicht anders von ihm erwartet hatte, wenn sie ehrlich war. Nun jedoch erstaunte sie dieser komische Stammeskrieger, denn er sprach sie an! Von ihren Lehrern beim Orden hatte sie gelernt, dass die Tribals nur selten redeten, da sie aufgrund ihrer Abstammung von den Tieren der Dunkelheit kaum sprechen konnten und immer wieder Laute von eben jenen Tieren von sich gaben. Maddy, der die Beine langsam weich wurden, hatte zumindest dieser ersten Worte sehr gut verstanden. "Wer ich bin, geht dich nichts an", fauchte sie erbost. "Mach', dass du wegkommst." Roter Speer, der mit mehreren Schwestern aufgewachsen und dem weiblicher Stolz daher nicht fremd war, legte den Kopf schräg. Die Fremde hatte nun ihren Schrecken wegen all des Blutes für ihn verloren. An ihren Bewegungen erkannte er, dass sie es verstand, zu kämpfen (wofür ein Rudel tote Ecar Lupus ebenfalls deutlich sprach) - aber auch, dass die Fremde sich nur mit äußerster Mühe auf den Beinen hielt. Sie war erschöpft und verwundet, das war unübersehbar.

"Und wenn nicht?", fragte er daher prüfend. Die junge Frau schien darauf zuerst mal keine Antwort zu finden, bis sie die naheliegende Frage stellte. "Wieso...was willst du von mir?" Roter Speer machte den Mund auf, schloss ihn wieder. Eine gute Frage. In dem Augenblick schien sie selbst zu einer Antwort auf diese Frage zu gelangen - nur leider zu einer gänzlich falschen. Ihr müdes Lächeln hatte etwas Endgültiges. "Das kannst du vergessen, schmutziger Barbar. Kannst es mit meiner Leiche machen, wenn du willst", erklärte sie so kalt, dass es Roter Speer ebenso eisig den Nacken hinunterlief. Dann richtete sie die Spitze des Schwertes gegen sich selbst. Roter Speer schrie auf. "Nein! Hör' mir zu, dummes Eisenmädchen...ich will nichts von dir. Ich will dich nicht schänden, dich nicht foltern. Höchstens töten, wenn du mich töten willst." Da war etwas in der Stimme des Tribals, in seiner Geste, die echten Schrecken ausdrückte. Maddy zögerte nur aus diesem Grund - denn offenbar wollte dieser Kerl ihren Tod wirklich nicht. War es die vage Hoffnung, die ihr dies einredet oder ein Augenblick der Klarheit - sie fand nie eine Antwort darauf. Die junge Kriegerin ließ langsam das Schwert sinken. Kaum ein Augenzwinkern später knickten ihr die Beine ein. Maddy spürte, wie das Schwert in ihrer Hand mit einem Mal unendlich schwer zu werden schien. Ihr Kopf wurde von etwas Weichem, Matschigem abgefangen. Ihr Verstand bekam die Erkenntnis, dass es einer der Kadaver der Ödland-Wölfe war, nicht mehr zusammen, als ihr auch schon die Augen zufielen.

Was liegt hinter den Eismassen im Westen? Tatsache ist, dass diese Frage nicht abschließend beantwortet werden kann. Natürlich gibt es eine Menge Gerüchte, welche von Händlern, die mit den großen Südkarawanen ziehen, stammen. Da diese Berichte jedoch oftmals durch mehrere Münder gingen, sind sie mit Vorsicht zu genießen. Fakten lassen sich auf diesem Wege kaum sicherstellen. Tatsache scheint zu sein, dass sich weitere, sehr weitläufige Ländereien jenseits des riesigen Hindernisses aus Eis befindet, das man nur (mühsam) im Norden, durch die Handelssiedlungen der dortigen kalten Ebenen oder aber über die Stadtstaaten des Südens und dann Richtung Westen, umgehen kann. Nie ist es jemandem gelungen, diese gewaltige Barriere zu überwinden.

Fakten scheinen zumindest auf einige bekannte, größere Städte im Westen hinzudeuten, von denen aber wenig bekannt ist, vieles davon widerspricht sich in den Erzählungen. Auch was die Tierwelt angeht, scheinen dort etliche Spielarten zu existieren, welche bei uns nur selten oder, in mindestens neun Fällen, auch gar nicht anzutreffen sind.

Worüber sich die verschiedenen Quellen jedoch weitestgehend einig sein dürften, ist das bedenkliche, teils massive Auftreten von Verdammten. Bezogen hierauf gibt es verblüffend viele Berichte, die von mehreren verschiedenen Rassen dieser Kreaturen berichten. Natürlich waren schon zuvor mehrere Ableger der finsteren Wesen bekannt, doch wusste niemand, dass noch mehr als eine dieser Rassen existierte. Zu unser aller Glück ist in keinem der Berichte die Rede von den beiden ursprünglichsten, bei weitem gefährlichsten Bestien der Schwärze: Den Blutgängern und den Eis-Verdammten. Möge die Ewige Flamme uns vor diesen beiden schützen. (Niederschrift eines Gelehrten, Eternal Flame, Datierung unbekannt)

Als Maddy erwachte, war das gleißende Sonnenlicht verschwunden. Der Kupfergeruch von Blut ebenfalls, allerdings schmerzte ihr ganzer Körper, besonders an einigen Stellen, die aber eigentümlich gekühlt waren. Ächzend hob sie den Kopf. Sie lag an einem kleinen Bach, dessen Wasser die milchige Färbung eines Gletschergewässers besaß. Vermutlich war es einer jener Bäche, die aus den Eismassen der Berge herunterkamen und später in einem großen Fluss vereinigt ins östliche Meer flossen. Buschwerk war hier und da zu sehen, auch wuchs an dem Lauf des Wassers entlang das Ödland-Gras erstaunlich dicht. Plötzlich war eine Hand mit einem Schlauch zur Stelle. "Trink...Vorsicht, es ist kühl", hörte sie eine Stimme. Sie musste nicht lange nachdenken, WER ihr da Wasser reichte. Schlagartig fuhr sie hoch, und das so schnell, dass der Tribal unwillkürlich zurückwich. Dummerweise warf Maddy mit ihrer schnellen Bewegung auch die Decke, die über ihrem Leib gelegen hatte, bis zur Hüfte herunter. Als sie mit namenlosem Entsetzen erkannte, dass jemand - und es gab hier nur EINEN Jemand - ihre sämtlichen Kleider entfernt hatte, hätte sie ihn wohl getötet, wäre ihr Schwert oder eine andere Waffe noch in Reichweite gewesen. "Also doch, du mieser..." Mit einem Schmerzenslaut sank sie zurück, doch die blanke Wut blieb. Roter Speer indes nutzte die kurze Gnadenfrist. "Ich musste dir die blutigen Kleider...äh, ausziehen...denk doch mal nach, wie hätte ich sonst deine Wunden versorgen sollen?" Mann, dachte er, warum ausgerechnet eine arrogante, durchgeknallte Kriegerin aus den Städten? Noch immer fragte er sich, weshalb er diesem Weib eigentlich geholfen hatte. Natürlich spielte es eine Rolle, dass sie eine Frau war, aber nicht aus lüsternen Motiven - Frauen galten als Erzeugerinnen des Lebens, eine Frau als Futter für die Raubtiere der Ödlande einfach liegen zu lassen, hätte Roter Speer gewiss zu schaffen gemacht. Aber ansonsten? Barmherzigkeit stand nicht auf der Liste der Eigenschaften, die den jungen Stammeskriegern beigebracht wurden.

Schon gar nicht gegenüber Fremden, noch dazu potentiellen Feinden - egal ob Mann oder Frau. Überleben hieß die Devise, und das war auch ohne solch unüberlegt gute Taten in den Ödlanden schwer genug. Und nun beschwerte sich diese Frau auch noch, unterstellte ihm, dass er sich an ihr vergehen wollte. Im Grunde eine schwere Beleidigung. "Das kam dir sicher gelegen, was? Hast auch sicher gründlich nachgeschaut, habe ich Recht?", giftete Maddy, als Roter Speer der Geduldsfaden riss. Eine kühle Klinge aus irgendeinem Stein lag an der Kehle der jungen Kriegerin. "Du hältst jetzt deinen Mund. Ja, ich habe dich ausgezogen. Ja, ich habe dich nackt gesehen. Nein, ich habe dich nirgendwo angefasst, wo ich nicht unbedingt musste oder etwas anderes mit dir gemacht. Behaupte das noch einmal, und ich muss dich töten, Eisenmädchen. Denn ich lasse mich nicht beleidigen, schon gar nicht von einer Feindin, der ich nur geholfen habe", sagte er hart.

Maddys Wut schwächte sich stark ab, jedoch nicht aus Angst. Und das, obwohl sie diesem Tribal jedes Wort glaubte - vor allem die Drohung. Er würde es tun, das sah sie in seinen Augen. Doch gerade das berührte sie auf eine sehr eigentümliche Weise. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch immer mit nacktem Oberkörper vor dem Tribal saß. Genauer, einem Mann, kaum älter als sie, der bis auf seinen Lendenschurz ebenfalls nichts trug. Sie schluckte, und in dem Moment schien es auch dem Stammeskrieger klar zu werden. Er nahm die Klinge von ihrem Hals, so dass sie rasch die Decke wieder über ihre Blöße ziehen konnte. "Du hast eine sehr unmissverständliche Art und Weise, mir das klar zu machen", sagte sie mit leichtem Spott. "Gut, du hast mir geholfen, ich bin nicht so blöde, das nicht zu sehen. Aber ich bin auch nicht dumm genug, dir zu glauben, dass du es völlig uneigennützig gemacht hast, ohne etwas zu verlangen. Bin ich jetzt deine Gefangene? Deine Sklavin oder so? Das kannst du nämlich gleich wieder vergessen, Barbar", stieß sie hervor. Roter Speer verzog das Gesicht. "Was nennst du mich ständig Barbar?" Fast verwundert starrte sie ihn an. "Na, weil du einer bist", erläuterte sie rechthaberisch. "Ihr Tribals seid Mörderhorden, Ungläubige..." Sie hielt inne, da es ihr plötzlich nicht als sonderlich schlau erschien, diesem Krieger wirklich ALLE blumigen Bezeichnungen, die der Orden für sein Volk bereithielt, an den Kopf zu werfen. Leider zu spät. Schon hatte die Miene des Tribals einen misstrauischen Zug angenommen. "Du redest wie...einer dieser Fanatiker der Feuerkirche, an die jeder Eisenmensch gezwungen wird, zu glauben, angeblich in allen Städten im Osten." Maddy, noch immer ein wenig unkonzentriert, schluckte den Köder. "Fanatiker? Wie kannst du...ein Barbar...es wagen, so über die Kirche zu reden? Die Bewahrerin des Feuers, des Lichtes!", fuhr sie auf, als sie ihren Fehler erkannte. Der Tribal nickte langsam, sein Ausdruck war eisig. "Ich hatte also Recht. Du gehörst zu diesen elenden Mördern von Frauen und Kindern, die sich hinter ihrer abartigen Religion verstecken." Er lachte humorlos. "Ich hätte dich dort draußen verrecken lassen sollen."

Maddy schluckte trocken, als sie sah, wie die Hand mit der Klinge unschlüssig in der Hand des Kriegers lag. "Ich...habe dich nicht gebeten, mir zu helfen", sagte sie, fast heiser. Er starrte sie eine Weile schweigend an, bis er schließlich hörbar ausatmete. "Stimmt...das hast du nicht. Das war meine eigene Narretei. Aber die endet hier und jetzt. Morgen früh solltest du stark genug ein, alleine weiter zu gehen." "Du...du lässt mich ziehen?", fragte Maddy verdutzt, ehe sie es vermeiden konnte. Der will mich doch hinters Licht führen, sicher schlitzt er mir heute Nacht den Hals auf. Dummkopf, schalt sie sich - was würde ihn JETZT daran hindern, das zu tun? Dieser Krieger hatte es nicht nötig, zu lügen. "Was denkst du Kirchensklavin denn, was ich dir alles antun sollte?", spottete er mit reiner Verachtung in der Stimme. Das machte sie schnell wieder wütend, doch unterdrückte sie den Zorn gerade noch. "Denkst du, ich will dich auf Ideen bringen?" Schon wieder der falsche Text, das erkannte sie gleich. Der Tribal spuckte vor ihr auf den Boden. "Ja, ihr Eisenmenschen mit euren Städten, eurer Kirche, euren Rüstungen und Eisenwaffen...ihr denkt, ihr währt etwas Besseres, stündet über allen anderen Menschen. Dabei wisst ihr nicht einmal, was hinter den Eismassen der Berge im Westen liegt. Ihr kennt nicht die kalten Wüsten des Nordens, schaut nie über euren Tellerrand." "Wieso...Tellerrand?", fragte Maddy erstaunt. "Ist ein altes Sprichwort, unwichtig." Er begegnete kalt ihrem Blick. Es ließ sie erschauern, aber nicht nur unangenehm, wie sie beiläufig mit Erstaunen feststellte. "Du glaubst nicht einmal, was du siehst, Kirchenfrau. Wäre ich die Ödland-Bestie, die ihr Eisenmenschen in euren Lügengeschichten aus uns macht, was hätte ich wohl mit dir gemacht, dir, einer Frau, wehrlos und schön wie du es vorher noch warst?" Schön? Er fand sie schön? Außer Giant hatte sie noch nie jemand als schön bezeichnet. Zähneknirschend unterdrückte sie ihren Stolz.

"Du bist sicher anders als deine Stammesbrüder..." Da lachte er lauthals, es klang dieses Mal wirklich erheitert. Sein Lachen gefiel ihr, es war so echt und unverkrampft, nicht wie viele ihrer Kameraden und Lehrer im Orden, denen es scheinbar schwergefallen war, Humor auszudrücken. "Du bist wirklich ein echtes Eisenmädchen...du fändest sicher immer eine Erklärung, warum die Lügen deiner Kirche ausgerechnet bei mir oder auch meiner Familie nicht zutreffen." "Familie?" Es rutschte ihr heraus, und schon sah sie seine Heiterkeit verschwinden, daher fügte sie hastig hinzu. "Ich habe keine Familie mehr...hast du Geschwister?" Es war die erste Frage, die ihr einfiel, doch der Stammeskrieger ging darauf ein. "Drei Brüder sind wir...aber ich hatte auch zwei Schwestern, einige andere sind im Kleinkinderalter auf die Himmelswiesen geholt worden. Sie starben, eine davon, als sie schon fünfzehn Jahre alt war." Er blickte Maddy in die Augen, und sie sah mit einem Mal den kurzen Schmerz, der über seine Züge huschte, schnell wieder unterdrückt. Es machte den Stammeskrieger, aller Indoktrination und den Geschichten beim Orden zum Trotz, von einem Moment auf den anderen zu einem...Menschen. Nicht ein Barbar, ein halbes Tier oder ähnliches stand da vor ihr, sondern einfach ein junger Mann. Mit einem sehr männlichen Körper, dachte sie, verdrängte es aber erschrocken. "Ich...ich...wollte dich nicht beleidigen, Stammeskrieger", presste sie, entgegen ihrem Stolz hervor, der hier und jetzt nutzlos erschien. "Danke...für deine Hilfe. Du hattest sicher keinen Grund, mir zu helfen...deshalb...danke ich dir. Wie du gesagt hast: Wenn..., wenn du mich gehen lässt, breche ich morgen früh auf." Der Tribal nickte zustimmend, seine Miene war unlesbar.

Eines war sicher: Roter Speer hatte nie zuvor ein Mädchen wie dieses getroffen. Kriegerinnen gab es bei den Stämmen diesseits der Berge nicht, auch wenn Frauen für die Abwehr von Feinden und wilden Tieren den Gebrauch von Waffen trainierten. Dies jedoch, das hatte er ihrem Körper angesehen, als er ihre Kleider entfernte, war eine ausgebildete Kämpferin. Die Arme und Beine waren sehnig, auch wenn die Frau keine Muskelberge besaß. Roter Speer mutmaßte daraus, dass ihre Art zu kämpfen eher auf Geschwindigkeit und Wendigkeit ausgelegt war - genauso wie die meisten Stammeskrieger, auch wenn diese über erheblichere Körperkraft verfügten. Trotz dessen und einigen hellen Narben auf ihrer Haut spürte Roter Speer eine seltsame Anziehungskraft, die von der Fremden ausging. So war die Versuchung, die straffen Hügel ihrer Brüste, von denen jede etwas mehr als seine beiden Hände füllen würden, zu berühren, fast unerträglich gewesen, als er ihre Wunden verbunden hatte. Ihre warme Haut alleine war um ein Haar mehr, als er hatte ertragen können. Wütend und mit einiger Verachtung gegen sich selbst hatte er sich als schwach beschimpft. Das wirklich Eigentümliche war jedoch - nun, da er sie kennenlernte und sie für das, was sie sagte, hätte verabscheuen müssen, war diese Anziehungskraft nicht schwächer geworden. Leider war das Gegenteil der Fall. Nun, da das Blut ihre Haut nicht mehr bedeckte, blickte er fasziniert auf das herzförmige Gesicht, die hübsche, freche Nase und die blauen Augen, umrahmt von Haaren, die schwarz waren wie die Nacht - wie die Haare einer Tribal. Gerade der wilde, entschlossene Ausdruck in den tiefblauen Augen jedoch war es, der sich tief in ihn zu bohren schien. Er verwünschte diese Frau, denn sie war eine Feindin - eine Kriegerin der Kirche des Feuers, jenen Mördern, die in ihrem blinden Wahn von einem angeblichen Glaubenskrieg gegen alles Fremde und für sie Primitive vor so gut wie keiner Grausamkeit zurückschreckten.

Die düsteren, von ihren Feuern erhellten Städte im Osten waren ihre Machtzentren - für die Stämme stellten diese grausige Orte dar, in denen Menschen wie Vieh gehalten wurden, ermordet wurden oder sich gegenseitig in Arenen bis zum Tod bekämpfen mussten. Nun hatte er einer Vertreterin dieses furchtbaren Feindes sogar noch geholfen! Seine Verwirrung wurde dadurch komplettiert, dass er bis zu diesem Tag den festen Vorsatz gehabt hatte, jeden Krieger der Feuerkirche oder auch jeden, der sonst diesem Kult angehörte, sofort zu töten. Noch immer hätte er dies problemlos gekonnt - rein technisch gesehen. Aber als er sich nun tatsächlich vorstellte, der jungen Frau einfach so - gnadenlos - die Kehle durchzuschneiden, erschrak er mit einem Mal über den bloßen Gedanken. Wo zuvor seine Wut ihn nicht hatte nachdenken lassen, als er ihr die Klinge an den Hals drückte, übernahm etwas die Kontrolle, was er nicht recht deuten konnte. "Was machst du hier draußen...alleine?", platzte er plötzlich heraus, hätte sich beinahe selbst auf den Mund geschlagen dafür. Die junge Frau blickte ihn, rasch misstrauisch geworden, an. Es dauerte einige Zeit, die Roter Speer wie eine Ewigkeit vorkam, dann sagte sie: "Maddy. Das...ist mein Name. Ist...irgendwie dumm, sich nicht vorzustellen. Tut ihr Tribals das?" Roter Speer wollte gerade aufbrausen, da erkannte er die Arglosigkeit dieser Frage - das Mädchen hatte sich nicht wirklich etwas dabei gedacht. Zu seiner Schande hatte sie im Grunde Recht. Alleine die Umstände hatten ihn die Regeln des Redens vergessen lassen. Und diese Augen...!

Er schob es erneut von sich, nickte unwirsch. "Ja, das ist richtig so...wir "Wilden" tun das auch", blaffte er. "Ich werde Roter Speer genannt, gehöre zum Volk der Silbernen Klingen…oder Silberklingen", erklärte er stolz. Maddy wartete, doch als nichts mehr kam, fragte sie: "Seid ihr...stark oder...bekannt oder so?" "Wir sind die mächtigsten Jäger und Krieger hier im Nordosten, unsere Jagdgründe werden selbst von den Sklavenfängern der Slaver-Gilde oder den Kirchensoldaten kaum jemals verletzt. Aber...nun, da wir unsere Namen kennen...Maddy..." Ihr Name aus dem Mund des Kriegers, klang zwar komisch, aber auch irgendwie...gut, fand sie. Er hatte ihn nicht verächtlich ausgesprochen, sondern auf klangvolle Weise. "...um zu meiner Frage zurück zu kommen: Was tut eine Kriegerin der Kirche hier draußen, alleine und ohne Ecar? Selbst als Tribal würde ich nicht ohne Reittier alleine in die Öde hinausziehen. Du hast außerdem weder Speere noch Bogen, nur ein Schwert - das gegen nicht wenige Gefahren hier draußen ziemlich wenig nützt. Bist du verloren gegangen oder verstoßen worden?" Maddy schluckte, wog ab, was sie einem Feind der Kirche, der für sie noch immer gefährlich war, erzählen konnte. Sollte sie bluffen? Erzählen, dass sie bald von ihren Leuten gefunden würde? Toll, und was, wenn tatsächlich diese "Leute" kommen würden? Nämlich die des Warlords? Nein, sie musste das Risiko eingehen. "Das...mit dem "verstoßen" kommt recht gut hin", sagte sie leise. "Ich wurde gezwungen, den Orden der Flamme zu verlassen. Es...ist wahr, dass ich eine Kriegerin der Kirche bin...war." Das Verdunkeln in der Miene des Tribals ließ keinen Zweifel, was er in ihr sah: Seine Todfeindin. "Ich wusste es..." "Weshalb, wenn du uns so hasst, lebe ich dann noch?", fragte sie schnell. Ungünstige Frage, fiel ihr erst danach auf. Roter Speer durchbohrte sie regelrecht mit seinen dunklen, rätselhaften Augen - und zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Doch morgen früh trennen sich unsere Wege."

Maddy nickte langsam. Aus einem Grund, den sie nicht benennen konnte, fühlte sie keinerlei Furcht mehr vor dem Stammeskrieger, auch war jede Abscheu, jede Verachtung, die sie anfangs so spontan gehegt hatte, nicht mehr da. Sie wusste nicht, warum, aber sie hätte schwören können, dass dieser so verschlossene, harte Krieger, dessen Bewegungen sie an einen Schattenpuma erinnerten, den sie auf dem Jahrmarkt des Lords einmal gesehen hatte, ihr nichts Böses wollte. Seine Arme und Beine waren kräftig, Muskeln spielten dort, als wäre ihnen die momentane Ruhe ein Ärgernis, als wollten sie, schnell und stark, in Aktion treten. Und schnell musste er sein, daran hegte sie keine Zweifel, denn jede Bewegung des Tribals war federnd, geschmeidig - wie ein schönes, wildes Raubtier, frei und ungezähmt. Völlig gegen ihren Willen stieg Hitze in ihr auf, an Körperpartien, die sie nur zu gut kannte. Erschrocken verdrängte sie diese sündigen, ketzerischen Gedanken. Das ist ein Tribal, verflixt, schalt sie sich ärgerlich. Ja, meldete sich eine andere Stimme in ihr, er hat einen echt hübschen Hintern...und ich würde zu gerne...! Aufhören! Maddy wusste nur zu gut, dass sie genau jetzt rot im Gesicht wurde wie eine der Apfeltomaten, die Goethe in seinem kleinen, eigenen Garten züchtete. Zu ihrem Glück war der Tribal gerade damit beschäftigt, ein Feuer zu entfachen, so dass er ihre unreinen Blicke nicht mitbekommen hatte. Die junge Kriegerin mühte sich, woanders hinzusehen. Er ist nur ein Barbar. Ein hilfsbereiter, das gebe ich zu, aber eben nur...ein Barbar. Sie schaffte fast, es sich einzureden, bis sie, noch immer erschöpft von ihren Wunden, einschlief.

An Eure Eminenz, Mitglied des Ersten Konzils, Frederick Jacobson

Wie Euch sicher zu Ohren gekommen ist, wurde vor kurzem ein bedeutsamer Fund aus der Zeit der Alten gemacht. So sehr diese sündhaften und frevlerischen Anhänger und Jünger der Finsternis auch die Verachtung von uns allen verdienen, finden sich hin und wieder doch brauchbare Relikte aus deren Handwerken, bisweilen ist deren Sinn auch problemlos ersichtlich. Dies war auch hier der Fall, jedenfalls schien es zunächst so.

In einem verschütteten, großen Kellerraum, der meiner bescheidenen Meinung nach eher ein Lager darstellte, fanden sich unzählige Seiten von weißem Papier – was, worin Eure Eminenz sicherlich zustimmen wird, ein überaus nützlicher und wertvoller Fund gewesen wäre. Das Papier war in jene durchsichtigen Hüllen verpackt, deren Herstellung uns nach wie vor Rätsel aufgibt.

Zu meinem Bedauern stellte ich, nachdem ich eine dieser Hüllen aufgeschnitten hatte, jedoch fest, dass das Papier wohl über die lange Zeit, die es hier lagerte, gelitten haben musste. Jedenfalls war dies mein erster Eindruck. Die Seiten waren seltsam weich und der Versuch, auf ihnen mit Tinte zu schreiben oder auch mit einem Pulverstift erbrachte kaum lesbare Ergebnisse.

Des Rätsels Lösung liefert mir mein getreuer Schreiber, Roland, der in seiner Eigenschaft als Inquisitorsgehilfe eine gewisse, notwendige Kenntnis der Schrift der Alten besitzt. Zunächst äußerte er eine große Heiterkeit, nachdem er die Aufschriften der besagten Hüllen entziffert hatte. Genauer gesagt, lachte Roland eine längere Zeit. Erst, als er meinen Unmut bemerkte, erklärte er mir den Grund für sein eigentümliches Verhalten. Ich räume ein, dass auch ich mich eines gewissen Anfluges von Humor nicht erwehren konnte.

Offenbar handelte es sich bei dem Papier nicht um solcherlei Seiten, die zur Niederschrift oder zum Druck geeignet und von den Alten für diesen Zweck gefertigt wurden. Vielmehr, so Roland, war der Name, den die Alten dieser Art von Bögen gaben, „Klopapier“. Der einzige Nutzungszweck war es, nach einem Gang auf den Abort das Gesäß damit zu reinigen. Vermutlich war dies jedoch auf die herrschende Schicht der Alten beschränkt, da es undenkbar erscheint, dass genug Papier für alle der ja sehr zahlreichen Alten hergestellt worden ist. Ich erwarte Anweisungen, ob dieser Fund in eine Lagerstätte der Kirchenfakultät oder zu einem Gebrauch durch Eure Eminenz zugeführt werden soll.

(Brief eines Wandernden Gelehrten, Fachgebiet Vorgeschichte, 1156 nach dem Großen Feuer)

Wenn Maddy angenommen hatte, dass sie nicht mehr verfolgt würde, war sie einem gewaltigen Irrtum aufgesessen. Der Reiter, der grob ihrer Spur folgte - oder besser, dem Weg, den sie gelaufen und wo ihre Spur verlaufen war - besaß eine Fähigkeit, die ihn zum perfekten Jäger machte. Selbst noch so winzige Restspuren, Unebenheiten von kaum einem Zentimeter und winzig, entgingen ihm nicht. Der Mann grinste unter dem Staubschutz, obwohl diese Art der Verfolgung auch für ihn äußerst schwierig, zeitaufwendig und anstrengend war. Aber das hielt ihn nur wenig auf. Am Abend stieß er auf einige tote Ecar Lupus, Ödlandwölfe von beträchtlicher Größe, wie er feststellte. Jemand hatte sie mit einem Schwert getötet - reife Leistung für ein einzelnes Mädchen zu Fuß, das musste man sagen. Man konnte es praktisch als ausgeschlossen betrachten, dass die junge Ordenskriegerin - oder besser: Ex-Ordenskriegerin, nun Vogelfreie, mit heiler Haut davongekommen war. Zu viele Tiere, zu dicht beisammen. Nein, das Mädchen hatte, wie es früher geheißen hatte, Federn lassen müssen. Der Mann wollte eben wieder aufsitzen, als er die Ecar Equis-Spuren auf der anderen Seite des kleinen "Schlachtfeldes" erkannte. Ein einzelnes Tier...und dann eine Spur daneben. Undeutlich, keine Stiefel, aber Fußabdrücke. Eine Art Mokassins, wie sie hauptsächlich Tribals trugen. Aber was machte ein einzelner Stammeskrieger, falls es einer war, so weit im Osten? Man konnte wohl ausschließen, dass er sich verlaufen hatte.

Der Mann grinste unter dem Schutzumhang. Der Ecar Equis war beim Wegreiten etwas schwerer gewesen als bei seinem Eintreffen. Man musste kein Genie sein, um zu erraten, aus was - oder besser, aus WEM das zusätzliche Gewicht bestanden hatte. Das Schöne daran war, dass man Ecar Equis-Spuren weit leichter folgen konnte als den schnell vom Wind verwehten Spuren eines Mädchens. "Ich denke, lange entkommt ihr mir nicht", murmelte der Jäger, dann stieg er wieder auf sein Tier und trieb es gutgelaunt an.

Als die junge Frau erwachte, dämmerte der Morgen - dabei hatte sie sich schon lange vor Sonnenuntergang schlafen gelegt. Mit peinlichem Schreck musste sie feststellen, dass sie irgendwann in der Nacht ihre Decke beiseite gestrampelt haben musste. Froh, dass Roter Speer noch schlief und es anscheinend nicht mitbekommen hatte (sonst müsste sie ihn töten), erhob sie sich und griff nach ihrer Kleidung, die der Krieger, nachdem er sie im Bach sauber geschrubbt hatte, so gut es ging, auf ein Holzgestell gelegt hatte. Der laue, nächtliche Wind hatte den Stoff erfreulicherweise knochentrocken werden lassen. Sie knetete ihn ein wenig durch und schlüpfte, wiederholt zu dem jungen Stammeskrieger blickend, hinein. Gerade hatte sie die weite Hose und das Oberteil angelegt, als sie stutzte. Roter Speer lag, lang ausgestreckt, seitlich da, ihr zugewandt. Sein Atmen verriet, dass er tatsächlich noch schlief, aber darauf achtete die junge Frau weniger. Denn sie starrte mit offenem Mund dorthin, wo der Lendenschurz des Tribals sich geöffnet hatte, was wohl an einem schlichten Knoten gelegen haben musste. Nun gab es nichts mehr, was Maddys einerseits entsetzten, aber gleichzeitig faszinierten Blick davon abhielt, das Geschlecht des Kriegers zu betrachten. Das ganz zufällig steif und stolz emporgereckt stand. Maddy war keine prüde Dame, sie war Giants Glied schon mehrfach weit näher gekommen als dem von Roter Speer in diesem Moment, doch die Tatsache, dass der junge Stammeskrieger es nicht wusste, dass er sich gerade in ganzer Pracht präsentierte - und das vor der Frau, die er in wenigen Stunden alleine in der Öde zurücklassen wollte - machte diese Situation auf eine Weise erregend, die Maddy bislang - fast - unbekannt gewesen war. Sicher, sie hatte sich in einer ihrer Fantasien hin und wieder vorgestellt, sie würde Ivan GANZ zufällig in der Sauna antreffen. GANZ zufällig wäre der nackt, wie sie auch und hätte zufällig sein Handtuch vergessen (viele "zufällig", aber das war Maddy egal, schließlich war es ihre Fantasie). Und GANZ zufällig, so hatte sie sich immer vorgestellt, würde Ivan seine ganze Selbstbeherrschung über Bord werfen, seinen Eid als Ordensmann vergessen, der Kirche des Feuers den Rücken kehren und sie an Ort und Stelle nehmen, bis sie nicht mehr konnte, würde ihr ihre Jungfräulichkeit mit wilder Lust rauben...! Das war ihre Fantasie, wenn sie sich selbst befriedigte, doch DIES hier...war echt. Das prächtige Glied war groß, mindestens so wie das von Giant. Maddy spürte, wie sich Hitze und Feuchtigkeit in gewissen Regionen ihres Körpers bildete, ihre Brustwarzen hart wurden.

Mit aller Gewalt wandte sie sich ab. Gut, Maddy...von einer Mörderin und Deserteurin zur Hure eines Tribals...man kann wahrhaft immer noch tiefer sinken, beschimpfte sie sich erbittert. Nur leider fühlte sie sich weit weniger schuldig, Roter Speer betrachtet zu haben, als sie es wohl hätte sein müssen. Gerade griff sie nach dem Wasserschlauch, als sie einen erstaunten Laut hörte. "Warst du das?" Maddy fuhr herum und...da saß Roter Speer aufrecht und noch immer mit offenem Lendenschurz. Außerdem schien er wütend zu sein. Erst nach einigen Augenblicken erfasste Maddy den Sinn des Gefragten. "Ob...OB ICH das war? Du legst dich hier nackt vor mich, wahrscheinlich noch mit Absicht und tust so, als hätte ich...!", schnappte sie, sicher genauso zornig wie ihr Gegenüber. Dass sie knallrot wurde, trug ebenfalls nicht zur Konfliktlösung bei. "Du...lüsterner Barbar." "Dummes Eisenweib." "Primitiver Idiot." "Doofe Ödland-Kuh." Beide gerötet vor Wut standen sie einander gegenüber, wobei Roter Speer einen halben Kopf größer war als Maddy. "Du..." "Was?" Sie starrten einander an, als würden sie das jeweilige Gegenüber das allererste Mal sehen. Im Gesicht von Roter Speer, der sich den Lendenschurz schützend vor seine Blöße hielt, zuckte es als erstes. Als Maddy es erkannte, den aufkeimenden Humor sah, explodierte sie fast, aber dann flaute ihre Wut ab, gelöscht wie ein Feuer von dem Grinsen, das der Tribal vor ihr nur mühsam zurückhalten konnte. Aber nicht für lange gelang es ihm. Plötzlich prustete er, während Maddy immer noch verzweifelt versuchte, ihren gerechten Zorn am Leben zu erhalten.

"Das ist nicht zum Lachen..." begann sie - nur, um sich gleich darauf klar zu werden, dass es eben DOCH zum Lachen war. Sie prustete ebenfalls, als Roter Speer schon lachte. "Du Depp", stieß sie heraus, aber ihre Stimme strafte das Gesagte Lügen. Dann lachte die junge Kriegerin auch. Sie lachte, bis ihr die Tränen kamen, was sie in ihrem Leben bislang nur ein- oder zweimal hatte erleben dürfen. Roter Speer hörte ihr Lachen, und er sah ihre gelösten Gesichtszüge, die keinerlei des aufgesetzten, heiligen Ernstes oder der Feindseligkeit ihm gegenüber mehr in sich trugen. Dies war einfach eine junge Frau, die fröhlich, ohne groß nachzudenken, herzlich lachte. Und sie ist...wunderschön, wenn sie lacht, bemerkte Roter Speer mit Staunen. Zum ersten Mal erhaschte er einen Blick durch den Eisenpanzer, den das Mädchen wohl über die Jahre um sich aufgebaut haben musste. Als sie es merkte, hörte sie auf, Verlegenheit zeigte sich auf ihrem Gesicht. Roter Speer schlug jedoch schnell in die Bresche. "Maddy...was bedeutet dieser Name?", fragte er lächelnd. Die junge Frau sah ihn groß an. "Nichts...oh, doch, es ist die Kurzform für Mad Cat. So werde...wurde ich genannt. Im Orden." Roter Speer hob eine Augenbraue. "Eine Verrückte Katze...hm, das passt auf dich." Sie grinste noch verlegener ob des Kompliments. "Was sollte ich gemeinsam haben mit einer Katze?" Der Krieger legte den Kopf schräg. "Du bist schnell im Kampf...sonst hättest du kein Rudel Ödlandwölfe getötet...alleine. Du bist tödlich mit deiner Waffe, wie eine Katze - Klauen und Zähne. Und du bist anmutig und schön wie eine dieser Jägerinnen. Eigentlich eher wie ein Schattenpuma." Jetzt glotzte sie ihn sprachlos an. Zuerst wollte sie ihm sagen, dass er ziemlichen Mist von sich gab, doch das bekam sie nicht heraus. Wie gebannt war sie von seinen dunklen Augen, die so schalkhaft, so offen Heiterkeit auszudrücken vermochte, wie sie es einem...Barbaren...nie zugetraut hätte. Ihre festgefügte Meinung, durch die lange Lehre im Orden der Flamme zementiert, bekam einige heftige Risse.

"Denkst du, du bist schon stark genug, es alleine zu schaffen?", fragte er unvermittelt. Gleichzeitig wurde ihm die Scheinheiligkeit dieser Frage bewusst. Maddy war alleine, zu Fuß, hatte nichts zu essen, nur ein Schwert und offenbar nicht einmal ein konkretes Ziel inmitten der Ödlande. Das Mädchen war im Grunde schon tot, es war sich dessen nur noch nicht bewusst. Dass sie sich zusätzlich fernab der Karawanenwege befand, komplettierte diese Tatsache. Ohne mit der Wimper zu zucken, log sie - denn so dumm war sie nicht, an eine Chance zu glauben. "Klar. Ich marschiere immer nach Osten, da müssten in zwei, drei Tagen die ersten Farmen zu finden sein, dann Dörfer und Städte." Die ich meiden muss, immerhin wird der Fürst ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt haben, dachte sie, sagte es aber nicht. "Warum bist du eigentlich so weit im Nordosten? Ich weiß, dass die Stämme hauptsächlich im Südwesten, also auf den weiteren Gebieten vor den Weißen Gipfeln leben. Goethe, einer unserer Lehrer sagte mir mal, diese Berge hießen früher die Appalachen. Du hast also die Gebiete der Grenz-Kriegsherren durchquert", wechselte sie rasch das Thema. Roter Speer hob die Schultern. "Abenteuerlust. Klingt komisch, aber viele Krieger aus den Stämmen drängt es, die Eisenmenschen zu besuchen - nicht wegen ihrer Kirche oder den Fürsten oder den großen Steinbauten, nein. Aber ihr fertigt gute Waffen, außerdem sind Stammesleute als Scouts für Karawanen begehrte Söldner, da kein Raider oder andere Gefahren unbemerkt an einem Stammeskrieger vorbeikommen. Viele von unseren älteren Kriegern sind schon mit vielen Metallwaffen, mit allerlei nützlichen Dingen aus Eisen und auch mit vielen Rindern und Schafen zurückgekehrt, die sie für ihren Dienst bei Handelsherren bekommen haben." Maddy verzog das Gesicht. "Ich habe davon gehört, aber...im Orden sagte man mir, dass es verboten sei, Stammesleuten Eisenwaffen zu verkaufen."

Da lachte Roter Speer wieder. "Ja, das ist es, aber kaum ein Händler außerhalb der großen Städte hält sich daran. Dein Schwert zum Beispiel ist eine solche Waffe, die ich mir kaufen wollte..." Maddys Blick fiel auf ihre Waffe, die der Tribal neben sich liegen hatte. "Ah, gut, dass du davon anfängst...könntest du es mir wiedergeben...mein Schwert, meine ich?", fragte sie vorsichtig. Roter Speer blickte sie daraufhin schweigend an. Fast erwartete sie, er würde sie jetzt auslachen und die gute Klinge einfach behalten - sie hielt es für weit wahrscheinlicher als das, was dann folgte. "Hast du Ehre genug, mich nicht damit töten zu wollen, weil ich dir geholfen habe?", fragte er sehr direkt. Fast erstaunt erwiderte sie seinen Blick. Ihr war gar nicht mehr in den Sinn gekommen, ihn anzugreifen - auch dann nicht, wenn sie ihr Schwert wieder zurückbekommen hätte. Dafür hatte man ihr das Konzept "Dankbarkeit" zu gut beigebracht. "Ich schulde dir mein Leben", sagte sie, wunderte sich ein wenig, dass sie diese für sie eigentlich schmachvolle Tatsache aussprach. "Ich verspreche dir...beim Ewigen Feuer, dass ich dir nichts tun werde, wenn du mir das Schwert zurückgibst", erwiderte sie ernsthaft. Roter Speer zögerte nur kurz, dann warf er ihr die Waffe, die noch in der Lederscheide steckte, zu. Maddy fing ihre Waffe geschickt auf. Der Tribal zögerte mit etwas, und sie erkannte, dass er noch etwas in der Hand hielt. "Dies hier hast DU dir verdient, ehrlich und im offenen Kampf. Ich habe kein Recht darauf, muss aber zugeben, dass ich überlegte, sie zu behalten." Ehe sie selbst hinter den Sinn dieser rätselhaften Worte gekommen war, warf er ihr den Inhalt seiner Rechten zu. Es waren gut gesäuberte Klauen und Reißzähne der Ödland-Wölfe, mit Löchern versehen und auf einer ledernen Schnur aufgezogen. Maddy fehlten die Worte, was Roter Speer zuerst als Zeichen von Ablehnung verstand. Vielleicht hielt die Ordenskriegerin es für einen heidnischen Brauch oder so. "Bei den Stämmen tragen wir Zeichen oder Symbole eines großen Kampfes, der uns dem Weg zu den Himmelswiesen nahebrachte, immer bei uns. Es sagt anderen Kriegern, was wir geleistet haben - oder auch, was wir leisten durften." Verdutzt, aber nun erfreut nahm Maddy die Kette entgegen. "Wann...hast du das...?" "Zwischen den barbarischen Überlegungen, ob ich dich am Spieß brate und den Stunden, in denen ich bösartiger Wilder dich nackt angeglotzt habe, während du bewusstlos warst", erklärte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Maddy stand der Mund offen, aber dann, erstaunlich schnell, lachte sie. Sie glaubte ihm kein Wort, dabei hätte sie noch von zwei Tagen einem Tribal weit, sehr weit schlimmere Dinge zugetraut.

Roter Speer war indessen zu einer Entscheidung gelangt, die ihm nicht sehr leichtfiel. Tatsache war: Ließ er Maddy alleine, würde sie - Ausbildung und Kämpfernatur hin oder her, mit Sicherheit sterben. Dass sie ihn nicht weiter um Hilfe bat, mochte an ihrem Stolz oder an ihrer Unwissenheit liegen, vielleicht auch an beidem. Aber das spielte nun keine Rolle mehr, denn nun hatte Roter Speer seine Wahl getroffen. Als er seine Sachen auf seinen Ecar gepackt hatte und aufgestiegen war, hob die junge Kriegerin die Hand zum Gruß. "Danke für alles...ich werde die Kette in Ehren tragen", sagte sie ernst, nachdem sie sie vor seinen Augen angelegt hatte. Ein leises Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, doch bevor sie die Abschiedsworte beenden konnte, streckte er ihr die Hand hin. "Reite ein Stück mit mir. Zu Fuß ist man recht langsam hier draußen." Sie zögerte, was er mit einem Grinsen abtat. "Naja, musst' natürlich ein wenig entgegenkommend sein, wenn ich es warm haben will heute Abend..." Das brachte sie spontan ebenfalls zum Grinsen. Seltsam, wie schnell sie ein gewisses Vertrauen zu diesem Stammeskrieger gefasst hatte, fand sie - doch ihr Instinkt sagte ihr, dass es nichts Schlechtes sei. Scheinbar gleichmütig hob sie die Schultern. "Beim Orden habe ich geholfen, Ecars zu kastrieren. Ich war ECHT gut darin. Hey, ich habe das so oft gemacht, dass ich nur ein männliches Geschlecht sehen muss, und mein Schwertarm zuckt..." Mit einem aufgesetzt schmerzhaften Verziehen seines Gesichts hob Roter Speer die Hand. "Äh, ja, ist gut. Drohung ist angekommen, verrückte Katze. Also kein Bettwärmer heute." Er musste selbst lachen, als sie grinsend seine Hand ergriff und sich hinter ihm in den Sattel schwang. Was er leider nicht bedacht hatte, war der Umstand, dass Maddy sich an ihm festhalten musste, da sie nicht richtig im Sattel sitzen konnte. Dass ihre Hände dabei warm und fest seine Hüfte umschlangen, machte den Ritt zu einer Qual, denn er spürte, wie er unter dem wenigen Stoff des Lendenschurzes steif wurde. "Sitzt...du sicher?", fragte er, gab seiner Stimme mit aller Mühe einen festen Klang. Er spürte durch Maddys Kleidung ihren straffen, jungen Leib, dessen vordere beide Rundungen sich an seinen Rücken drückten, wenn auch nur ansatzweise. Gut gemacht, Roter Speer, beglückwünschte er sich. Das würde ein langer, trockener Ritt werden. Und ein langer, sehr langer Tag.

Der Verfolger gelangte zwei Stunden nach ihrem Aufbruch an das Nachtlager der beiden am Bach. Das heruntergebrannte Feuer, der Ecar-Kot und die Spuren, die noch gut sichtbar waren, sagten ihm genug. Er verwünschte den beschissenen Sandbären, auf den sein Ecar zu seinem Glück rechtzeitig aufmerksam geworden war. Das riesige Biest hatte am Bach, unweit des verlassenen Lagerplatzes, gesoffen und bemerkte den einsamen Reiter lange, bevor der wiederum ihn bemerken konnte. Nur knapp war der Jäger einer Konfrontation, die er zwar gewonnen hätte, die aber ein Risiko darstellte - vor allem jetzt, der er keine Verzögerung gebrauchen konnte. Tja, Kleine, dachte er mit einem wölfischen Grinsen, während er den Ecar-Spuren im Galopp folgte. Noch heute Nacht hole ich euch ein. Und ihr werdet mich nicht kommen hören.

Bloody Will blickte von dem prasselnden Feuer, in das er eben noch gestarrt hatte, auf. Genau genommen war es nur noch die Glut, die ein wenig Wärme und kaum noch Licht spendete in der Ödlandnacht, die sich gerade dem Ende zuneigte. Der breitschultrige Mann erhob sich behände, lauschte in die Dunkelheit. Die Wachen vor ihren Wachfeuern schienen nichts gehört zu haben, daher glaubte Will im ersten Moment, er sei Opfer der späten - oder besser, frühen Stunde geworden, in denen man sich so manches einbildete. Vor allem, wenn man nicht schlafen konnte. Er starrte in die Dunkelheit, wusste nur zu gut, dass von dort einige hungrige Augen zurückstarrten, doch die Sklavenkarawane war zu gut bewacht. Selbst die Wasteland-Bestien kannten ihre Grenzen. Lässig spielte der Slaver mit der Hand an seinem Schwertgriff, einer teuren und hervorragenden Waffe, die er für eine horrende Summe in der südlichen Handelsstadt Lights Heat erworben hatte. Auch der Rest seines Äußeren verriet sofort den wohlhabenden Mann: unter dem Umhang aus Seide trug er ein kostspieliges Kettenhemd aus besonders feinen Metallringen, nur wenige Schmiede waren imstande, derartiges anzufertigen. Will trug außerdem handgefertigte, mit Silber verzierte Lederstiefel. Goldene Verzierungen und Ringe, dazu eine schwere Goldkette vervollständigten das Bild, Hände und Gesicht waren manikürt sowie parfümiert. Trotzdem war Bloody Will kein reicher Geck, sondern verfügte noch immer über seine antrainierten Reflexe. Und seine völlige Skrupellosigkeit, wenn es ums Geschäft ging. Plötzlich, als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, zog etwas seine Aufmerksamkeit auf sich. Will hatte hervorragende Augen, kaum jemand anderem wäre das vage, offensichtlich weit entfernte Flackern aufgefallen. Dort musste jemand lagern. Und dieser Jemand befand sich mit Sicherheit in einem recht gut, aber nicht gut genug gewählten Versteck zwischen einigen Felsen. Aber...am Bach, der hier in einiger Entfernung vorbeifloss. Wasser, die Schwachstelle jedes Lebewesens in der Öde, egal wie groß, wie stark oder wie schlau. Trinken musste jeder, und nicht umsonst lauerten dort die Raubtiere. Dies dort waren indes mit Sicherheit Menschen. Oder, im schlechtesten Fall "Gestrafte". "Verdammte" gab es hier, so weit im Osten nicht, so nahe am Beginn der dichter bewohnten Gebiete. Er winkte herrisch einer der Wachen. "Herr...beunruhigt Euch etwas?" Der Slaver verzog das Gesicht. "Hol' Blutschwert und Klauenpranke. Gleich", fuhr er seinen Mann an. Obgleich er sie nicht hörte, wusste Will, dass die beiden Tribals da waren, nachdem er nur wenige Atemzüge getan hatte. "Seht ihr den Feuerschein dort? Ist nur sehr schwach, man muss die Augen zusammenkneifen." "Wir sehen es, Herr", sagten die beiden gleichzeitig. Das kam oft vor, denn die beiden Tribals stammten aus demselben Stamm und waren Brüder - Zwillingsbrüder. Will hatte die beiden vor vielen Jahren gekauft, sie aber gut behandelt. Wohl wissend um den Wert der Stammeskrieger als Jäger hatte er es geschafft, dass sie ihm schließlich Treue schworen. Gute Männer, erfahren und kaltblütig - mit der Skrupellosigkeit der von ihnen früher verachteten Eisenmenschen. "Nehmt fünf Mann mit, aber ihr habt das Sagen", ordnete Will laut genug an, dass die anderen Wachen - zwölf Mann insgesamt - es mitbekamen. Die Sklaven und Sklavinnen, die, nach Geschlechtern getrennt, auf der Erde schliefen, würden keinen Ärger machen. Dafür sorgten Ketten, Würgeeisen und grausame Strafen beim geringsten Vergehen.

Will grinste erwartungsvoll. Seine Erfahrung, die nun schon Jahrzehnte zurückreichte, würde ihm heute wieder Profit bescheren. Das konnte er förmlich riechen.

Militärische Niederschrift zur Vermeidung zukünftiger Fehler, Ordensrat Eternal Flame, Hochmeister Lance Joffrey

Verehrte Ratsmitglieder, Ältere und Jüngere unter den Hochmeistern

Wie inzwischen allgemein bekannt sein dürfte, verlief der Kreuzzug gegen die Stämme im Südwesten, welcher in den letzten Monaten durchgeführt wurde, keineswegs zur Zufriedenheit der Kirche und des Ersten Konzils – entgegen den gegenüber dem Fürstenrat gemachten Angaben. Grund hierfür ist eine zu beobachtende Veränderung in der langjährig gleich gebliebenen Taktik der Stammeskrieger gegen unsere zahlen- wie waffenmäßig klar überlegenen Kräfte. Konnte man in früheren Zeiten den Versuch einzelner Stämme, sich gegen uns mit Ausweichmanövern und gelegentlichen Überfällen ihrer leichteren, schnelleren Reiter, zu erwehren, beobachten, so änderte sich dies bei unserem Feldzug auf eine Weise, die eine gewisse Besorgnis hervorrufen könnte, sollten die Stämme jemals den Zugang zu größeren Mengen an Eisenwaffen, vor allem Pfeilspitzen aus Eisen, erlangen. So kam es in diesem Jahr zu einer kurzfristigen Vereinigung von mehreren Stämmen, was bislang, aufgrund der teilweise sehr alten Feindschaften unter diesen kriegerischen Völkern, als undenkbar gegolten hat. Die daraus erwachsende, vereinte Masse von Kriegern schuf – wenn unseren Truppen dennoch weit unterlegen – besonders für kleinere Verbände zu Ecar und für Tross-Einheiten eine erhebliche Gefahr. Ich will an diesem Punkt zu bedenken geben, dass unsere Truppen zu mehr als vier Fünfteln aus Fußsoldaten bestehen, welche für Stammeskrieger, welche über entsprechende Eisenpfeilspitzen verfügten, auf den offenen Hügellandschaften im Südwesten leichte Ziele wären. Ich behaupte nicht, dass es diesen Barbaren möglich wäre, einen Sieg zu erringen, doch müsste ohne Zweifel mit empfindlichen Verlusten gerechnet werden.

Dazu kommt, dass reine Fußtruppen keine Möglichkeit hätten, die berittenen und selbst unserer schweren Reiterei oftmals leicht entweichenden Stammeskrieger zu einem Nahkampf zu zwingen. Ich gebe aus diesem Grund die Empfehlung, den Krieg gegen die ungläubigen Barbaren mit Nachdruck voranzutreiben. Eine vollständige Vernichtung alleine, womit ich auch eine Ausmerzung ihrer Weibchen und ihres Nachwuchses deutlich anspreche, brächte uns und damit der Ewigen Flamme den Sieg.

(Eternal Flame, vorgelegt an den Ordensrat, 1202 nach dem Großen Feuer)

Der Mann sprang von seinem Ecar, denn in der Dämmerung wurde es schwerer, den Spuren zu folgen. Der Wind hatte ein wenig aufgefrischt, das Gebiet war teilweise mit steinigem Untergrund überzogen, so dass sich auch Ecar-Spuren in der dünnen Sandschicht nicht lange hielten. Ja, da waren sie wieder, die Abdrücke. Der Jäger nickte zufrieden, wollte gerade wieder in den Sattel steigen, als sein Reittier freudig schnaubte - eines der wenigen Überbleibsel aus der Zeit, als die Ecars noch Pferde gewesen waren. Überrascht hob der Mann die Augen, als ein Reiter herangeprescht kam, den er nur zu gut kannte. "Wo warst du?", fragte der Jäger unumwunden. "Und warum siehst du so Scheiße aus?" "Wir sehen immer Scheiße aus", meinte der Neuankömmling mit einem Achselzucken, ehe er ebenfalls grinste. "Das wirst du nicht glauben", sagte er geheimnisvoll. Der Jäger verschränkte die Arme. "Werden sehen", erwiderte er, wobei er seine Neugierde perfekt verbarg.

Einige Minuten später war es damit vorbei. "Du hast Recht...ich glaub' dir kein Wort!"

"Nein, die Städte im Osten sind nicht alle gleich", beharrte Maddy ungehalten auf ihrer Meinung. "Es gibt riesengroße Unterschiede, aber jede der Städte ist ein Wunder von Ordnung und Sicherheit für sich. Selbst die Sklaven dort fühlen sich sicher und geborgen..." "Unsinn. Sklave zu sein ist nichts, was etwas mit Sicherheit oder Gerechtigkeit zu tun hat. Maddy, denkst du, eine Frau in deinem Alter würde dort nur die Böden schrubben oder dem Herrn des Hauses das Essen kochen und auftragen? Du bist als Sklavin oder Sklave nur ein…Ding. Ein Ding, das lebt und atmet, das sogar sprechen kann, mehr aber auch nicht. Als Gegenstand hast du so viel Rechte, dich gegen den Willen von Herrn oder Herrin zu stellen wie...sagen wir, dieser Topf, in dem unser Essen köchelt. Keine Rechte, sich zu weigern, wenn sie von dir verlangen, dich ihnen hinzugeben, kein Recht darauf, weiterzuleben, wenn sie deinen Tod wollen, kein Recht, wenn sie dir böses wollen, dich einfach aus Lust und Laune verstümmeln oder weiterverkaufen. Was hat man dir denn bei deinem Orden erzählt über die Sklaverei? Dass sie gut sei? Nicht so schlimm? Notwendig?" Maddy schluckte, als sie die leidenschaftliche Weise sah, mit der ihr Gegenüber sprach. Etwas...lag unausgesprochen in diesen Worten. Und da fiel ihr – komischerweise erst jetzt – wieder der Gestrafte ein, dem sie geholfen hatte. Mit ihm die grausige Geschichte, die er ihr über seine Familie erzählt hatte. Warum verteidige ich eine Stadt, vor deren Mauern man Frauen und Kinder…gleich welcher Rasse…elend zugrunde gehen lässt? fragte sie sich mit einem Mal.

Nach dem langen Ritt hatten sie eine von allen Seiten nicht einsehbare Senke gefunden, die Roter Speer ausreichend für ein Nachtlager erklärt hatte. Wie sie auf das Thema Sklaverei gekommen waren? Maddy hatte damit begonnen, dem Stammeskrieger die Vorzüge und Wunder der Zivilisation darzulegen - wie man es ihr hundertmal eingetrichtert hatte. Begonnen bei Magnus Adams bis zu der Gründung der fünf Städte des Ostens binnen eines Jahrhunderts, dazu die Bildung der Kirche, des Ordens und des Obersten und Ersten Kirchenkonzils, das im fernen, aber heiligen Eternal Flame, der Stadt des Ewigen Feuers, Gerechtigkeit und Ordnung für alle Menschen ausübte.

Dummerweise waren Roter Speers einfache, aber harte Worte – und der Tod der Familie des Gestraften - nicht wirkungslos geblieben. Der Orden besaß wenige Sklaven, die meisten waren Freiwillige, die sich dort eine feste Unterkunft und eine warme Mahlzeit am Tag versprachen - mehr, als viele der Armen ihr Eigen nennen konnten. Die Diener, wie man sie nannte, mussten die Ackerarbeit und andere niedere und schwere Dienste verrichten, jedoch konnte man nicht sagen, dass sie schlecht behandelt wurden. Nur wenige Gedanken hatte sich Maddy bislang über andere Sklaven gemacht, mit denen sie ganz einfach keine Berührungspunkte in ihrem bisherigen Leben gehabt hatte. Zu ihrem langsam aufkeimenden Schrecken begriff sie, dass sie Roter Speer nur das vorplapperte, was man ihr so oft gesagt - was sie aber nie, niemals selbst gesehen oder erlebt hatte.

Der Tribal warf ein wenig Sand auf das Feuer, um es nicht zu groß werden zu lassen. „An was glaubt ihr…äh, Stammesleute eigentlich?“, fragte Maddy unvermittelt. Roter Speer warf ihr einen erstaunten Blick zu. „Wofür willst du das wissen, Ordensfrau?“, fragte er zurück. „Ich dachte, ihr Feueranbeter verachtet alle, die nicht dasselbe glauben wie ihr. Wenn ich es recht überlege, verfolgt und tötet ihr sogar solche, die nicht mit euch übereinstimmen, oder habe ich Unrecht?“ Maddys Miene verdüsterte sich. „Das Feuer ist Licht und Ordnung. Was war denn die Welt vor der Kirche? Dunkelheit, Chaos…Leid. Es mag nicht jeder Sklave oder jede Sklavin gut behandelt werden, sicher gibt es Ungerechtigkeiten, immerhin regieren die Fürsten in den Städten weitestgehend eigenständig. Aber der Schrecken, der zuvor herrschte, war viel, sehr viel schlimmer…“ „Sage das einem Mädchen, das in einer der Städte als Sklavin gehalten wird. Wie Vieh werden sie in eigens dafür gebauten Häusern anderen Männern angeboten, die für die Frauen und Mädchen zahlen. Bis sie, verbraucht und ohne Hoffnung, sterben oder sich selbst umbringen. Sage es einem Mann, der für den Diebstahl eines Apfels für seine hungernde Familie in die Arena geschickt wird, um zum Jubel des Pöbels von Ödland-Bestien zerfleischt zu werden. Oder die Bergwerke in den alten Ruinen, in denen gefangene Stammesleute wie die Ratten graben müssen. Oft stürzen diese Tunnel ein, oder Gift aus alter Zeit tritt hervor…viele sterben auch nur aus Erschöpfung. Maddy, versetze dich an ihre Stelle – würdest du deinen Worten eben, dass es eben Opfer zu bringen gilt, noch irgendeine Bedeutung beimessen? Wolltest DU ein solch sinnloses Opfer bringen?“ Maddy schluckte – und tat, was Roter Speer sicherlich gar nicht von ihr erwartet hatte: Sie stellte sich dem Inhalt seiner Worte. Ehrlich und ohne nutzlose Lehren, ohne jene Phrasen, die man ihr eingetrichtert hatte. Sage es der Familie eines Gestraften, die man vor den Mauern der Roten Stadt hat verhungern lassen, fügte sie in Gedanken Roter Speers Worten hinzu. Ebenso ehrlich, auch wenn sie über ihren Stolz kratzte, war ihre dementsprechende Antwort. „Nein“, sagte sie leise. „Ich wäre…als Ordenskriegerin für die Kirche gestorben, hätte mein Leben ohne Bedenken in einer Schlacht geopfert. Aber auf solch eine Weise…so sollte kein Mensch leben oder gar enden müssen“, fügte sie hinzu, erstaunt über ihre eigenen Worte – gleichzeitig jedoch fühlte sie so etwas wie Freiheit. Sie wusste nicht, warum, aber das Gefühl – vielmehr, die Erkenntnis, nicht mehr in dem engen, eisernen Korsett der Kirchengesetze und der Lehren zu stecken, gab ihr eine Sicht auf diese Organisation, die sie zuvor nie gehabt hatte. Eine Sicht von außen. Durch die Risse, die in ihrer Indoktrination entstanden waren, erkannte sie, dass nicht alles so war, wie die Kirche es ihr und ihren Kameraden und Kameradinnen beigebracht hatte. Doch wenn das stimmte – dann gab es nur ein Wort dafür: Lügen!

Roter Speer hatte in jedem Fall harsche Worte und offenen Widerstand gegen seine Worte erwartet. Umso mehr überraschte ihn das Einlenken von Maddy, die tief drinnen auf eigentümliche Weise erschüttert zu sein schien. Der junge Tribal betrachtete die junge Kriegerin, wieder zogen ihn die blauen Augen, das hübsche, freche Gesicht und die langen, schwarzen Haare in ihren Bann – vor allem aber der ratlose, nicht so recht zur Kämpfernatur dieser Frau passende Ausdruck. „Wir glauben an den Herrn der Himmelswiesen. Er hat diese Welt erschaffen, er hat Erde, Feuer, Luft und Wasser geschaffen – und das Leben. Uns, die Tiere und die anderen Völker.“ „Wie lautet sein Name?“, wollte Maddy spontan wissen, die die Möglichkeit einer Person als dem alles beherrschenden Wesen seltsam, aber beileibe nicht so ketzerisch empfand, wie es die Kirche zweifelsohne sehen würde. Hatte man ihr nicht beigebracht, die Stämme wären kriegsgeile Barbaren, die einen Blutgott der Finsternis anbeteten und ihm Gefangene opferten? Noch bevor sie ihre Neugierde aufhalten konnte, stellte sie die Frage, die ihr auf der Zunge brannte. „Gehört zu eurem Glauben…das Opfern von Menschen?“ Gut, Maddy, jetzt hast du es echt geschafft, schoss es ihr durch den Kopf, als sie Roter Speers Gesicht sah.

„Ja, tun wir. Nämlich Eisenmenschen, die solch dumme, beleidigende Fragen stellen“, stieß er kalt hervor. „Der Herr der Himmelswiesen ist kein düsteres Flammenwesen wie das Feuer, das ihr Eisenmenschen verehrt. Er ist der Schöpfer auch der Flamme. Aber er ist kein blutgieriger Tyrann, sondern weise und gerecht. Er verlangt uns vieles ab, doch genauso schenkt er vieles. Wir sind frei, was auch passiert, denn wenn wir sterben, gehen wir nach Hause – in unser wirkliches Heim, die ewigen Himmelswiesen. Ein Ort ohne Schmerz, ohne Trauer und Leid, ohne Hunger, Durst und Krankheit.“ Der Ausdruck in Roter Speers Miene wurde milder. „Und ohne Angst, Maddy.“ Plötzlich deutete er nach oben, wo ein geradezu fantastischer Nachhimmel in der späten Abenddämmerung Gestalt annahm. „Dies dort…sind die Lagerfeuer der Himmelswiesen. An ihnen sitzen all jene Menschen, die auf den Herrn der Ewigen Wiesen vertraut haben, die für andere gestorben sind, für das Gute gelebt haben. Egal, ob es ein großer Krieger war, der für seinen Stamm ehrenvoll kämpfte oder ein kleines Stammesmädchen, das sich opferte, um seine Geschwister vor Ödland-Wölfen zu schützen, so dass sie entkommen konnten.“ Maddy blickte überrascht auf, denn in den letzten Worten lag spürbare Trauer. Doch noch ehe sie etwas sagen konnte, erhob sich Roter Speer plötzlich und horchte angestrengt in die Nacht. „Maddy…“ Sie hörte es aus seiner Stimme heraus, war mit einem Satz auf den Füßen. Nur leider zu spät.

Ein Speer kam aus der Dunkelheit der Nacht herausgeflogen und traf Roter Speer ohne jede Vorwarnung an der rechten Schulter. Die Wucht des Aufpralls ließ den jungen Krieger rückwärts zu Boden gehen. „Flieh…schnell“, brachte er mit schmerzverzerrtem Tonfall heraus, als Maddy in einer fließenden Bewegung das Schwert zog. Der Tribal versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, schaffte es aber nicht, denn die Qual explodierte förmlich in seinem Oberleib, jede Bewegung, noch so winzig, war grausam. „Geh…Maddy, hau’ ab“, brachte er mühsam heraus, als sich die junge Kriegerin direkt neben ihn stellte, das Schwert kampfbereit in der Hand. Sie erkannte vage Bewegungen in der Finsternis um sie herum – und ihr war bewusst, dass sie keine Chance hatte. „Leg’ die Klinge weg, kleine Schlampe, sonst tust du dir noch weh damit“, kam es feixend aus der Schwärze. Maddy grinste raubtierhaft. „Komm’ doch her, Feigling, dann sehen wir, wem was wehtun wird. Na, zu ängstlich dazu?“, höhnte sie. Wie zur Antwort traten zuerst zwei kräftig aussehende Stammeskrieger ins Flackerlicht des Feuers, dann fünf Männer in Lederrüstungen, teils mit Eisenplatten versehen. Drei trugen Metallhelme, zwei nur Lederkappen, die gesamte Ausrüstung sah abgenutzt, aber noch funktionsfähig aus, dasselbe galt für die Waffen. Alle fünf trugen lange Einhandschwerter und Wurfspeere, die Tribals eine Art von Kampfäxten. Einer der Stammesleute stoppte einen der Männer, die vermutliche Söldner waren. „Du wirst warten. Diese Frau ist gefährlicher, als sie scheint. Will wird es nicht gerne sehen, wenn wir einen Mann verlieren“, erklärte er ernst, wandte sich dann wieder an Maddy. „Ich erkenne, dass du mit dem Schwert umgehen kannst. Doch ich werde es kurz machen: Entweder, du legst die Waffe weg, oder wir töten dich mit den Wurfspießen innerhalb eines Augenzwinkerns. Vielleicht willst du ja wie eine Kriegerin sterben.“ Maddy schluckte. „Wie sieht die andere Möglichkeit aus?“ Sie sah die grausame Lust in den Augen der fünf Söldner – was schon Antwort genug war. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Schnell sterben…das klang, aufgespießt oder nicht, dagegen fast schon verheißungsvoll. Aber da war auch noch Roter Speer, der mit zusammengebissenen Zähnen zuhörte, ohne etwas unternehmen zu können. Der ältere der beiden Stammeskrieger antwortete mit emotionsloser Stimme.

„Du wirst Sklavin.“ Kaltes Entsetzen ergriff sie brutal. Sie öffnete den Mund, um zu protestieren. Ich bin eine Ordenskriegerin, wollte sie schreien – doch noch rechtzeitig stoppte sie sich. Es wäre reine Dummheit gewesen, dies hier und jetzt preis zu geben. Schon jetzt war möglicherweise ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Mit einem Mal traf sich ihr Blick mit dem von Roter Speer. Trotz des Schmerzes schüttelte er den Kopf, leicht und kaum merklich. Sein Gesichtsausdruck traf sie wie ein Blitz. Tu’ es nicht…stirb’ lieber, frei und ehrenvoll, als das zu erleiden. Sie konnte förmlich seine Gedanken lesen in diesem Moment. Und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass zwischen ihr und diesem Tribal...etwas entstanden war. So kurz sie ihn auch erst kannte, so wenig sie eigentlich über ihn wusste - das unsichtbare Band war da. Sie wollte, sie konnte ihn nicht alleine diesen Männern überlassen. Fast heiser sagte sie: “Was wird aus ihm?“ Der jüngere der beiden Tribals blickte Roter Speer mit sehr endgültiger Miene an. „Er wird sterben“, erklärte er ohne mit der Wimper zu zucken. „Unser Herr wird kein Interesse haben, einen schwerverwundeten Sklaven mit zu schleppen.“ „Blutschwert, was soll das Gerede?“, maulte der Söldner, der Maddy zuvor schon angebrüllt hatte. „Die Hure soll das Schwert weglegen. Ich will nicht, dass sie was in mich reinstößt…ich will was in sie reinstoßen“, lachte er laut und dreckig. Die junge Frau schaffte es, sich die Angst, aber auch die aufkeimende Wut nicht anmerken zu lassen. „Er hat mir das Leben gerettet, zumindest ihr beiden…“ sie sah die beiden Stammeskrieger an. „…wisst, was das bedeutet. Ihr müsst uns beide umbringen. Es sei denn…ihr helft ihm.“ „Was dann?“, fragte der, den der Söldner Blutschwert genannt hatte, gleichmütig. Wieder trafen sich die Blicke der beiden, Ordenskriegerin und Stammeskrieger, und Roter Speer schüttelte nun deutlicher den Kopf. Sie sah es ihm an – er wollte lieber sterben, als sie diesen Preis zahlen zu lassen. Es war komisch – noch vor zweieinhalb Tagen hätte sie diesen Tribal aus Unwissenheit und Stolz am liebsten getötet. Jetzt schien er ihr einziger, auf dieser Welt verbliebener Freund zu sein. Der einzige Mensch, an dem ihr etwas lag. Wie dumm ich war, dachte sie, während die Angst ihr den Magen zuschnürte. Denn was sie jetzt tun würde, kostete sie einen hohen, sogar sehr hohen Preis. Nämlich ihren Stolz und ihre Freiheit. „Dann ergebe ich mich.“ Der ältere Stammeskrieger dachte nach, verzog dann unmerklich das Gesicht. „Bist du noch unberührt?“, fragte er dann, als würde er nach dem morgigen Mittagessen fragen.

Maddys Mund stand offen, als sie begriff, was der Tribal meinte. Es traf sie wie ein Schlag, als ihr klar wurde, wie weit sie sich erniedrigen musste, um Roter Speer zu retten. Jungfrauen waren als Sklavinnen weit mehr – das x-fache wert, das wusste sie, wenn auch nur zufällig. Sie hätte nur nie gedacht, dass es sie jemals betreffen könne. Maddy wurde rot, rang mit sich, schaffte – irgendwie – ein Nicken. Das eigentlich Bedenkliche daran: Die junge Frau war sich dessen gar nicht so sicher, wusste sie doch nicht viel mehr über ihre eigene Sexualität, als sie mit Giant gemeinsam herausgefunden hatte. So fürchtete sie, dass sie eine glatte Lüge aussprach.

Der ältere Krieger hob die Augenbrauen. „Unser Herr wird das nachprüfen lassen. Solltest du lügen, verfüttern wir deinen Freund hier…oder was er sein mag…an die Ecars. Hast du das verstanden?“ Maddys Knie fühlten sich an wie der lustige Pudding, den es im Orden an hohen Feiertagen wie dem Geburtstag von Magnus Adams immer gegeben hatte. „Ja“, stieß sie hervor. Zeit…sie hatte Zeit gewonnen – für diesen jungen Tribal, von dem sie noch vor wenigen Minuten nicht einmal hätte sagen können, dass zwischen ihnen eine Freundschaft bestand. Dessen sie sich ausgerechnet jetzt aber sicher war. „Helft ihr ihm jetzt?“ „Das Schwert“, erinnerte sie der jüngere Tribal kühl. Sie legte die Klinge vorsichtig auf den Boden. Der jungen Kriegerin blieb nur die Hoffnung, dass sich die Fremden an die Abmachung halten würden – denn sie besaß nun nichts mehr, um sie dazu zu zwingen. „Ihr vier tragt den Jungen“, hörte sie den älteren Stammeskrieger befehlen, während zwei andere Söldner ihre Hände auf dem Rücken fesselten. Roter Speers Ecar beäugte die Fremden misstrauisch – und raste plötzlich davon. Der jüngere Tribal fluchte, senkte den Wurfspeer, mit dem er ihn hatte töten wollen. „Er könnte zurückkehren“, meinte der Ältere dazu emotionslos. „Haltet die Augen nach dem Ecar offen.“ Die fünf Söldner schienen enttäuscht, besonders jener eine, den Maddy anfangs herausgefordert hatte.

Die grausame Gier, sich an Maddy zu vergehen, stand ihnen auf widerwärtige Weise ins Gesicht geschrieben. Doch die beiden Stammeskrieger hatten eindeutig das Sagen.

Die Söldner zündeten einige Fackeln an, so dass der Rückweg erheblich schneller vonstatten ging als das vorherige Anschleichen. Überhaupt hätte der junge Tribal, den sie nun trugen, die Lohnkrieger rechtzeitig bemerkt, wären nicht die beiden erfahreneren Stammeskrieger gewesen. Schon beim Näherkommen wurde unübersehbar, dass die sieben Männer von einer Sklavenkarawane gekommen waren. Gute zwei Dutzend Ödland-Rinder mit allerlei Proviant und Ausrüstung beladen, standen abseits, während weitere Söldner ungefähr fünfzig Sklaven, Männer, Frauen, aber auch einige Mädchen und kräftige Jungen, bewachten. Männer und Frauen waren getrennt und mit Ketten verbunden. Mit einem Schauer von Furcht erkannte Maddy die Würgeeisen, die alle Sklaven trugen.

Bei ihrem Eintreffen kam Leben in die Menge der Sklaven, viele sahen auf. Maddy erkannte Hoffnungslosigkeit, Resignation und Angst in den Augen der Gefangenen. All das wirkte – noch jedenfalls – wie ein böser Traum. Der Schock verhinderte, dass sie sich ihrer Zukunft mit voller Härte bewusst werden konnte. Surreal wirkte auch, als ein Mann ihnen entgegenkam, der feine Seide über einem vergoldeten Kettenhemd trug, dazu Goldringe und eine schwere Goldkette, drüber hinaus nach Parfüm roch – und hier, in dieser schmutzigen Öde sehr deplatziert wirkte. Was die Kälte in den Augen des Mannes, die keinen Hehl aus dem völligen Fehlen von Erbarmen und Mitleid machte, wieder mehr als aufwog. Die Bewegungen verrieten den fähigen Schwertkämpfer. Ohne Zweifel war dies der Karawanenführer. „Was bringt ihr denn Schönes…?“, fragte der Mann mit einem Grinsen bar jeden Humors. Er musterte Maddy, wie ein Viehhändler ein Ödland-Rind begutachtete, welches er erwerben wollte. „Gut…die blauen Augen werden die Blicke auf sich ziehen auf dem Markt“, meinte er, dann fiel sein Blick auf Roter Speer, den die vier Söldner gerade absetzten. „Was schleppt ihr einen halbtoten Kerl an? Hättet ihr euch sparen können. Werft ihn vors Lager, sollen die Raubtiere ihn kriegen.“ „Nein…!“ Der Schrei war Maddy entfahren, ohne dass sie ihn hatte zurückhalten können. Der Slaver wandte ihr wieder seine Aufmerksamkeit zu, ein spöttisches Grinsen im Gesicht, das aber schnell wieder verschwand. „Oh…die Kleine spricht. Habe ich...oder hat einer von euch ihr erlaubt, zu sprechen?" Die Söldner grinsten höhnisch, als Will Maddys langes Haar ergriff und ihren Kopf hochriss, so dass sie ihm direkt in die Augen sehen musste. In den tot wirkenden Augen eines Sandbären lag mehr Wärme und Güte als in jenen dieses Mannes. "Du wolltest etwas...sagen?" Es verlangte Mut, noch einmal den Mund zu öffnen, wenn die unausgesprochene Drohung von allerlei Qual so dicht stand. "Ja...Sire..." Da wandelte sich die Miene des Slavers in Staunen, ehe er laut und aus vollem Hals lachte. "Sire? SIRE?", brüllte er, dann lachte er noch lauter, und seine Leute - einigen sah man an, dass sie nicht recht verstanden, aus welchem Grund - lachten eben mit. Erst nach Minuten beruhigte sich der Slaver wieder. "Blutschwert, die Kleine gefällt mir...wirklich. Sire...ha, als sähe ich aus wie ein Adliger...schreckliche Vorstellung. Tja...genug Spaß gehabt. Ist sie noch...?" "Sie sagt, ja", erwiderte der ältere Tribal, ehe der Slaver es ausgesprochen hatte. Bloody Wills Augenbrauen hoben sich. "So…na, dann wollen wir das mal prüfen, und die Ware genauer begutachten. Zieh' dich aus, Kleine." Der jüngere Tribal entfernte ihre Fesseln, was sie kaum wahrnahm.

Es war nicht so, dass Maddy die geringste Chance gehabt hätte, ihr blankes Entsetzen zu verbergen. Erbleicht starrte sie den Slaver an. "H...hier?" Will schüttelte den Kopf. "Nein, natürlich nicht, erst wenn wir in Southern Flame ankommen, Mylady. NATÜRLICH HIER!", schrie er die letzten Worte. Maddy wich unwillkürlich zurück, bereit, eher zu kämpfen, als sich derart demütigen zu lassen. Doch sie hatte die Rechnung ohne Blutschwert gemacht. Der war lässig an Roter Speer herangetreten und setzte ihm sein Beil an den linken Arm. "Gehorche, Frau. Sonst verliert er ein Stück nach dem anderen", sagte er mit jener toten Stimme, die ihm eigen war. Der junge Tribal, käsebleich, aber noch bei Bewusstsein, hatte alles mitangehört. "Tu' es nicht...Maddy...nicht..." stammelte er, ehe ihm Blutschwert ins Gesicht schlug. "Ein schlechter Rat", meinte der ältere Krieger kalt.

Die Augen des Slavers vor ihr wurden hart. „Du bist nun eine Sklavin und wirst gehorchen. Aber…offensichtlich muss ich dir erst Gehorsam beibringen. Das ist natürlich nicht gut, da wir einfach nicht die Zeit haben, es anständig zu machen. So bleibt mir nur eines zu tun. Hm, auch wenn es deinen Wert schmälern wird…“ Er wandte sich an Blutschwert, der noch immer seine Axtklinge an Roter Speers Arm hielt. „Wenn sie sich wehrt, nur im Geringsten, hau’ ihm den Arm ab.“ Er durchbohrte Maddy mit seinem Blick. „Zureiten nennen wir es, Kleine. Du wirst hier, vor aller Augen, deine erste Lektion lernen – und ich denke, es wird dich brechen. Zugegeben, ich würde mehr Geld für dich bekommen, wenn du noch Jungfrau wärst, aber da mir nicht die Zeit bleibt, dich zu disziplinieren wie die anderen hier…muss ich wohl auf einen Teil der Summe verzichten.“ Einige der Söldner murrten, doch ein kalter Blick von Will brachte sie zum Schweigen. Die junge Frau starrte den Slaver ungläubig an, denn sie wollte es nicht glauben. „Du…du willst…mich…?“ Nein…bitte nicht, wollte sie flehen, während sie gegen die Tränen kämpfte. Doch sie schaffte es, irgendwie, sich zu beherrschen. „Maddy…nein!“, schrie Roter Speer, bekam dafür einen Tritt ins Gesicht. Will verschränkte die Arme. „Meine Geduld ist am Ende, Kleine. Blutschwert…schneide ihm…“ Maddy rang furchtbar mit sich, als sie erkannte, dass Roter Speer eher sterben würde, als der Anlass für ihre furchtbare Erniedrigung zu sein.

"Wartet...", stieß sie rau hervor. "Lasst ihn, bitte. Ich werde es tun." Wie in Trance legte sie vor aller Augen ihre Kleider ab. Es fühlte sich noch unwirklicher an, als zuvor ihre Gefangennahme, was ihr half, nicht vor Scham zusammen zu brechen. Die Söldner warfen ihr lüsterne Blicke zu, machten dreckige Bemerkungen zu ihrem Körper, als sie schließlich nackt vor dem Slaver stand. Der riss ihre Arme von ihrer Blöße, wo sie sich instinktiv hatte bedecken wollen, betrachtete sie dann wie eine Ware, die es zu schätzen galt. "Gut gebaut...sehen wir mal... noch alle Zähne. Gut. Tja, dann wollen wir mal testen, wie tauglich du bist", sagte er gleichmütig, nachdem er mehrere Male um sie herumgegangen war, sie einige Male angefasst hatte. Die junge Frau rang mit aller verbliebenen Kraft tapfer den starken Impuls nieder, ihrer Verzweiflung nachzugeben. "Leg' dich da hin und spreiz' die Beine... LOS!", befahl Will gleichgültig. Maddy konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Wenige Frauen hätten das gekonnt in dieser Lage, auch wenn einige davon noch immer aus Zorn über ihre Hilflosigkeit flossen. Schon als sie der Anweisung nachkam, zitterte sie am ganzen Leib. Es würde mehr sein, als sie ertragen konnte, das spürte sie, als sich ihr ganzes Ich, ihr gesamtes Sein sträubte, das zuzulassen. Ich will es nicht...Ewiges Feuer...bitte...ich kann das nicht! Ihr Instinkt, in größter Not und kurz, bevor sie gebrochen werden würde, rief ihr zu, dass Feuer ihr nicht helfen könne. Und sie verstand. Herr der Himmelswiesen, ich ertrage das nicht...! Gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie sich nicht wehren würde, so heftig alles in ihr danach schrie – oder Roter Speer müsste sterben. Die höhnischen Stimmen der Männer, die nicht wissen konnten - oder die es nicht interessierte - wie tief und endgültig das sein würde, was ihr Anführer der jungen Frau im Begriff war, zuzufügen, hörten sich an wie aus weiter Ferne. Will anspringen, ihn überraschen... nach dem Dolch oder Schwert greifen, das er trägt...! Nein. Selbst wenn ihr das gelang, würde erst sie, dann Roter Speer durch die Übermacht sterben. Langsam tat sie, was der Slaver ihr gesagt hatte.

Ein eigentümliches, metallisches Geräusch und das Verschwinden der Hände von ihrer Haut ließen sie schlagartig die Augen aufreißen. Langsam wandte sie sich um. Bloody Will stand immer noch hinter ihr, sie lag noch immer, vor allen entblößt, da. Aber in dieser Sekunde sagte niemand etwas. Alle starrten ihren Anführer - die Sklaven ihren Peiniger - an, voller Schreck oder morbider Faszination, die gleich darauf in alarmiertes Geschrei überging. Denn aus dem Hinterkopf des Slavers ragte das hintere Stück eines gefiederten Pfeils, dessen schwere, metallbrechende Spitze an der Stirn vorne - durch den Helm, den sie durchschlagen hatte - zu sehen war. Will glotzte einfach geradeaus, auf Maddys Bauch, ehe er lautlos zur Seite wegkippte. Dann brach die Hölle los. „Tribals…“, brüllte jemand. „Quatsch, hier doch nicht“, kreischte ein anderer. Schreiend und sich widersprüchliche Befehle zuschleudernd, einer absurder als der andere, liefen die Söldner wie eine aufgescheuchte Hühnertruppe kreuz und quer durcheinander. Sie suchten den Feind in der Dunkelheit, sahen aber niemanden. Ein Pfeil, irgendwo aus der Finsternis, fand sein nächstes Ziel - den jüngeren der beiden Tribals. Der Ältere, der Maddy bis dahin nicht aus den Augen gelassen hatte, brüllte zornerfüllt auf. "Bruder...!" Maddy reagierte, ohne darüber nachzudenken. Sie sprang auf, zog der Leiche von Will die gebogene Klinge aus der vergoldeten Scheide und wirbelte zu dem Stammeskrieger herum. Es spielte keine Rolle, dass sie nichts am Leib trug - jetzt nicht mehr! Denn dies war es, wofür sie geboren, wofür sie ausgebildet, worauf sie ihr ganzes Leben vorbereitet worden war. Als Blutschwert losstürmte, die Kampfaxt zu einem wuchtigen Hieb führend, stieß auch Maddy einen Schrei aus und sprang auf den Krieger zu. Ein Söldner, der sich einmischen wollte, fiel mit einem Pfeil mitten durchs linke Auge. Die Streitaxt, eine einhändig geführte Waffe mit schwerem Kopf, raste schräg herunter, aber in einem hatte der Tribal die kleinere und sicherlich weniger kräftige Gegnerin unterschätzt: Maddy war beweglicher als der Stammeskrieger. Sie wich dem Schlag, den sie zu ihrem Glück gut abgeschätzt hatte, aus und rollte sich neben ihrem Feind ab, als dieser auch schon den nächsten Schlag – auf Schulterhöhe – führte. Maddy jedoch war gar nicht erst wieder auf die Füße gekommen, sondern ihre Rechte beschrieb einen oft geübten, wirkungsvollen Schlag mit Will’s Krummschwert gegen das Bein des Tribals – knapp unter seinem Knie. Es war ein Risiko, denn der Schlag musste sitzen – die Alternative wäre, dass sie, auf dem Boden liegend, gegen die Axt ihres Gegners keine Chance mehr gehabt hätte. Doch Maddy traf – woraufhin Blutschwert fassungslos nach seinem Bein griff, das ihm aber, sauber abgeschnitten, blutspritzend aus der Hand glitt. Der Tribal fiel kreischend zur Seite, während sein roter Lebenssaft strömend aus dem Kniestumpf herausschoss. Maddy hörte in diesem Moment einen Aufschrei, fuhr herum – und fand sich Auge in Auge mit einem der Söldner wieder, der sie verwundert anstarrte. Weit erhoben hielt er sein Langschwert, doch er ließ es nicht niedersausen. Erst da sah Maddy die Speerspitze, welche dem Mann direkt aus der Brust ragte. Und sie erblickte Roter Speer, der sie noch einen Moment anlächelte, den Arm von seinem Wurf noch erhoben – ehe er die Augen schloss und dumpf aus der Hocke auf den Boden aufschlug.

Pfeil um Pfeil aus der Dunkelheit fand sein Ziel mit geradezu erschreckender Präzision, wie Maddy mit einem kalten Schauer auf ihrem Rücken bemerkte. Nie hatte sie solche Treffsicherheit vom Ecarrücken aus gesehen, nicht einmal von den Rittern des Ordens, denen sie oft beim Trainieren zugesehen hatte. Ein Reiter preschte nun mitten ins Lager, von der anderen Seite noch einer. Die Ecars teilten wild Hiebe mit ihren vorderen Klauenhufen aus, beide Reiter schossen Pfeil auf Pfeil ab. Maddy konnte keines der Gesichter der beiden erkennen, wusste daher nicht sicher, ob die Fremden Freund oder Feind waren – der Pfeil, welcher Will getötet hatte, sprach zwar für ersteres, aber ihr Leben wollte die junge Kriegerin nicht darauf wetten. Zumindest galt im Augenblick: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Sie sprang zu dem toten Söldner, den Roter Speer getroffen hatte und zog drei Wurfspeere aus dessen Rückentasche. Ohne zu zögern suchte sie einen der überlebenden Söldner, die – zum Glück der fremden Angreifer – ohne ihren Anführer keinen organisierten, sondern nur noch Widerstand als Einzelkämpfer leisteten. Sie traf den ersten der Slaver-Lohnkrieger mitten in den Schädel, fuhr zu einem weiteren herum, der gerade mit zittrigen Händen eine schwere Armbrust lud. Der Mann sah den Speer nicht kommen, der ihn seitlich in den Oberarm traf und diesen an seinem Oberleib festnagelte.

Aufschreiend ging der Söldner zu Boden, während Maddy schon das nächste Ziel suchte. Aber es gab keines mehr. Schwer atmend, immer noch voller Adrenalin, sah sie sich um, die Klinge des Slaver-Bosses kampfbereit in Händen. Die beiden Reiter hatten ebenfalls noch Pfeile auf ihre Bögen bereitgehalten, steckten sie nun aber wieder weg. Erst da wurde Maddy bewusst, dass Roter Speer sie gerettet hatte – und nun womöglich tot war. „Nein…nein, bitte nicht“, flüsterte sie, wusste nicht recht, zu wem eigentlich. Angst drang durch ihre Kampfeslust, die Angst um einen Tribal, den sie seit ganzen drei Tagen kannte! Und doch war sie da, diese Furcht, stärker und durchdringender als jedes andere Gefühl.

Sie zog einem der toten Söldner achtlos den Staubumhang weg, bedeckte sich damit notdürftig und eilte zu dem jungen Stammeskrieger. In dem Augenblick wurde ihr erst klar, WAS Roter Speer für sie getan hatte. Aus der aufgerissene Wunde an seiner rechten Schulter strömte das Blut heraus, denn der junge Krieger hatte sich erst den Spieß – die einzige Waffe, an die er herankommen konnte – aus dem eigenen Fleisch gerissen, um dann Maddys Angreifer im allerletzten Moment damit zu töten. Mechanisch suchte sie saubere Stoffstücke, rannte in das Zelt, das unverkennbar das des Slaver-Bosses gewesen war. Dort fand sie, was sie brauchte und kehrte zu Roter Speer zurück. Der war offenbar wieder bei Bewusstsein, jedoch auch sehr schwach. Maddy dachte gar nicht mehr an die beiden Reiter, die eben dabei waren, abzusteigen. Sie verband die hässlich blutende Wunde des jungen Stammeskriegers mit sauberen, weißen Laken, nachdem sie sie ausgewaschen hatte. Ohne es zu wissen, tat sie das Richtige, denn das, was sie für leichten Stoff hielt, war in Wirklichkeit Seide, die antiseptisch wirkte. „Warum hast du das gemacht? Wieso hilfst du einer wie mir?“, fragte sie verzweifelt, als sie das viele Blut sah, dass schon über Brust und rechten Arm des jungen Kriegers geflossen und im Boden versickert war. „Du hasst uns Eisenmenschen…und…du hast Recht. Hörst du, es stimmt! Wir sind…grausam, wir sind arrogant…“, stammelte sie, bis sie das schwache Lächeln im Gesicht des Kriegers erblickte. „Du…bist…nicht so…wie die anderen“, sagte er leise und wurde bewusstlos. Maddy fühlte seinen Puls, dieser war schwach, aber vorhanden. „Stirb’ nicht…Roter Speer…nicht! Ich…ich hab’ sonst niemanden mehr“, flüsterte sie. Nein, das ist es nicht. Das ist nicht der Grund, schoss es ihr durch den Kopf, als sich ihr mit einem Mal Schritte näherten. Sofort ergriff sie das Krummschwert, wandte sich um – und sah sich zwei Gestraften gegenüber, die mit verschränkten Armen vor ihr stehen blieben. Beide trugen schwarze Umhänge über leichten Lederrüstungen, die mit matt gefärbten, überlappenden Metallplättchen verstärkt waren. Beide trugen Schwerter mit leicht gekrümmten Klingen und langen Griffen, außerdem kurze Reiterbögen, Pfeile, mehrere Dolche, einer dazu noch zwei Wurfspieße. Zuerst starrte die junge Kriegerin nur, fragte sich, was das zu bedeuten hätte – bis sie einen der beiden erkannte. An dem geschienten Bein nämlich. Ihre Augen wurden groß, was die beiden zu einem Grinsen veranlasste. „Du hast ausnahmsweise Recht, Fox…sie ist wirklich hübsch“, meinte der andere der beiden, der ein wenig größer war als sein Begleiter mit einem lockeren Grinsen. „Weshalb so ein Mädchen einen hässlichen Hund wie dich versorgt, würde mich brennend interessieren.“ Er blickte sich, während er sprach, in dem Lager der Slaver um, wobei seine Augen eine Weile düster auf der menschlichen „Ware“ verharrten. Die Sklaven duckten sich, eng zusammengekauert, warteten offensichtlich auf das, was die fremden Angreifer mit ihnen zu tun gedachten. „Befrei’ sie“, befahl der ältere der beiden Gestraften, woraufhin sich der andere humpelnd auf den Weg machte.

„Mein Name ist Fix…das ist mein Bruder, Fox. Aber den kennst du ja schon“, erklärte der Gestrafte danach, wieder an Maddy gewandt. „Ja...stimmt. Ihr seid…Brüder?“ Etwas Besseres fiel ihr nicht ein auf die Schnelle, doch der Gestrafte lachte auf. „Oh, glaub’ mir, ich habe mir diese Frage auch schon so oft gestellt, aber meine Mutter versicherte es mir. Also glaube ich es eben, auch wenn der Unterschied zwischen uns doch so offensichtlich ist.“ „Äh…ja…oder?“, stotterte Maddy, während sie verbissen versuchte, einen Unterschied zwischen den beiden zu erkennen, von der Größe einmal abgesehen. „Klar“, meinte Fix völlig unbekümmert. „Ich bin um so vieles schöner als der Kerl da.“ Jetzt stand Maddy der Mund offen, aber kein Wort brachte sie noch heraus. Bis Fix laut loslachte. „Nur ein Scherz, Kleine. Keine Bange, ich mag vielleicht so aussehen, aber ich bin nicht bescheuert. Kümmere du dich um deinen Begleiter, wir sehen nach den Sklaven. Hm, ich würde sagen, hier gibt’s auch ein wenig Beute zu machen“, überlegte der Gestrafte laut und machte sich auf den Weg in Will’s Zelt. Maddy schüttelte ihr Erstaunen ab, ging wieder neben Roter Speer auf die Knie. Der junge Tribal lächelte mühsam. „Du…hast…einem Gestraften…geholfen? Ich…hab’ mich wohl…in dir getäuscht. Verzeih’ mir“, brachte er gepresst hervor. Maddy schüttelte den Kopf, erwiderte aber das Lächeln. „Nein. Ich war diejenige, die an eine Welt…an eine Menschheit geglaubt hat, die es gar nicht gibt. All die Menschen, die mich erzogen, die mich trainiert haben, die mir große Worte um die Ohren gehauen habe von wegen Ehre und Anstand…keiner von ihnen hätte das für mich getan, was du vorhin gewagt…und erlitten hast. Sie hätten mich umgebracht oder sie hätten zugesehen, wie man mich zu Unrecht hingerichtet hätte. Nun retten mich ein Stammeskrieger und zwei Gestrafte – kein Orden, keine Kirche.“ Sie sah ihn ernst an, wusste, was ihre nächsten Worte bedeuteten. Es war ihr egal. „Und kein Feuer“, sagte sie, fast heiser, woraufhin Roter Speers Augen größer wurden. Er ahnte, was es für eine Ordenskriegerin bedeutete, dies auszusprechen. Plötzlich strich sie vorsichtig durch das Haar des jungen Mannes, das so schwarz war wie ihres. „Das Feuer hat mir nicht geholfen…es ist schwach. Vielleicht hat es auch gar keine Kraft, außer zu zerstören. Erst, als ich…zu deinem Herrn der Himmelswiesen gebetet habe, starb der Slaver direkt vor meinen Augen. Er war es, der mich gerettet hat, sonst wäre ich…es wäre zu viel gewesen, verstehst du?“ Dieses offene und sehr intime Geständnis erstaunte Roter Speer. Er spürte die Hand des Mädchens, die sein Haar streichelte. „Bleib’ am Leben…bitte. Es ist…wie ich sagte: Ich habe niemanden mehr, meine Familie wurde nicht lange nach meiner Geburt ermordet. Freunde, Kameraden…zu keinem von ihnen kann ich zurück, ich habe sie alle verloren“, erzählte sie tonlos. Langsam schloss der junge Tribal die Augen, woraufhin Maddy die Tränen herunterliefen. "Bleib' bei mir", hauchte sie.

In manchen Bereichen ähnelt die Geschichte der Welt nach den Alten - oder der Dunklen Welt, wie wir Gelehrte der Kirche sie aufgrund ihrer Verderbtheit nennen, Verderbtheit, die überall außerhalb der Territorien der Kirche und der Städtefürsten herrscht - einem sehr lange zurückliegenden Zeitalter. Die Angaben dazu wurden von den Alten verfasst und sind teilweise stark widersprüchlich. Dies liegt, meiner bescheidenen persönlichen Meinung zufolge, daran, dass wir die Jahreszahlen einander oft nur schwer zuordnen können. Viele sind mit einem "n. Chr." hinterlegt, andere mit einem "Anno Domini", wieder andere mit einem "ab urbe condita". Da die meisten der Aufzeichnungen moderner Art - was man an dem Material erkennen kann, auf welches geschrieben wurde und an der Druckqualität - irgendwann im Jahre "2074 n.Chr." enden, es keine neuer datierten Niederschriften oder Drucke der Alten gibt, müssen wir davon ausgehen, dass 2074 nach einem wichtigen Ereignis die Alten aufgrund ihrer zum Feuer schreienden Sünde und Ungerechtigkeit, ihrer Arroganz und Gier, durch die Ewige Flamme vernichtet wurden.

Die Kultur, welche in den fünf Städten aus der Dunkelheit trat, dürfte, geschichtlich betrachtet, eine Mischung aus jenen Zeitaltern sein, welche die Alten die "Antike" und das "Mittelalter" nannten und die zeitlich vor ihrer eigenen Epoche existierten. Leider werden die Bücher, welche detailliert über diese Zeiten berichten, von der Inquisition als "möglicherweise verderblich" eingestuft, was nur sehr hohen Kirchenhäuptern Zugang zu diesen Schriften erlaubt. Freundlicherweise wurde durch das Erste Konzil eine Reihe von Fakten herausgegeben, welche wichtige Teile der damaligen Gesellschaften exakt wiedergeben. Es ist begeisternd zu sehen, dass auch zur damaligen Zeit mutige Krieger, die ebenso wie heute Ritter genannt wurden, unter dem Glauben an das Licht der Flamme für Ordnung und Gerechtigkeit sorgten, bis sie von den Alten, die die Helligkeit und das Licht hassten, verfolgt und fast ausgerottet wurden.

Begeisternd ist jedoch insbesondere, wie sehr sich die Architekten und Baumeister von Eternal Flame und anderen Stadtzentren der fünf Großen Städte an die Bilder und Aufzeichnungen sowie die Pläne hielten, die sie durch das Erste Konzil erhalten hatten. Säulengänge, in Stein gehauene Verzierungen, große Treppen zu den Palästen und Kathedralen hinauf, Mosaiken, welche wichtige Stationen im Leben von Magnus Adams und anderen Helden des Feuers erzählen, kunstvolle Statuen, die auf großen Sockeln thronen. Dann die Basilika des Ersten Konzils, jenes unglaublich riesige Kunstwerk, rund und sich in den Himmel ausstreckend, mit mehreren gewaltigen Säulengängen, die leicht versetzt übereinander liegen, jedes andere Bauwerk überragend. Selbst die Arena, jener Ort, an dem Verbrechern, Ketzern und Kreaturen der Dunkelheit im Lichte des Feuers gerichtet werden - ein Hort, der dieser Welt Ruhe und Ordnung garantiert.

(Aus dem Tagebuch eines Jünger-Dieners von Konzilsbischof Burden, 1156 nach dem Großen Feuer)

Dark World I

Подняться наверх