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Damp und Rieder gingen auf dem Deich nur ein paar Meter zurück und bogen dann rechts in den Fahrweg ein, der zu den Ferienhäusern in die Dünenheide führte. Sie gehörten zumeist Berlinern. Viele hatten schon die Saison beendet und ihre Datschen winterfest gemacht. Die Fensterläden waren zugezogen, die Gartenmöbel verschwunden und die Briefkästen abgehängt.

Nur das erste Haus war noch bewohnt. Die Fenster im Erdgeschoss standen auf. Musik war zu hören. Ein Mann Mitte dreißig saß drinnen an einem Tisch und las Zeitung. Als Rieder und Damp das Grundstück betraten, sprang er sofort auf, kam nach draußen und ging den Polizisten entgegen.

„Die Polizei?“, fragte er überrascht. „Kommen Sie wegen des Toten am Strand?“

„Sie sind Herr Ehlers?“, fragte Rieder. Der Mann nickte. „Sebastian Ehlers.“

„Wir müssten noch mal mit Frau Seige und Herrn Kasan reden. Sind die beiden da?“, fragte Rieder.

„Sie schlafen noch. War spät gestern Nacht. Und dann die Aufregung. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht. Als sie uns dann erzählt haben, was passiert ist ... da konnten wir natürlich nicht gleich schlafen gehen. Auf den Schreck.“

„Würden Sie Frau Seige und Herrn Kasan bitte wecken?“, forderte Rieder den Mann auf. Die Polizisten folgten Sebastian Ehlers ins Haus. Er drehte sich noch einmal um und wirkte nun leicht verunsichert. „Birte und Markus schlafen oben.“

Dann stieg er die schmale Treppe hinauf. Rieder und Damp hörten das Knarren einer Tür, dann Stimmen.

„Also, wie abgesprochen“, wandte sich Rieder an Damp. „Sie übernehmen den Mann, ich die Frau.“

„Klar.“ Damp hatte ein überlegenes Lächeln aufgelegt. Er triumphierte im Stillen, dass er diese neue Spur im Haus von Stein entdeckt hatte und nicht sein Kollege. Klar, auch der Brief von Dora Ekkehard an Stein, den Rieder gefunden hatte, war nicht ohne. Aber das hier gab dem Fall eine neue Wendung.

Ehlers kam wieder herunter, hinter ihm Markus Kasan. Er wirkte noch verschlafen, rieb sich die Augen, ging aber völlig unvoreingenommen auf die Polizisten zu. „Was gibt’s? Sind Sie wegen des Protokolls gekommen?“

Damp schob sich etwas vor. „Herr Kasan, wenn Sie mir bitte nach draußen folgen würden. Wir hätten noch ein paar Fragen.“

Kasan war überrascht vom strengen Ton des Beamten, ging aber ohne Widerspruch mit Damp vor die Tür. Der Polizist winkte Ehlers, mitzukommen.

Wenig später erschien Birte Seige am oberen Ende der Holztreppe. Ihre kurzen Haare waren noch vom Schlaf zerwühlt und standen in alle Richtungen ab. Beim Anblick Rieders stockte sie. Sie sah den Umschlag in seiner Hand. Ganz langsam, Stufe für Stufe, kam sie hinunter.

Rieder öffnete den Umschlag, zog Fotos heraus und hielt sie Birte vor die Nase. „Frau Seige, können Sie mir das erklären?“

Sie schlug die Augen nieder, ging ein paar Schritte in die kleine Stube und ließ sich dort auf einen Stuhl fallen.

„Es war nur eine kleine Affäre.“

„Es ist allerdings keine kleine Affäre, dass Sie uns gestern angelogen haben. Sie kannten Stein. Und wenn ich mir die Bilder ansehe, ziemlich gut.“

Birte spielte mit ein paar Krümeln auf der Tischdecke.

„Als ich vor einem Jahr hier auf der Insel war, habe ich Peter kennengelernt. Sebastian und Andrea hatten mir ihr Haus für eine Woche vermietet, na ja, eher überlassen. Ich habe viel fotografiert. Ich wollte einen Naturkalender über Hiddensee machen und damit etwas Geld verdienen. Dabei habe ich Peter getroffen. Er fragte mich, ob ich für ihn auch ein paar Aufnahmen von Häusern machen könne. Er sei Bauunternehmer und Immobilienmakler, vermiete Ferienhäuser und brauche neue Bilder für seine Anzeigen im Internet und für die Exposés gute Aufnahmen. Dann kam eines zum anderen. Es ging zwei Monate. Er war auch mal bei mir in Berlin.“ Dabei zeigte sie auf die Bilder, die Peter Stein und Birte vor dem Brandenburger Tor zeigten. Es waren Schnappschüsse. Sie lachten auf den Bildern. Birte Seige und Peter Stein machten einen glücklichen Eindruck.

„Aber ich wollte nicht auf die Insel und er nicht nach Berlin. Punkt. Das war’s.“

„Und jetzt haben Sie ihn nicht getroffen? Wollen Sie mir das erzählen? Er ist praktisch Ihr Nachbar. Sie müssen immer an seinem Haus vorbei, wenn Sie zum Strand oder nach Vitte reinwollen.“

Birte beugte sich plötzlich nach unten und malte nun mit den Zehen Kreise auf die Dielen. „Bevor Markus kam, war ich schon zwei Tage hier. Da habe ich ihn auch getroffen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Wie Sie schon sagten, unvermeidlich, wenn man Nachbar ist.“

„Nur getroffen?“

Birte sah Rieder an. Sie lächelte sogar ein wenig. „In Krimis leuchten irgendwelche Laboranten dann immer die Laken ab. Nicht wahr? Wie heißt es dann? Wir haben noch ein paar Hautpartikel gefunden.“ Sie begann wieder mit den Krümeln zu spielen. „Sie könnten Glück haben, wenn Peter nicht die Betten frisch bezogen hat und Sie einen DNA-Abgleich machen. Aber nur beim Essen schmeckt Aufgewärmtes beim zweiten Mal besser.“

In dem Moment kam Markus Kasan ins Haus gerannt. Ihm folgten Damp und Sebastian Ehlers. „Du kennst den Toten? Diesen Stein?“

Birte nickte stumm.

„Was soll das alles? Ich verstehe es nicht?“, rief er aufgebracht.

Doch bevor Birte eine Antwort geben konnte, fragte sie Damp in scharfen Ton. „Warum haben Sie gestern Abend noch einmal das Kino vor Beginn der Vorstellung verlassen? Haben Sie sich mit Peter Stein getroffen in den zehn Minuten, die Sie weg waren? Herr Kasan berichtet, sie wären vor Beginn der Vorstellung noch einmal rausgegangen.“

Alle Blicke richteten sich auf die junge Frau. Sie schaute ängstlich die vier Männer an. „Ja.“

Damp und Rieder gingen vor die Tür. Nach ihrer Antwort hatte Birte Seige kein Wort mehr gesagt. Für Damp ein Eingeständnis ihrer Schuld. „Wahrscheinlich hat er sie bedrängt. Sie hat sich gewehrt. Peng und aus.“

Rieder konnte Damp nicht widersprechen. Für seine Theorie sprach einiges. Vielleicht wollte sie nicht, dass Markus Kasan von ihrer Affäre mit Stein erfuhr.

„Wir verhaften sie erstmal. Fluchtgefahr!“ Damp sah seine Chance für einen schnellen Fahndungserfolg.

Rieder zögerte. „Die Frau ist einssechzig. Stein war einsneunzig. Sie ist ein Leichtgewicht. Ich kann mich täuschen, aber sie wirkt auch nicht besonders stark. Stein dagegen war gutes Schwergewicht. Also ich weiß nicht.“

Damp wollte nicht so schnell aufgeben. „Sie kann es mit einem der verschwundenen Paddel getan haben. Ein Schlag. Peng und aus.“

Rieder brauste auf: „Sie mit Ihrem ‚Peng und aus‘! Fällt Ihnen nichts anderes ein? Und wo ist dann dieses Paddel jetzt?“

Damp hielt inne. Ließ Rieder den Fisch von der Angel? Typisch für diese Stadttypen. Quatschen viel. Handeln wenig. Allerdings musste er zugeben, ein Paddel hatten sie nicht gefunden. Es hätte für Birte Seige keine andere Chance gegeben, das Tatwerkzeug wegzuwerfen, als im Strandwäldchen.

Genau da setzte Rieders Widerspruch an. „Wo hat sie die Paddel gelassen? Rund um das Boot haben wir sie nicht gefunden. Treffen. Zuschlagen. Paddel verstecken. Zurück ins Kino. Da muss man schon ziemlich ausgebufft sein.“ So richtig sicher war er sich allerdings nicht. Woher wollte er wissen, wie ausgebufft Birte Seige war? Und vielleicht war es gerade ihr Kalkül gewesen, mit Markus den Toten zu finden? Immerhin hatte sie im Kino über anderthalb Stunden Zeit gehabt, sich etwas zu überlegen?

Aber auch Damp gab nicht auf. „Sie muss ihn ja nicht mit einem Paddel erschlagen haben. Sie hätte auch einen Knüppel oder einen alten Ast nehmen können. Davon liegen im Strandwäldchen genug.“

Im Haus hörte man jemanden schnelle Schritte treppauf gehen. Dann Stimmen aus der oberen Etage. Die beiden Polizisten konnten zwar kein Wort verstehen, aber es war eine flehende Frauenstimme. Dann stürmte jemand die Treppe hinab. Die Tür wurde aufgerissen. Markus Kasan rannte an den Polizisten vorbei. Rieder konnte gerade noch fragen: „Wo wollen Sie hin?“

„Nach Haus. Ich habe von den Frauen die Schnauze voll.“

In der Tür erschien eine verweinte Birte. Hinter ihr ein hilfloser Sebastian Ehlers.

„Beschissen worden bin ich genug in meinem Leben“, rief Kasan noch und rannte dann in Richtung Deich. Dort kam ihm eine junge Frau auf einem Rad entgegen, an jeder Seite des Lenkers gefüllte Einkaufsbeutel. Sie bremste scharf, fragte Kasan offenbar, was los sei. Doch er schüttelte ihren Arm ab und lief in schnellen Schritten davon.

Die Frau stieg wieder auf ihr Rad, trat heftig in die Pedale und fuhr auf das Haus zu. Sie sprang ab.

„Birte! Sebastian! Was ist mit Markus?“

„Und wer sind Sie?“, unterbrach sie Rieder.

Sie starrte ihn an. „Ich?“

„Ja, Sie?“

„Andrea Ehlers. Aber was interessiert Sie das überhaupt?“ Wahrscheinlich nahm sie jetzt erst Damps Uniform wahr. „Ach, Sie sind von der Polizei?“

Rieder stellte sich kurz vor und erklärte Ihr mit wenigen Worten die Situation. Andrea Ehlers konnte nicht glauben, was sie hörte. Heftig widersprach sie Rieder. „Sie spinnen doch. Was soll Birte getan haben?“ Sie wandte sich an ihren Mann: „Sebastian, sag doch auch mal was!“ Doch dessen Antwort war ein Schulterzucken. Dann verschwand er im Innern des Hauses. Andrea Ehlers warf ihr Rad ins Gras ohne Rücksicht auf die Einkäufe und folgte ihrem Mann. Von drinnen war ein heftiger Wortwechsel zu hören. Rieder wandte sich an Birte Seige. „Haben Sie uns noch etwas zu sagen?“

Die junge Frau hatte die Arme vor der Brust verschränkt, zitterte am ganzen Leib, blieb aber stumm.

„Frau Seige. Ich muss Sie bitten, die Insel bis auf weiteres nicht zu verlassen. Sie melden sich bitte jeden Morgen um neun Uhr bei uns auf dem Revier. Sollten Sie das nicht tun, schreiben wir Sie zur Fahndung aus. Auf Wiedersehen, bis morgen.“ Rieder steckte den Umschlag mit den Fotos von Birte Seige und Peter Stein in seine Jackentasche. Damp setzte seine Mütze auf. Schon im Gehen drehte sich Rieder noch einmal um. „Es wäre gut, wenn es einen Zeugen gäbe, der bestätigen kann, dass Peter Stein noch gelebt hat, nachdem Sie ihn vor dem Kino getroffen haben.“

Norderende

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