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Die Wahrheit kennt nur eine Richtung

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Die Tür hinter Sam schnellte zu. Scriphok stand direkt neben ihm.

»Wo sind wir hier?«, fragte Sam.

»Sag mir, was du hier siehst?«

»Ich sehe einen Raum der, der, der nur aus Licht besteht!«

»Und ... befindet sich in dem Licht etwas? Oder ... kannst du hinter das Licht sehen?«

Sam schaute unglaubwürdig zu Scriphok und antwortete: »Hinter das Licht sehen? Wie kann man hinter Licht sehen?«

»Ganz einfach Sam. Schließ' deine Augen und stell' dir vor, was hinter dem Licht ist. Dann öffne deine Augen.«

Sam schloß seine Augen, wie Scriphok es ihm befahl. Wie kann das alles real sein, was er gerade erlebte, dachte Sam. Kann das überhaupt real sein? Und dieser Scriphok. Wer ist er überhaupt? Wieso sieht er so seltsam aus? Und wieso kennt er diese Dinge über mich?

»Sam? Sam, bist du bereit?«

»Bereit für was?«

»Jetzt deine Augen zu öffnen?«

Sam öffnete langsam seine Augen und er traute erneut wieder nicht, was er sah. Der Raum wurde Stück für Stück dunkler. Er begann Umrisse zu erkennen, dann Farben und schließlich sah er es. Es war unvorstellbar.

»Sam, weißt du, was du siehst?«

Sam fing an, sich die Augen zu reiben. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er konnte nichts mehr sagen. Er fühlte sich tief traurig. Nein, er konnte nichts sagen und er wollte es auch nicht.

»Sam, es ist in Ordnung. Deshalb bist du doch hier. Lass alles raus!«

Sam wischte sich die Tränen weg und brüllte: »Deshalb soll ich hier sein? Das ist ein schlechter Witz! Erklär' mir jetzt sofort, wo wir hier sind! Warum ich hier bin! Und wie ich hier überhaupt hergekommen bin!«

Scriphok zog seine schmalen Lippen seltsam zusammen, dann seufzte er leise und sagte: »Sam, du kannst dir all deine Fragen selber beantworten. Ich bin lediglich dein, sagen wir mal, stiller Wegbegleiter.«

Scriphok senkte seinen Kopf zu Sam nieder und hielt kurz seine Hand. Sam spürte in diesem Moment eine unglaubliche Wärme seinen Arm hochsteigen und eine seltsame Energie, die sich in ihm breit zu machen schien. Sam schaute direkt in Scriphoks leeren und riesigen lidlosen Blick. Scriphoks Augen schienen feucht zu sein. Dann erschrack Sam, denn er sah sich selbst in Scriphoks Augen.

»Erkennst du nun diese Welt, Sam?«, fragte Scriphok leise.

Sam begann eine kontroverse Diskussion mit sich selbst zu führen. Es ging in ihm auf und ab. Alle Eventualitäten ging er nun an. Er versuchte sich alles zu erklären und ging Analysen durch, die er einst mal gelernt hatte. Doch alles ergab für ihn keinen Sinn. Dann kam er an einen Punkt, an dem er dachte: Kann das alles wirklich wahr sein?!

Doch dann unterbrach Scriphok seine weiteren Gedankenspiele und sprach zu ihm in energischem Ton: »Ja Sam, es ist alles wahr, was du hier siehst und erlebst und jetzt sag mir, was du siehst!«

Sam ballte seine Hände zu Fäusten und presste seine Lippen stark zusammen. Er schnaubte und schloss seine Augen erneut. Dann öffnete er sie langsam und erzählte unter Tränen: »Ich sehe mich und meine Mutter und......«

»Ja ja Sam und was noch?«

Sam stotterte nur noch wirre Sätze und fing an zu zittern.

»Ich kann nicht! Ich kann einfach nicht!«

»Aber du musst es sagen Sam, du musst!«

Sam fing an zu weinen, er konnte seine Gefühle nicht mehr kontrollieren.

Seine Tränen liefen ihm wie Wasserfälle die Wangen herab.

»Scriphok, warum tust du mir das an? Warum muss ich das wieder durchmachen?«, schnauzte Sam ihn an.

Scriphok entgegnete ihm schon fast zornig: »Sam, die Wahrheit lässt sich nicht ausblenden. Was siehst du also noch?«

Sam schlug Scriphoks Hand zur Seite, dann ließ er sich fallen.

Schluchzend sagte er: »Ich sehe mich, ich sehe meine Mama und, und ich sehe meinen Vater. Ich sehe meine Eltern. Wir sind zu Hause. In meinem alten Zuhause, in London, dort wo ich aufgewachsen bin.«

»Ja, das siehst du. Sag mir nun alles!«

»Nein!!! Nein! Ich kann nicht! Ich kann das alles nicht wieder durchmachen. Ich bitte dich Scriphok, ich kann nicht!«

»Leider können wir nicht immer das tun, was wir wollen. Manchmal müssen wir einfach tun, um zu funktionieren. Sam, wenn du mir sagst, was du siehst, kann ich dir versprechen, dass bald alles gut sein wird!«

»Du verlangst das Unmögliche von mir! Du weißt nicht, was ich durchgemacht habe. Du hast keine Vorstellungen davon, wie es mir geht.«

Scriphok machte seine Augen für einen kurzen Moment noch größer, als sie ohnehin schon waren und entgegnete dann: »Ich muss mir nichts vorstellen. Ich weiß, was du durchgemacht hast. Ich kenne jeden traurigen Moment deines Lebens und ich habe mit dir jede einzelne Träne geweint.«

»Du verlangst das Unmögliche von mir, Scriphok. Wenn ich dir sage, was ich alles sehe, dann bin ich verloren.«

»Wenn du mir nicht sagst, was du dort siehst Sam, dann bist du verloren!«

In Sam stieg tiefe Angst hoch.

»Was meinst du damit Scriphok? Verloren?«

»Sam, du musst dich jetzt öffnen! Wenn du dich jetzt nicht öffnest, wird die Dunkelheit dich schnell einhüllen. Sie wird dich gefangen nehmen und du wirst ihr niemals mehr entkommen können. Die Stille wird dir den Boden unter den Füßen entreißen und du wirst mehr als ein Leben lang fallen. Fallen bis du alt und grau sein wirst. Stille in deinem Herzen wird dich um den Verstand bringen und du wirst bis zu deinem letzten Atemzug einsam sein. Sam, ich als dein treuer Wegbegleiter bitte dich, bleib im Licht, bleib ein Mensch, der sich nicht für die Dunkelheit entscheiden wird und bleib der Sam der Wahrheit.«

Die Worte von Scriphok trafen Sam direkt ins Herz. Sein Kartenhaus zerbrach. Alle Dämme wurden durchbrochen und das Licht durchflutete Sam komplett. Nun nahm er all seinen Mut zusammen und begann mit leiser Stimme zu stammeln: »Es ist der Abend, der Abend, der alles veränderte!«

Unter Tränen und fast gebrochener Stimme beendet Sam dann seinen Satz. Diesen einen alles entscheiden Satz, mit dem er Scriphok nun alles erzählte, was er sah.

»Mein Vater schlug immer und immer wieder auf sie ein. Er brach ihr die Nase. Das Blut war überall. Er brach ihr die Hand. Ich höre noch heute ihre Schreie. Ihre Hilferufe. Diese Schmerzen, die sie ertragen musste. Er schlug sie in dieser einen Nacht so hart, dass sie mit dem Kopf gegen die Wand prallte und als sie auf dem Boden fiel, trat er auf sie ein. Immer und immer wieder. Man hörte förmlich bei jedem Tritt die Rippenbögen brechen. Nach jedem Ausatmen wurde sie stiller und sie spuckte Unmengen von Blut.«

Sam war gebrochen. Er war zusammengekauert auf den Boden gesackt. Er hielt sich am Kopf fest und strich sich immer wieder durch sein Haar. Sein Kopf pochte und schmerzte stark. Er konnte diese Bilder nicht noch einmal ertragen. Diese Erinnerungen jetzt noch einmal so zu sehen. Nicht in seinem Geist, sondern direkt live und in Farbe.

»Warum bin ich hier? Warum muss ich das alles noch einmal durchleben? Warum tust du mir das an Scriphok?«, stieß Sam verzweifelt aus.

Scriphok streichelte ihm sanft über den Kopf und sagte dabei leise: »Sam, du hast es fast geschafft. Blick auf und erzähl mir bitte dein Ende.«

»Das wird mich aber zerstören!«

»Nein, im Gegenteil Sam, es wird dich befreien und dir den ersehnten Frieden schenken.«

Sam schluchzte heftig und wischte sich mit seinem Ärmel durch das verheulte Gesicht, dann blickte er auf und sagte: »Ja, er hat sie in dieser Nacht umgebracht und ich, und ich war erst…«

Er stockte und er konnte nicht weiter sprechen, denn seine Kehle fühlte sich so trocken an, als steckten Sandberge in seinem Hals. Er konnte nicht mehr weitersprechen und dann setzte Scriphok ein: »Sam, ja, du warst erst zehn Jahre alt. So jung. So unschuldig, aber das spielt keine Rolle.«

Scriphok sah Sam mit seinem emotionslosen Blick an, bäumte sich vor ihm auf und sagte erhaben: »Du hast sie erlöst, Sam!«

»Ja, ich musste es tun!«

»Bitte beende es jetzt Sam«, entgegnete Scriphok ganz sanft.

Sam stand auf und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. Er blickte in den Raum, in dem sein altes Zuhause, seine tote Mutter und sein Vater zu sehen waren. Er schaute sich noch einmal alles ganz genau an, was er dort sah. Er sah sich selbst, der kleine Junge, der er einst war, sein Vater, der vor seiner toten Mutter stand, die blutüberströmt auf dem kalten Boden lag und dann sagte Sam mit erstarkter Stimme: »Dann habe ich das Messer genommen und ihn für all das zahlen lassen, was er meiner Mutter angetan hat! Denn die Wahrheit kennt nur Gerechtigkeit! Ich habe meinen Vater erstochen! Nicht nur einmal. Viele Male!«

Scriphok nahm Sams Hand und sprach ihm dabei leise in sein Ohr: »Die Wahrheit kennt nur eine Richtung, mein kleiner Freund! Ich danke dir Sam.«

Der Raum verdunkelte sich schlagartig und ein Gewitter zog auf. Es wurde laut und der Wind wehte so stark, dass Sam Mühe hatte, sich auf seinen Füßen zu halten. Scriphok beeindruckte das Geschehen überhaupt nicht.

»Wir müssen jetzt gehen, schnell! Du musst deine Augen wieder schließen. Denk noch mal an deine Mutter, Sam! Dann können wir schnell von hier fort.«

Sofort in diesem Augenblick öffnete sich direkt unter ihnen eine Art Strudel, der beide verschluckte. Sam dachte an seine geliebte Mutter, dann wurde alles dunkel.

Die Welt hinter dem Spiegel

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