Читать книгу Mit dem Klapprad in die Kälte - Tim Moore - Страница 11

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4. NORDÖSTERBOTTEN


»Du wirst wahrscheinlich nicht sterben«, sagte meine Frau am Vorabend meiner Abreise, »aber ich mache mir schon Sorgen, dass du den Verstand verlieren wirst.«

Diese launigen Abschiedsworte gingen mir immer wieder durch den Kopf, während die menschenleere Unendlichkeit sich vor mir ausbreitete und die kalte Hand der Hypothermie auf meiner Schulter sich vom anregenden Novum zum lästigen allgegenwärtigen Begleiter entwickelte. Das beschauliche Tempo meines Vorankommens wäre akzeptabel gewesen, wenn es etwas zu schauen gegeben hätte, etwas, das nicht Bäume, Schnee oder Stille war. Vielleicht ein Mal in der Stunde sah ich einen Fuchs oder einen Bauernhof, ein Eichhörnchen oder ein Straßenschild. Da es für Augen und Ohren so wenig zu erfassen gab, füllte sich mein Kopf allmählich mit einer zähfließenden Masse aus Trübsal und Wahn. Ich versuchte (und scheiterte daran), mir die angenehmeren Monate meiner weiteren Reise auszumalen, eine Zukunft, in der die Natur das Leben bereicherte, statt es erst in ein Jammertal zu verwandeln und dann alles daran zu setzen, ihm ein tragisches und einsames Ende zu bereiten.

Dinge, die gar nicht da waren, begannen sich in der verschneiten Ferne abzuzeichnen: ein Wolf auf seinen Hinterbeinen, ein brennendes Polizeiauto. Ich verlegte mich darauf, eine Asphaltversion von Michael Portillos Great Railway Journeys einzusprechen: »Die finnische Staatsstraße 4 ist als Europas einsamste Straße bezeichnet worden und bahnt sich ihren Weg durch eine arktische Wildnis aus gefrorenem Wasser und Holz. Auf meiner Reise werde ich einigen der außergewöhnlichen Charaktere begegnen, die diese karge, aber faszinierende Landschaft ihr Zuhause nennen, und hoffe, aufs Neue der amtlichen Tracht Prügel zu entgehen, die ich mir so redlich verdient habe.«


Anschließend traditionelle lappische Aphorismen:

»Ächzt der Wald unter weißen Massen, soll man das Rad zu Hause lassen.«

»Ist der Arsch erst abgefror’n, bringen Benzin und Zündholz dich nach vorn.«

»Frisbee, Schmalz und Richard Gere – springen wild die Gedanken, ist der Tod bald hier.«

Da die Straße gleichbleibend flach war, sah ich mich zumindest den körperlichen Anforderungen gewachsen, die zu diesem Zeitpunkt nicht schlimmer waren, als den ganzen Tag auf dem Heimtrainer zu schuften, nur eben in einer Tiefkühlkammer. Und ich stellte mich allmählich auf die Bedingungen ein. So lernte ich, dass der vereiste Straßenrand den Spikereifen mehr Traktion bot und dass es der Balance dienlich war, in den scharfen Kurven wie beim Speedway ein Bein auszustellen. Wie dankbar ich für diese winzigen Reifen war, die die perfekte Ergänzung zu meinen Steuerkünsten waren und außerdem gewährleisteten, dass ich nicht zu tief fallen würde, sollten diese mich im Stich lassen.

Überhaupt zog sich das kleine MIFA im Großen und Ganzen ganz vorbildlich aus der Affäre. Gut, das Hinterrad hatte angefangen, ziemlich spürbar zu eiern, da sich das aber erst bei mehr als 15 km/h bemerkbar machte, war es nur selten ein Problem. Der Kettenschutz und die hintere Schutzblechhalterung lockerten sich immer wieder, bis mir das Abschiedsgeschenk von Pubquiz-Peter wieder einfiel, ein wiederverschließbarer Beutel Klemmmuttern. Der Sattel rutschte ein bisschen, die originalen Gummi-Gepäckriemen fingen an, rissig zu werden, und wie von meinen deutschen Freunden prophezeit, bereitete mir die Bremse Enttäuschung. Aber trotz alledem und der inhärenten mangelnden Eignung des MIFA für lange Strecken und schlechtes Wetter hätte ich mir kein Rad denken können, auf dem ich lieber gefahren wäre.

So zumindest habe ich es damals aufrichtig empfunden. Nun, da ich diese Worte in ihrer ganzen verblendeten Abwegigkeit niederschreibe, muss ich fürchten, einem von Psychiatern als Helsinki-Syndrom bezeichneten Phänomen anheimgefallen zu sein, benannt nach einer Geiselnahme, bei der die Täter sich schließlich selbst erschossen hatten und alle anderen erfroren waren.

Der Mann mit der Kosakenmütze sprang aus seinem VW Golf und winkte mich durch das flockengesprenkelte Halbdunkel heran. Ich konnte nur mutmaßen, seit wie vielen Stunden ich kein Auto mehr zu Gesicht bekommen hatte, an die Umstände konnte ich mich jedoch lebhaft erinnern:

Weil ihr Herannahen durch besonders heftigen Schneefall gedämpft wurde, hatte ich auf das gellende Hupen der betagten Fahrerin mit einem Kreischen, rudernden Armen und Hinfallen reagiert. Überhaupt hatte ich einen Großteil des Tages damit verbracht, auf einer weitschweifigen Route, die sich durch die ersten nennenswerten Erhebungen meiner Reise schlängelte, den Schnee zu küssen – beziehungsweise den darunterliegenden eisigen Schotter. Als ich einen zugefrorenen See überquerte, war der Pfad vollends verschwunden, so dass ich mir meinen Weg anhand umgeworfener oranger Pfosten bahnen musste, die hier und da über das Eis verstreut lagen.

Um meine Stürze und deren Schwere zu minimieren, kam ich schließlich auf die pfiffige Idee, noch langsamer als vorher zu fahren. Trotzdem brannten meine Schienbeine und Knöchel von regelmäßigen schmerzhaften Stößen gegen Pedalkanten bei jedem Abgang. Noch übler wurde meinen Armen mitgespielt, die große Mühe hatten, das überladene Klapprad im tiefen Schnee zu stabilisieren, und mittlerweile lahm und nutzlos waren von der Anstrengung, das Vorderrad in der Spur zu halten. Sobald es schlitternd bergab ging, lief ich Gefahr, von meinem eigenen Hinterrad überholt zu werden. »Was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker«, sagte eine dünne Stimme in meinem Kopf. »Dafür macht es uns eine Scheißangst und tut echt weh«, entgegnete eine kräftigere.

Ich hatte eine nur wenig brauchbare Vorstellung davon, wo ich war, außer dass ich mich inzwischen in Nordösterbotten befand, was noch kälter und einsamer klang als Lappland und nach etwas, wohin man ohne jede Hoffnung auf Wiederkehr verbannt wurde. Irgendwann wurde mir klar, dass meine Vorstellung davon, wo in diesem eisigen Hinterland ich eine Bleibe für die Nacht finden könnte, sogar noch weniger brauchbar war. Mit ungeschickten, tauben Fingern auf meinem Mobiltelefon stochernd, tätigte ich den ersten von vielen Notrufen an Raija Ruusunen.

»Ich werde Sie mit unserem Kontakt in Finnland in Verbindung bringen«, hatte Ed Lancaster von der European Cycling Federation mir viele Monate zuvor in einer E-Mail geschrieben, die gespickt war mit höflichen Ratschlägen, eine etwas weniger hanebüchene Reisezeit für meine Unternehmung in Betracht zu ziehen. So wurde ich Raija vorgestellt, die in ihrer stoischen Antwort meinen Terminplan und dessen Konsequenzen für uns beide großmütig akzeptierte: Meine bescheuerte Entscheidung war gefallen, und sie würde mir daher aus einer Reihe von Patschen helfen. »Radfahren im März ist in Finnland Winterradfahren, dann liegt noch fast überall Schnee hier nahe der Ostgrenze. Es wird kaum Menschen oder Verkehr geben und nur wenige Möglichkeiten zum Essen und Schlafen. Das wird eine richtige Radtour durch die Wildnis. Ich gebe dir meine private Telefonnummer und werde dir jederzeit helfen, falls du Schwierigkeiten hast oder etwas brauchst.« (Weil sie wohl spürte, dass ich ein wenig Aufmunterung gebrauchen könnte, fügte sie ein zuversichtliches Postskriptum an: »Es gibt Studien zum Thema Wohlbefinden und Wälder. Demnach wirken sich schon 15 Minuten im Wald positiv aus. Nach 1.700 Kilometern durch Finnland wird es dir also sehr gut gehen.«)

Ich würde Raijas wundertätigen Modus Operandi niemals durchschauen, noch würde ich es offen gestanden jemals versuchen. Es schien geboten, einfach zu akzeptieren, dass die Wege dieses Schutzengels unergründlich wären. Mittels unter Eis und Schnee verborgenen Kanälen gelang es dieser cyclobarmherzigen Dozentin aus Joensuu – einem Ort, dem ich nie nahe kam und der zu diesem Zeitpunkt 400 Kilometer weiter südlich lag –, irgendwie und stets sehr kurzfristig, weit verstreute Fremde zu überreden, sich auf den Weg in die arktische Einöde zu machen und einen ihnen unbekannten Engländer mitsamt seinem Klapprad von der eisigen Schwelle des Todes zu retten.

Mein Retter mit der Kosakenmütze nahm recht besorgt meinen gestammelten Dank entgegen, dann bedeutete er mir, ihm zu einer schindelgedeckten Hütte zu folgen, die etwas entfernt von der Straße hinter einer Reihe von Kiefern stand. Als rustikaler Finne stellte er sich als ein Mann weniger Worte heraus, und keines davon war der englischen Sprache zugehörig. Ich überlasse es Ihnen, sich seine Versuche vorzustellen, pantomimisch den Akt des Eisschwimmens darzustellen, sowie meine Reaktion, als mir klar wurde, dass dies eine ernst gemeinte Einladung war und sich auf ein Loch im Eis des kleinen Sees hinter dem Haus bezog. Das einzige Mal, dass seine Züge zum Leben erwachten – und ich bin ziemlich sicher, dass Gleiches auf jeden Finnen mittleren Alter und darüber hinaus zutrifft – war, als er im Keller der Hütte eine Tür aufwarf und eine fast sichtbare Wand aus Hitze über uns hereinstürzte.

Die Sauna ist eine Erfindung, die sich aus Finnlands ergiebigsten natürlichen Ressourcen speist: Holz, Wasser und Vokale. Es eine beliebte nationale Tradition zu nennen, wäre in etwa so, als würde man das Atmen als ein Hobby bezeichnen. Es gibt mehr Saunas als Autos in Finnland, stolze drei Millionen, bei einer Gesamtbevölkerung, die nicht ganz dem Doppelten dessen entspricht. Sich in einen aberwitzig heißen Schrank zu hocken, steht ganz oben in der Hierarchie finnischer Bedürfnisse – den Schlafarrangements in den Ferienhäusern nach zu urteilen, in denen ich in der Regel unterkam, noch vor sexueller Fortpflanzung. Typischerweise standen in jedem Schlafzimmer vier einzelne Betten und in einer dieser Unterkünfte, einem zweistöckigen Haus, das zehn Gästen Platz bot, war die einzige Tür im Inneren diejenige, die verhinderte, dass die Hitze aus der Sauna entwich.

Dem verschwitzten Anschein nach scheint Finnlands fortwährende Sauna-Obsession auf das beschämende Versagen zu verweisen, ihren nordeuropäischen Nachbarn auf Goldlöckchens Lernkurve zu folgen: draußen im Schnee – zu kalt; drinnen in einem kiefervertäfelten Krematorium – zu heiß; auf dem Sofa ausgestreckt im muckelig geheizten Wohnzimmer – genau richtig. Aber in fast schon bewundernswerter Weise versuchen sie gar nicht erst, ihren Hang zur brühwarmen Klaustrophobie zu rechtfertigen oder zu artikulieren. Für einen Finnen gibt es einfach kein Problem, dass man nicht mit einer weiteren Sauna lösen könnte, vor allem wenn das Problem lautet, was man neben der Sauna erbauen könnte. Als der weinschlürfende, wollpullovertragende Schneemobilfahrer mir erzählte, dass sein neues Sommerhäuschen nicht weniger als drei Saunen umfasste, und ich ihn fragte warum, schaute er mich nur gekränkt an: Is’ halt so.

Außer an vielleicht ein oder zwei Tagen heizte ich in Finnland jeden Tag die Sauna an, doch es dauerte eine Weile, bis ich sie wirklich zu schätzen lernte und in ihr mehr sah als nur eine praktische Taukammer für Kleidung, Füße und Toilettenartikel. Nach ungefähr einer Woche begann ich, die Sauna als eine Art glühend heiße Chill-out-Zone zu genießen: ein hölzerner Schoß, um die Ereignisse des Tages zu verarbeiten, und das mit mehr Behagen, als ihre eisigen Schrecken es verdienten. Aber die Sauna, in der mich Kosakenmütze nun alleine zurückließ, schoss den Vogel ab, eine Überdosis so zermürbend vulkanesker Celsiusgrade, dass mein Haar binnen einer Minute – autsch! – zu heiß zum Anfassen war. Reflexartig schöpfte ich eine Kelle Wasser aus dem Holzeimer und goss sie auf die Magma-Briketts. Unter den überhitzten Umständen war das an sich schon ein Zeichen mangelnder gedanklicher Klarheit, aber als mir der entzündete Dampf daraufhin zischend ins Gesicht explodierte, wäre ich fast vornüber in den Ofen gekippt. Statt sie in aller Ruhe Revue passieren zu lassen, schossen die Ereignisse des Tages mir nun ungebeten mit übler, unscharfer Hast durch den gebratenen Schädel, angefangen mit dem morgendlichen Frühstück aus Porridge und Hering. Da waren sie wieder: das alte Bauernhaus mit dem unter der Last des Schnees eingefallenen Dach, die Spur dinosauriergroßer Elchspuren in den Wald hinein, der alte Mann, der an einem Eisloch angelte und aufstand und ging, als er meine Kamera sah… Alles erschien unklar und unwirklich, wie der weichgezeichnete Schnelldurchlauf einer Episode aus dem früheren Leben eines anderen. Ich erhob mich zu schnell und wäre beinahe ohnmächtig geworden, taumelte dann benommen durch die Tür und entkam gerade noch rechtzeitig, bevor mir ein Rinnsal geschmolzener Erinnerungen aus der Nase zu sickern begann.

Dieses leicht halluzinogene Erlebnis erwies sich als gute Einstimmung auf die vor mir liegenden Stunden und die Tage danach. Noch während sie sich abspielten, schienen Ereignisse und Begegnungen nun oft von surrealer Implausibilität getönt zu sein, und dass sie tatsächlich passiert sind, kann ich im Nachhinein nur anhand handfester fotografischer Beweise belegen. Gießen Sie noch eine Kelle auf die Steine, schenken Sie sich einen Dirty Rudolf ein und machen Sie es sich bequem, während ich durch dieses fesselnde Album blättere.

DSC02967. Kosakenmütze hat mich an meiner Hütte eingesammelt und an einem einsamen Bauernhaus abgesetzt. Ich bin in dessen Innerem zu sehen, wo die ihrerseits auf der Aufnahme nicht zu sehenden Bewohner – eine Mutter und ihr erwachsener Sohn – soeben ihrem Überraschungsgast dabei zugeschaut haben, wie er fünf Schüsseln Lachssuppe verschlingt. Das Fenster hinter mir ist bis auf halbe Höhe eingeschneit. An der Wand hängt ein Foto des Großvaters väterlicherseits als junger Winterkriegs-Reservist. Über dem gemauerten Kamin links von mir drängelt sich eine Reihe denkwürdiger Fotobomber ins Bild: zwei ausgestopfte Vögel, ein ziemlich schwermütiger Vielfraß und ein sehr spitzschnauziger Schädel, an dessen Kiefer ein Post-it klebt, auf dem steht: Wolf. Die Mutter hat mir eben erklärt, vornehmlich mittels grandioser Pantomime, dass ihr Gatte das Tier geschossen und sie es gehäutet habe: Ebenso wie der Vielfraß war der Wolf erwischt worden, wie er mit seinen Reißzähnen die geweihtragenden Vermögenswerte der Familie in Mitleidenschaft zog. Wenig später würde ich gezwungen sein, mir vor dem außerhalb des Bildes befindlichen Fernseher die englische Fassung einer Lehr-DVD anzuschauen, die folgendermaßen beginnt: »Das Rentier ist eine Hirschart mit langen Beinen und vier Hufen.« Anschließend würde ich hinausgehen, um mit dem Sohn, der einen Wams trägt, den seine Mutter aus dem Pelz des Wolfs gearbeitet hat, ein paar dieser glöckchenbehängten, geweihtragenden Biester zu füttern. Dabei würde ich immer noch die kuriose Aufmachung tragen, in die ich in dieser Szene gehüllt bin: eine Lapplandmütze aus rotem Filz und das geräumige Fell eines blassen Rentiers.


DSC02973. Diese weniger unmittelbar fesselnde Aufnahme zeigt die grob gehäutete Hälfte einer geräucherten Forelle auf einem Untergrund aus melaminharzbeschichteter Spanplatte. Es ist der folgende Nachmittag und ich befinde mich in der Belegschaftsküche einer kürzlich stillgelegten Bank in Juntusranta, 38 sehr verschneite Kilometer entfernt von der Rentierfarm Hossa. Die Forelle sah noch wesentlich besser aus, als ein Angler sie mir überreichte, nachdem er mich in die Bank gelassen hatte. Seither habe ich das ölige, rosafarbene Fleisch mit einem Brotmesser herausgelöst und alles aufgegessen. Ich habe mich außerdem in den Keller der Bank begeben und die holzbetriebene Belegschafts-Sauna genossen. Wenig später würde ich im neonbeleuchteten ehemaligen Büro des Bankdirektors meine Bettstatt herrichten, wo ich eine von einem verschlafenen Gang zum Klo unterbrochene Nacht verbringe, die beinahe damit endet, dass ich mich in der auf Foto DSC02975 abgebildeten Anlage einschließe: einem Tresorraum wie aus einem James-Bond-Film.

DSC02991. Ein wiederkehrendes Motiv aufgreifend, zeigt dieses Stillleben das Innere eines gut gefüllten Kühlschranks. Seine Tür und Fächer sind bestückt mit leckeren Kalorien und Erfrischungen: Fleischbällchen, Sardinen, verschiedene Joghurts, Tomaten, Käse, Schinken, Fruchtsäfte, Schokomilch und zwei große Flaschen Bier mit zähnefletschenden Bären auf dem Etikett. Zwei begleitende Aufnahmen zeigen das Porträt eines vor Snickers-Riegeln ächzenden Obstkorbs und eine Küchenarbeitsfläche, auf der sich Bäckereierzeugnisse und eine Auswahl an Eingemachtem stapeln. Ich habe einen Tag und 57 Kilometer Richtung Süden durch eine schmutzige und rutschige Welt aus Matsch hinter mir, eine Welt, die ihre kalten, braunen Spuren auf Mensch und Maschine hinterlassen hat. Das Haus, in dem ich mich befinde, steht verloren zwischen Suomussalmi, Schauplatz des größten militärischen Triumphs der finnischen Geschichte, und dem Winterkriegs-Museum, das natürlich nur im Sommer geöffnet ist. Und ich habe dieses Haus, mitsamt Küche, Sauna und so weiter, ganz für mich allein, nachdem ich mir mit dem Schlüssel, der im Briefkasten für mich hinterlegt wurde, Zutritt verschafft habe. Die Wirtin lebt 25 Kilometer entfernt, ist aber irgendwann hergefahren, um den Schlüssel zu deponieren, das Bett zu beziehen, die Heizung anzuwerfen und für den oben beschriebenen Überfluss zu sorgen. Ich bin ihr nicht begegnet und werde es niemals tun, weiß dies alles aber dank eines Telefongesprächs, das ich am Morgen von der Bank aus mit ihr geführt habe. »Ich kann keine Bezahlung annehmen, weil ich Sie unterstütze«, erklärte sie mir. »Wir alle unterstützen Sie, weil Sie auf einem Fahrrad unterwegs sind und weil es Winter ist und weil Sie verrückt sind.«

Welch Demut gebietende, erstaunliche Tage waren dies, in denen ich in der österbottnischen Wildnis von einem großherzigen Fremden zum nächsten weitergereicht wurde und ein ums andere Mal die kühle Milch menschlicher Güte kosten durfte. Und dafür nie etwas bezahlen musste: Meine verschiedenen Gastgeber verweigerten jegliches Zahlungsangebot mit solcher Vehemenz, dass ich, aus Sorge, Anstoß zu erregen, jedes Mal zögerte, ehe ich einen 20-Euro-Schein unter den Kessel steckte, bevor ich aufbrach. Nicht einmal meinen Dank wollten sie annehmen. Eine Zeitlang fragte ich mich, was im Himmel Raija gesagt haben mochte, um solch entwaffnende Gastfreundschaft zu entfesseln: dass ich die leicht reizbare Vorhut einer riesigen Horde von Klappradfahrern wäre, die ihren darbenden Siedlungen großen Wohlstand bringen wird? Ein österbottnischer Freiheitskämpfer? Der unbarmherzige Erzfeind des Vielfraßes? Die Erläuterung meiner letzten Gastgeberin hatte mir einen präziseren Einblick gewährt und Raija bestätigte sie mit ihrer Einschätzung: »Wenn man in einer schwierigen Region lebt und in eine Notlage gerät, ist man voll und ganz auf andere Leute angewiesen. Sie wollten dir nicht helfen, sie mussten es tun. Jetzt sind sie froh und fühlen sich sicherer, denn sie glauben, dass jemand da sein wird, um auch ihnen zu helfen, wenn sie es brauchen.«

Eine Hand wäscht die andere und so. Arktisches Karma. So sehr es mich auch bekümmerte, zu wissen, dass ich niemals die Chance erhalte würde, mich zu revanchieren, wenn diese wunderbaren Menschen einmal Hilfe brauchen sollten: Wenn ich Raija richtig verstanden habe, tat ich ihnen allen im Grunde einen Riesengefallen. Aber, hey, schon okay – keine Ursache!

Der März war vorbei und wenngleich die Witterung nicht gerade aprilhaft war, hatte Finnland begonnen, sein Winterkleid abzulegen. Streifen bloßen Asphalts zeichneten sich ab, außerdem hier und dort ein Fleckchen nackter Erdboden und zwischen den Eisflächen erste längliche Spuren von Seewasser in seiner flüssigen Form. Ich legte eine meiner vier Mützen ab sowie das mittlere Paar Handschuhe. Zum ersten Mal studierte ich die Karte beim Frühstück mit so etwas wie freudiger Erwartung statt nackter Panik; ich hatte den Polarkreis überschritten und die Kilometer fielen mir mit jedem Tag leichter. Der Inhaber eines Ladens fragte mich, ob ich nach Norden oder nach Süden unterwegs wäre, eine Wahl, die bis dahin gar nicht existiert hatte. Ich fingerte nicht mehr apathisch an der Kamera herum, mich fragend, ob dies das letzte Foto wäre, das ich jemals schießen würde, und mir ausmalend, wie es auf die Wand eines Gerichtssaals projiziert würde, so dass ein Gerichtsmediziner und meine Angehörigen ergründen könnten, was ich mit der Nahaufnahme einer Schneeskulptur von Geschlechtsteilen hatte mitteilen wollen.


Aber wie nicht anders zu erwarten, hatte der Fortschritt seinen Preis. Eine Art immergrünen Korridor durchpflügend, näherte ich mich unaufhaltsam der 1.000-Kilometer-Marke, als das linke Pedal am Ende jeder Umdrehung einen Aussetzer zu entwickeln begann. Dies verschlimmerte sich bald zu verlorenen Viertelumdrehungen, und nur kurz darauf fiel die komplette Kurbel ab und kullerte mit einem matschigen Klimpern über die Straße. Ich stellte das Rad auf seinen Ständer, sammelte die Kurbel ein und blickte traurig auf die rechteckige Öffnung an ihrem pedalfernen Ende. Sie war viel weniger rechteckig, als sie hätte sein müssen. Und als sie es noch gewesen war, als Pubquiz-Peter und ich sie an ihr Tretlagerspindeldings angepasst hatten.

Angesichts der Bedingungen geriet jede Freiluft-Session mit dem Schraubenschlüssel zu einer frustrierenden, bisweilen sogar tränenreichen Fummelei, so als müsste man einen Airfix-Bausatz mit Boxhandschuhen zusammenbasteln. Ich brachte die Kurbel wieder an, so gut es eben ging, was bedeutete, dass sie nach einer halben Meile wieder abfiel. Eine Stunde später schob ich mein gebeuteltes MIFA die verschneite Zufahrt eines Bauernhauses mit rauchendem Schornstein hinauf. Ich hatte mich gefragt, womit ein finnischer Bauer sich im Winter die Zeit vertreibt, die langen Monate, in denen nichts zu tun war, als in Socken neben dem Ofen zu sitzen und sich Vokale auszudenken. Die Tür wurde geöffnet und ich fand es bald heraus: Er sitzt mit einem riesigen Werkzeugkasten im Schoß in Socken neben dem Ofen und wartet darauf, dass ein Radfahrer in Not anklopft. Wenn du Hilfe brauchst, wirst du fragen.

Wie herrlich patent diese hinterwäldlerischen Finnen doch waren, dachte ich, als ich zehn Minuten später geschmeidig vom Hof rollte. Vielleicht lag es nur an der natürlichen Auslese einer unbarmherzigen Umgebung, die Narren keine Chance ließ: Die ganzen hoffnungslosen Idioten waren schon lange erfroren oder aufgefressen worden. Zu einem ähnlichen Schluss war ich bereits mit Blick auf das erstaunliche Geschick der überlebenden finnischen Autofahrer gekommen, die auf Oberflächen, auf denen man kaum stehen konnte, gekonnt in unangemessenem Tempo an mir vorbeischossen. Von der multikompetenten Zähigkeit der Finnen hatte ich im Rahmen meiner nächtlichen Lektüre von Der Winterkrieg erfahren und nun konnte ich mich live und in Farbe von ihr überzeugen. Und zwar in aller Ausführlichkeit, denn in den folgenden Stunden sollte sich die Kurbel noch mehrfach lösen, so dass sie der Zuwendung von noch zwei weiteren Bauern bedurfte, die beide die Mienen schweigsamer Konzentration und einen schweren Metallkasten voll amtlichen Männerkrempels trugen. Ihre Arbeit wurde durch meine eigenen Rettungsversuche, wann immer die Kurbel zwischen zwei Gehöften abfiel, keineswegs erleichtert. Haben Sie mal »Stein, Holzklotz, Fahrrad« gespielt? Die Regeln sind ganz einfach: Stein schlägt Fahrrad, Holzklotz schlägt Fahrrad.

Es schneite wieder, als ich das MIFA in einen winterschlafenden Ferienort neben einem zugefrorenen See hineinschob. Raija hatte erneut ihre magischen Kräfte walten lassen und die betagten Eigentümer überredet, eine Hütte für mich zu öffnen, und außerdem den Gatten über meine anhaltende mechanische Notlage in Kenntnis gesetzt. Ich hob mein Rad auf die kahle Veranda meiner Hütte und er machte sich an die Arbeit. Bald hatte er alle wesentlichen Komponenten gelöst. Er hielt die Kurbel gegen das Verandalicht, und zusammen blickten wir auf ein sehr rundes Loch, das nie wieder einen sehr rechteckigen Zapfen aufnehmen würde. Er nickte bedächtig, dann sagte er: »Rauchsauna. Sieben Uhr.«

Meine Augen waren noch gerötet, als ich am nächsten Morgen erwachte, und das nur zum Teil wegen der Rauchsauna, einer kratzenden, rußgeschwärzten Drachenlunge, aus der ich von schmuddeligen Körperausdünstungen versifft herausgetaumelt war. Eine Stunde später, nachdem ich die Wäsche aufgehängt und mir den Bauch mit Keksbruch vollgeschlagen hatte, hatte ich beschlossen, den Tag mit einem Dirty Rudolf ausklingen zu lassen: Der bauchige alte Holzofen war bestückt und bereit. Ein Plan, der, sobald ich ihn in die Tat umsetzte, meine Kiefernhütte mit beißenden Rauchschwaden und einem elektrischen Piepen erfüllte. Als der Hausherr durch die Tür hereinstürzte, wusste ich, dass es um unsere kernige Männerfreundschaft geschehen war. Ich hatte mich nicht nur einfach blamiert, nein, ich hatte geradezu das ganze männliche Geschlecht in Misskredit gebracht, indem ich unerklärlicherweise die eiserne Metallplatte übersehen hatte, die er jetzt aus einem Schlitz im Ofenrohr herauszog – zu allem Überfluss war ich auch noch damit beschäftigt, wieder in meine feuchte Hose zu schlüpfen.

Angesichts einer offenen Rechnung und eines kaputten Rads war es leider keine Option, sich im Morgengrauen davonzustehlen. Stattdessen schlich ich nach Schande und Asche stinkend zu seiner Werkstatt, ziemlich sicher, dass der Mann im Overall, mit dem er davor wartete, nur gekommen war, um ihm dabei zu helfen, ein wenig gesunden Menschenverstand in mich hineinzuprügeln. Wieder einmal hatte ich die Freundlichkeit der Finnen gegenüber Fremden und, wie ich stark vermute, Raijas Fähigkeiten, sie von Ferne zu entfachen, unterschätzt. Harri war ein Hobbymechaniker mit kräftigen Armen und geduldigem Auge, der nach 40 Minuten sorgsamen Feilens und roher Gewalt Kurbel und Tretlager wieder vereint hatte. »Ist okay jetzt für ein paar Kilometer«, sagte er, während er sich zur Feier eine Zigarette ansteckte. Er nahm einen tiefen Zug, dann gestattete er einem winzigen Anflug von Belustigung, über seine ölverschmierten Züge zu huschen. »Ihnen ist wohl ein bisschen heiß in der Hose?«

Es waren 50 Kilometer bis zur nächsten Stadt, auf einer Straße, die, wie Harri mir versicherte, nach den Schneefällen der vorigen Nacht unpassierbar war. Ein Bastelfuchs macht noch lange keinen Wetterfrosch: Ich schaffte es in weniger als fünf Stunden nach Kuhmo und betrat nur leicht von Schneematsch bekleckert das einzige Hotel am Platze. Mein Zimmer war ein Mikrokosmos finnischer Städte im Allgemeinen: sauber, fade, freudlos. Aber ich wusste diese Eigenschaften sehr zu schätzen. Es ist normalerweise nicht meine Gewohnheit, am Telefon zu weinen, sofern es nicht der Tierarzt ist, aber in letzter Zeit waren meine Anrufe daheim häufig von wimmerndem Selbstmitleid und anderen, wenig erbaulichen Bekundungen der Einsamkeit des Langstreckenklappradfahrers geprägt. Man hätte es meiner Frau nachgesehen, hätte sie mich angeherrscht, mich gefälligst zusammenzureißen. Stattdessen kam sie mit unserem Sohn nach Kuhmo, um mir für ein paar Tage Gesellschaft zu leisten, im Gepäck frische Windeln, meine Schmusedecke und neue Formulare einer Lebensversicherung, die offenbar einer dringenden Unterschrift bedurften. Bis zu ihrer Ankunft stand mir ein erzwungener Ruhetag bevor, den ich weitgehend damit verbrachte, einen zusammengekehrten Berg schmutzigen Schnees sich sehr langsam über den Hotelparkplatz zurückziehen zu sehen und froh zu sein, nicht in Kuhmo leben zu müssen.

»Ich habe Ihr Rad gesehen. Ist nicht das, was ich erwartet hatte.«

Die morgendliche, auf Englisch vorgetragene Begrüßung des Rezeptionisten war eine Variante des Satzes, den ich in Finnland wohl am häufigsten zu hören bekam, ausnahmsweise verkürzt um den Verweis auf die bescheidenen Dimensionen meines MIFA. Es wurmte mich, mich nicht revanchieren und auch nur ein einziges verständliches Wort der heimischen Sprache vorbringen zu können. Und welch eine wunderliche Sprache dies doch war. Als er mit der Hand auf einer Karte voller blauer Ziffern und fallender weißer Sternchen herumfuchtelte, klang der TV-Wettermann in meinen Ohren wie ein Kind, das in einer Sprache krakeelte, die es sich gerade ausgedacht hatte. Selbst Begriffe, die in den meisten europäischen Wortschätzen eine gewisse grenzüberschreitende Ähnlichkeit aufwiesen – Dinge wie zum Beispiel die Wochentage und die Monate des Jahres –, muteten auf Finnisch wie ein grotesker Buchstabensalat an. April: huhtikuu. Freitag: perjantai. Ich ließ jede Hoffnung fahren, auch nur den geringsten Zugriff auf diese Sprache zu bekommen, als der deutsche Inhaber des Goldgräberdorfs Tankavaara mir erläuterte, dass die Finnen allein 20 verschiedene Deklinationstypen für den Nominativ kennen und ein einzelnes Wort haben, das die Wendung »ich frage mich, ob ich ziellos herumlaufen sollte« bedeutet. (So sehr juoksentelisinkohan auch nach dem desperaten Ergebnis eines besonders langen finnischen Winters klang, schien es gleichzeitig ein Gedanke zu sein, den ich gewiss früher oder später in irgendeinem endlosen Wald zu äußern wünschen würde, also ließ ich ihn mir auf eine seiner Visitenkarte schreiben, zusammen mit den Wörtern für »Danke« und »Fahrrad«.)

Nach dem Frühstück ging ich in einen Supermarkt auf der anderen Straßenseite, um in den runzligen Frischwaren herumzustöbern, dann unternahm ich eine rasche Tour durch Kuhmos weiträumige Verwaltungs- und Geschäftsviertel. Dafür, dass es das Osterwochenende war, wie mir kurz zuvor aufgegangen war, war es ganz schön still. Wo alle anderen steckten, fand ich ein paar Stunden später heraus, als ich dem MIFA in einem schrumpfenden Rechteck schwachen Sonnenlichts vor der vertäfelten Fassade meines Hotels nach tausend Kilometern endlich ein wenig Pflege zukommen ließ. Während ich schmierte und justierte, zog ein stabiler Strom Einheimischer jeden Alters vorüber, um die im Keller gelegene Hotelbar aufzusuchen. Hin und wieder taumelte einer heraus, mit gläsernem Blick und nicht mehr ganz so stabil, um eine zu rauchen. Ein ungefähr 30-jähriger Mann in Lederjacke kam heraus und setzte sich auf die Stufen neben mich, bekam im sechsten Versuch seine Fluppe an und kippte dann langsam auf die Seite. Den Rest der Zigarette genoss er in dieser Haltung und kroch dann tastend zurück zur Tür, als ich hineinging, um zu lesen. Ich schaute auf die Uhr: 14.17 Uhr.

Ich hatte noch acht Stunden totzuschlagen und massakrierte ein paar davon, indem ich mich in die Geschichte vom Weißen Tod vertiefte. Der Winterkriegs-Scharfschütze, dem dieser Ehrentitel verpasst worden war, war ein nur 1,60 Meter großer Naturbursche namens Simo Häyhä, der ohne jegliches militärische Training in hundert kurzen und sonnenlosen Tagen im Alleingang 542 Russen niederstreckte. Häyhä war ein geschickter Schütze – die meisten seiner Opfer brachte er auf eine Entfernung von 365 Metern oder mehr zur Strecke – und ein absoluter Meister der Tarnung. Er benutzte eine einfache eiserne Kimme am Gewehr, um die verräterischen Reflektionen auf dem Glas eines Zielfernrohrs zu vermeiden, ergänzte seine weiße Mütze um eine unheimliche weiße Maske und verbrachte Stunden in Bäumen angebunden oder hinter Schneewehen hockend, wobei er sich Schnee in den Mund stopfte, damit die Dampfwolken seines Atems ihn nicht verrieten.

Die Russen hatten solchen Schiss vor Häyhä, dass sie regelmäßige Artillerieangriffe führten, deren einziges Ziel es war, ihn zur Strecke zur bringen. In der letzten Kriegswoche traf ihn schließlich ein russischer Scharfschütze mit einem Explosivgeschoss mitten ins Gesicht. Das halbe Gesicht weggeschossen, nahm Häyhä in aller Ruhe sein Gewehr auf, nahm Aufstellung und schoss den Russen über den Haufen. Nach einer langwierigen und schwierigen Genesung erreichte der Weiße Tod noch ein Alter von 96 Jahren und brachte in Interviews fassungslose Gesprächspartner mit seiner unergründlichen Finnischkeit zur Verzweiflung. Diejenigen, die die Pilgerfahrt unternahmen, um dem tödlichsten Scharfschützen der Geschichte zu begegnen, bekamen auf alle Fragen bezüglich der Herkunft seiner Fähigkeiten und ihrer todbringenden Anwendung die gleiche Antwort: juoksentelisinkohan. (Nein, in Wirklichkeit sagte er natürlich: »Übung«.)

Meine Begleitcrew traf recht spät ein, aber ich war so froh, sie zu sehen, dass es mir egal war, selbst als sie mich auf dem Parkplatz mit ihrem Gejammer darüber begrüßten, wie hart es sei, Finnland in einem leistungsschwachen Mietfahrzeug zu durchqueren. Am Morgen hatte ich einige Zeit vor dem Spiegel gestanden und versucht, mich durch die Augen meiner lange vermissten Lieben zu betrachten. Das war sinnvoll verbrachte Zeit, denn sie bereitete mich auf die Sorge und leichte Abscheu vor, die in ihre Mienen geschrieben standen, als wir hineingingen und sie mich bei Lichte sahen. Das zerschundene, gerötete Gesicht mit dem sonnenverbrannten Skimaskenschlitz. Klamotten, die mir schlabbrig vom eingefallenen Torso hingen. Finger, die so arthritisch waren, dass ich sie nicht um den Griff des Koffers meiner Frau schließen konnte. Und, aus meiner einst engen Hose wabernd, die inzwischen von einem Gepäckriemen gehalten wurde, ein abstoßender antiseptischer Gestank, den ich längst nicht mehr wahrnahm: Aus purer Gewohnheit hatte ich mein Gesäß auch am Morgen des Ruhetags unnötigerweise mit keimtötender Savlon-Creme eingeschmiert.

Mit dem Klapprad in die Kälte

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