Читать книгу Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet - Timo Handel - Страница 132
c. Beschränkter Irrtum aufgrund subjektiver Elemente der Haftungsprivilegierungen
ОглавлениеDie Berücksichtigung von Irrtümern ist mit Blick auf die subjektiven Elemente im Rahmen der Haftungsprivilegierungen, z.B. der Kenntnis der rechtswidrigen Handlung und der Information bei § 10 Satz 1 TMG, dennoch möglich, da diese Elemente ausdrücklich das Vorstellungsbild des Diensteanbieters betreffen. Erforderlich für das Entfallen der Haftungsprivilegierung des § 10 Satz 1 TMG ist demnach, dass der Diensteanbieter die rechtswidrige Handlung oder die Information dergestalt in sein Bewusstsein aufgenommen hat, dass er positive Kenntnis von ihr hat. Hat er diese Kenntnis nicht, besteht die Haftungsprivilegierung fort. Für das Bestehen der Haftungsprivilegierung nach § 10 Satz 1 TMG kommt es deshalb maßgeblich auf das subjektive Vorstellungsbild des Diensteanbieters an. Über ein solches kann er sich aber gerade irren. Dies gilt vor allem, wenn er – wie nach hier vertretener Auffassung (siehe unten J. I. 4. b.) – neben der Handlung auch deren Rechtswidrigkeit kennen muss. Eine Kenntnis bestimmter Umstände fordert auch § 9 Satz 1 Nr. 5 TMG. § 8 Abs. 1 Satz 3 TMG setzt hingegen die Absicht der Zusammenarbeit mit dem Nutzer für ein Entfallen der Haftungsprivilegierung voraus.
Gerade wegen dieser subjektiven Bezugnahmen in § 10 Satz 1 TMG, aber auch in § 8 Abs. 1 Satz 3 TMG und § 9 Satz 1 Nr. 5 TMG, ist es trotz grundsätzlich nicht bestehender Zwangslage des Diensteanbieters sachgerecht, Irrtümer im Rahmen der Haftungsprivilegierungen des TMG zu berücksichtigen,507 soweit sie die Umstände betreffen, welche die Merkmale ausfüllen, auf die sich das jeweilige subjektive Element bezieht. Unter Berücksichtigung allgemeiner Rechtsgedanken führen diese Irrtümer dazu, dass das zum Entfallen der Haftungsprivilegierung erforderliche subjektive Element nicht vorliegt. Denn sobald der Diensteanbieter den Umstand nicht kennt, auf den sich das subjektive Element bezieht, liegt die erforderliche Kenntnis gerade nicht vor. Dabei ist es unerheblich, worauf diese Unkenntnis beruht, ob sie also in einem Irrtum über gewisse Umstände begründet ist oder nicht. In diesem Zusammenhang ließe sich grundsätzlich auch an eine analoge Anwendung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB und § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG denken. Danach handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Zur Bejahung dieser Voraussetzungen genügt bereits „die schlichte Unkenntnis oder das schlichte Nichtbedenken eines Tatumstandes“.508 Aufgrund der allgemeinen und rechtsgebietsübergreifenden Geltung der Haftungsprivilegierungen des TMG ist jedoch die dargestellte Irrtumsberücksichtigung aus allgemeinen Erwägungen bzw. Rechtsgedanken einer analogen Anwendung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzuziehen. Die Notwendigkeit einer solchen Irrtumsberücksichtigung spiegelt sich bereits in den Voraussetzungen der §§ 9 Satz 1 Nr. 5 und 10 Satz 1 TMG wider, die ihrem Wortlaut nach schon die Kenntnis bestimmter Umstände verlangen, damit die Haftungsprivilegierung entfällt. Soweit § 8 Satz 3 TMG zur Verneinung der Haftungsprivilegierung eine bestimmte Absicht, also dolus directus 1. Grades,509 voraussetzt, beinhaltet dies ebenfalls die Notwendigkeit einer gewissen (Ziel-)Vorstellung des Handelnden als kognitives Element.510
Bei solchen subjektiv gefassten Merkmalen „kommt [es] ausschließlich darauf an, was sich der Täter vorgestellt hat“, sodass eine analoge Anwendung des § 16 Abs. 2 StGB, aber auch des § 35 Abs. 2 StGB ausscheidet.511 Eine analoge Anwendung von § 35 Abs. 2 StGB scheidet zudem aus, weil sich der Diensteanbieter im Falle seiner Haftungsprivilegierung nach §§ 8 bis 10 TMG nicht in einer persönlichen Zwangslage befindet, die aber Voraussetzung für eine Entschuldigung nach § 35 Abs. 1 StGB und damit Gegenstand des Irrtums nach § 35 Abs. 2 StGB ist.512 Eine analoge Anwendung des § 17 StGB, der einen Irrtum darüber betrifft, „dass ein bestimmtes, vom Täter in seiner objektiven Beschaffenheit richtig erkanntes Verhalten rechtlich verboten ist“,513 scheidet aufgrund der Ähnlichkeit der §§ 8 bis 10 TMG mit persönlichen Strafausschließungsgründen ebenfalls aus.514 Die Haftungsprivilegierungen des TMG lassen nämlich das Unrecht der Tat unberührt und beruhen auf rechtspolitischen Erwägungen. Diese Erwägungen haben dazu geführt, dass der Gesetzgeber für bestimmte, in den §§ 8 bis 10 TMG geregelte, Bereiche die Strafbarkeit von Diensteanbietern beschränkt hat. Ließe man einen Irrtum nach § 17 Satz 1 StGB zu, würde die Reichweite der Haftungsprivilegierungen von den Vorstellungen des Diensteanbieters abhängen, was der gesetzlichen Konzeption der Haftungsprivilegierungen als Ausnahmeregelungen, die grundsätzlich eng auszulegen sind, nicht gerecht würde. Die Entscheidung über eine Privilegierung in bestimmten Konstellationen aus besonderen, außerstrafrechtlichen Gründen, kann zudem nur der Gesetzgeber treffen und nicht dem Vorstellungsbild des Täters überlassen werden.515
Demnach ergibt sich die Berücksichtigungsfähigkeit eines Irrtums über Umstände, welche die Merkmale ausfüllen, auf die sich die subjektiven Elemente im Rahmen der §§ 8 bis 10 TMG beziehen, aus dem subjektiven Element selbst, sodass bei Vorliegen eines entsprechenden Irrtums die subjektiven Voraussetzungen für das Entfallen der Haftungsprivilegierungen nicht vorliegen.