Читать книгу What Love does - Tina Köpke - Страница 5

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Dass ausgerechnet ich – Miriam Elizabeth Hemmingway, dreiundzwanzig Jahre, geboren und aufgewachsen in Queens, Tochter eines Bäckers und einer Konditorin – mich einmal darum bewerben würde, im Fernsehen aufzutreten, hätte wohl niemand gedacht. Am allerwenigsten ich selbst.

Doch hier stand ich nun und verdrängte das Bedürfnis, meine verschwitzten Hände zum siebten Mal in zehn Minuten an meinem knielangen Faltenrock abzuwischen.

»Miriam, wie lange arbeiten Sie schon als Konditorin?«, fragte mich die Leiterin des Castings, Moe Sinclair. Ihre kurzen, schlumpfblauen Haare dominierten alles in dem blassen Konferenzraum, der zu einem mittelklassigen Hotel in Manhattan gehörte. Es gab nur einen langen Tisch und drei Stühle, auf denen Moe zusammen mit ihren beiden Castingkollegen Chester Bennett und Bexter Simmons darüber entschied, ob ich an dem neuen Fernsehwettbewerb Flour & Butter teilnehmen würde oder nicht.

Ich schaute in den Camcorder, der vor mir auf einem Stativ befestigt war, und erinnerte mich daran, zu lächeln. Mit einem Lächeln gewinnt man jedes Herz, wie meine Mutter zu sagen pflegte, also tat ich das, so oft ich nur konnte.

»Ich habe mit sechzehn angefangen, in der Bäckerei meiner Eltern zu arbeiten. Nach meinem Schulabschluss bin ich dortgeblieben und habe von ihnen alles gelernt, was man über das Handwerk wissen kann.«

Moe nickte, die Miene so ausdruckslos, dass ich nicht sagen konnte, ob ihr meine Antwort gefiel oder nicht. Das störte mich am meisten an den drei Gesichtern vor mir: Sie waren undeutbar.

»Arbeiten Sie viel?«, schob Bexter nach und zwirbelte dabei seinen dünnen Schnurrbart, der ihm etwas Französisches verlieh.

Ich nickte. »Viel ist relativ, aber es kommen hin und wieder Überstunden vor.«

»Hätten Sie denn die Möglichkeit, für mehrere Wochen eine Auszeit zu nehmen?«

Mehrere Wochen? Nein. Eigentlich nicht. Mein Dad war für Brote und Brötchen jeder Art verantwortlich, meine Mom für die Büroarbeit und den Verkauf und ich kümmerte mich um die Kuchen und bestellten Torten für Familienfeiern. Wenn ich ausfiel, mussten sich meine Eltern meine Arbeit aufteilen, so wie früher, als sie noch jünger und deutlich gesünder waren.

Aber hatte ich denn eine Wahl? Wir tanzten sprichwörtlichen am finanziellen Abgrund. Die Kundschaft war seit Jahren die gleiche und sie alterte und starb mit der Zeit langsam aus. Die jungen Gäste liefen lieber zu einer der hundert neuen Franchise-Kaffeeketten, die in Queens an jeder Straßenecke im Wochentakt eröffneten. Mit der Beliebtheit unseres Viertels stiegen auch in aller Regelmäßigkeit die Mieten, und Gott bewahrte, dass eine der Maschinen kaputtging. Allmählich fraßen uns die Kosten für die Bäckerei auf.

»Das wird sich arrangieren lassen«, stimmte ich Bexter wie ein braves Schulmädchen zu. Ich konnte mir nicht die Chance auf fünfundsiebzigtausend Dollar Preisgeld entgehen lassen, die der erste Platz bei Flour & Butter mitbrachte. Mir graute es davor, im Fernsehen aufzutreten – ich arbeitete nicht umsonst lieber in ruhigen, abgeschotteten Backstuben –, aber die Chance war einmalig. Zehn Kandidaten, neun Livesendungen und Mottos stets am Mittwochabend, eine unsagbar große Menge Geld, die wir in neue Werbung, modernere Maschinen und unser Sicherheitspolster für noch schlechtere Zeiten investieren konnten. Auch wenn sich alles in mir zusammenzog, sobald ich nur daran dachte, wie viele Menschen mir beim Backen zusehen würden – ich musste es tun. Für meine Eltern, für die Bäckerei, für meinen eigenen Wunsch, die Hemmingway Bakery eines Tages weiterzuführen. Ohne sitz platzte mein Traum.

Moe räusperte sich und schob einen Stapel Papiere zusammen. »Okay, danke, Ms Hemmingway. Es wird ein paar Tage dauern, bis wir das Material aller Bewerber durchgesehen haben. Wir melden uns bei Ihnen.«

»Was ist mit den Muffins?« Ich deutete auf die Tupperdose mit sechs Blaubeer-Bananen-Muffins, die ich extra zur Verkostung vorbereitet hatte. »Möchten Sie keinen probieren?«

»Das ist nett gemeint, aber würden wir von jedem potenziellen Kandidaten Gebäck essen, müsste ich die nächsten zehn Jahre eine Null-Diät machen«, wandte Chester mit seiner verschnupften Stimme ein.

»So etwas könnte niemand ertragen«, murmelte Bexter grinsend.

Ich sah verwirrt zu Moe, der einzigen Person in diesem kargen Raum, der ich zutraute, mir eine normale Antwort zu geben. »Woher wollen Sie wissen, ob ich kann, was ich verspreche, wenn Sie nichts versucht haben?«

»Wir vertrauen darauf, dass Ihre Angaben stimmen. Sollten Sie falsch sein, blamieren Sie sich im landesweiten Fernsehen, nicht wir.«

Chester lachte. »Stimmt. Wir freuen uns dann nur über die Quoten.«

Ich nickte, auch wenn ich nicht wirklich wusste, was hier gerade ablief. Bevor ich mir jedoch weiter darüber Gedanken machen konnte, verabschiedete ich mich höflich von den dreien und verließ das Zimmer. Vorsichtig zog ich die Tür hinter mir zu. Meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an, als ich den Hotelkorridor hinunterlief und mich an der nächsten Ecke an die kühle Wand lehnte.

»Himmel«, seufzte ich und schloss die Augen. Kein Laut in dieser Etage konnte das Rauschen in meinen Ohren übertönen, weder das Geräusch von Staubsaugern noch Stimmengemurmel aus den naheliegenden Zimmern. Die Anspannung des Tages fiel von mir ab und ließ mich als mentales Wrack zurück.

Ich öffnete die Augen und holte tief Luft.

Einatmen, ausatmen.

Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mich aktiv für etwas bewerben müssen. Der Vorteil, wenn man sein Geld im Familienbetrieb verdiente, war der halbwegs sichere Arbeitsplatz. Außerdem ersparte es mir das leidliche Prozedere, Fremde davon zu überzeugen, dass ich die richtige Person für sie war. Allerdings hätte mich das womöglich etwas darauf vorbereitet, was mich in diesem Casting erwartet hatte. Ich hatte über diverse persönliche Bereiche meines Lebens Auskunft erteilen müssen, aber über eine mögliche Verkostung hatten sie gelacht?

Siedend heiß fiel mir ein, dass ich die Tupperdose drinnen hatte stehenlassen. Ein leises Stöhnen kam mir über die Lippen, aber ich durfte mich jetzt nicht fertigmachen. Vielleicht würden sie meine Muffins doch noch kosten und mir dafür Pluspunkte geben. Die ich vermutlich dringend benötigte. Ich musste kein Profi sein, um zu erkennen, dass ich nicht gerade ein showtaugliches Verhalten an den Tag gelegt hatte. Zu ruhig, zu unscheinbar – Miriam Hemmingway eben. Früher war ich wild und draufgängerisch gewesen, hatte meine roten Haare schwarz gefärbt, zerrissene Jeans getragen und war sogar ein paar Mal in Schulbüros ein- oder hatte Autos aufgebrochen. Diese Miriam wäre wie fürs Fernsehen gemacht gewesen.

Aber Jahre später war ich nicht mehr wie sie. Heute dachte ich mir oft meinen Teil, trug die schönsten Kleider und High Heels und war bei meinen Nachbarn dafür bekannt, dass es aus meiner Wohnung immer herrlich nach frischen Waffeln duftete und ich nie die Musik zu laut aufdrehte. Ich war ein netter, gesellschaftsfähiger Mensch geworden. Im normalen Leben angenehm und unaufgeregt, im Fernsehjargon aber wohl eher langweilig. Wenn sie meine Fähigkeiten nicht überzeugten, dann gab es nichts anderes, mit dem ich angeben konnte.

Ich zupfte meinen schwarzen, knielangen Faltenrock zurecht, straffte die Schultern und stieß mich von der Wand ab, um den Heimweg anzutreten. Das Casting war vorbei und die Würfel damit gefallen. Nun musste das Schicksal entscheiden, ob ich auf diesem Weg alles, was meine Eltern aufgebaut hatten, erhalten konnte oder nicht. Diese Backshow war meine letzte Hoffnung und sie war beängstigend klein.

Alles wird gut. Das sagte ich mir wie ein Mantra immer wieder. Alles wird gut. Alles wird gut. Alles wird ...

»Miriam?« Ich warf einen Blick über die Schulter und sah in das Gesicht eines attraktiven Mannes, dessen Erscheinung in der ersten Sekunde ein Gefühl von Vertrautheit in mir auslöste. Er wirkte überrascht und zugleich erfreut, mich zu treffen. »Miriam Hemmingway, richtig?«

Braune Augen, so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten, betrachteten mich flüchtig vom Scheitel bis zu den roten High Heels. Obwohl er mich direkt erkannt hatte, brauchte ich etwas länger, bis der Groschen fiel.

»Henry«, stieß ich aus und ließ mich in eine Umarmung ziehen. Der Duft von Kaffee sowie eines dezenten Aftershaves stieg mir in die Nase. Obwohl er ganz anders aussah als früher – erwachsener und männlicher, was vielleicht an dem Dreitagebart lag – roch er immer noch gut.

Seine Arme hielten mich fest umschlossen, während ich ein weiteres Mal tief einatmete. Sofort fühlte ich mich wieder wie meine sechzehnjährige Version – mit mehr Anstand und einem besseren Kleidungsstil, aber demselben Chaos im Kopf.

Nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, steckte er die Hände in seine Jackentaschen und betrachtete mich neugierig.

»Was für ein Zufall«, stellte er mit einem Blitzen in den Augen fest, das zu ihm gehörte wie der Duft, der ihn umhüllte. Wie oft hatte ich all das an ihm verflucht? Zu oft. »Was treibt dich hierher?«

Aus einem alten Instinkt heraus schob ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und blickte zu ihm auf. »Ich bin zu einem ...« Was sollte ich sagen? Sollte ich das Casting erwähnen oder würde das lächerlich rüberkommen? »Ich war bei einem Vorsprechen.«

»Für diese Backshow? Flour & Butter

»Ja. Du hast davon gehört?«

Er zog einen zusammengefalteten Zettel aus der Gesäßtasche seiner dunklen Jeans, die ihm ebenso gut stand wie sein weißes Shirt, und hielt mir die Einladung zum Vorsprechen hin. »Ich werde sogar daran teilnehmen.«

»Du kannst backen?« Eigentlich hätte ich lieber gefragt, warum er sich der Zusage bereits sicher war, aber ich erinnerte mich, dass ich hier mit Henry Adler sprach. Niemand strotzte bereits seit seiner Kindheit so vor Selbstüberzeugung wie er.

Er und ich hatten damals dieselbe Highschool in Queens besucht und zu einer Clique aus Emo- und Grunge-Kids gehört, die gegen alles rebellierten. Einfach aus Prinzip, weil unsere pubertären Hormone von heute auf morgen entschieden, dass wir viele Dinge besser wussten. Wir hörten nicht auf Lehrer, Eltern oder andere Obrigkeiten, die älter als achtzehn waren. Henry hatte früher schon mehr Selbstbewusstsein ausgestrahlt als wir alle zusammen und sich damit zu einer Art Anführer berufen gefühlt.

Der Anführer der Außenseiter, und wir hatten ihn als solchen ausnahmslos akzeptiert.

Auch wenn ich eine der Harmloseren in unserem Freundeskreis gewesen war, hatten wir eine Menge Mist gebaut, für den ich mich heute noch schämte.

Henry lachte, und auch dieser tiefe, raue Klang war mir so vertraut, dass er drohte, mich zurück in die Vergangenheit zu katapultieren. »Nein, Backen gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken, aber ich habe andere Fähigkeiten.«

»Davon bin ich überzeugt.« Ich dachte an all die Gerüchte, die damals an unserer Schule über ihn kursiert hatten. Von Schlägereien mit Kleinkriminellen wie den Delgado-Brüdern bis hin zu äußerst flüchtigen Liebschaften mit diversen Mädchen war so ziemlich alles dabei gewesen. Manches stimmte, manches nicht. Hin und wieder hatte er auch gern Alleingänge hingelegt, daher fiel es selbst uns, die ihn etwas besser kannten, schwer zu sagen, was der Wahrheit entsprach. Henry war bereits damals mit vielen fragwürdigen Qualitäten und Talenten gesegnet gewesen, warum sollte sich daran etwas geändert haben?

»Warst du schon dran?«

Ich nickte langsam, da meine Gedanken zwischen damals und heute festhingen. »Gerade eben.«

»Und was denkst du?«

»Worüber?«

»Über das Casting.« Seine Mundwinkel zuckten, als würde ich ihn amüsieren. »Oder die Sendung allgemein.«

»Über die Sendung kann ich nicht viel sagen«, gab ich zu. »Aber ich finde es seltsam, dass sie nichts vorkosten. Als wäre ihnen egal, ob wir wirklich gut sind oder nicht.«

Wie Moes Kollegen gesagt hatten: Am Ende blamierten wir uns vor der Kamera und sie heimsten die Quoten ein, weil sich alle über uns totlachten. Ein furchtbares Szenario.

»Das kann nur gut für mich sein.« Henry schob sich das dichte, braune Haar nach hinten und schmunzelte. »Dann wünsch mir mal Glück.«

Dieses Mal lachte ich. »Wofür? Du klangst ziemlich davon überzeugt, längst weiter zu sein. Du benötigst doch gar keine gedrückten Daumen.«

»Wenn ich es mir überlege«, er beugte sich zu mir vor, »dann kann es bei der Konkurrenz nicht schaden.«

Sein warmer Atem streifte meinen Hals. Ich kämpfte gegen die Hitze an, die drohte, meinen Körper wie eine Welle zu überschwemmen. Dass er es immer noch schaffte, mich dermaßen aus dem Konzept zu bringen, überforderte mich. Als mittlerweile erwachsene Frau sollte es mehr brauchen, um mich zu beeindrucken, aber hier stand ich und verwandelte mich innerlich zurück in den naiven Teenager, dessen geheime Gefühle unerwidert blieben.

Henry war mir so nah, ich entdeckte sogar die kleine Narbe an seinem Kinn, die mich früher schon immer abgelenkt hatte. Der Bart hatte sie nur ein bisschen versteckt.

Ich holte tief Luft, trat einen Schritt nach hinten und brachte so etwas Distanz zwischen uns.

»Dann alles Gute«, sagte ich und hob kurz die Hand.

Henry deutete ein Lächeln an und ging. Ich sah noch eine Weile in die Richtung, in die er verschwunden war, ehe ich mich ebenfalls in Bewegung setzte. Ich sollte wirklich nach Hause fahren, ehe mein Kopf anfing, sich mit dem, was ich in der letzten halben Stunde hier erlebt hatte, detailreich auseinanderzusetzen.

Mit dem Casting, der Zukunft der Bäckerei und vor allem mit Henry Adler.


Zwei Tage später stand ich abends in der Backstube und tappte immer noch im Dunkeln, ob ich an der Show teilnehmen würde oder nicht. Obwohl ich das Handy inzwischen überall mit hinnahm und bei jedem Mucks aufsprang, blieb der erhoffte Anruf aus. Jaina, eine meiner besten Freundinnen, die sich durch ihren Job als Bloggerin besser mit solchen Medienprozessen auskannte, erinnerte mich jedes Mal daran, dass die Sichtung von Castingunterlagen einige Zeit in Anspruch nahm. Schließlich bewarben sich viele Menschen auf nur zehn Plätze.

Das forderte eine Menge Durchhaltevermögen von mir. Geduld gehörte zwar zu meinem Job als Konditorin und Bäckerin dazu, wenn ich jedoch mitbekam, wie meine Eltern ihre Probleme vor mir zu verheimlichen versuchten, wusste ich, dass mir die Zeit davonlief.

Ich band mir die mehlbefleckte Schürze ab und hängte sie über einen der weißen Holzstühle, auf denen tagsüber unsere Gäste saßen. Wir hatten mittlerweile geschlossen und wie jeden Abend hatten sich meine Eltern in das kleine Büro neben der Backstube zurückgezogen, um den Arbeitstag zu beenden. Meine Aufgabe war es, nun die Tische und die Verkaufstheke zu säubern. Krümel von Törtchen und dunkle Ringe von Kaffeetassen klebten auf den Oberflächen. Ich wischte mit einem feuchten Lappen darüber und reinigte alles penibel. Unsere Kunden sollten sich hier, im schönen Ambiente, entspannen und ihren Alltag vergessen können. Das gehörte für mich einfach zu unserer Bäckerei dazu und hob uns immer noch von anderen ab. Ich wünschte mir nur, alle würden das so sehen.

Im Hintergrund führte die Siebträgermaschine leise eine Selbstreinigung durch. Dad hatte das teure Gerät extra angeschafft, um mit all den Coffeeshops mitzuhalten, die seit Monaten an jeder Ecke unseres Bezirks aufpoppten. Dass diese Franchise-Filialen mit ihren schlecht schmeckenden Kaffees und Fertigkuchen aus irgendeiner Fabrik überhaupt noch Kundschaft hatten, entzog sich meinem Verständnis.

Dabei waren ihre Coffee-to-gos und überfetteten Produkte nicht einmal günstiger. Die Gäste bezahlten dieselben Preise wie bei uns – teilweise sogar höhere – für schlechtere Qualität und Service ohne Herz. Unser größter Fehler war, dass die Hemmingway Bakery nicht Starbucks hieß. Normalerweise erfüllte mich das mit Stolz, aber wenn man kein Trendlokal führte, besaß man im Grunde nichts. Nur einen kleinen, unbedeutenden Laden in Queens, dem das Aus drohte, weil ihm die Kunden wegrannten und Mieten und Reparaturkosten immer weiter stiegen. Es kam, trotz viel Arbeit, nicht genug Geld rein, um das auszugleichen, was rausging.

Mom und Dad glaubten offenbar, ich bekäme ihre sorgenvollen Mienen nicht mit. Jeden Abend zogen sie sich in das winzige Büro neben der Backstube zurück, saßen einander gegenüber und diskutierten mit gedämpften Stimmen, damit ich bloß nichts hörte. Sie wollten mir die Wahrheit ersparen und dafür liebte ich sie, aber ich kannte die Rechnungen, die sie im obersten Schubfach des Schreibtisches vor mir versteckten. Es hatte ein bisschen gedauert, ehe ich begriff, dass sie nicht mehr Herr über die offenen Zahlungen waren, die inzwischen häufiger mit einem dicken Mahnungsstempel versehen eintrudelten.

Das war nicht fair. Meine Eltern lebten für dieses Geschäft und zwischendurch lief es unfassbar gut. Sie träumen sogar davon, es mir eines Tages zu vermachen. Selbst ich wünschte mir das seit ein paar Jahren. Ich arbeitete gerne in der Bäckerei und der Job erfüllte mich. In diesem Laden steckten viele Erinnerungen und Liebe. Ich war bereits als Kleinkind hier herumgelaufen und hatte unsere Gäste mit meinen ersten Sprechversuchen begeistert. Wenn ich meinen Blick jetzt durch den Raum wandern ließ, entdeckte ich viele Details, die ein warmes Gefühl in mir auslösten. Bilder von berühmten Besuchern oder Stammkunden, zahlreiche Pflanzen, die beinahe so alt waren wie ich. Die große Tafel, die normalerweise vor der Tür stand und auf die meine Mutter in kunstvoller Kalligrafie das Angebot des Tages schrieb. Schon als Baby war ich über den alten Dielenboden gekrabbelt und hatte mit meinen haselnussbraunen Augen die Kuchenauslage hinter der Glastheke bestaunt. Wenige Jahre später hatte ich regelmäßig vom Kuchenteig genascht.

Und das waren nur meine Erinnerungen. Meine Eltern hatten hier noch so viel mehr erlebt. Ich durfte nicht zulassen, dass sie die Bäckerei schlossen, und genau deswegen kam mir Erins Mail vor einigen Tagen und alles, was daraufgefolgt war, wie ein Wink des Schicksals vor.

Seit Kurzem arbeitete meine Freundin als Sekretärin für Donovan Records, einem äußerst erfolgreichen Plattenlabel. Ihr Freund Adam – zeitgleich auch ihr Chef, aber ich mochte ihn, weil er wirklich nett war – hatte für eine Klientin die Anfrage erhalten, als Promigast an Flour & Butter teilzunehmen, damit sie dort ihr neues Album bewarb. Da es thematisch nicht passte, lehnte er das Angebot ab. Erin dachte wiederum an mich und erzählte mir davon. Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich kaum eine Stunde zuvor meine Mom dabei beobachtet hatte, wie sie ihre Tränen wegwischte, um ihren Kummer vor mir zu verbergen.

Im Fernsehen aufzutreten oder generell im Rampenlicht zu stehen, gehörte nicht zu meinen Lebenszielen. Wirklich nicht. Es reichte mir schon, wenn Gäste nach mir verlangten, weil sie mir sagen wollten, wie gut ihnen meine neueste Kreation schmeckte. Am liebsten stand ich mit Dad hinten in der Backstube und versank mit den Gedanken komplett in der Arbeit. Andere machten Yoga oder putzten dreimal täglich die Wohnung – ich backte Torten, Plunderteilchen und Muffins. Manchmal auch Donuts, Macarons, verschiedenste Brote, Körnerbrötchen und Laugenstangen. Einfach alles, was sich aus Teig zaubern ließ. Wenn die Kunden uns mit einem Lächeln verließen, erfüllte das mein Herz mit so viel Freude, dass es für den nächsten und den übernächsten Tag ausreichte.

Aber meine Arbeit versprach mir kein Preisgeld von knapp fünfundsiebzigtausend Dollar, sollte ich den ersten Platz erreichen.

Ich seufzte und schob den letzten Stuhl an den Tisch. Fertig. Die Oberflächen glänzten im Licht der untergehenden Abendsonne, eine zarte Note des Bio-Zitronenreinigers hing in der Luft und Stille legte sich über den Anblick. Ich sah mich um und stellte fest, dass nur noch Dad im Büro saß.

Seit ich denken konnte, war er ein Bär von einem Mann. Ausgestattet mit einem gut genährten Körperumfang und kräftigen Oberarmen vom Kneten und Formen der Teiglinge, wraf ihn in meinen Augen einfach nichts aus der Bahn. Keine Mahnungen, Drohungen oder andere Unannehmlichkeiten. Er wirkte wie ein Fels in einem tosenden Meer, das unermüdlich versuchte, ihn fortzuschwemmen.

Leider wurde ich vor ein paar Jahren eines Besseren belehrt und seitdem passte ich auf, dass es ihm gut ging. Heute sah er müde und abgekämpft aus, wie er die Hände in das dünner werdende, dunkelblonde Haar schob und den Blick fest auf etwas gerichtet hielt, das ihm vermutlich eine weitere schlaflose Nacht bescherte.

Sollte ich einen Fuß ins Büro setzen, würde er den Kopf heben, mich anlächeln und unauffällig die Papiere verdecken. Das war die Art, wie wir Hemmingways mit Problemen umgingen. Wir behielten unsere Sorgen für uns, um niemanden damit zu belasten. Schon gar nicht einander.

Während ich Dad beobachtete, schickte ich ein stummes Gebet hinaus in die Welt. Als nicht allzu standfeste Katholikin wünschte ich mir einen Anruf der Produzenten von Flour & Butter. Ich malte mir aus, wie sie mir überschwänglich zur Teilnahme gratulierten und mir ein bisschen Hoffnung schenkten, dass ich die Bäckerei retten könnte. Ich glaubte nicht an Wunder, daher war es die ideale Gelegenheit, um mich vom Gegenteil zu überzeugen.

Irgendeine Möglichkeit musste es geben.

Irgendeine.


Zur Ablenkung nahm ich Jainas spontane Einladung für ein Speeddating am Samstagnachmittag an. Joey’s, die Bar, in der die Veranstaltung stattfand, lag nicht weit von der Bäckerei entfernt. Morgens half ich Dad noch beim Backen, danach entschied Mom, dass ich mal Freizeit brauchte. Alles in mir wehrte sich dagegen, denn am Wochenende überfielen die Gäste uns eher als unter der Woche, aber sie bestand darauf. Insgeheim hoffte sie vermutlich, dass ich den Mann meines Lebens kennenlernte. Gutaussehend, charmant, mit einem tollen Job und potent wie der Frühling, um zahlreiche Babys zu zeugen. Ihre bescheidenen Wünsche brachten mich oft zum Lachen, denn wenn es so leicht wäre, einen Partner mit all diesen Qualitäten zu finden, dann wäre er mir längst in die Arme gelaufen.

Im Joey’s würde ich ihn bestimmt nicht finden, das war mir bereits nach fünf Minuten klar, in denen Jaina und ich uns Drinks besorgt hatten. Es war eine dieser durchschnittlichen Tagesbars in einer Nebenstraße, in der es eine große, gut gefüllte Theke, versteckte Lautsprecher und diverse Sitzplätze mit runden Tischen gab, die heute in einem Kreis angeordnet waren. Um uns herum wimmelte es nur so von Menschen. Manche gaben sich betont cool und lässig, andere erweckten den Eindruck, als bräuchten sie jeden Moment eine Papiertüte. Von jung bis alt schien alles dabei zu sein, aber das hielt offenbar niemanden davon ab, bereits vor Beginn neue Bekanntschaften zu schließen. Die Lo-Fi-Musik, die leise im Hintergrund lief, ging in dem Stimmenchaos unter.

»Gott sei Dank muss ich mir das nicht allein geben.« Ich hörte Jainas Augenrollen aus ihren Worten heraus.

»Dabei wolltest du doch herkommen«, erinnerte ich sie schmunzelnd. Im Gegensatz zu ihr hielt ich mich an einem eiskalten Orangensaft fest. Kurz vor zwei am Nachmittag war mir viel zu früh für Alkohol.

»Wollen.« Sie schüttelte den Kopf. Die Spitzen ihrer kinnlangen, eisblonden Haare flogen energisch mit. »Mich würden keine zehn Pferde dazu bringen, das hier freiwillig zu besuchen, aber das Honorar ist verboten gut.«

»Worüber schreibst du genau?«

»Über das wilde Datingleben in der Großstadt – alte Trends und neue.« Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und zeigte mir eine App. »Daily Dating ist quasi das Tinder speziell für New Yorker und sie bezahlen mich für einen Artikel, in dem ich verschiedene Methoden als Großstadtsingle durchteste.«

Ich lachte angesichts der Ironie, dass ich Jaina in den zweieinhalb Jahren, die wir nun befreundet waren, noch nie auf der Suche nach einem Mann erlebt hatte. Manchmal traf sie jemanden für eine Nacht, aber aktiv auf der Jagd zu sein, passte nicht so richtig zu ihr.

Vorsichtig stieß ich ihr den Ellenbogen in die Seite. »Vielleicht triffst du deine große Liebe.«

»Nur über meine Leiche.«

Lachend ließ ich meinen Blick erneut durch die Bar wandern und fragte mich, was genau uns erwartete. Es handelte sich um ein offenes Speeddating-Event, was wohl bedeutete, dass meine Gesprächspartner sowohl männlich als auch weiblich oder divers sein konnten. Da ich bei einer solchen Veranstaltung noch nie teilgenommen hatte, hatte es irgendwie witzig geklungen. Doch jetzt überkam mich eine leichte Unruhe. Vom ersten Eindruck ausgehend, sprach mich niemand an, aber das musste nichts heißen. Ein paar Teilnehmer waren durchaus attraktiv und auch ungefähr in meinem Alter, aber für mich gehörte mehr dazu als ein hübsches Lächeln und volles Haar. Am Ende war das alles sowieso irrelevant, denn mit meiner Arbeit in der Bäckerei hatte ich keine Zeit für Romantik und daran so schnell würde sich nichts ändern.

Mit dem lauten Gong, der durch den großen Raum hallte, kehrte schlagartig Ruhe ein. Eine junge Frau mit dichten, dunklen Locken und spitzer Nase schnappte sich ein Mikrofon.

»Hallo, schön, dass ihr heute hergekommen seid.« Sie klang wie eine Entertainerin und verbreitete mit ihrer Art direkt gute Laune. Kurzerhand erklärte sie uns, wie alles ablief, dann ging es los.

Jaina und ich suchten uns zwei freie Plätze nebeneinander, unabhängig davon, wer uns gegenübersaß. Ich erwischte einen Mann mit offenbar südländischen Wurzeln. Sein schwarzes Haar war kurzgeschoren, sein Gesicht sah ein bisschen eingefallen aus und seine Haut war so braun, als hätte die Sonne ihn höchstpersönlich geküsst. Er lächelte und begutachtete mich, als wäre ich ein Pferd auf einer Versteigerung. Mir gefiel er nicht, auch wenn er noch kein einziges Wort gesagt hatte, um sich meine Abneigung zu verdienen. Es lag etwas in seinen Augen, das mich verunsicherte. Eine Art Hunger womöglich.

Ich erschauderte.

»Viel Erfolg«, flüsterte Jaina mir zu. Ich nickte und sah zu ihrem Gesprächspartner. Brillenträger mit etwas Übergewicht. Mitte dreißig, schätzte ich. Seine Schultern wirkten angespannt, und sofort musste ich an eine Schildkröte denken, die sich in ihren Panzer zurückzog. Armer Kerl. Er war bereits völlig von Jaina eingeschüchtert.

Der Gong erklang erneut und mein Gegenüber beugte sich mit zusammengefalteten Händen über den Tisch. Sein Blick fixierte mich unbehaglich. »Du bist hübsch«, stellte er unverblümt fest.

»Danke.«

»Ich bin Ramon«, fuhr er fort.

»Miriam.«

Er lächelte abermals und leckte sich über die Unterlippe. »Schöner Name. Und ich mag rote Haare.«

Dann hat wenigstens einer von uns einen Glücksgriff gelandet. Doch das behielt ich für mich, wie so oft. Ich hatte mir vor einer Weile angewöhnt, dass das Leben deutlich entspannter verlief, wenn man nicht immer sofort sagte, was man dachte. Stattdessen brachte ich ein verkrampftes Lächeln zustande und schwieg. Wie lange konnten sieben Minuten eigentlich sein? Wie viel war bereits rum? Hilfe?

»Du redest nicht gern, hm?« Er gab ein Schnaufen von sich. »Nicht schlimm. Du bist sicher ein Engel in der Küche und ein Teufel im Bett.«

Kalte Gänsehaut lief mir über die Unterarme. Das würde ihm gefallen. Ich sah zur Seite, wo sich Jaina angeregt Notizen machte, während das Gesicht ihres Gesprächspartners die Farbe einer Tomate annahm. Immerhin war ich nicht die Einzige, die sich unwohl fühlte.

»Weißt du, was man über Rothaarige sagt?«

Ich blickte zurück zu Ramon und hob eine Augenbraue. Ich kannte einige dämliche Sprüche und war gespannt, welchen er parat hatte. »Wir werden häufiger von Bienen gestochen?«

Sein Lachen klang hohl, irgendwie kratzig und war ähnlich unsympathisch wie sein Besitzer. Nicht jeder kann klingen wie Henry. Der Gedanke erwischte mich völlig unvorbereitet, sodass mir Ramons Erwiderung beinahe erspart geblieben wäre.

Er grinste schmierig über den Tisch hinweg. »Wenn das Dach rostet, ist der Keller feucht.«

Oh Jesus. »Meine Mutter würde dich lieben«, flüsterte ich leise und wandte demonstrativ den Blick ab. Ramon redete noch weiter auf mich ein, aber ich schwieg mich aus, bis endlich der erlösende Gong erklang und ich einen Platz weiterrutschte. Nun musste sich Jaina mit ihm herumschlagen und ich hoffte, er bekam in ihrem Artikel für sein Fingerspitzengefühl eine ganz besondere Erwähnung.

Danach traf ich auf eine Frau mit weichen Gesichtszügen und Haarsträhnen in allen Farben des Regenbogens. Wir plauderten kurz über unsere erste Runde, wobei mir auffiel, dass Ramon neben uns herumzappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Jaina schien ihn noch mehr zu erregen als ich.

»Und?« Jess verschränkte die Arme auf der Tischplatte. Sie musterte mich interessiert aus ihren azurblauen Augen. »Stehst du auf Frauen?«

Ich lächelte höflich und schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid.«

»Wie schade.«

Danach verfielen wir in oberflächliches Geplauder, ehe das Signal zum Wechsel erklang. Ich seufzte erleichtert, als ich auf dem Stuhl mir gegenüber einen gutaussehenden, dunkelblonden Mann vorfand, dessen freundliches Lächeln strahlendweiße Zähne zeigte.

»Du siehst erleichtert aus«, stellte er mit einem süßen, britischen Akzent fest.

»Wenn du Ramon kennengelernt hättest, wärst du das auch.« Er schaute zur Seite und erblickte den Casanova vom Dienst. »Ja«, stimmte er gedehnt zu. »Da würde ich auch lieber mit mir reden.«

Ich reichte ihm die Hand und wir stellten uns einander kurz vor. Sein Name war John und er studierte an der NYU. Obwohl er ein gutes Jahr jünger war als ich, wirkte er deutlich reifer und älter als manch anderer hier. Wir unterhielten uns in der Zeit, die wir hatten, und bevor der Gong erklang, bot er mir seine Nummer an.

»Das ist nett von dir«, begann ich verlegen.

»Oh oh.« Er grinste. »Klingt nach einem Korb.«

Ich lachte leise. »Tut mir echt leid. Ich denke, jemand hier wird sich bestimmt darüber freuen, mit dir auszugehen, aber mir fehlt dafür die Zeit. Ich begleite eigentlich nur meine Freundin.«

»Schade, aber wenn es lediglich an der Zeit liegt – das ist nur eine Frage der Priorität.«

»Das stimmt.« Ich lächelte entschuldigend. »Aber meine liegt momentan wirklich woanders.«

Er nickte, und als es an der Zeit war, weiterzuziehen, winkte er mir gut gelaunt zu. Wären alle Männer wie er, hätte New York erheblich weniger Singles.

Drei weitere Runden folgten und allmählich verlor ich endgültig die Lust an der Veranstaltung. Außer John fand ich kaum jemanden so richtig sympathisch. Entweder strotzten die anderen vor Überheblichkeit – nicht auf eine witzige, charmante Weise – oder sie bekamen kaum ein Wort heraus. Einer war ganz nett, sah aber aus, als würde er noch die Highschool besuchen.

Erschöpft und lustlos setzte ich mich dem nächsten Kandidaten gegenüber, einem glatzköpfigen Mann, der etwas knochig wirkte. Seine kantigen Gesichtszüge machten es mir schwer, sein Alter einzuschätzen, und er schaute mich so grimmig an, dass ich unruhig mit dem Fuß den Takt der leisen Musik mittippte.

»Ich stehe nicht auf Frauen«, sagte er unverwandt.

»Okay«, erwiderte ich und nippte an meinem Orangensaft.

Sollte mir recht sein. Wenigstens ein Mann, der sich nicht über meine Haarfarbe ausließ, meine Brüste anstarrte oder mich fragte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn wir im Haus seiner Mutter und ihren drei Mardern lebten.

Typisch New York eben. Kein Stein glich dem anderen.

»Frauen sind furchtbar«, fuhr der Fremde fort.

Ich runzelte die Stirn. »Wieso?«

»Weil sie uns Männer immer wie Monster aussehen lassen. Dabei halten sie die Zügel in der Hand. Wir sind nur ihre Tarnung.«

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn wieder, weil ich mich dagegen entschied. Die Auszeichnung für den schrägsten Kandidaten im Joey’s ging eindeutig an ihn. Aber er war mit seiner Rede noch nicht am Ende. Nach weiteren Sätzen darüber, dass Frauen in Führungspositionen der Untergang unserer Zivilisation wären, schaltete ich endgültig auf Durchzug. Sechs Runden. Ich musste nur noch sechs Runden durchhalten.

Jaina tippte mich von der Seite an. »Dein Handy klingelt.«

»Oh.«

Nachdem ich mich aus dem Gespräch ausgeklinkt hatte, hatten sich alle Geräusche um mich herum zu einem Einheitsbrei vermischt. Hektisch griff ich nach meiner Handtasche und suchte mein Telefon.

»Wie unhöflich«, murrte der Frauenhasser, aber ich ignorierte ihn. Stattdessen starrte ich mit trockener Kehle auf die unbekannte Nummer auf dem Bildschirm. Das mussten sie sein. Die Produzenten der Show.

Ich holte tief Luft und nahm das Gespräch an.

»Ms Hemmingway?« Ich erkannte die geschäftliche Stimme sofort.

»Ja?«

»Moe Sinclair vom Casting letzten Montag.« Sie pausierte, als wollte sie mir Zeit geben, mich zu erinnern. Dabei dachte ich kaum an etwas anderes. »Ms Hemmingway, wir haben uns noch einmal das Material angesehen und freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Sie sehr gerne für Flour & Butter dabeihätten.«

Mir blieb fast das Herz stehen, und ich fühlte mich so wach wie schon lange nicht mehr. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

Ich durfte an der Show teilnehmen. Das war meine Chance auf fünfundsiebzigtausend Dollar. Geld, das meine Eltern dringend benötigten, und ich könnte es gewinnen.

Vielleicht hatte ich mich bisher geirrt. Vielleicht gab es wirklich einen Gott.

»Ms Hemmingway? Hallo?«

Moe riss mich aus meiner Starre. »Ja«, rief ich etwas zu laut und räusperte mich. »Ich meine, vielen herzlichen Dank.«

»Bedanken Sie sich, wenn Sie das Preisgeld in den Händen halten.«

Irrte ich mich oder hörte ich aus ihren Worten ein Lächeln heraus?

»Wir schicken Ihnen unter der angegebenen Adresse einen Umschlag mit dem Vertrag und allen weiteren Informationen zu. Richten Sie sich bitte darauf ein, ab dem zehnten Mai für die Dreharbeiten in Long Island zur Verfügung zu stehen.«

Ich nickte sinnloserweise und verabschiedete mich von ihr. Mit einem breiten Lächeln saß ich dem Frauenhasser gegenüber und strahlte vermutlich wie eine Glühbirne.

»Sie sind furchtbar«, maulte er. Bestimmt war er eingeschnappt, weil ich mir sein Geschimpfe nicht angehört und es gewagt hatte, zu telefonieren.

»Damit kann ich sehr gut leben«, sagte ich und atmete zufrieden aus. »Denn ausnahmsweise ist es mir völlig egal.«

What Love does

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