Читать книгу Das Flüstern der Pferde - Tina Schumacher - Страница 19

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Für Pferde lassen sich, wie für uns Menschen, verschiedene Persönlichkeitskategorien bilden. Unterschiedliche Merkmale können wir an Wirbeln ablesen, am Wesen oder an sozialen Faktoren innerhalb einer Gruppe.

Zunächst sollten wir uns jedoch bewusst machen, dass wir Schubladen für Persönlichkeiten erstellen, die immer deutlich weiter und grenzenloser zu fassen sind, als allgemeine Beschreibungen es leisten könnten. Solche Kategorien erleichtern uns eine Orientierung und geben uns einen Eindruck davon, wie wir bestmöglich auf unser Gegenüber eingehen können. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass wir durch all diese festgelegten Schubladen unsere Wahrnehmungsfähigkeit vernachlässigen und die Individualität der Pferde oder auch der Menschen in unserer Gegenwart außer Acht lassen.

Wenn wir eine Klassifizierung von Persönlichkeitstypen als Tendenz wahrnehmen, anstatt sie absolut zu sehen, können wir für einen Umgang miteinander positive Resultate erzielen. Dann erhalten wir einen Orientierungsrahmen, sind jedoch gleichzeitig offen für die Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit unseres Gegenübers sowie den Moment, in dem wir uns gerade befinden. Und wir sind offen für eigene Entwicklungsprozesse, die sich wiederum auf alle möglichen Eigenheiten unserer Persönlichkeit und der unseres Gegenübers auswirken können.

Deswegen sind diese Schubladen gar nicht so starr zu sehen, wie wir sie oft wahrnehmen. Sie sind eine wundervolle Möglichkeit, das Zuhören und damit das Flüstern zu erlernen, einander mit allen Ecken, Kanten und Erfahrungen kennenzulernen und ebenso mit allen Empfindungen, die im Augenblick da sind.

Für eine erste Grundorientierung möchte ich Persönlichkeitstypen von Pferden und Menschen sowie deren Eingruppierung miteinander vergleichen. Später werde ich ein paar Worte über Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Charaktermerkmalen verlieren. Vorab sei gesagt: Es war unheimlich spannend, sich durch die Vielzahl an Ansätzen und Meinungsbildern zu forschen. Manche waren unglaublich komplex und andere einfacher gehalten. Äußerungen aus dem Pferdebereich waren nach meinen Recherchen weniger wissenschaftlich untermauert, wobei es im Bereich der Persönlichkeit beim Menschen zahlreiche Studien zu geben scheint.


Foto: Christiane Slawik

„Der gemeinsame achtsame Weg ist der Pfad in der Beziehung zwischen Mensch und Pferd.

In diesem Buch möchte ich daher zwei Ansätze beschreiben, die als populär gelten und gleichzeitig gut miteinander vergleichbar sind. Außerdem war es mir wichtig, möglichst einfache Systeme zu finden, die den Blick für eigene Wahrnehmungen offenhalten und damit keine allzu starren Schubladen entstehen lassen. Gerne hätte ich noch Interpretationsansätze nach Linda Tellington Jones eingebracht, dafür fehlte hier jedoch der Raum, wobei sie absolut empfehlenswert sind.


Foto: www.shutterstock.com_Rita_Kochmarjova

Auf der Seite der Pferde hat Parelli das Konzept der Horsenality (Pferdepersönlichkeit) entwickelt. Die vier beschriebenen Charakterbereiche sollen die Einstellung und das Verhalten des Menschen gegenüber seinem Pferd grundlegend prägen und die Basis für eine echte Partnerschaft und gemeinsame Leichtigkeit legen.

Zunächst soll zwischen den zwei Kategorien „Left Brain“ (linke Hirnhälfte) und „Right Brain“ (rechte Hirnhälfte) unterschieden werden:

•Attribute der Left-Brain-Pferde: selbstsicher, mutig, dominant, vertrauensvoll, ruhig, tolerant

•Attribute der Right-Brain-Pferde: zurückhaltend, ängstlich, folgsam, misstrauisch, neigen zu Überreaktionen

Im Anschluss folgt eine Unterscheidung in:

•introvertierte Pferde: von Natur aus eher wenig „Vorwärts“, langsame Bewegungen, Tendenz, oft anzuhalten, eher zurückhaltend

•extrovertierte Pferde: viel Energie, dauernd in Bewegung, bewegungsschnell, eher dominant

Daraus ergeben sich folgende vier Pferdepersönlichkeiten:

Left Brain – extrovertiert

Dieses Pferd hat einen verspielten Charakter, macht viel über sein Maul aus, ist aufgeweckt und charismatisch. Es lernt schnell und beginnt deshalb frühzeitig, seine eigenen Ideen zu entwickeln, falls es ihm zu langweilig wird. Es hat ein freundliches Wesen und wird aufgrund seiner eigenwilligen Art vielleicht trotzdem manchmal als ungezogen betitelt.

Left Brain – introvertiert

Dieses Pferd liest seinen Menschen wie ein offenes Buch und stellt ihm dann ganz unverblümt die Frage: „Weshalb sollte ich etwas für dich tun?“ Es weiß genau, was es will, ist oft futterorientiert, sehr intelligent und hat einen herausfordernden Charakter. In seinen Bewegungen erscheint es manchmal faul, desinteressiert und lustlos, was jedoch keinesfalls seiner Denkleistung entspricht, die immer wieder auf Trapp gehalten werden will.

Right Brain – extrovertiert

Dieses Pferd ist impulsiv und neigt zu panischen, übersensiblen Reaktionen mit einem starken Vorwärtsdrang. Es ist schnell verwirrt und ängstlich, kann schlecht stehen bleiben und verspannt sich früh. Es hilft ihm, die Dinge so einfach wie möglich zu gestalten, um sich besser entspannen zu können und das Gefühl einer dauernden Überforderung zu vermeiden.

Right Brain – introvertiert

Dieses Pferd ist schüchtern, ruhig und sehr zurückhaltend. Durch Rückzug versucht es, jede Art von Druck zu vermeiden, kann jedoch bei einer Überreizung explodieren. Es wirkt oft eingeschüchtert und angespannt. Deshalb ist es wichtig, die Dinge langsam und mit genügend Wiederholungen zu gestalten. Das gibt ihm die Zeit, darüber nachzudenken und das Gelernte zu integrieren, sodass neue Aufgaben folgen können.


(https://www.parelli-instruktoren.com/de/horsenality-pferde-lesen)

Auf der Seite menschlicher Persönlichkeitstypen haben Forscher der Northwestern University auf Basis einer umfangreichen Studie (insgesamt 1,5 Millionen Online-Fragebögen) herausgefunden, dass sich jeder von uns in vier Grundkategorien wiederfinden kann:

Der durchschnittliche Typ

Diese Menschen wirken zwar aufgeschlossen und offen gegenüber Neuem, ziehen jedoch in Wahrheit Gewohntes neuen Erfahrungen vor. Durchschnittliche Typen sind häufig emotional schwächer, für äußere Einflüsse leicht empfänglich und daher verletzlicher. Laut Forschern soll dieser Persönlichkeitstyp mit einer eher niedrig ausgeprägten Offenheit der am häufigsten verbreitete sein.

Der zurückhaltende Typ

Diese Menschen sind emotional stabil, eher sachlich und weniger leicht kränkbar. Sie sind eher introvertiert, weisen eine weniger ausgeprägte Offenheit auf und bevorzugen es, im Hintergrund zu bleiben. Sie sind kompromissbereit und haben eine gewissenhafte Art.

Der vorbildliche Typ

Diese Menschen verfügen über ein geselliges, aufgeschlossenes und emotional stabiles Wesen, das mit der Lebenserfahrung gewachsen ist. Durch ihre kontaktfreudige und empathische Art weisen sie ein gewisses Maß an emotionaler Intelligenz auf und finden schnell Zugang zu ihren Mitmenschen. Sie können andere aufgrund ihrer Selbstdisziplin und Kreativität leicht inspirieren und begeistern.


Foto: Lea Schlechtriemen

„Wenn wir uns dazu entscheiden, Verantwortung zu übernehmen, lösen wir uns gleichzeitig von selbst auferlegten Ketten und ernten unendliche Freiheit.


Foto: stock.adobe.com_pimmimemom

Der egozentrische Typ

Diese Menschen sind auffallend extrovertiert und durchaus gesellig, werden jedoch von anderen durch ihre weniger stark ausgeprägte Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit oft als ablehnend, ignorant oder überheblich erlebt. Sie sind leicht kränkbar und meist wenig verlässlich. Oft werden Menschen dieses Persönlichkeitstyps im Alter immer weniger egozentrisch.


(https://www.businessinsider.de/strategy/ein-neues-modell-teilt-menschen-in-vier-persoenlichkeitstypen-ein-welcher-seid-ihr-2018-9/;

https://utopia.de/ratgeber/persoenlichkeitstypen-das-sind-die-3-populaersten-ansaetze/)

Persönlichkeit ist etwas Komplexes und weniger in Schubladen zu pressen, als wir das vielleicht denken. So sehr wir uns auch in den jeweiligen Typen erkennen können, so veränderbar sind ihre Ausprägungen im Laufe der Zeit mit allen neuen Erfahrungen, die uns begegnen, mit den Beziehungen, die wir eingehen, und dem Vertrauen und der Zuwendung, die wir miteinander spüren.

Ich möchte versuchen, die beiden Konzepte von menschlichen und pferdischen Charaktertypen auf Ähnlichkeiten zu vergleichen. Schließlich heißt es so oft, dass unser Pferd unser Spiegel sei. Allerdings müssen diese Spieglein uns nicht unbedingt und immer in allen Belangen besonders ähnlich sein. Auch Unterschiede ziehen sich bekanntlich an.

In Studien zu Partnerschaften in Verbindung mit Persönlichkeitstypen konnte belegt werden, dass es grundsätzlich möglich ist, mit jedem Charaktertyp eine Beziehung zu führen. Es erfordert weder besondere Gemeinsamkeiten noch benötigt es große Unterschiede, um glücklich zu sein. Durch Unterschiede können persönliche Weiterentwicklungen besonders angefeuert und durch Gemeinsamkeiten die Persönlichkeit des jeweils anderen besser verstanden werden.


(http://www.typentest.de/typentest_de_-_erklarung/partner.htm)

Selbst wenn sich diese Aussagen um partnerschaftliche Inhalte drehen, verraten sie doch sehr viel über die Potenziale, die im Zusammentreffen verschiedener Charaktere stecken. Und vielleicht machen sie sogar dem einen oder anderen Mut, auch in den größten Unterschiedlichkeiten Chancen zu sehen – egal ob im Zusammenhang mit dem Menschen oder dem Pferd.

Wenn ich nun die beiden Modelle der Persönlichkeitstypen gegenüberstelle, bin ich erstaunt, dass ich extrovertierte Pferdeeigenschaften teilweise introvertierten Menschen zuordnen würde.

Der durchschnittliche Typ steht für mich durch seine introvertierte, emotional schwache Art und die Neigung, sich stark auf äußere Einflüsse einzulassen, in enger Verbindung zum Pferd der Kategorie Right Brain – extrovertiert. Beide zeichnen sich durch eine hohe innere Anspannung aus, weshalb sie es vermutlich nicht ganz einfach haben werden, wenn sie unmittelbar aufeinandertreffen.

Der zurückhaltende Typ steht für mich durch seine sachliche, introvertierte und vertrauensvoll kompromissbereite Art für das Pferd der Kategorie Right Brain – introvertiert. Hier treffen sich die beiden Attribute der Zurückhaltung, obwohl auf pferdischer Seite genauso gut mit herausfordernden Reaktionen zu rechnen ist. Da ich ein solches Pferd im Stall stehen habe, kann ich aber mit gutem Gewissen sagen, dass die Kompromisse mit einem ausreichenden Maß an Klarheit von allein kommen werden.

Der vorbildliche Typ lässt sich meines Erachtens durch seine extrovertierte, sichere und charismatische Ausstrahlung mit dem Pferd der Kategorie Left Brain – extrovertiert vergleichen. Ich glaube, in dieser Kombination könnte es einige Abenteuer und kreative Erlebnisse geben.

Der egozentrische Typ ähnelt durch seine manchmal überhebliche und egozentrische Art dem Pferd der Kategorie Left Brain – introvertiert, welches ebenso genau weiß, was es will, und allzu gern eine Gegenleistung für eine Handlung verlangt. Interessanterweise sind die Attribute extrovertiert und introvertiert hier wieder unterschiedlich, was daran liegen könnte, dass Pferde nicht das Bedürfnis verspüren, sich nach außen hin besonders gut darzustellen oder einen besonderen Vorteil für sich zu erzielen. Grundsätzlich werden es zwei Typen dieser Art relativ schwer miteinander haben, finden hier jedoch die Möglichkeit, sich aufeinander einzulassen und aufeinander zuzugehen. Ebenso sollten sich vielleicht gerade die unsicheren Persönlichkeiten vor den besonders extrovertierten oder vielmehr den egozentrischen, besonders dominanten schützen. Wir Menschen sind dazu in der Lage, zumindest im Erwachsenenalter. Die Pferde können sich ihre Mitbewohner und auch ihre Besitzer nicht immer aussuchen. Daher liegt es in unserer Verantwortung, deren Charakter gerecht zu werden.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut“ sagte der kleine Prinz aus Antoine de Saint-Exupéry. Genau das sollten wir immer wieder beachten. Wir sollten die Pferde ansehen, ihre Vokabeln lernen, ihren Charakter stärken und ihnen das Glück vermitteln, das wir uns selbst wünschen.

Fünf Fragen für deine Persönlichkeitsentwicklung – im Gespräch mit Freunden oder für dich allein:

1. In welchen Persönlichkeitstyp würdest du dich einordnen und welchen würdest du deinem Pferd zuordnen?

2. Wo liegen eure Gemeinsamkeiten und wo eure Unterschiede?

3. Welche Charakterzüge siehst du in dir und in deinem Pferd unabhängig von den Klassifizierungen – also außerhalb der Schublade?

4. Welches Persönlichkeitsmerkmal deines Pferdes kannst du besonders gut nachvollziehen, weil du es selbst kennst?

5. Welches Persönlichkeitsmerkmal fordert dich besonders heraus?

Das Flüstern der Pferde

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