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KAPITEL 1

Mädy

Keinesfalls wollte ich die neue Welt einfach so an mir vorbeiziehen lassen. Schnell drückte ich meine Vorderpfoten auf die Seitenscheibe des Autos und schaute neugierig durchs Fenster.

Was ich zu Gesicht bekam, würde selbst den hartgesottensten Kater umwerfen. Ich erblickte eine von Reklameschildern hell erleuchtete Metropole mit gläsernen Wolkenkratzern und unzähligen Menschen. Entweder schrien diese mit verzerrten Gesichtern in ihre Handys oder sie rannten Hals über Kopf über die stark befahrenen Straßen.

Verzweifelt hielt ich Ausschau nach einem mir vertrauten Artgenossen. Ich konnte keinen erspähen. Der Straßenterror war überall. Geknickt wandte ich mich vom Autofenster ab und wendete mich David zu. Liebevoll strich er mir über die Augen und versuchte mit beruhigender Stimme auf mich einzuwirken: »Warte noch ein bisschen, kleine Katze. In ein paar Minuten sind wir da, dann wird es gleich ruhiger.« Doch es half nichts. Die Angst fuhr mit. Als ich vor lauter Panik auch noch meinen Herzschlag in den Ohren hörte, stoppte Lena zum Glück das Auto.

Unser Auto kam vor einem geschlossenen hölzernen Einfahrtstor zum Stillstand. Auf der einen Seite war das mächtige Tor mit einem wie aus einem anderen Jahrhundert stammenden einstöckigen Haus verbunden. Auf der anderen Seite grenzte es an einen ewig langen, aber dafür nicht besonders hohen Sandwich-Laden. Das Tor öffnete sich.

Da sah ich sie, meine kleine Oase der Freude.

Ein großes, mit Kieselsteinen ausgelegtes Areal, auf welchem bereits mehrere Fahrzeuge parkten.

Eiligst wurde das Tor geschlossen und Lena parkte unseren Zweisitzer neben einem schwarzen Jeep. Blitzartig sprang ich heraus. Plötzlich war es so leise, dass ich sogar meinen Aufprall auf dem Gestein hören konnte. Der Grund für die Ruhe war schnell ausfindig zu machen. Die Parkfläche war umgeben von Beton. Seitlich befand sich die Rückwand der Imbissbude, in der Mitte die Hinteransicht eines Hochhauses. Auf der anderen Seite stand eine etwa zwei Meter hohe Begrenzungsmauer zum Nachbargrundstück.

Wir steuerten auf die Hausfront des einstöckigen Altbaus zu.

Als wir vor der abgesperrten Eingangstür des Altbaus standen, entdeckte ich seitlich an der Hausmauer vier Dornensträucher, die meterhoch in den Himmel rankten. Die Gelegenheit für eine nähere Betrachtung war günstig, denn David konnte seinen Schlüssel nicht finden und Lena murmelte irgendetwas von falscher Jacke vor sich hin. Gut, das Rosenbeet hatte zwar nicht gerade die Größe eines Ackers, aber für mein morgendliches Wohlfühlwälzen würde der schmale Erdstreifen vollkommen ausreichen.

Begeistert drehte ich meinen Kopf nach vorne, die Hausfront hoch. »Was sind das nur für ulkige Stricke, die von einer Hauswand auf die gegenüberliegende Hauswand gespannt sind? Und was sind das für Äste, die darauf verzweigt sind?«

Ich wunderte mich, während sich mein Sehorgan buchstäblich zu Fragezeichen formte. So als hätte sie es gehört, antwortete Lena prompt:

»Das ist ein Weinstock. Der ist ungefähr zweihundert Jahre alt.« Sie zeigte auf den dicken Holzstamm in unserer Nähe.

»Die gespannten Drahtseile sind eine Rankhilfe hinauf in den ersten Stock. Im Sommer wächst er sogar fast bis zum Dach hinauf.«

Ach so!

Staunend blickte ich nach oben. Die Sicht war gut, da der riesige, hölzerne Teil unbelaubt war. Was war das nur für ein schmales, langes Holzbrett? Es begann kurz oberhalb des Seilsystems und endete im ersten Stock, vor einer breiten Fensterfront.

Sehr merkwürdig. Was hatte das zu bedeuten?

Perplex schaute ich nochmals zu Lena.

Es war wohl wieder Gedankenübertragung. Sie erklärte: »Hier haben schon vor meiner Zeit Katzen gewohnt. In dem Fenster da oben befindet sich eine Katzenklappe. Über das Brett konnten die Miezen dann bequem nach unten steigen, anschließend auf die dicken Äste des Weinstocks springen und am Stamm herunterklettern.«

Mein Herz schlug Purzelbäume. Ich zeigte meine Hochstimmung mit einem triumphierenden Jubelsprung.

Beim Treppensteigen in den ersten Stock des Altbaus beendete ich unser Frage-Antwort-Spiel mit einer mir äußerst wichtig erscheinenden allerletzten Frage: »Wo sind wir denn hier eigentlich?«

Lena verstand mich sofort: »Das ist Davids Elternhaus. Unten im Erdgeschoss sind ein paar Geschäfte. Im ersten Stock hat David seine Wohnung, dann gibt’s noch ein nicht bewohntes Appartement und unsere Büroräume. Wir werden jetzt einmal in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken und dann sehen wir weiter.«

Okay! Alles glasklar. Ich kannte mich aus!

Freudig stand ich in den Startlöchern, bereit, die neue Pforte zu beschreiten.

Ich wurde nicht enttäuscht.

Ein Spielparadies von unzähligen Metern Raumlauf und Sprungflächen öffnete sich.

Ich jauchzte begeistert vor Glück.

Ungeachtet dessen, was die beiden Menschen tun würden, startete ich sofort meine Entdeckungsreise. Jeder Raum, jeder Stuhl, jede Ecke musste genauestens unter die Lupe genommen werden.

Ich zischte auf die Fensterfront im Vorraum zu, welche mir einen optimalen Überblick in den Innenhof verschaffte. Neugierig blickte ich über das Weinspalier hinüber auf den Parkplatz. Ich erhaschte gerade noch einen Blick auf Lenas schwarze Mähne, als sie in einem neben unserem Zweisitzer geparkten schwarzen Geländewagen verschwand. Als sie den Wagen zur Ausfahrt lenkte, trafen sich unsere Blicke. Mein Interesse an ihr hielt sich aber in Grenzen.

Ich hatte nämlich die bei Weitem spannendere Katzenklappe entdeckt.

Im Sauseschritt stürzte ich auf die Katzenklappe zu. Ich unterzog sie einer strengen Beschnüffelung und konnte zu meiner Freude keinen Artgenossengeruch wahrnehmen. Zu meiner Enttäuschung war die Klappe aber verschlossen und selbst das hartnäckigste Pfotentreten konnte diese nicht öffnen.

Mittlerweile mit Schlaf in den Augen beschloss ich meinen Rundgang zu beenden und mich auf die Suche nach David zu begeben. Ich fand ihn am Schreibtisch sitzend. Schnell hüpfte ich auf seine Beine, drückte zufrieden die Augen zu und verlieh seinem Zuhause mein Gütesiegel:

Alles gecheckt. Absolut katzentauglich.

Nach einer gewissen Zeit sprang David plötzlich auf und verabschiedete sich mit:

»Schön brav sein, wir kommen in circa zwei Stunden zurück!«

Lena war inzwischen wieder zurückgekehrt. Schnell nahm ich meinen Fensterplatz ein und beobachtete die zwei, wie sie beschwingt ins Auto hüpften und beim Ausfahren noch fröhlich lächelnd zu mir nach oben winkten. Okay, was fing ich nun mit dem angebrochenen Tag an? Ich sprang hinunter und beschloss, nochmals in aller Ruhe durch mein neues Zuhause zu schlendern.

Königlich beschritt ich meine Gemächer.

Ich testete jede Sitzgelegenheit auf den Kuschelfaktor und unterzog jeden Tisch einem Härtetest. Voller Karacho rauf und wieder runter, war er auch noch so klein und instabil. Als ich das Öffnen des Hoftores hörte, unterbrach ich meine Begehung und rannte in freudiger Erwartung in den Vorraum zur Glasfront. Gebannt schaute ich von meiner Fensterbank in den Innenhof und beobachtete voller Spannung das Einfahren der einzelnen Autos.

Nach einer etwas längeren Zeit des Herumtrödelns und der damit verbundenen einkehrenden Langeweile, kamen auch Lena und David endlich zurück. Höchst erfreut über ihre Rückkehr blickte ich nach unten, doch zu meiner Verwunderung stieg nur David aus und hetzte eiligen Schrittes zu mir in den ersten Stock. Wortlos schnappte er mich und ruckzuck wurde ich ins Auto verfrachtet. Oje, was ist denn jetzt los? Es war doch ein Hegen und Pflegen ausgemacht? Irritiert über diese Hauruckaktion versuchte ich eine Antwort zu erhalten. Doch David schwieg und mein Herz raste vor Anspannung. Schnell hüpfte ich auf die Vorderfrontablage und blickte verwirrt durch die Windschutzscheibe. Könnten Katzen schwitzen, wäre ich vor lauter Panik schweißgebadet gewesen. Doch meine Aufregung war vollkommen umsonst. Mir wurde klar, dass ich diese Straße und die angrenzenden Häuser bereits von unserer Morgentour kannte. Mit der Erkenntnis, dass wir zu Lenas Wohnung fuhren, entspannte ich mich und schmiegte mich an Davids Bauch.

Beim Wohnblock angekommen waren keine erklärenden Worte mehr nötig. Ich wusste, was von mir erwartet wurde: Aus dem Auto springen und artig vor diesem warten. Gemeinsam, also nicht zu schnell und nicht zu langsam, den Parkplatz überqueren. Nicht beim Lift stehen bleiben, sondern lässig auf das Treppenhaus zusteuern und mit einer Körperhaltung, als würde es mir gar nichts ausmachen, die 100 Stufen nach oben sprinten.

Nachdem wir endlich Lenas Wohnung erreicht hatten, verkrochen wir drei uns eiligst im Schlafgemach. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass mir ein bisschen Ausruhen sehr gelegen kam – nach dem anstrengenden Verlauf der letzten Stunden. Gerade als ich zwischen Davids Beinen in meinen Schönheitsschlaf zu versinken begann, hörte ich draußen einen lauten Knall. Mit dem Puls einer Spitzensportlerin sprang ich aus dem Bett, hetzte auf die Fensterbank zu, sprang mit einem Satz hinauf und erstarrte zur Salzsäule. Völlig verdutzt von dem Anblick der unzähligen bunten Lichter, die in den Himmel knallten, blieb ich über mehrere Stunden gebannt vor dem Fenster sitzen.

Ich genoss das farbenfrohe Spektakel.

Es war Silvester.

Die Katzenklappe

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