Читать книгу Lustreise ins Morgenland (Titus Tobler) (Literarische Gedanken Edition) - Titus Tobler - Страница 5

Mein Aufenthalt auf dem Eilande Lossin oder Ossero.

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Lossin interessirte mich ungemein, weil mein Auge so viel Fremdartigem begegnete. Das ganze Eiland besteht aus Kalkstein, der an den meisten Orten nackt hervorguckt. Er lagert sich schief von Westen nach Osten, und öffnet kleine Buchten oder, mit andern Worten, natürliche Häfen in Menge. Derjenige in Lossin grande gewährt ziemliche Sicherheit vor dem Ungestüm des Windes, faßt aber bloß drei größere Schiffe (bastimenti). Um so geräumiger dagegen ist der Hafen von Lossin piccolo, der wenig zu wünschen übrig läßt. Zwischen den so zahlreichen Steinblöcken, welche der Insel ein ziemlich ödes Ansehen verleihen, erscheint hie und da eine röthliche Erde, welche, obwohl sie nie gedüngt wird, leicht hervorbringt. Die Vegetazion überraschte mich besonders. Fast überall stark- und wohlriechende Pflanzen, welche den freigebigen Süden begleiten. Wenn ich ausging, so war es meine Wonne, einen wohlriechenden Strauß zu pflücken. Die Einwohner selbst scheinen durch die Gewohnheit für die Genüsse, welche die Flora darbietet, unempfänglich geworden zu sein. Nirgends sah ich auch nur einen Blumentopf; nirgends ein Mädchen mit einer Blume oder einem Strauße geschmückt. Unter den angebauten Gewächsen stehen der Oelbaum, der Feigenbaum und die Rebe oben an. Beinahe so oft ich den Oelbaum betrachtete, trug die Phantasie mich in das gelobte Land, wovon das Buch aller Bücher so viel Denkwürdiges erzählt. Vor allen andern ein zahlreich gepflanzter Baum, bemüht er sich an den Abdachungen Lossins, von den Steinen den Charakter der Traurigkeit auszulöschen. Das Lossiner-Baumöl ist sehr gut, und soll selbst demjenigen von Lucca nicht nachstehen. Hundert Pfund (zu 16 Unzen) Oliven geben beiläufig vierzig Pfund Oel. So rechnen die Leute. Außer, daß die Feige frisch gegessen wird, vermengt man sie auch mit Gewürz und bereitet eine Art Teig, der in etwa vier Zoll hohe Kegel geformt und dann an der Sonne getrocknet wird. Man nennt diese Mischung Feigenbrot (pane di fichi), und wird im Winter als Leckerbissen genossen. Auf die Rebe wird möglichst wenig Sorgfalt verwendet; man enthebt sich der Mühe, sie zu pfählen; nur an wenigen Orten wird sie etwa an einer Mauer aufgezogen; sie kriecht daher auf dem Boden fort, wie der Himbeerstrauch. Bei meiner Anwesenheit war die Weinlese zum Theile schon vorüber. Die gesammelten Trauben bringt man in einen Schlauch, von der Gestalt eines mißgeborenen, ausgestopften Kalbes. Es ist recht drollig zu sehen, wie die Weiber solche Mißgestalten auf ihren Köpfen tragen. Der Sack ist in der That nichts Anderes, als das Fell eines Ziegenbockes, welches ganz nahe geschoren, gleich hinter den Vorderbeinen ringsum abgeschnitten und dann umstülpt wird. Die den Hinterbeinen und dem Schweife entsprechenden Oeffnungen zugebunden, wird das abgezogene Fell bloß mit dem Athem aufgeblasen und an der Luft getrocknet. Hierin liegt alle Kunst der Sackbereitung. Der Wein ist stark, aber herbe, schwer, etwas bitterlich. Es gibt auch sehr guten, süßen und geistigen Wein, dessen Bereitung aber auf besonders delikate Weise geschieht, und der nur auf die Tafel fashionabler Lebeleute gesetzt wird. Als Seltenheit wächst auch der Dattel-, Granat-, Zitronen- und Pomeranzenbaum.

Lossin grande wie piccolo bieten kein übles Aussehen. Die Häuser sind von Stein gebaut; das Wenigste daran von Holz. Die Dächer bestehen aus Hohlziegeln. An einigen Häusern Rinnen, durch welche das Wasser ins Innere der Wohnungen zum Hausgebrauche geleitet wird. Von andern aber rieselt das Wasser in der Rinne, wenn es nicht in Kübeln aufgefangen wird, auf die Straße herunter, wo es fortfließt, um bei starkem Regen ein ordentliches Bächlein zu bilden. Auf Brunnenquellen würde man sich umsonst trösten. Ihre Stelle vertreten Ziehbrunnen. Nicht von allen Häusern erheben sich Kamine. Im Freien, an den Eckmauern der Wohngebäude sah ich an vielen Orten eine Art Herd. Die Mauern schienen mir sehr fest, wozu sich der harte Kalkstein vortrefflich eignet, und der Mörtel zeichnet sich durch Güte aus. Ueberhaupt mögen hier die Mauern viel länger halten, als in nördlichen Gegenden, wo die Kälte unermeßlichen Schaden anrichtet, wie besonders das Jahr 1830 bezeugen kann. Um Gassen anzulegen, wurde an vielen Orten nur der Kalkfelsen ein wenig ausgeebnet. Sie werden länger dauern, als anderwärts die auf’s kunstreichste und kostbarste gepflasterten Straßen. Allein sie laden eben nicht am freundlichsten ein. Die spitzigen Geschiebsteine schneiden beinahe in das Leder der Schuhe, und leicht gleitet man auf den Flächen des Felsen — nicht in den Himmel, wohl aber auf den Boden. Besonders mühsam wird das Gehen außer den Dörfern. Wer einmal in der Schweiz einen recht steinigen, doch bessern Bergweg wandelte, kann sich das Gehen auf den hiesigen Landwegen gar leicht vorstellen. Ueber große Unreinlichkeit auf Plätzen, Wegen u. s. f. könnte man gerade nicht klagen. Keine Misthaufen. Das Vieh ist aber nicht zahlreich; wenig Kühe werden gehalten; am meisten noch Schafe und Ziegen. Letztere haben lange, seidenartige Haare und liefern einen schmackhaften Käse. Nur ein einziges Pferd nahm ich wahr; es ritt darauf eine kranke Frau, sich Bewegung zu verschaffen. Ein Fuhrwerk rollte schon gar nicht vorüber. Es zieht sich zwar eine schmale Straße von dem großen Lossin nach dem kleinen, die allerdings fahrbar wäre, wenn man auf eine Lustfahrt Verzicht leisten wollte. Es darf übrigens nicht unerwähnt bleiben, daß auch hier die französischen Umwälzungsmänner eine Spur ihres Wirkens zurückließen, indem sie diese Straße bauten. Andere, als solche Thiere, welche der Hauswirthschaft, so zu sagen, angehören, sind selten.

Um die Bewohner zu beobachten, war mir Mariens Geburtstag willkommen. Soll ich im Namen Lossin grande beklagen, daß die dortigen Frommen die obere Kirche nicht ausfüllten? Wie ich in das Gotteshaus trat, spielte eine Musik, die hätte zum Tanze ermuntern können. Erst als die Orgel ertönte, hob eine ernstere Melodie an. Die Frauen knieten bald auf den Boden, bald ließen sie sich auf die Fersen nieder, andere saßen auf dem Boden, indem sie die Füße auf einer Seite an sich zogen, noch andere kauerten bloß auf einer Ferse, und streckten den andern Fuß vorwärts, daß das Bein der Länge nach auf dem Boden ruhete. Uebrigens wußten sich alle gar züchtig niederzusetzen. Man durfte wenigstens drei Viertheile Frauen auf nur einen Viertheil Männer annehmen: ein Mißverhältniß der Leute beiderlei Geschlechtes, das später klar wird. Ein ziemlicher Theil Frauenzimmer war gar schön aufgeputzt, und ihre Andacht spendete dann und wann einen Blick auf die Seite in die Welt, und vermochte ein weltliches Schmunzeln nicht zu überwinden. Die Zahl der Priester fiel mir auf. Das große Lossin zählt zu seinen 2400 Einwohnern vierzehn Priester, darunter vier, welchen die eigentliche Seelsorge obliegt. Einige Male traf ich einen alten, gutmüthigen Priester auf der Straße: seine Kleidung lieferte einen ansehnlichen Beitrag zu Löchern und Lappen, das heißt, zur Bescheidenheit und Demuth.

Die Leute kleiden sich wohl. Selbst in der Hitze des Tages umgibt die Jacke den Oberleib. Von der Kleidung der Männer springt nichts Besonderes in die Augen. Dem weiblichen Geschlechte gebührt das Lob oder der Tadel eines eigenthümlichen Kopfputzes. Ein Flor von Musseline bildet auf jeder Seite einen Ring, ohne den Kopf zuzudecken. Wer möchte diesen Rückprall einer Kinderei schön nennen?

Die Lossiner thun sich durch Körpergröße hervor. Man muß zwei Menschenschläge unterscheiden, einen italienischen und slavischen. Die Venezianer eroberten zu seiner Zeit die Insel. Vom italienischen Schlage sind sowohl reine, als mit dem slavischen vermischte Sprößlinge vorhanden. Auf den Leuten vom italienischen Schlage ruht der Zug der Schönheit, von etwas Edlem, von Stolz, welcher Zug sich in der Regel charakteristisch beim Herrscher ausspricht. Das pechschwarze Haar und die Gluth der schwarzen Augen könnten uns in die Mauern Padua’s versetzen. Die Bewohner vom slavischen Schlage, weitaus die Mehrzahl, zeichnet ein breites Gesicht, hervorstehende Backenknochen (selten volle Backen), eine etwas ausgebogene Nase, üppiges, bräunliches oder blondes Haar aus. Wie es zwei Schläge gibt, so zwei Sprachen. Der Sieger brachte das Italienische, welches jetzt noch in den Kreisen der Wohlhabendern geredet wird; bei den Uebrigen das Kroatische, welches vorherrscht, oder die eigentliche Landessprache ist.

Die Leute beschränken sich in ihren Beschäftigungen nicht bloß auf Viehzucht, Ackerbau, die Weiber auf Spinnen, Sticken u. dgl., sondern die Lossiner beziehen ihre Nahrung auch vom Fischfang, und, die Hauptsache, ein bedeutender Theil verlegt sich auf die Schifffahrt. Die Lossiner bilden mit den Bocchesen den Kern der österreichischen Seemacht. Lossin piccolo nennt mit Stolz allein über achtzig größere Kauffahrteischiffe (bastimenti). Da stößt man auf eine Menge Kapitäne, welche die Meere durchsegelten, und von Konstantinopel, Alexandrien, Algier, London u. s. f. erzählen, nur nicht von Stürmen, als etwas Abgedroschenem. Bewog Liebe zu ihren Ehemännern selbst Frauen, sich auf unsichern Fluthen zu entfernen, um zugleich angenehme Berührungen mit den berühmten Städten der Welt herüber zu nehmen.

Der Vater des Kapitäns, Podestà (Gemeindspräsident) Budinich, empfing uns mit vieler Gewogenheit. Am zweiten Tage nach der Ankunft in Lossin wurden Cesare und ich von ihm zu einem Mittagsmahle eingeladen. Gern entsprachen wir der Einladung. Zwei Familien vereinigten sich, um sich und uns Gesellschaft zu leisten; die Menge Kinder dabei lachte, lärmte, befahl u. dgl., so daß Einem die Zeit nicht lange werden konnte. Das Gespräch verbreitete sich größtentheils über Seereisen. Ich wurde als Mann mit deutscher Zunge auf recht schonende Weise behandelt. Einmal sagte der Signor’ Patrong’ zu Cesare, als dieser nicht trinken wollte: Italiani, Sociani. Er sagte es in so gutem, so wenig exkommunizirendem Tone, daß ich es ihm nicht im mindesten übel nehmen durfte. Die Tafel war üppig bestellt, und deßwegen schon ein Dorn in meinem Auge, um mich an einem andern Tage nochmals zu ihr hinzusetzen. Der freundliche Ton der Familien gefiel mir unaussprechlich. Ich möchte behaupten: Familienliebe ist eines der erhabensten religiösen Gefühle. Unser Hauptmann saß neben dem Vater, bescheiden und wenig redend, der innigsten Liebe Blicke brüderlich erwiedernd, welche auf ihn die daneben sitzende Schwester heftete; für ihn plauderte der erfahrnere Vater; der Sohn gebot auf dem Schiffe, wo er an seinem Platze war.

Der Umstand, daß wir wider Erwarten lange nicht in die See stechen konnten, trug dazu bei, daß ich die Insel noch genauer kennen lernte. Die Lebensmittel sind zum Theile sehr wohlfeil. Ein Seidel Wein, d. h. ein Viertel eines Triestiner-Pokale, kostet nicht einmal 5 Pfenninge R. V. So wenig haushälterisch geht man mit den Trauben um, daß solche hie und da auf den Wegen herumliegen. Dagegen ist die Milch überaus theuer. Ein Pokale Schaf- oder Ziegenmilch kostet 12 Kr. R. V., also über die Hälfte mehr, denn so viel Wein.

Als ich eines Nachmittags nach dem kleinen Lossin ging, zog eine Weberin meinen Blick auf sich. Ich trat sogleich in das Zimmer. Eine alte Frau, mit einer Brille auf der Nase, jagte mühsam das Schiff durch die Kette. Der Webstuhl war sehr einfach, klein und so eingerichtet, daß er mit leichter Mühe an einen andern Ort gebracht werden kann. Das Weib wob grobes Tuch. Indem es mit beiden Füßen zugleich, jetzt auf die einen zwei, dann auf die andern zwei Schemmel, überhüpfte, setzte es diese in Bewegung. Gleich hernach nahmen meine Aufmerksamkeit dem Webstuhle gegenüber sich befindende zwei Steine in Anspruch. Es waren Mühlsteine, die von Menschenhand herumgedreht werden, um das Speisemehl zu bereiten. Solche Mühlsteine trifft man in den meisten Bauernhäusern. Dürftigkeit ruft der Einfachheit. Auch dieses Mahl-, Web-, Wohnzimmer u. s. f. war etwas sparsam durch das Fenster beleuchtet, und das meiste Licht trat durch die Thüre. Das Nämliche gilt auch von vielen andern Häusern. So sah ich ein Mädchen nicht ohne Kunst auf einem Rahmen nähen; um aber die, die Augen etwas mehr anstrengende Arbeit verrichten zu können, mußte es sich an die Thüröffnung setzen.

Lossin grande kann sich eines Kalvarienberges rühmen, dessen Aussicht das Meer ringsumher beherrscht. Im Hintergrunde des Ostens steigt das Küstenland Kroaziens himmelan. Doch welch öder Anblick! Fast nichts als Stein oder Felsen bieten sich dem Auge dar. Wenn der Himmel recht hell sei, soll man im Westen selbst Ankona sehen. Da die Bewohner von Lossin keine tiefe Erde aufzuweisen vermögen, so leuchtet bald ein, daß sie keine Gottesäcker, dafür aber Todtengrüfte besitzen. In Lossin grande öffnet sich gleich neben der untern Kirche eine Gruft. Durch eine der fünf Oeffnungen wird die Leiche an Stricken in dieselbe versenkt. Ein Sarg würde zu viel Raum einnehmen, und so werden die sterblichen Ueberreste bloß in ein Tuch gewickelt, um sie beizusetzen. Es kann sich bisweilen ereignen, daß eine Leiche auf eine andere geschichtet wird; doch sucht man dieß bestmöglich zu vermeiden. Die Oeffnung wird nach jeder Beisetzung durch eine Steinplatte geschlossen und zugemauert, damit die kadaverösen Aushauchungen der Gesundheit keinen Schaden zufügen. Der Boden der Gruft ist siebartig durchlöchert, und deckt eine andere Höhle, welche mit dem Meere in Verbindung steht. Durch dieses Sieb finden nun diejenigen Theile des menschlichen Körpers, welche der Verwesung zufallen, einen Ausweg, und das bloße Gerippe bleibt am Ende zurück. Wehe einem Scheintodten, welcher in einer solchen Gruft wieder lebendig würde. Grauenvolleres könnte man sich kaum vorstellen, als das Leben unter faulen, stinkenden Leichen, wo die Aussicht, dasselbe zu retten, so gut, als ganz abgeschnitten wäre. Ich bedaure es, daß ich die Gruft selbst nicht sah. Wohl nahm ich in der Kirche einen ausgesetzten, nur mit einem dünnen Tuche verhüllten Leichnam wahr. Im Hause des Herrn Marco Sopranich zeigte man mir einen Sarg, worin Wachskerzen aufbewahrt werden, auf den Fall, daß im Hause Jemand sterbe.

Die Festtage scheinen die Lossiner nicht so strenge zu feiern, als die Katholiken der deutschen Lande. In Lossin piccolo war an Mariä Geburt die Fleischbude offen, und Einer blies so eben das Fell eines Ziegenbockes auf. Lumpige und unreinliche Leute trugen sich auch an diesem Tage nicht anders, als an Werktagen. Einen großen Theil des Volkes soll die Armuth in hohem Grade drücken. Es ist voreilig, wenn man von vielen Reichen gleich auf den Wohlstand der Bewohner eines Landes im Allgemeinen schließt. Wenn allerdings unter den Lossinern manche sich ansehnlicher Schätze erfreuen, so muß man indeß bedenken, daß das Eiland der See eine Menge Matrosen liefert, welche zu Hause ein Weib mit Kindern unterhalten müssen, und wie unterhalten? Kärglich.

Es war am 10. Abends, als ich dem Podestà, dem Vater des Kapitäns, meine Aufwartung machte, weil die Abfahrt des Schiffes auf den 11. bestimmt war. Ich wurde dießmal über das Befinden der Frau Podestà befragt, und Tages darauf sollte ich mehrern Frauen von Lossin meinen ärztlichen Rath ertheilen. Ich entsprach dem Ansuchen um so lieber, einerseits, als die Wiederaufnahme meiner Geschäfte, wenn auch nur auf kurze Zeit, am ehesten geeignet war, den entstehenden Ueberdruß zu verscheuchen, und um so lieber andererseits, als ich wußte, daß der Arzt mit Dingen in Berührung kommt, die andern Reisenden leichter entgehen. Darf ich mir ein Urtheil zutrauen, so läßt man sich auch in Lossin viel verschreiben, um wenig zu nehmen; man will die Aerzte aushorchen, um aus ihren Ansichten diejenigen zu wählen, die gleichsam am meisten schmeicheln, um nicht zu sagen — die Bequemlichkeit am wenigsten stören. Die alten Frauen zeigten ungemein viel Lebhaftigkeit in der Rede, wie im Benehmen; ich hörte nicht den leisesten Ton der Klage. Die Sprache legte dem Krankenexamen einige Hindernisse in den Weg. Da ich mich im Italienischen nur mit vieler Mühe ausgedrückt haben würde, so begleitete mich der Kapitän, und übersetzte meine in französischer Sprache gestellten Fragen ins Italienische, und bei einer Magd mußte dieses dann erst noch ins Kroatische übertragen werden, weil der Hauptmann von seiner Landessprache zu wenig verstand.

Ein alter Schiffseigenthümer, der an einem Lippenkrebse litt, kam zu mir an Bord, um ärztliche Hülfe zu suchen. Ich hielt deßwegen mit dem achtungswerthen Dr. Boselli, welcher in Lossin piccolo niedergelassen ist, eine Konsultation. Es wurde diese am Borde gepflogen, weil ich wegen der Ruhr nicht ausging, die mich seit zwei Tagen plagte.

Den 14. Herbstmonat.

Dem Eigenthümer des Schiffes, einem reichen Manne, machte es Vergnügen, den Giusto in dem Hafen zu sehen, und so konnten wir einmal wegen dieses fatalen Vergnügens nicht weg. Doch heute war es ihm selbst daran gelegen, daß die Abreise nicht länger verzögert werde. Indessen hatten unglücklicher Weise der Herr Marco und der Himmel ungleiche Launen. Man wollte die Brigg aus dem engen Hafen herausbugsiren; allein der Wind blies so widerlich, daß man den Versuch aufgeben mußte.

Mittlerweile umgab uns Gesellschaft. Der Vater des Kapitäns nebst seiner Gattin und einer hübschen Anzahl Kinder waren am Borde — im Abschiedsgeleite und auf dem Wege zum Landgute. Mich freute es, dießmal die Familie in alltäglichem Putze zu sehen. Der Podestà, ein ziemlich betagter Mann, mit kahlem Kopfe, von fettem Leibe, trug eine hinten breit abgeschnittene Jacke, an der hie und da die Naht von einander gähnte; die schwarze Weste war mit hellbraunem Tabake übersäet; die Schuhe roth, ordentlich schuppig, ein langes Register von Lobsprüchen auf den Schuhflicker. Der gute Mann war stets aufgeräumt; die alltäglichste Frage pflegte er zu deklamiren; er plünderte gerne Stellen aus französischen Schriften, besonders aus Rousseau, welcher so unbarmherzig die Geißel über die Aerzte schwang. Der französischen Sprache keineswegs fremde, überwarf er sich leicht in der Aussprache; z. B. but statt bü (but). Sogar mit lateinischen Brocken sättigte er zuweilen das Gespräche. Auf dem geschichtlichen Felde spielte er am liebsten und beßten. Auf echt italienisch erzählte er, daß Lossin, die Absorus der Alten, früher bevölkert worden sei, als Rom. Die Italiener führen den Adel auf ihre Urväter zurück, wie die wirklichen Adelichen auf den Wipfel ihres hohen Stammbaumes hinauf. So lange die heutigen Italiener nicht mehr leisten, erscheint ihr Adel possirlich genug. Madame, eine Frau von Geist und sehr eingezogenem, stillem Karakter, übernahm die Rolle als Kranke. Während des Mittagmahles setzten ihr die Bewegungen des Schiffes so zu, daß ich nicht eilig genug mein Felleisen öffnen, und ein Fläschchen herausziehen konnte. Die verheirathete Tochter, eine fette, große Gestalt, mit der Adlernase, mit Haaren, deren Farbe am wenigsten gefällt, von Ansehen überaus gutmüthig, in der Rede äußerst nachläßig, schien das größte Wohlgefallen am Lachen zu finden, auf daß sie ihre blendend weißen Zähne weisen könne. Es fiel mir auf, daß die Kinder ihren Vater Signore und ihre Mutter Signora titulirten. Uebrigens will der Titel mit größerem Recht einen Platz, wenn man Jemandem Herr sagt, der mehr oder weniger über Einen herrscht, als einem Andern, dessen Herrschaft man sich gelindestens verbitten würde.

Hatte der Herr Podestà sich satt gegessen, wozu, als zu einem Lieblingsthema, er sich recht Zeit nahm, so suchten wir Unterhaltung im Spiele. Ich konnte ihm die entzückenden Lorbeeren des Gewinnes leicht gönnen, weil ich das Damenspiel auf italienische Weise erst lernen mußte. Mit den Damen wechselten noch das Karten- und Dominospiel.

Ich vernahm, daß die ganze Familie, mit Ausnahme der verheiratheten Tochter, die Nacht am Borde zubringen werde. Das wird wunderlich hergehen, dachte ich bei mir selbst. Doch schickte sich die Sache ziemlich gut. Matratzen wurden auf den Boden ausgebreitet, und nach langem Aufbleiben legte sich Alles bunt darauf, der Dorfschulze, versteht sich, am breitesten, Cesare und ich steckten uns ohne Komplimente in unsere Bettkasten (cuccietta).

Den 16. Herbstmonat.

Gestern wurden vergebens Versuche gemacht, um die offene See zu erreichen. Die Familie blieb am Borde, essend, trinkend, gähnend, schlafend, strickend, spielend, plaudernd, ganz wie den Tag vorher.

In aller Frühe hörte man Lärm auf dem Verdecke. Man bereitete sich vor, das Schiff flott zu machen. Am Eingange des Hafens scheiterten wieder alle Versuche, den Giusto weiter zu bugsiren. Unter einem azurblauen Himmel, der von keiner Wolke getrübt war, durften wir wieder liegen bleiben. — Alles in majorem gloriam einer Laune.

Es war Mittag, der Tisch gedeckt, das Mahl bereitet. Der Scrivano kam zu melden, daß ein wenig Windstille eingetreten sei, welche die Ausfahrt erlauben dürfte. Sogleich Lärmen und Laufen. Endlich gelang die Zangengeburt. Neun Tage mußten wir uns in dem Hafen von Lossin grande aufhalten. Bei der Ausfahrt pikirte mich eine alte Figur von neunzig Jahren. Es war ein etwas lumpig gekleideter, ehrwürdig aussehender Chorherr, der in einem Kahne herumfischte. So muß die Uebermenge Priester hier ihr Brot verdienen.

Bald erhielt unser Podestà einen Besuch am Borde von seinem Stellvertreter. Ich möchte wohl um keinen Preis dessen Kupfernase gekauft haben, aus lauter Besorgniß für einen Trinker, Notabene für keinen Wassertrinker, gehalten zu werden.

Abends verließ uns die Familie Budinich, welche sich auf ihr Landgut begab. Der Podestà drückte mir zwei Küsse auf den Mund, und der Anstand forderte von mir ein Gleiches. Nichts widersinniger, als daß die Männer sich küssen, und dabei die Bärte aneinander reiben. Mein Urtheil über diese Familie fällt mit Entschiedenheit günstig. Tugendhaftigkeit, Religiosität, die von Bigottismus weit abliegt, hinderten jedoch keinesweges, daß mehr Ordnungsliebe noch eine äußere Zierde wäre. Unsere Matrosen ruderten, vom Kapitän begleitet, die Gäste ans Land, und nach anderthalb Stunden setzten wir unsere Seereise fort. Diesen Tag ergötzten mich zwei Delphine, die drollig davon schwammen.

Den 17.

Links endete der Gebirgszug von Kroazien. Dort in der Nähe liegt Sarah. Südwestlich erblickten wir den Berg von Ankona, dem wir, vom Sirocco genöthiget, uns immer mehr näherten. Der Wind nahm Abends so zu, daß es stürmte.

Den 18.

Diese Nacht brauste der Meeressturm, welcher uns zur Rückkehr zwang. Die Wuth des Meeres vergönnte mir keinen Schlaf, und ich mußte mich selbst in der Cuccietta halten, um nicht von einer Seite auf die andere geworfen zu werden. In der Kajüte purzelte bald dieses, bald anderes Geräthe. Des Morgens wollte ich auch Zeuge des Schauspieles sein. Ich möchte es nicht beschreiben, weil es zu gewöhnlich ist, und beinahe in alle Schilderungen von Seereisen, manchmal selbst da, wohin es im Ernste nicht gehört, als Würze eingestreut wird. Auf dem Verdecke fragte mich der Hauptmann: Wie gefällt es Ihnen? Das ist sehr schön, antwortete ich, hingerissen vom Anblicke. Doch die angenehmen Momente dauerten nicht lange. Auf die Einladung des Hauptmanns ließ ich mich am Steuerborde nieder, im tröstlichen Glauben, daß ich von diesem, wie von einer Brustwehr, geschützt würde. Kaum war ich recht festgesessen, als eine Welle über Bord schlug, mich zudeckte und durch und durchnäßte. Ich legte mich zu Bette um darin das Ende der Szene zu erwarten.

Kurz nach Mittag warfen wir im Hafen San Pietro di Nembo Anker, wo wir schon gestern Abends vorbeigesegelt waren. Unangenehme Gefühle bemächtigten sich meiner, weil das Schicksal mir nicht besser zum Vorwärtskommen dienen wollte.

Den 19.

Wir begaben uns zur Kirche von San Pietro di Nembo. Ohne Thurm, ungemein ärmlich und klein ist sie. Unter einem Dache vereinigen sich brüderlich das Wirths- und Pfarrhaus. Dieses nämlich stellt eine Kammer im obern Stocke vor. Cesare und ich besuchten den Pfarrer. Ein fetter Herr mit einer Perrücke, wußte er über sein Elend viel zu klagen. Er beseufzete sein Schicksal das ihn der Carità unterwerfe. Es sei nicht zu unserer Ehre gesagt, daß die Börse dabei nicht das mindeste Mitleid empfand. Lateinisch verstand der Mann Gottes nicht; höchstens mag ihm das Latein bei der Messe verständlich sein. Auf meine Frage: Quomodo nominatur haec insula? erwiederte er: Ego sum parocho hic. Dieser Mann kann sich, wie der Anschein lehrt, in einer Gemeinde, die nur etwas mehr denn zweihundert Seelen zählt, fett essen.

Ich rede mit meinen Lesern wohl ab. Es ist ebensosehr meinen Ansichten, als meinen Neigungen entgegen, konfessionistische Plänkeleien zu eröffnen. Ich ehre die katholische Religion, aber nicht alle ihre Bekenner, nicht alle ihre Priester. Ich habe es mit Personen zu thun, aber nicht mit der Dogmatik. So sehr ich dem Zartgefühl gegen Andersdenkende und Andersgläubige Rechnung trage, so wenig nehme ich Anstand, ein freies Wort über Personen, ohne Unterschied ihres Glaubensbekenntnisses, zu führen.

Nachmittags besuchte ich die Wohnungen auf der südlich gelegenen Insel San Pietro di Nembo. Dieses Eiland ist im Allgemeinen sehr gedeihlich, und dem größten Theile nach ein Weingarten köstlich schmeckender Trauben. Die Feigen wachsen üppig neben den Oliven. Würde der Bischof in Veglia, Giovanni Antonio, welchem das Eiland angehört, diesem mehr Aufmerksamkeit zulenken, es müßte beinahe zu einem Paradiese erblühen.

Die Wohnungen theilen mit dem Lande nicht das gleiche Lob. Wie die ungarischen, in die Länge gebaut, haben sie nur ein Erdgeschoß; den Kamin trifft man zur Seltenheit, und seine Stelle vertritt die Thüre oder eine Queröffnung im Dache. Nicht minder selten sind die Fenster; ich sah nicht ein einziges. Des Sommers tritt genug Licht durch die Thüre, und wenn, was selten, im Winter die Kälte es nicht erlaubt, die Thüre offen zu halten, so macht man auf dem Herde ein Feuer an, und umlagert dieses, sich zu wärmen. Ich erinnere mich, des Sommers auf Schweizerbergen mich aufgehalten zu haben, da es schneite, und da es nicht weniger kalt war, als es in San Pietro di Nembo mitten im Winter sein dürfte. Ich litt auf dem Berge von der Kälte sehr wenig. Ich setzte mich ans Feuer, oder legte mich ins Bett, wie auch die Hirten zu thun pflegen. Die Häuser von San Pietro di Nembo sind von Stein gebaut und mit Hohlziegeln gedeckt. Anstalten für Bedürfnisse, die ich nicht weiter bezeichne, nahm ich nicht wahr. Das Feld sei ja thätig genug, mögen die Leute denken, indem sie die Reinlichkeit zu niedrig anschlagen. Man suche in San Pietro keine eigentliche Backhäuser. Als ich einem Haufen Steine begegnete, schaute ich hinein, und siehe, es war ein Backofen mit kleinen Broten angefüllt; er mußte wohl zu dem etwas weiter unten stehenden Häuschen gehören. Besonders zog meine Aufmerksamkeit ein Haus auf sich, dessen Mauern bloß aus übereinandergelegten Steinen bestanden, ohne daß sie mit Mörtel verbunden gewesen waren. Ich ging mit buona sera hinein, und fand zwar, daß das Innere der Mauern übermörtelt war. Wer aber hätte hier einen Keller, eine Kammer, eine Küche, eine Stube, eine Mühle gesucht? — Um das Maß der Wirthschaft zu füllen, gleich außen an der Mauer fand sich ein Backofen. Die Gesetze sind gegen die Winzer nachsichtig. Jedes Häuschen verkauft sein eigen Gewächs, und so besteht das Dörfchen aus lauter Schenkhäusern.

Die Bewohner, nicht ausgezeichnet groß, nicht schön, sind meist von heller Farbe. Uebrigens sehen sie lebhaft und fröhlich aus. Zwei Weibspersonen fanden gar großes Vergnügen, mit den Füßen im Meere, den Saum ihrer Röcke, die sie trugen, zu waschen, und ihr schallendes Gelächter bei diesem Geschäfte konnte sogar mich ergötzen. Was die Leute indeß auszeichnet, ist die Unreinlichkeit und Lumpigkeit. Es ging ein Weib vor mir her, an dem ich nichts unbegreiflicher fand, als daß es einen Rock trug; denn dieser war so in aller Aufrichtigkeit voller Löcher, daß — —. Ich sah größere Kinder, die halb entblößt umher gingen. Wegen des Schmutzes konnte man an vielen Kleidern, und unter den Kindern an vielen Gesichtern die Farbe nicht gehörig erkennen. Nur das Auge sah man rein, schön, unschuldig; wäre es aber möglich gewesen, auch dieses zu verunreinigen, man würde es sonder Zweifel gethan haben.

Von diesen unzierlichen Leuten kommt ein guter Wein in den Handel. Es war eben die Weinlese vorüber, als ich das Eiland besuchte, und mich belustigte die einfache Bereitung des Nektars. Ein Böttcher hämmert in dem dunkeln Häuschen die Fässer zurecht, und ein Mann steht im Fasse, um Trauben herauszuschöpfen. Man wird da nichts weiter sehen; man gehe nur gleich auf die Seite des Häuschens. Da zertritt und zerdrückt ein Mann, im Freien tanzend, die Trauben. Sie stehen über einem Brete, in einem hölzernen walzenförmigen Käfiche. Wenn der Treter darin keinen Saft mehr auszupressen vermag, so wird derselbe weggehoben; der Treber mit einem dicken Seile schneckenartig umwunden, und dann, einen Deckel darüber, gekeltert. Wo man hinblickte, überall Weinfässer. Hier, wo die Einfachheit ihren Sitz aufschlug, hat doch der Bauer seine Fässer voll Wein, und würzt damit täglich seine Gerichte; hier, wo Unzierlichkeiten allen Anstand auslachen, findet man wohl noch einen Mörser oder eine Bank von Marmor. Doch allenthalben wenigstens einiger Kontrast!

Ich wollte die Schafmilch kosten; allein die Schafe werden bloß im Frühjahre gemolken.

Es gibt Leute, welche die Schulen mit schelen Augen ansehen. Sie werden sich freuen, daß die San-Pietrianer einer Schule entbehren. Der Bischof gehört nicht zu manchen edeln Bischöfen der katholischen Kirche, die es sich zur Gewissenssache machen, für die Geistesbildung und Herzensveredlung alle Sorge zu tragen.

Sonntags, den 20. Herbstmonat.

Der Nordwind stellte endlich sich ein. Wir lichteten die Anker. Allein um den Kapitän abzuholen, mußten wir rückwärts steuern, in kräftigem Kampfe gegen denjenigen, der uns für die Fahrt nach Alexandrien nicht mehr Gunst hätte erweisen können. Der Kapitän ließ uns zudem beinahe ans Ufer segeln, und damit Alles ja recht langsam und zeremoniös hergehe, sich von seiner ganzen Familie bis an Bord begleiten. Durch die Schuld des Hauptmanns verloren wir fünf der günstigsten Stunden. Dießmal wich von mir die Geduld, und auf meiner ganzen bisherigen Reise hatte ich keine trübern Augenblicke. Ich lasse mir die Geduld gerne gefallen, wenn ein ungünstiger Wind, dem kein Mensch den Lauf befiehlt, die Fahrt hemmt; wo aber diese rein vom menschlichen Willen abhängt, erscheint die Sache in einem andern Lichte. Es wäre Pflicht des Kapitäns gewesen, an Bord zu bleiben, und er hätte beherzigen sollen, daß, nachdem bereits fünfzehn Tage auf der kleinen Reise von Triest nach Lossin verstrichen waren, jeder günstige Augenblick für den Reisenden ein goldener sein mußte. Ich kann diejenigen, welche von Triest aus das adriatische Meer in seiner Länge befahren, nicht genug warnen, daß sie sich einem Kapitän von Lossin grande anvertrauen, darum schon, weil es sehr schwer hält, bisweilen gar unmöglich ist, aus dem Hafen zu dringen, selbst beim günstigsten Winde.

Links sah ich die Isola grossa, welche Dalmatien angehört.

Den 21.

Bei der Isola grossa vorbei; die Eiländer San Andrea und Lissa.

Den 22.

Windstille und schönes Wetter.

Den 23.

Vor dem Winde. Meist sah ich nichts, als Himmel und Wasser. Es ist fürwahr ein eigener Anblick. Das Meer bildet eine Scheibe, dessen Mittelpunkt das Schiff ist. Der Himmel wölbt sich wie ein Deckel über die Wasserscheibe. Das ist nun freilich Alles, was man sieht.

Der Abend war ungemein lieblich und angenehm. Keine herbstliche Kühle, kein Nebel. Nach dem Untergange der Sonne schien der Horizont auf der Abendseite lange wie glühend. Als ich mich zu Bette legte, fühlte ich ungefähr die nämliche Wärme, wie bei uns mitten im Sommer.

Den 24.

Albaniens Gebirge unterbrachen das Einerlei von Himmel und Wasser. Eine frohe Stimmung entströmte dem Gedanken, daß ich schon einen Theil der Türkei erblicke. Bisher sah ich keine andere, als christliche Länder. Auf einmal drängten sich in meiner Phantasie die eigenen Religionsgebräuche, die Moscheen, der Halbmond, der Turban vor. Begreiflich wurde meine Sehnsucht nur um so reger, einmal das Land der Mohammetaner zu betreten. — Bis Abend waren wir so weit vorgerückt, daß auch die Küste von Italien, gegen Otranto hin, als ein schmaler, unansehnlicher Streifen dem Auge sich darstellte, indeß das türkische Gebirge, der Monte della Pegola (Pechberg, weil dort Schiffspech ausgebeutet wird), nunmehr sich in die Ferne verbarg.

Ich bestätige die Erfahrung manches Reisenden, daß man mit den natürlichsten Fragen die Seemänner leicht in Unmuth bringt. Als ich dem Kapitän einen konditionellen Satz über den Wind mittheilte, brummte er beinahe kopfschüttelnd: Wenn sagt alle Welt. Er schimpfte früher auf die Trockenheit der Engländer, und ich ergriff diesen Anlaß, ihm zu erwiedern: Es wäre mehr, als englische Trockenheit, wenn man sich der Wenn fürder enthalten wollte. Ich überzeugte mich, daß ich anderwärts einlenken müsse. Meine Neugierde fand Mittel. Theils waren die Matrosen mittheilender, wenn ich den Namen eines Landes, das ich eben erblickte, erfragen wollte, theils sah’ ich dem Tagebuchhalter (scrivano) nach, wenn er täglich den Standpunkt in Bezug auf geographische Länge und Breite; wenn er die Richtung, welche der Wind und das Schiff nahm, wenn er den stündlich zurückgelegten, in Seemeilen ausgedrückten Weg in das Buch eintrug. Was wollte ich mehr? Denn durch die Güte des Kapitäns stand mir doch die hydrographische Karte und der Teleskop zu Gebote, daß im Grunde nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Nur das Gespräch ging ab, und wollte ich es erzwingen, mußte ich meine Seele in zwei Theile spalten, damit wenigstens meine Seelenhälften mit einander plaudern können. Die Zukunft entzifferte der Kapitän in der That nicht viel besser, als ich und unsere Wetterpropheten, welche auf ein Jahr in den Himmel hineingucken, um die Kalender zu schreiben.

Schon früher verlangte mich, die Apotheke des Kapitäns zu sehen. Nun keine erwünschtere Gelegenheit, als heute. Der Kapitän benutzte die Anwesenheit des Pharmazisten, um mit ihm die Arzneien durchzugehen, ob sie noch brauchbar und ob sie richtig angeschrieben seien oder nicht. Ich hätte meine Ohren zustopfen mögen, so sehr wurde gequacksalbert und in den Markt geschrieen. Auch in der Arzneikiste des Kapitäns spielt le Roi, und ich vergesse nie den Fanatismus, mit dem ein Deutscher in Triest für diesen Arzt sprach, ihn den einzigen wahren Heilkünstler nannte, und ihn als Heiland der Medizin nicht genug preisen konnte. Ich glaubte, die Geschichte könnte uns vor Thorheiten solcher Art schützen; aber nein, immer kehren sie zurück, und selbst in unserm zu oft aufgeklärt genannten Jahrhunderte, nistet der tollste Unsinn, nicht etwa bloß in den untern, sondern auch in den höhern Kreisen der menschlichen Gesellschaft.

Vor Mitternacht noch verließen wir das adriatische Meer. Es endet auf der türkischen Seite in Valona, und in Otranto auf der italienischen Küste.

Den 25.

Immer guter Wind. Wir waren so fern, daß ich von der Insel Korfu (Corcyra) das Gebirge undeutlich erblicken konnte. Ich sah heute zum ersten Male das mittelländische, oder, wenn man näher will, das jonische Meer; aber Wasser ist Wasser. Abends die Luft so warm, als an unsern Sommerabenden. Ich durfte, bei offener Kajüte, mich nur mit einem Leintuche bedecken.

Den 26.

Ich erblickte in der Ferne Santa Maura (Leucadia), etwas näher Cephalonien (Cephallenia) und südöstlich das Eiland Zante (Zacynthus). Cephalonien lag deutlich vor den Blicken. Wie blau gefärbt erhoben sich die Berge im Süden. Abends gab die hinuntersinkende Sonne diesem Eilande ein besonders malerisches Aussehen. Jedes Uebel hat wieder sein Gutes. Wäre mir nicht der köstliche Ausblick entzogen worden, wenn guter Wind unsere Segel geschwellt hätte?

Sonntags, den 27. Herbstmonat.

Cephalonien stellte sich in den Hintergrund; dafür breitete Zante sich immer mehr aus. Neben vielen Einkerbungen des Landes unterschied ich Wohnungen der Zanteser. Ausgezeichnet schön konnte ich die mir zugewendete Seite der Insel nicht finden.

Endlich tauchte aus dem Meere ein Theil vom griechischen Festlande, der Peloponnes der Alten, das heutige Morea. Gefühle der Bewunderung für die alten Griechen, waren die ersten, die mich ergriffen. Der Bewunderung folgte dann Freude, daß ich so glücklich war, einen Theil ihres Landes zu sehen. Ach, als ich die Feldherren des Kornelius Nepos las, deren Beschreibung mein junges Gemüth so lebhaft anzog, wie hätte ich damals glauben dürfen, daß mein Auge es erreiche? So ungefähr dachte ich beim Anblicke der griechischen Halbinsel.

Abends erkannte man das Licht des Leuchtthurms auf der Insel Stanfagni. Hier soll auch ein griechisches Kloster stehen.

Den 28.

Heftiger Gegenwind, der üble Sirocco hielt mich den ganzen Tag gefangen im Bette. Wir mußten laviren.

Den 29.

Zum Glücke wieder Abendwind, daß die Wellen sich aufbäumten. Er blies uns hübsch weiter.

Für das Auge nur Himmel und Meer.

Abends lief ein Schiff in unsere Nähe. Die Flaggen wurden beiderseits aufgezogen. Durch ein kurzes Sprachrohr ward zu einander gesprochen. Aus den Fragen ergab sich, daß der Hauptmann, mit Reisenden am Borde, von Alexandrien den Weg nach Marseille nehme, und daß in Alexandrien Pest und Cholera herrschen. Diese Nachricht schlug meinen Reisegefährten Cesare ganz nieder, weil er keine Rezepte für die Cholera mitgebracht habe. Der Kapitän seufzte aus Besorgniß, daß die Schiffsladung schwer halten werde. Hat doch ein Jeglicher seinen Grund. Es ist etwas Angenehmes, auf der Wasserwüste Leuten zu begegnen. Der entzückende Abend bewog uns, auf dem Verdecke zu speisen.

Den 30.

Heute fühlte ich zum ersten Male so völlig, daß ich unter einem ganz andern, dem schönsten blauen, aber heißen Himmel lebe. Von der Hitze litt ich zwar nicht, weil ich den Schatten sorgfältig aufsuchte. Schon waren wir über den 36ten Grad nördlicher Breite hinausgerückt.

Den 1. Weinmonat.

Schöne Witterung fuhr fort. Morgens schon erspähete ich einen Gebirgsstreifen von Kandien, welcher über Wolken oder Nebel emporragte. Bescheiden trat die winzige Insel Gozzo auf. Wir wurden bisweilen von Schwalben besucht.

Den 2.

Windstille. Heerrauch, so daß man nicht immer Kreta (Kandien) erblickte. Das Farbenspiel beim Untergange der Sonne gewährte ein herrliches Schauspiel. Westwärts bis zum Schiffe schien das Meer in flüssiges Gold verwandelt. Der Spiegel war glatt, außer den sanften langsamen Wallungen. Das Wasser zeigte sich so liebsam, als lüde es ein, mit ihm den Abschied der Sonne zu verherrlichen. Doch unter dieser gefälligen Schminke grausiger Abgrund. Die Sonne selbst, wie glühendes Erz, goß eine helle, lodernde Säule in das Meer — uns zu. Als die Spanier nach Amerikas Schätzen dürsteten, konnten sie das Gold nicht schöner, nicht reizender sich vorstellen, als es mir vor Augen schwebte.

Den 3.

Windstille. Mittags erhob sich ein leiser Wind, und die Focklee-, so wie die Vormarsleesegel rechterseits bekamen Pausbacken. Indeß stand die Kandia immer noch nahe, und Abends zeigte sich der weitherumschauende Idaberg in seiner ganzen Pracht.

Sonntags den 4. Weinmonat.

Ein wenig Wind. Das schönste Wetter, so warm und so heiter, als in unsern Heumonaten. Der Gedanke erfüllte mich sehr oft mit Freude, daß ich die sommerlichste Witterung genieße, während es zu gleicher Zeit bei uns kalte Morgen und Abende, unfreundlichen Regen und Nebel gebe. Das Land war entschwunden aus dem Gesichtskreise.

Den 5.

Schöne Witterung; wenig Wind. Abends spannte mich die lange Weile so recht auf die Folterbank; doch unberechnete Umstände können sie oft schnell verscheuchen. So flog eine Schwalbe daher, müde, schläfrig und so kirre, daß ich sie schmeichelnd streicheln konnte, zu meiner innigsten Freude. Endlich fing ich sie ohne Mühe mit der Hand. Die Philosophie wappnete und wehrte sich vergebens gegen die Langeweile, und ein kleiner Vogel machte allen Kampf der erstern zu Schanden.

Den 6.

Zum ersten Male waren wir überall vom Nebel eingeschlossen, doch nur auf sehr kurze Dauer. Was hat ein Haus auf dem Lande zu rühmen, wenn Nebel es umgibt? Man sieht Haus und — Nebel; hier sehe ich Schiff und Nebel, und doch noch zur Unterhaltung das frohe Spiel des Windes an den Segeln — — —.

Endlich fing Mittags an ein frischer Nordwest zu blasen, der unser Schiff beflügelte.

Seit zwei Tagen steuerte ein Schiff hinter uns. Wir waren 200 Seemeilen von Alexandrien entfernt, als es die Flagge aufsteckte, zum Zeichen, daß es der Hülfe bedürfe. Das Nothzeichen besteht darin, daß die große Flagge gehißt und in die Quere zusammengezogen wird. Wir segelten dem Schiffe, das wir früher für ein griechisches hielten, sogleich entgegen und bald bekamen wir es in die Schußweite. Welch ein Anblick für mich. Die Flagge ganz roth; am Borde Barbaresken, welche nach Mekka zu wallfahrten vorhatten. Der Kapitän, ein Alexandriner, mit seinem schwarzen Gesichte, dem Turban und den Pluderhosen war ein gar rühriges, lebhaftes Wesen. Ein Matrose mit einem türkischen Bunde bestieg behende die Strickleiter. Unser Schiffshauptmann entsandte jenem auf italienisch den Gruß: Guten Abend. Er wurde von dem alexandrinischen Kapitän in der gleichen Sprache erwiedert. Was verlangen Sie? fragte unser Hauptmann. Er versetzte, daß er Mangel an Wasser bekommen werde, und wenn solches unter den Pilgern ruchbar würde, eine Empörung im Schiffe zu besorgen stände. Unser Hauptmann fragte ihn weiter, ob er keine Krankheit am Borde hätte? Nein, antwortete er, es ist Alles sauber. Budinich versprach ihm Wasser, doch wolle er Windstille abwarten, weil sonst die Fahrt zu viel einbüßen müßte. Um zu beurtheilen, mit wie viel nautischen Kenntnissen der arabische Seemann ausgerüstet ist, genügt einzig noch zu wissen, daß der Reis (Kapitän) die Frage stellte, wie weit es bis Alexandrien wäre? Als er dann die Entfernung erfuhr, erschien er hoch erfreut, und fügte hinzu, daß wir morgen in Alexandrien einträfen. Der Auftritt ergötzte mich ungemein. Ich besah mit bewaffnetem Auge die hingehockten Hadschi (Pilger) in die Runde. Unser Kapitän hatte keinen Gedanken an einen Streifer (Korsar). Ich wußte es nicht, und vertraute dem Hauptmann und — unsern Kanonen.

Den 7.

Vor gutem Winde. Obschon unsere Brigg nicht der beßte Segler war, blieb das egyptische Fahrzeug dennoch zurück, so daß wir es ganz aus den Augen verloren. Unter solchen Umständen wäre es überaus schmerzlich gewesen, einige Segel einzuziehen, bis der Araber uns eingeholt haben würde. Was werden aber die ohne Hilfe zurückgebliebenen Mohammetaner von der christlichen Liebe denken? Als es gestern hieß, daß ein Schiff auf der weiten, hohen See Hilfe begehre, so entzückte mich der Gedanke, daß man selbst auf diesem treulosen Elemente nicht ganz verlassen sei, und ich sagte zum Hauptmann, es sei Christenpflicht, Andern in der Noth zu helfen. Nein, entgegnete er, es sei moralische Pflicht. Noch besser. Denn wenn es bloß Christenpflicht wäre, dem Nebenmenschen beizustehen, was wollten die Mohammetaner, nothleidenden Christen gegenüber, thun, jene Andersgläubigen, welche die christliche Pflicht als solche nicht kennen? Es muß also eine allgemeinere, als bloße Christenpflicht geben. Es ist Menschenpflicht, Andern in der bedrängten Lage hilfreiche Hand zu reichen.

Nun ein weiteres Wort über meinen Hauptmann und den Gefährten Cesare. Jenem macht die Gutmüthigkeit Ehre, die Launenhaftigkeit Mühe, das jugendliche Alter Belehrung fühlbar. Der Pharmazist, eine lange, hagere Gestalt mit glänzend schwarzen Haaren, mit einer schmalen, kurzen Stirne, einer vollen Baßstimme, ist ein seltenes Muster von einem rechthaberischen, anmaßenden Menschen. Selbst über arzneiwissenschaftliche Dinge mußte ich ihm Recht lassen, nur um unangenehme Auftritte zu vermeiden. Qualvoller kann man sich die Lage eines Arztes kaum denken, als die meinige war. Wo nur etwas Weniges haperte, war Cesare mit Arzneien, z. B. mit einem Abführmittel, bereit. Er zeigte sich unerschöpflich, dem Hauptmann Rezepte zu diktiren. Ich schwieg, weil ich zu gut einsah, daß die Quacksalberei ihr Hauptlager hier aufgeschlagen hatte. Von solchen Querköpfen als Arzt anerkannt zu werden, konnte mich nicht begierig machen. Betrübend und ergötzlich war es zu gleicher Zeit für mich, wahrzunehmen, daß die Quacksalberei im Ganzen wenig Segen hatte. Der Kapitän befand sich erst besser, als er auf das Einnehmen der Arzneien Verzicht that. Ich suchte ihm begreiflich zu machen, daß man der Natur mehr vertrauen müsse, und daß, bei fortwährendem Verschlucken von Arzneistoffen, bisweilen der Körper in einem Grade von Abhängigkeit sich daran gewöhne, wofern jene ihn nicht ganz zerrütten. Cesare selbst litt nicht am wenigsten, vielleicht nicht am unverdientesten. Um durch ein Beispiel anschaulich zu machen, was für seichte Gespräche mitunter geführt wurden, so zankten sich die Helden lange, indem Cesare behauptete, daß Egypten, so zu sagen, in Europa liege. Er las in dem Universo pittoresco, einem, aus dem Französischen ins Italienische übersetzten Werke, daß Egypten, zwischen Asien und Afrika, von den Geographen bald zu jenem, bald zu diesem Welttheile gezählt werde. Er faßte die Stelle unrichtig auf, und behauptete, daß es heiße, Egypten gehöre weder Asien, noch Afrika an. Nun schloß er, es müsse Europa zufallen. Cesare wandert nach Egypten, um sich Schätze zu sammeln. In wie weit ihn edle Gründe leiten, konnte ich nicht erschauen; so viel wurde mir klar, daß er ein überspannter Glücksritter war. Als er in der gleichen Schrift las, daß, nach Pariset, der Verbreitung der Pest durch Verbrennung der Leichen, wie vor Alters, ein Ziel gesetzt werden könne, gerieth er in gänzliche Wallung, und äußerte sich, daß man dieses Mittel ausführen sollte, ja ausführen müsse, weil er an die Untrüglichkeit schon glaubte. Je mehr dem Menschen an gründlichem Wissen gebricht, desto mehr läuft er Gefahr, eine Beute der Leichtgläubigkeit zu werden.

Seit einigen Nächten fühlte ich eine Plage, die ich früher nie kannte. Ich mag die neue Auflage lebendiger Pfennige nicht nennen.

Den 8. Weinmonat.

Diesen Morgen entdeckte der Hauptmann auf dem Mastkorbe Alexandrien. Ich fühlte keine besondere Freude bei der Mittheilung dieser Nachricht, einestheils, weil die Witterung in der letzten Zeit, seit mehr denn drei Wochen, die schönste war, die je mein Leben erheiterte, anderntheils, weil ich die Zeit recht leicht mit Lesen, Schreiben, z. B. mit Uebersetzen aus dem Italienischen, mit der Tagebuchhaltung, früher auch mit Spiel, hinbringen konnte, so daß mich nur wenige Stunden eigentliche Langeweile folterte, — dann auch, weil das Landen an einem Orte mit zwei Pestilenzen einige unangenehme Gefühle erregte, so sehr das Interesse der Wissenschaft die Resignazion vorbereiten mochte.

Daß ich ruhrkrank wurde, habe ich oben erwähnt. Es entging mir nicht, daß die Ruhr einen ernsthaftern Karakter hätte annehmen können. Ich hege die Ueberzeugung, daß ich die schnelle Wiederherstellung vorzüglich einer ganz geregelten Lebensart, namentlich dem Aufenthalte im Bette, verdanke. Bei den Worten, daß ich leide, rief Cesare aus: Corpo di Dio, er macht mit der ganzen Krankheit die Reise. Ein Matrose setzte kaltblütig hinzu: Er wird bald abreisen. Das war richtig der Fall, aber in einem andern Sinne. Ich konnte so ganz bequem zuhören. Ich widerlegte den falschen Propheten damit, daß ich mich mindestens bald eben so gut befand, als zu Hause.

Die Seekrankheit konnte mir so wenig etwas anhaben, als Cesare. Wenn die See hoch ging, bekamen wir höchstens einen schweren, schwindlichten Kopf, und die Eßlust verminderte sich, welche bei mir sonst sich sehr lebhaft ankündigte. Ich verzichtete auf ein einziges Nachtessen.

Die Beschwerden zur See entspringen unstreitig aus den unordentlichen Bewegungen des Schiffes. Der wärmere Wind trägt das Seinige bei, um dieselben zu vermehren; allein die sogenannte Seekrankheit hervorzubringen, wird er kaum vermögen. Ich sage mit Fleiß: unordentliche Bewegungen; denn die gleichmäßigen würden wenig zu bedeuten haben, und das Schaukeln bald hin und her, der Länge und Breite nach, bald auf- und abwärts, zumal das stoßweise, kommt in Anklagezustand. Das Schaukeln zur See läßt sich platterdings nicht mit dem Schaukeln zu Lande auf gleiche Linie stellen. Andere Beschwerden rühren offenbar vom übeln Geruche faulender Stoffe, z. B. des faulenden Wassers im Schiffsraume, her, einem Geruche, welcher um so stärker wird, je unordentlicher das Schiff bewegt wird. Ich hörte selbst den Hauptmann oft über die sentina klagen, welche ihm Kopfweh verursachte.

Man rühmt gegen die Seekrankheit Limonade, oder schwarzen Kaffee mit Zitronensaft, ohne Zucker. So lange die Ursache, das Schaukeln oder der üble Geruch, dauert, leisten wohl wenig Mittel viel. Essen, wenn man sogar vom Appetite nicht eingeladen wird, schadet nichts, es nützt eher, wie ich aus Erfahrung weiß. Wenn die Witterung es zuläßt, begibt man sich am beßten auf das Verdeck, und statt zu liegen oder zu sitzen, steht man, indem man trachtet, den Bewegungen des Schiffes auszuweichen, und den Körper in möglichst senkrechter Stellung zu erhalten. Zudem zügle man die Einbildungskraft. Wer sich in den Kopf setzt, daß er speien müsse, kann es leicht dahin bringen. Man erwägt zu wenig, welcher Menge von Uebeln die Selbstherrschaft vorbeugt.

Ich habe von der Seekrankheit der Thiere wenig gelesen. Sie werden zuversichtlich von derselben nichts Großes sich vorstellen. Daß den Thieren das Unglück zu Theil ward, keine Vernunft zu besitzen, genießen sie andererseits das Glück, sich nicht durch Vormalung einer unglücklichen Zukunft, mittelst der Vernunft, die Tage des Lebens zu beunruhigen. An unsern Thieren, den Kanarienvögeln, Katzen, Ratten, Hühnern, nahm man keine Störung durch den Aufenthalt auf dem Schiffe wahr. Man sieht — doch, daß wir in guter Gesellschaft lebten. Wir hatten gebetene und ungebetene Gäste.

Schon seit der Frühe sah ich das Wasser des Meeres rothgelblich, trüber. Es war mit dem Nilwasser getränkt. Es fing an von Schiffen und Vögeln belebter zu werden. Erst um neun Uhr ungefähr erblickte ich mit bewaffnetem Auge Alexandrien, nämlich den Palast des Pascha — freilich nur geometrische Linien, ein todtes, vom Meere auftauchendes Viereck im Sonnenglanze. Wir waren bloß noch zehn Seemeilen von Alexandrien.

Bald näherte sich die Küste, die rechts, ein röthlicher, wenig erhabener Sandhügel, sich gleichsam ins Meer verlor; Häuser, deren Umrisse undeutlich waren, erhoben sich immer zahlreicher; im Hintergrunde aber, wie auf einen Hügel gepflanzt, strebte die Pompejussäule und, ein wenig links, der Obelisk der Kleopatra empor. Alles schien eine Insel zu sein, und hatte so wenig Ungefälliges, daß man hätte glauben mögen, von Lido aus Venedig sich zu nähern.

Es fuhr ein Schiff in solcher Entfernung an uns vorüber, daß wir es beinahe hätten entern können; seine Flagge trug das Zeichen des Halbmondes. Alles überraschte mein Auge, ausgenommen das Schiff. Wir waren schon so weit vorgerückt, daß wir den Lothsen, das ist der Wegweiser für unser Schiff, erwarteten. Endlich wimmelte ein schwarzer Punkt, der fortan größer wurde, bis man die Ruderknechte unterscheiden konnte. Doch wurden sie bisweilen von einer Wellenwand fast ganz verborgen. Weil die Einfahrt wegen der Bänke gefährlich ist, so sind Lothsen unerläßlich. Schon hat der Lothse uns eingeholt. Wir fragten nach dem Gesundheitszustande. Es steht gut, antwortete er, weder Pest, noch Cholera. Das Gespräch wurde auf italienisch geführt. Der Araber, ein großer Mann von tiefbrauner Gesichtsfarbe, mit großer Bognase, schwarzem Barte, und von etwas stolzer Haltung, sprach fertig fränkisch, wie man das Gemisch von Italienischem und wenig Morgenländischem in der Levante nennt. Er saß auf dem spitzigen Hintertheile seiner Barke, so daß die Füße von den aufliegenden Oberschenkeln bedeckt waren. Mit einer Hand lenkte er das kleine Steuer wie im Zauber. Nachdem sein Kahn an das Schlepptau unserer Brigg genommen war, erhielt er das Kommando, und unser Kapitän durfte es nur wiederholen.

Bald flog ein anderer Kahn mit zwei lateinischen Segeln daher. Er war mit vielen Männern besetzt. Eine dicke Figur mit einem Schulzenbauche, einem langen Schnurrbarte und einer rothen Mütze, von deren Mitte eine große Troddel herunterschwabbelte, fiel mir am meisten auf, kaum aber die bedenkliche Hintansetzung der Etikette, daß er einen Fuß auf der Bank, den andern unten hatte. Beim Anlegen schlugen die Wellen hoch auf, und er runzelte, nicht gegen diese, sondern gegen die heiße Sonne die Stirne. Es war ein Polizeikommissär. Neben ihm stand ein junger Dolmetsche, der nach dem Namen des Kapitäns und des Schiffes, nach der Zahl der Passagiere, nach dem Orte der Abfahrt, der Dauer der Reise und nach der Befrachtung fragte. Er zog eine Bleifeder und ein vielfach in das Viereck zusammengelegtes Papier heraus, welches er auf den Handteller nahm, darauf etwas zu schreiben. Weil wir der Angabe des Lothsen über den Gesundheitszustand wenig Glauben beimaßen, so wurde die gleiche Frage wiederholt, und eben so befriedigend beantwortet. Schon stieß der lateinische Segler von hinnen. Wie eine eben sich öffnende Blüthenknospe erschloß sich die Freude sichtbar auf den Antlitzen unserer Leute. Cesare, welcher seit wenigen Tagen gegen mich den Stummen machte, bekam die Sprache auf einmal wieder. Nimmersatt am Sehen, so sehr reizte Alles meine Aufmerksamkeit, vergaß ich das Geschehene, und wir fanden den Faden der Mittheilung, — — durch die merkwürdigen Araber angeknüpft. Freude und Leid sind oft Bindemittel, indem vor ihrer mächtigen Erschütterung kleinere Erscheinungen auf dem Gebiete des Gemüths leichter und standloser als Flaum entfliehen.

Bald fuhr in einer andern Barke ein mit einem Hute bedeckter, wohlgekleideter Mann einher. Aehnliche Fragen wie früher. Noch ein Kahn mit einem hübschen Manne, der einen Hut trug, stieß gegen unser Fahrzeug. Dieser Herr erkundigte sich über den Gesundheitszustand. So weit bekümmern sich die Mohammetaner, oder doch Andere in ihrem Namen. Die Antwort lautete freilich sehr wohl. Unser Kapitän übergab sofort eine Ausweisschrift, welche nicht ohne Beobachtung der Gesundheitsvorschriften angenommen wurde. Der Steuermann des Gesundheitsbeamten hob nämlich auf einmal eine große, weißblechene, viereckige, offene Büchse empor, und in diese ließ unser Kapitän seine Schrift fallen. Der Gesundheitsbeamtete selbst ergriff mit einer Hand ein Stückchen Holz, mit der andern ein vorne abgerundetes Messer, das einen hölzernen Griff hatte, er wendete dann die zusammengelegte Schrift mit diesen Werkzeugen um, bis sie entfaltet vorlag. Nach Lesung der Schrift wurde die Strickleiter erstiegen, und auf der Stelle eröffnete sich freier Verkehr an unserm Borde. Es war, wie wenn man aus dem Regen in die Sonne tritt, wie wenn den eingesperrten Bienen im Korbe Luft gemacht wird. Ein Araber, der an einer Traubengeschwulst des Auges litt, erinnerte mich bei Zeiten an die egyptische Augenplage.

Aber schon sind wir im Hafen, und noch hoch am Tage, sinkt der Anker. Rechts von den Ruinen bewegen sich in langsamen Kreisen zierliche Windmühlen, dreißig bis vierzig an der Zahl; links preiset der stattliche Palast des Statthalters europäischen Geschmack; die Mitte der Schaubühne schließt ein Gesäe unansehnlicher Häuser hinter einem Walde von Masten. Man mußte von dem Gedanken durchdrungen werden, daß man in einem andern Welttheile athme, und sah man bloß ins Meer, so fragte man sich neugierig über das trübe, in der Sonne rothgelblich schillernde Wasser, worüber ein Schwarm Vögel flatterte.

Ich schickte mich an, ans Land zu gehen. Neben mir Kriegsschiffe, über deren Größe ich erstaunte; vorwärts wieder Halbmonde auf den Flaggen; dort eine Barke mit trommelnden Soldaten; hier guckt eine Europäerin aus der Kajüte heraus, und fragt nach Neuigkeiten; dort ein Morgenländer mit der Pfeife im Munde, hinter einer behaglich auf dem Schiffsrande hockenden, den Schweif um die Beine niedlich windenden Katze, und hinter dem Netze von Tauen; ein englisches Dampfboot; ein hellenisches Schiff, dessen Name mit großen griechischen Buchstaben geschrieben war; kurz, eine Menge Fahrzeuge, rechts und links, vorwärts und rückwärts, ein bewohntes Meer. Ich höre Musik, vom Lande her Lärm, als wäre ich einer Kirmes nahe. Hurtig stieg ich auf den breternen Steg, und wenig Schritte, ich war zu Land, auf Sand, in Afrika, in Egypten, in Alexandrien. Unbeschreibliche Freude erfüllte mein Gemüth. In Deo gratias ergoß sich beinahe unwillkürlich das Herz, — meine ersten Worte in Afrika. Die mir nächste Person auf dem Lande war linker Hand ein halb entblößter Mensch von ungefähr dreißig Jahren und schwarzbrauner Farbe. Er lag abwechselnd auf den Knien und warf sich auf den Staub nieder, faltete manchmal die Hände, verdrehte oft die Züge des Gesichtes. Das ist ein Verrückter, dachte ich, und wenn er es nicht ist, so verwendet er doch seine gesunde Vernunft zur Verrücktheit. Was soll ich sagen? Er verrichtete, nach dem Gesetze Mohammets, das dritte Gebet zwischen Sonnenhöhe und Sonnenuntergang (el-Asser); aber ich sehe ein, daß ich mit meinem verwerfenden Urtheile zurückhalten muß. Die religiöse Mimik will tiefer gewürdiget sein. Hat denn, frage ich, das Zusammenstrecken der zehn Finger bei den Protestanten mehr Bedeutung, als die Niederwerfung vor Gott bei den Morgenländern, oder das Niedersinken auf die Knie bei den römischen Katholiken?

Der alte Hafen ist jetzt den Europäern direkte geöffnet, und, außer den wiederholten Anfragen, deren gedacht ward, gibt es keinerlei Umstände, um in denselben zu gelangen. Wie vieles hat sich nun seit fünfzig Jahren umgestaltet. Das Traurigste aber ist, daß das türkische Regierungssystem auf keine sichere Grundlage sich stützt, da beinahe mit jeder neuen Besetzung eines Paschaliks (Statthalterschaft) eine neue, bald vor-, bald rückwärts schreitende Ordnung der Dinge eingeführt wird.

Ich miethete in der Stadt ein Zimmer, und begab mich wieder an Bord, an welchem ich die letzte Nacht hinbringen soll.

Ich konnte vor Freude über den jetzigen Aufenthalt den Schlaf kaum finden. Indessen bemerkte ich, daß es etwas kühler wurde, mein Kopf unbedeckt war, und die Frische, die ich an jenem fühlte, meinen Schlaf verhindere. Ich zog das Oberleintuch herauf und machte eine Kaputze. In wenig Minuten war ich eingenickt. Lärm weckte mich.

Den 9.

Schon in aller Frühe. Ich hörte zwar nicht mehr das Geklingel im Hintertheile des Schiffes und die antwortenden Glockenschläge über der Kajüte der Matrosen, zum Zeichen, wie lange das Geschäft des Ruderbesteurers dauere; ich hörte nicht mehr: Rende la guardia al timone, a che tocca la (terza); in dem Kastenbette hörte ich nicht mehr den Wellenschlag neben mir an der Wandung, oder das Kollern, oder bei günstiger Fahrt das Gezische, ähnlich demjenigen beim Pumpen des dicker gewordenen Rahms: aber das taktmäßige, weinerliche Rufen und Singen ganz eigener Art erklang noch, der Losungsruf der Matrosen, daß sie vereint und gleichzeitig große Kraft anwenden, z. B. um eine Last zu heben, aber das monotone, grelle Pfeifen der egyptischen Seetruppen tönte jetzt herüber. Wie ich den Matrosenruf zum ersten Male vernahm, machte er einen höchst unangenehmen Eindruck auf mich, welchen nur nach und nach die Gewohnheit mildern konnte. Unser ragazzo (Schiffsjunge), beinahe immer auf dem Meere, ohne viel Anderes singen zu hören, trillerte das Geleier der Matrosen zu seiner Ergötzung daher.

Endlich hieß es: eingepackt, und ich setzte Fuß ans Land, um mit meinem Gepäcke das Zimmer zu beziehen.

Ohne Tagesordnung bringe ich verschiedene Denkwürdigkeiten von Alexandrien.

Lustreise ins Morgenland (Titus Tobler) (Literarische Gedanken Edition)

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