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Kapitel 4

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Im Trüben fischen

Das folgende Wochenende war für Dustys Geschmack eindeutig zu chaotisch. Freitagmorgen musste er einige Stunden damit verbringen, in den „All Cocks“-Studios die Details für einen Dreh zu besprechen, der am Sonntag im Haus stattfinden sollte. Es war das erste Mal, seit David aus dem Koma erwacht war, dass Dusty ihn für einige Stunden alleinlassen musste. Zu seiner Erleichterung ging es David gut, als er am Nachmittag zurück ins Krankenhaus kam. Trotzdem war ihm unwohl bei dem Gedanken, ihn den ganzen Tag über sich selbst zu überlassen, als er am Sonntag im Haus in Mamaroneck arbeiten musste. Glücklicherweise bot Tristan an, einige Stunden mit David zu verbringen, um mit ihm daran zu arbeiten, sich an den Vorfall zu erinnern, der ihn ins Krankenhaus gebracht hatte. Bisher hatten die beiden über Davids Kindheit, sein katastrophales Coming-out und seine Erinnerungen bis kurz vor dem Vorfall gesprochen. Das Problem war nur, dass niemand sagen konnte, ob und was von seinen Erinnerungen wirklich richtig war.

»Wir fischen im Trüben, Dusty. Wir wissen nicht, ob das, was er uns erzählt, wirklich das ist, was passiert ist. Ich kann nichts weiter tun, als davon auszugehen und damit weiterzuarbeiten«, sagte Tristan nach seiner ersten Sitzung mit David zu ihm.

»Ich weiß nicht, wieso das eine Rolle spielt«, gab Dusty irritiert zurück.

»Es spielt eine Rolle, weil er möglicherweise aufgrund seines Schädel-Hirn-Traumas verschiedene Erinnerungen miteinander vermischt. Für die Therapie wäre es am besten, einen Freund oder ein Familienmitglied zu fragen, um seine Erinnerungen zu verifizieren. Ich habe allerdings noch eine andere Idee. Da er unterschrieben hat, dass ich sein Therapeut bin, kann ich mich jetzt an die Polizei wenden und nachfragen, ob sie Informationen haben, die sie herausgeben können. Dadurch wird sich kein komplettes Bild ergeben, aber so habe ich etwas, womit ich arbeiten kann«, erklärte Tristan.

Dusty war trotzdem immer noch unwohl bei der Sache, vor allem, weil er David versprochen hatte, bei ihm zu sein, wenn er mit Tristan sprach, aber er musste arbeiten. Er hatte sich unter dem Vorwand eines Notfalls in der Familie bereits um zwei Drehs herumgedrückt, für die er eingeplant gewesen war. Außerdem war der Dreh draußen in dem großen Haus für eine längere Szene, die um einiges aufwendiger sein würde. Das bedeutete auch, dass die Bezahlung besser war. Da er keine andere Möglichkeit hatte, erklärte Dusty David die Situation und entschuldigte sich dafür, nicht bei ihm sein zu können, wenn er mit Tristan sprach.

»Keine Angst, D, ich schaffe das schon.« David schenkte ihm ein Siegerlächeln, das Dusty beruhigte.

Außerdem würde es mir verdammt guttun, mal wieder flachgelegt zu werden.

Doch diesen Gedanken behielt Dusty für sich.

Das erste Mal nach einigen Wochen wieder in Vics Haus zu kommen, fühlte sich an, als wäre er über Weihnachten nach Hause gefahren, so als ob man seine Familie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte und die Geräusche und Gerüche von Heimat die Sinne vollkommen ausfüllten und man in Erinnerungen an Geburtstage, Ferien, Partys und gute Zeiten schwelgte. Es ließ Dusty aber auch an David denken und an die Erinnerungen, die er mit ihm und Tristan geteilt hatte. Sie waren bestenfalls belanglos gewesen, teilweise regelrecht abscheulich. Dusty wünschte sich nichts sehnlicher, als David neue Erinnerungen zu schenken; glückliche, in denen er von Menschen umgeben war, die ihn liebten. Aber das war schon in sich ein Paradoxon.

Seine Gefühle für den blonden, blauäugigen, misshandelten und verletzten jungen Mann hatten sich von einer gewissen Unsicherheit zu einem Beschützerinstinkt entwickelt und sich dann, als David schließlich aufgewacht war und sie sich kennenlernen konnten, in freundschaftliche Zuneigung verwandelt. Er würde lügen, wenn er behauptete, dass seine Faszination für David seitdem nicht noch weiter gewachsen war. Am liebsten hätte er sich geohrfeigt. Jemand, der mehr als sein Freund sein wollte, war das Letzte, was David brauchte, insbesondere jetzt.

»Dusty, hey!«, rief Mattie, stand von der Couch im Wohnzimmer auf, kam zu Dusty in die Küche und umarmte ihn. »Wo hast du dich so lange versteckt? Alles in Ordnung bei dir? Vic hat uns erzählt, dass du bei deinen letzten beiden Drehs ausgefallen bist. Was war denn bei dir los?«

Dusty lachte, schüttelte den Kopf und wartete kurz, um zu sehen, ob Mattie vorhatte, ihn mit noch mehr Fragen zu bombardieren. »Nirgendwo. Ja, und nichts. Ich musste mich einfach um ein paar private Sachen kümmern«, gab Dusty zurück und erwiderte Matties überschwängliche Umarmung.

»Ist das Dusty ich hören?«, rief Victor und tauchte kurz darauf am oberen Treppenabsatz auf.

»Ja, Boss«, rief Dusty zurück.

Victor stieg die Treppe hinab ins Wohnzimmer. Andrew folgte direkt hinter ihm. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Und ich freue mich, dass du heute gekommen bist.« Dusty wurde in eine Umarmung gezogen, die ihm die Luft aus den Lungen drückte. Für den großen, nachdenklichen Rumänen waren alle Models Teil seiner Familie und er behandelte sie auch so. Auf eine merkwürdige Art und Weise war es für Dusty, als würde sein Vater ihm eine Standpauke halten.

»Mom!«, rief er, schlang seine Arme um Andrews Hals und drückte ihn fest. Er jaulte auf und sprang zurück, als Andrew ihm einen harten Klaps auf den Hintern gab.

»Ich geb dir gleich Mom, du kleiner Scheißer. Jetzt beweg deinen Arsch nach oben und hilf mir, alles für den Dreh vorzubereiten. Chris und Linc kommen in etwa einer Stunde und wollen die Sache heute möglichst kurz halten«, rief Andrew über die Schulter, bereits auf halbem Weg zurück nach oben.

»Mit wem von beiden drehe ich heute?«, fragte Dusty.

»Mit beiden. Wir hatten seit Ewigkeiten keinen Dreier mehr, also dachte ich mir, das wäre doch was. Ist das für dich okay?« Andrew blieb so plötzlich stehen, dass Dusty beinahe in ihn hineingelaufen wäre.

Er dachte einen Augenblick lang nach. »Also, wenn es keine Double-Penetration-Szene ist, dann ja, das ist für mich okay. Ich lasse keine zwei Schwänze gleichzeitig in meinen Arsch, insbesondere nicht diese Monster.« Dusty lachte und folgte Andrew dann über den Flur zum Schlafzimmer mit dem Himmelbett und den Flügeltüren, das sie bei ihren Drehs hier im Haus immer nutzten.

***

Sechs Stunden später lag Dusty auf dem Rücken, atemlos und abgekämpft, aber befriedigt. Kris Alen und Linc Larsen hatten einige Stunden damit verbracht, ihn, Ashton Fox, auf jede erdenkliche Weise durchzunehmen: Über das Bett, den Stuhl und die Brüstung des Balkons gebeugt. Er hatte ausgestreckt und mit dem Bauch nach unten auf dem Bett gelegen, während sie versucht hatten, ihn durch die Matratze zu vögeln. Der Höhepunkt ihrer erotischen Experimente war gewesen, als Linc ihn an die Wand gedrückt und beinahe bis zur Besinnungslosigkeit gefickt hatte, während Kris versucht hatte, ihm das Hirn aus dem Schwanz zu saugen. Die Art, wie die beiden zusammengearbeitet hatten, war pure Perfektion gewesen.

Er zuckte zusammen, als Chris’ große Hand auf seinem Hintern landete. »Auf geht’s, ab unter die Dusche, Kumpel.«

»Kann ich nicht einfach hier liegen bleiben und das letzte Kribbeln von diesem verdammt fantastischen Orgasmus noch ein bisschen genießen, bevor sich es wieder abspüle?«, schmollte Dusty.

Chris und Linc lachten. »Na, wenn du meinst. Aber ich warne dich, dein Hintern ist mit einer dicken Schicht Sperma bedeckt, die langsam trocknet. Du solltest duschen, bevor du es mit einem Spachtel von dir abkratzen musst«, rief Chris, während er das Zimmer verließ.

Er war immer noch damit beschäftigt, Chris zu ignorieren, als Mattie hereinkam und etwas auf das Bett warf. »Dusty, hier, dein Handy. Das verdammte Ding hat die letzten Stunden wie verrückt geklingelt.«

Er setzte sich auf, griff nach dem Handy und aktivierte das Display. Er hatte tatsächlich eine ganze Reihe verpasster Anrufe. »Fuck!« Er kletterte aus dem Bett und rannte aus dem Zimmer. Dann tippte er auf die erste Sprachnachricht.

»Dusty, hey, hier ist Tris. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass David vorhin einen Anfall hatte und die Schwester ihn sedieren musste. Wir können später darüber sprechen, wenn du wieder zurück bist. Ich werde hierbleiben, bis du kommst, und ich bin mir sicher, dass alles wieder in Ordnung ist, wenn er sich ausgeschlafen hat. Wir sehen uns.«

Die Nachricht endete. Er warf das Handy auf den Lehnstuhl in Matties Büro und griff nach seiner Jeans, die fein säuberlich gefaltet über der Lehne des Schreibtischstuhls lag.

Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, bis er angezogen, die Treppe nach unten gestürmt, zu seinem Pick-up gerannt und losgefahren war. Sobald er den Schlüssel im Zündschloss gedreht hatte, hörte er die nächste Sprachnachricht ab.

»Ich wollte dich wissen lassen, dass David aufgewacht ist. Er ist jetzt viel ruhiger. Im Moment hat er noch mit den Nachwirkungen von dem Mittel zu kämpfen, das Megan ihm gegeben hat, und er fragt nach dir, also hoffe ich, dass du fast fertig bist. Bis gleich.«

Die nächste Nachricht war von seinem Vater, der Dusty bat, ihn zurückzurufen, sobald er Zeit hatte. Er betonte, dass es nicht dringend wäre und er sich einfach demnächst bei ihm melden sollte, wenn es passte.

Dusty wollte gerade die letzte Nachricht abhören, als sein Handy klingelte. Er drückte den Bluetooth-Button auf der Konsole und verband das Handy mit dem Autoradio. »Hallo?«

»Dusty, bist du gerade auf dem Weg zurück?« Tristans Stimme hallte durch das Führerhaus seines Pick-ups.

»Ja. Was ist los? Ist was passiert? Wie geht es David?«

»Er ist frustriert und fragt immer wieder nach dir. Er hat sich an einige Dinge erinnert, von denen ich annehme, dass sie zu dem Vorfall gehören, aber es sind nur Bruchstücke. Ich kann mir keinen Reim darauf machen; er noch weniger. Warte einen Moment.« Am anderen Ende der Leitung war ein Rascheln zu hören, Stimmen, die Dusty nicht verstand. Dann war Tristan wieder da. »Okay, du bist jetzt auf Lautsprecher, Dusty. David will dich etwas fragen.«

»Kannst du zwischendurch irgendwo anhalten und mir ein paar Tacos besorgen, D? Ich hab richtig Lust auf Tacos.« Davids Stimme war schwach, aber gut zu verstehen. Endlich fragte er mal etwas anderes als Was zur Hölle ist mit mir passiert? Dusty musste unwillkürlich lächeln.

»Klar, D. Welche soll ich mitbringen? Hühnchen oder Rind?«, fragte Dusty und die Angst, die sich wie eine Schlange um seine Brust geschlungen hatte, als er Tristans erste Nachricht abgehört hatte, ließ langsam von ihm ab.

»Ist mir egal, überrasch mich. Hauptsache, du bringst extra scharfe Soße und Guacamole mit, okay?«

Alles klar, dann bis später.« Er legte auf und trat aufs Gaspedal. Da es bereits spät war, brauchte er nicht lange, um die Distanz zwischen Mamaroneck und der Stadt zu überbrücken. Als er etwa eine Stunde später im Krankenhaus ankam, die Arme mit vier Tüten voller Essen beladen, war er froh, David lächeln und mit Tristan reden zu sehen. Da er sich nicht sicher gewesen war, was David mochte, hatte Dusty einfach von allem etwas gekauft, nur für den Fall der Fälle.

Nachdem sich jeder von ihnen etwas ausgesucht hatte, brachte Dusty den Rest rüber zum Stationszimmer. Einige der Schwestern, die heute hier waren, schoben eine Wochenendschicht und waren überglücklich, etwas zu essen zu bekommen, das nicht aus der Mikrowelle oder einem Automaten kam.

Dusty wartete, bis alle aufgegessen hatten, bevor er anfing, nachzubohren, um herauszufinden, woran David sich erinnert hatte.

»Ich weiß noch, dass ich von der Uni nach Hause gekommen bin und Dale auf mich gewartet hat. Er hat wieder angefangen, mich zu würgen, aber Mom war nicht da, um ihn aufzuhalten. Und dann hat er …« Er hielt inne, nahm einen zitternden Atemzug und begann an den Fäden der Decke zu zupfen, wie er es oft tat, wenn er bedrückt oder nervös war. »Er hat mir hart ins Gesicht geschlagen. Ich … Ich denke, das ist mit meinem Auge passiert.« Er hob unbewusst die Hand und fuhr sich über das Auge, mit dem er nicht mehr sehen konnte und vermutlich nie wieder sehen würde. »Es hat so schrecklich wehgetan, als er mich geschlagen hat, D, als würde mein Kopf explodieren«, flüsterte David.

Dusty trat einen Schritt näher an das Bett heran, hielt dann inne und warf Tristan einen finsteren Blick zu, als dieser den Kopf schüttelte. Mit den Lippen formte er die Worte Warte, lass ihn ausreden in Dustys Richtung.

»Aber dann bin ich plötzlich wieder in der Nacht, als ich mich geoutet habe, und sitze mit Mom und dem Pfarrer am Küchentisch. Zumindest denke ich, dass es die Nacht ist, in der ich mich geoutet habe.« Davids Finger gruben sich in die Decke. Dann ließ er sie los, hob die Arme und stieß den Betttisch mit aller Kraft von sich. »Scheiße, das ist doch total sinnlos! Ich werde mich nie daran erinnern, was passiert ist!«, schrie er.

Dusty musste jeden Rest seiner Selbstbeherrschung zusammenkratzen, um nicht zu ihm zu gehen und ihn zu beruhigen.

Davids Kopf fuhr zu Dusty herum, seine Miene war finster und aufgebracht. »Und du weißt, was passiert ist, und sagst es mir nicht! Keiner von euch!« David wandte sich nun auch Tristan zu, sein Blick war scharf wie eine Messerklinge.

»Das stimmt nicht, D. Du weißt, wieso wir es dir nicht gesagt haben.« Dusty ignorierte Tristans kaum wahrnehmbares Kopfschütteln, das ihn stumm darum bat, David nicht zu beruhigen. Eine Sekunde später war er an Davids Seite, setzte sich auf die Bettkante, zog ihn in seine Arme und hielt ihn, bis er aufhörte zu zittern. Dusty klopfte ihm auf den Rücken und redete ihm gut zu, versicherte ihm, dass seine Erinnerung mit der Zeit zurückkommen würde.

Wellen der Verzweiflung brachen über David zusammen und schließlich brach der Damm. Dusty saß einfach nur da und hielt ihn so lange, bis er keine Tränen mehr übrig hatte. »Es tut mir leid«, sagte David schließlich, als er die Kontrolle über seine Stimme wiedererlangt hatte. Er klammerte sich noch einige Sekunden länger an Dusty, dann sah er zu ihm auf, seine feuchten Wangen waren zu einem halbherzigen Lächeln verzogen. »Tut mir leid, D, es ist einfach so frustrierend; diese chaotischen Erinnerungen, die einfach keinen Sinn ergeben …« Er wandte sich an Tristan. »Entschuldige auch du, Tristan. Ich weiß, dass du nur versuchst, mir zu helfen. Ihr beide.«

Dusty griff nach Davids Kinn und drehte sein Gesicht zu sich. »Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest, D. Hast du verstanden? Überhaupt nichts.« Dusty gelang es gerade noch, ein Seufzen zu unterdrücken, das in seiner Kehle aufstieg, als er bemerkte, wie Davids Augen seine Lippen fokussierten und sich seine Nasenflügel blähten. Ein kurzer Seitenblick von Tristan verriet ihm, dass er es ebenfalls bemerkt hatte. Er zog eine Augenbraue hoch, während er die beiden beobachtete.

Glücklicherweise kam in diesem Augenblick eine Schwester, um Davids Vitalfunktionen zu überprüfen, und gab Dusty damit die Chance, so zu tun, als hätte er nichts bemerkt.

Tristan ruckte mit dem Kopf in Richtung Flur und Dusty folgte ihm aus dem Zimmer, doch er weigerte sich, allzu weit zu gehen. »Er hängt ziemlich an dir, das ist dir bewusst, oder?«, fragte Tristan.

Dusty nickte und lehnte sich zurück, sodass er einen Blick in Davids Zimmer werfen konnte. Die Schwester sprach leise zu ihm. Dusty konnte nicht hören, was sie sagten, doch er war beruhigt, als er David kichern hörte.

Tristan schnippte mit den Fingern, um Dustys Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. »Dir ist auch bewusst, dass nichts dabei ist, wenn du auch an ihm hängst, oder?«

Dusty verspürte den Drang, Tristan zu widersprechen. Er drückte die Wirbelsäule durch, hörte auf, mit den Füßen zu scharren, und stand kerzengerade da, die Worte bereits auf der Zungenspitze.

Tristan schnaubte und verschränkte die Arme. »Du brauchst gar nicht erst versuchen, dich zu verteidigen. Es steht dir ins Gesicht geschrieben. Du kannst dich belügen, du kannst auch versuchen, mich zu belügen, aber belüg nicht ihn.«

Dusty seufzte und fuhr sich mit der Hand durch sein widerspenstiges Haar. »Du hast recht. Es ist nur … Ich komme mir vor wie ein Arsch, wenn ich in ihm nach allem, was er durchgemacht hat, mehr als einen Freund sehe, Tris. Und, ja, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich ihn nicht anziehend finde. Aber was er jetzt braucht, ist ein Freund, und das will ich im Moment für ihn bleiben.«

Tristan seufzte. »Sei einfach ehrlich zu ihm, Dusty. Versteck dich nicht hinter seinen Verletzungen. Deine Beziehung zu ihm, wie auch immer sie aussehen mag, könnte der Schlüssel zu seinen Erinnerungen sein. Oh, und nur fürs Protokoll: Ich habe vorhin nicht versucht, dir zu sagen, dass du ihn nicht beruhigen sollst, als er wütend war. Ich wollte nur, dass du ihm Zeit gibst, seine Gefühle zu spüren und zu verstehen. Du bist sehr … einfühlsam, schnell dabei, andere zu beruhigen. Das ist an sich keine schlechte Sache. Aber manchmal muss er mit seinen Gefühlen selbst fertig werden, damit er den Grund für sie versteht.«

Dusty versuchte gerade, eine passende Antwort zu finden, als die Schwester aus Davids Zimmer kam. Sie lächelte sie an, ehe sie den Gang entlang verschwand. Dusty ging zurück ins Zimmer, nicht einmal im Entferntesten daran interessiert, ihr Gespräch zu Ende zu führen. Tristan folgte dicht hinter ihm.

»Ich denke, wir haben für heute genug geredet, David. Ich werde gleich nach Hause fahren, aber ich komme morgen noch einmal vorbei, um nach dir zu sehen. Wenn dir irgendetwas einfällt, du dich an etwas erinnerst oder du irgendwelche Fragen hast, schreib sie auf, damit wir morgen darüber sprechen können«, sagte Tristan und klopfte leicht auf Davids Bein, bevor er auf die Tür zuging.

»Gute Nacht, Tristan. Danke, dass du heute hier warst«, rief David ihm nach und erhielt ein aufrichtiges Lächeln und ein Winken von Tristan als Antwort, ehe er aus dem Zimmer trat und die Tür hinter sich zuzog.

Dusty beschäftigte sich damit, die Überreste ihres Abendessens einzusammeln und in den Mülleimer zu werfen, unsicher, was er David sagen sollte. Als er aus dem Badezimmer zurückkam, erwischte er David dabei, wie er jede seiner Bewegungen beobachtete. Seine Wangen röteten sich, als sich ihre Blicke trafen. Dusty blieb stehen, lehnte sich an die Wand und beobachtete, wie David sich zu winden begann. Es war verdammt niedlich. »Fühlst du dich jetzt besser?«, fragte Dusty.

David nickte.

Daraufhin stieß sich Dusty von der Wand ab und stand einige Sekunden später neben ihm, setzte sich auf die Bettkante und nahm Davids Hand in seine. »Was ist los, D? Wieso bist du so nervös?«

»Du«, flüsterte David.

»Was ist mit mir, D?«, bohrte Dusty nach.

»Ich … Na ja, ich weiß, du bist nur mein Freund, aber … Na ja, ich wünschte, du könntest mehr sein. Das ist alles.« David starrte durch seine langen, blonden Wimpern zu ihm hinauf. Sehnsucht spiegelte sich am Grund seiner tiefen, blauen Augen. Als er sich mit der Zunge über die Unterlippe fuhr, kostete es Dusty den letzten Funken Willenskraft, ihn nicht zu küssen. Er hustete und hielt sich die Hand vor den Mund, unterdrückte ein Seufzen, das sich aus seiner Kehle löste, indem er den Kopf von David abwandte. »Ich weiß, das ist dämlich. Du kannst Bessere haben als einen kranken Spinner wie mich«, sagte David leise, zog seine Hand weg und sank in sich zusammen.

Es tat weh, zu hören, wie negativ er über sich sprach. Diese Art, sich selbst klein zu machen, war beinahe zu so etwas wie Davids zweiter Natur geworden. Das war etwas, das Dusty unbedingt ändern wollte. Langsam, um ihn nicht zu erschrecken, hob Dusty Davids Kinn an und überbrückte die Distanz zwischen ihnen. Er hielt die Augen offen, um David bis zur letzten Sekunde zu beobachten. Seine großen, blauen Augen schlossen sich langsam, bevor sich ihre Lippen trafen.

Dusty hatte nicht das Bedürfnis, ihren Kuss zu vertiefen. Als seine Lippen Davids bedeckten, war er überrascht, wie viel Hitze ein so einfacher Kuss entfachen konnte. Er zog sich zurück, strich mit dem Daumen über Davids gerötete Wange und beobachtete, wie sich Davids Augenlider flatternd öffneten. Die tiefe Sehnsucht und das Vertrauen, das aus seinen Augen sprach, raubte Dusty den Atem. »Mit dir ist alles in Ordnung, D, hast du verstanden?«

David nickte einmal, während sein Blick weiterhin die Verbindung zu Dusty aufrechterhielt.

»Wenn du das Schlimmste überstanden hast, können wir darüber reden, ob da mehr zwischen uns sein kann. Aber im Moment sollten wir uns, finde ich, darauf konzentrieren, dass du dich erholst und dein Gedächtnis zurückbekommst. Okay?«

David machte den Eindruck, als wäre er gerade aus einer Trance erwacht und würde allem zustimmen, ganz egal, was es war. »Mhm«, murmelte er.

Dusty lächelte, ließ seine Hand sinken und wollte aufstehen, doch David war schneller und stärker, als er erwartet hatte. Hände, die sonst immer zittrig gewesen waren, packten Dustys Shirt mit neuer Kraft und zogen ihn zurück, um ihm einen zweiten Kuss zu stehlen. Im Gegensatz zu dem vorherigen, war dieser hier elektrisierend und ungestüm, beinahe fordernd.

»Was soll ich bloß mit euch beiden anfangen?«

Dusty löste sich aus ihrem Kuss und sprang so schnell zurück, dass er beinahe stolperte, als er die Stimme der Schwester hinter sich hörte. Sie brauchte nichts weiter zu sagen. Ihr Fingerzeig in Richtung des Stuhls genügte, um Dusty dazu zu bringen, sich automatisch in seine Richtung zu drehen und sich darauffallen zu lassen.

Sie kicherte, überprüfte Davids Vitalfunktionen und drohte ihnen noch einmal scherzhaft, den Sicherheitsdienst zu rufen, wenn sie ihre Hände nicht voneinander ließen.

Abstand und Smalltalk wären die beste Lösung, meinte Dusty, während seine Lippen noch immer kribbelten. Er dachte noch einmal an die ersten Tage zurück, die er damit verbracht hatte, über Davids Schlaf zu wachen. Daran, wie er die kleinsten und belanglosesten Dinge über diesen schönen Mann hatte wissen wollen, der still und unbeweglich dagelegen hatte.

Sie verbrachten den Abend damit, über die Dinge zu reden, die sie am meisten mochten. Essen, Musik, Filme, Sport und vieles mehr. Die Aktion mit den Tacos hatte eine dieser Fragen bereits geklärt, aber es gab noch so viel mehr, was Dusty wissen wollte. Er fand heraus, dass Davids Lieblingsfarbe Gelb war, weil sie ihn an die Sonne erinnerte. Er mochte Classic Rock und Blues, liebte es, sich auf der Couch einzurollen und extrem gruselige Filme zu gucken, aber sagte auch zu Liebeskomödien nicht nein. Für Sport interessierte er sich nicht im Geringsten, aber für Kunst. Als sie auf das Thema zu sprechen kamen, blühte er richtig auf.

»Aber ich habe so viel verpasst, dass ich das Semester bestimmt wiederholen muss. Das heißt, wenn sie mich nicht gleich rauswerfen.« Davids Laune verschlechterte sich rapide.

»Ich bin mir sicher, dass Tristan dir da helfen kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dir aus deiner Fehlzeit einen Strick drehen können, nicht unter diesen Umständen. Aber das Semester wirst du wohl wiederholen müssen«, versuchte Dusty ihn zu beruhigen.

»Was ist mir dir, D? Was hörst du für Musik?« Nun war David an der Reihe, Fragen zu stellen.

»Ich höre eigentlich alles außer Metal. Von dem Zeug krieg ich Kopfschmerzen«, sagte Dusty und lächelte, als David versuchte, ein Gähnen hinter seiner Hand zu verstecken. »Hör mal, wir werden noch jede Menge Zeit zum Reden haben, aber jetzt musst du schlafen. Es wird noch eine Weile dauern, bis dein Körper sich komplett erholt hat, und Schlaf ist die beste Medizin.« Dusty streckte den Arm aus und drückte den Knopf, der den Kopfteil des Krankenbettes absenkte, beugte sich zu David hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

»Du bleibst doch hier, oder?«

Dusty nickte.

Er zog sein Handy aus der Tasche und checkte seine Mails und die Timeline von Facebook, während er immer wieder aufsah, bis David endlich eingeschlafen war. Erschöpft klappte Dusty die Liege auf, die ihm, seit David aufgewacht war, beinahe jede Nacht als Bett gedient hatte. Kory hatte auch auf so einer Liege geschlafen, als Jon sich noch im Krankenhaus von den Folgen der Schießerei erholt hatte. Die Erinnerung daran machte ihn traurig und unsicher. Irgendwann würde er seinem besten Freund die Wahrheit sagen müssen. Und während Dusty klar war, was Dale Thompson getan hatte und dass David keine Schuld an alldem trug, wusste er nicht, ob Kory das genauso sehen würde.

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