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2. Kapitel: Einbruch mit Folgen

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Harrisson’s Café war nichts weiter als ein kleiner Schuppen, einquartiert in einer Ecke eines größeren Wohnblocks in Paddington. Durch zwei große Fenster hatte man einen schönen Blick auf die Straße. Neben der Theke fanden in dem Raum noch drei kleine Tische Platz. Die einzige Toilette musste sich das Café mit zwei angrenzenden Geschäften teilen. Tom war noch nie hier gewesen, aber der Eigentümer, Walter Harrisson, schien Veyron recht gut zu kennen.

»Geht alles aufs Haus«, ließ er die beiden wissen, als er ihnen zwei Tassen Cappuccino hinstellte.

»Bringen Sie uns bitte noch eine dritte Tasse, Walter. Wir bekommen Besuch«, bat Veyron freundlich. Harrisson nickte und machte sich gleich an die Arbeit. Veyron lächelte kurz, als er Toms fragenden Blick bemerkte. »Ich hab ihm einmal aus der Patsche geholfen, als sich eine Bande Kobolde in seinem Keller einnisten wollte«, erklärte er.

Tom machte große Augen. »Von dem Fall haben Sie mir noch nie was erzählt.«

»Es gibt viele Fälle, von denen du nichts weißt, Tom. Ich war acht Jahre lang als Berater für unnatürliche Angelegenheiten und Wesen tätig, bevor wir uns kennenlernten. Ah, sieh nur: Willkins kommt.«

Tom, der mit dem Rücken zur Tür saß, musste sich umdrehen, um ihren Gast zu erblicken.

Detective Constable Jane Willkins betrat das Café und entdeckte die beiden sofort. Seit ihrem Wechsel von der Metropolitan Police zum CID, trug sie anstelle ihrer Uniform Hosenanzüge, die ihr nach Toms Meinung auch weitaus besser standen. Er kannte die dunkelhaarige, hübsche Polizistin jetzt schon seit fast zwei Jahren. Für ihn war sie so etwas wie eine große Schwester, zu der er gehen konnte, wenn Veyron wieder mal unausstehlich war. Für Veyron schien Jane dagegen nichts anderes als eine Erfüllungsgehilfin zu sein, ein Werkzeug zum Erreichen seiner Ziele. Nur manchmal – Tom war sich da nie ganz sicher – zeigte er ihr gegenüber ein wenig Herzlichkeit.

Sie setzte sich zu ihnen und begrüßte sie knapp. »Sie sagten, es sei dringend. Also los, auf was für eine Spur sind Sie diesmal gestoßen?«, kam sie sofort zur Sache.

Walter Harrisson stellte ihr eine Tasse Cappuccino vor die Nase und brachte sie damit kurz aus dem Konzept. »Geht alles aufs Haus, Miss«, sagte er und zwinkerte Veyron zu, die Situation vollkommen missverstehend.

Jane war zweifellos hübsch und – soweit Tom es wusste – zurzeit ohne Freund. Doch Veyron würde nie auf die Idee kommen, irgendetwas daraus zu machen. Er lehnte ja jede Form von Beziehung ab – mit der Tom unverständlichen Begründung, dass dadurch die Freiheit seines Geistes in Gefahr geriete und unabhängiges Denken nicht mehr möglich sei. Diese Verweigerungshaltung hatte schon einige hitzige Debatten ausgelöst, denn Veyron zögerte nicht, anderen seine eigenwillige Vorstellung menschlichen Miteinanders aufzuzwingen. Regelmäßig wurden dabei Jane oder Tom Opfer seiner kaltherzigen Beziehungsanalysen. Erst heute Morgen hatte er die Liebe ja generell als Krankheit abgetan.

»Haben Sie dabei, worum ich Sie gebeten habe?«, wollte Veyron soeben wissen und riss Tom damit aus den Gedanken.

Jane griff unter ihren Blazer und holte ein Kuvert heraus, das sie mitten auf den Tisch legte. »Wie verlangt, das Formular eines Hausdurchsuchungsbefehls. Gregson hat große Augen gemacht, als ich ihm sagte, was Sie diesmal wieder wollten. Werden Sie mir auch verraten, wofür der gut sein soll?«, fragte sie.

Veyron antwortete nicht gleich, sondern schnappte sich das Kuvert, nahm den Papierbogen heraus und fischte einen Kugelschreiber aus seiner Manteltasche. »Wir werden heute Nacht in Miss Fiona Smiths Wohnung in der False Lane einbrechen«, erklärte er, während er begann, das Formular auszufüllen.

Jane schnappte kurz nach Luft. »Haben Sie einen Knall? Veyron, das geht zu weit!«, protestierte sie. »Warum müssen Sie dort einbrechen und was hoffen Sie dort zu finden?«

Tom biss sich auf die Lippe, als die anderen Gäste – es waren nicht viele – sie mit neugierigen Blicken bedachten.

»Ein Nein, zu Ihrer ersten Frage und zu Ihrer zweiten dies als Antwort: Weil ich dort anders keinen Zutritt erhalte, der jedoch zwingend erforderlich ist. Auch Ihre dritte Frage will ich beantworten, Willkins. Ich hoffe, dort wichtige Hinweise auf Miss Smiths Aktivitäten bezüglich der Suche nach dem Horn des Triton zu finden, ein Gegenstand von entsetzlicher Macht«, erklärte Veyron so ruhig und gelassen, als hielte er einen harmlosen Schulvortrag.

Jane schüttelte den Kopf. Sie war damit ganz und gar nicht einverstanden. »Deswegen können Sie doch nicht das Gesetz brechen. Veyron, kommen Sie wieder zur Vernunft! Ich muss Sie verhaften, wenn Sie das wirklich durchziehen wollen. Tom, rede ihm diesen Unsinn aus.« Sie sprach nun deutlich leiser, und in ihrer Stimme klang ehrliche Sorge mit. Fast flehentlich waren ihre Augen auf Tom gerichtet.

Der konnte nur tief einatmen und dann die Schultern zucken. »Na ja, es ist für die Rettung der Welt oder so«, erwiderte er schließlich, was ihm einen bösen Blick von Jane einbrachte.

»Sie kennen meine Methoden, Willkins. Erinnern Sie sich an unser letztes gemeinsames Abenteuer in Elderwelt: Ich weiß ganz genau, was ich tue. Haben Sie Vertrauen«, sagte Veyron. Er lehnte sich kurz zurück und überflog die Felder des Formulars. Es fehlte nur noch die Unterschrift. Streng musterte er Jane. »Wer ist der zuständige Bezirksrichter für Paddington?«

Sie zuckte mit den Schultern, was Veyron nicht gerade zufriedenstellte.

»Dann googeln Sie es. Sie haben von Ihrem Telefon aus sicherlich Zugriff auf das Netzwerk des CID, da muss sich doch was finden lassen. Wir haben keine Zeit zu verlieren«, befahl er.

Jane verdrehte entnervt die Augen, zückte ihr Smartphone und gab die entsprechenden Daten ein. »Sonst wissen Sie doch auch alles«, maulte sie.

Veyron hob kurz die Augenbrauen. »Ich konnte das Netzwerk des CID noch nicht hacken. Das vom F.B.I. war nicht so schwer«, erläuterte er lapidar.

Tom warf seinem Patenonkel einen überraschten Blick zu. »Sie haben das Netzwerk des F.B.I. geknackt?«

»Nein«, gab Veyron zurück. »Aber Wimille.«

»Wer ist Wimille?«

»Mein Bruder.«

Tom und Jane starrten Veyron vollkommen entgeistert an. »Sie haben einen Bruder«, fragten beide wie aus einem Mund.

Veyron kniff entnervt die Augen zusammen. »Natürlich. Viele Menschen haben Brüder. Was ist daran so erstaunlich?«

Jane schmunzelte kurz, ehe sie sich wieder ihrem Telefon widmete. »Und ich dachte immer, man hätte Sie bei Wellstorm Automatics zusammengeschraubt, dem Roboterhersteller aus Ealing«, flachste sie.

Tom gestattete sich ein kurzes Auflachen, aber Veyron blieb todernst.

»Machen Sie keine Witze über meinen Bruder, Willkins«, sagte er mit finsterer Stimme.

»Können wir ihn kennenlernen? Ich wüsste gerne, wie Wimille so ist. Immerhin ist er Ihr Bruder«, fragte Tom, doch Veyron verneinte es entschieden.

»Wimille ist anders, und wir können ihn nicht besuchen. Nicht heute und auch morgen nicht. Schluss jetzt mit diesem Thema! Nun, Willkins, wie sieht es aus? Haben Sie endlich den Richter?«

Triumphierend schaltete sie ihr Telefon ab. »Sir Robert Scott.«

Veyron bedankte sich, dann schloss er die Augen und lehnte sich zurück. Mehrmals atmete er tief durch, seine Haltung wurde krumm und angespannt, seine Mundwinkel zogen sich tief nach unten, die Augenbrauen sträubten sich.

Jane staunte nicht schlecht. »Was wird das, wenn’s fertig ist?«, fragte sie flüsternd in Toms Richtung.

»Er konzentriert sich und taucht in die Persönlichkeit von Richter Scott ein – soweit er ihn kennt. Ich hab das schon ein paar Mal erlebt«, erklärte Tom stolz darauf, Jane einmal in einer Sache voraus zu sein.

Als Veyron die Augen wieder aufschlug, nahm er den Kugelschreiber entschlossen zwischen die Finger und setzte eine krakelige Unterschrift unter den Durchsuchungsbefehl, gänzlich anders als seine ansonsten schwungvollen Buchstaben. »Voilà«, verkündete er und legte Stift und Papier zufrieden beiseite. »Das wäre geschafft. Jetzt können wir im Prinzip loslegen.«

Jane war jedoch immer noch dagegen. »Das ist Urkundenfälschung, was Sie da machen«, wandte sie ein.

Veyron winkte ab. »Das soll nur den Hausmeister beschäftigen und uns Zugang zur Wohnung verschaffen. Einer gewissenhaften Prüfung wird die Unterschrift zwar nicht standhalten, aber sie sollte authentisch genug wirken, um auf den ersten Blick zu überzeugen.«

Jane schnaubte wütend und wandte kurz den Kopf zur Seite. »Ich frag mich wirklich, wozu Sie mich eigentlich brauchen«, murrte sie.

Veyron schaute sie überrascht an. »Genau genommen brauche ich Sie auch nicht, lediglich Ihre Dienstmarke«, erklärte er trocken.

Tom duckte sich instinktiv. Hätten Janes Blicke töten können, Veyron wäre nur mehr ein Häuflein Asche. Ohne Zögern sprang sie auf. »Okay, das reicht! Ich gehe!«

Veyron fasste Jane am Handgelenk, um sie wieder zu beruhigen. »Willkins«, begann er, »ich verstehe Ihre Skepsis und auch, dass es Ihnen als Polizistin zuwider ist, das Gesetz zu brechen. Aber ich will ehrlich mit Ihnen sein. Ganz Elderwelt schwebt in Gefahr. Und die unsere auch, falls es der Zaltianna Trading Company – oder der Regierung – gelingt, das Horn des Triton vor mir zu finden. Ich sage Ihnen, dass wir dann Naturkatastrophen erleben werden, gegen die jeder Tsunami wie ein übergelaufenes Waschbecken wirkt. Ich bin gerne bereit, ein paar Gesetze zu übertreten, um das zu verhindern.«

Jane musterte ihn für einen Augenblick, rang sichtlich mit ihrem Gewissen und wägte ab, was mehr Gewicht hatte. Sie seufzte und setzte sich wieder. »In Ordnung, ich bin dabei. Aber es ist das allerletzte Mal, das schwör ich! Wann wollen Sie loslegen?«

»Gleich nach Einbruch der Nacht. Tom, hast du Mr. Darrow erreicht?«

»Ja. Er trifft sich zu angegebener Zeit mit uns in der False Lane.«

Veyron rieb sich zufrieden die Hände. »Sehr gut. Wir haben noch etwas Zeit, trinken wir also unseren Kaffee aus. Walter macht den besten Cappuccino in der ganzen Stadt. Es wäre ein Jammer, ihn kalt werden zu lassen«, sagte er, schnappte sich seine Tasse und nippte daran. Ein zufriedenes Lächeln huschte über seine Lippen.

Tom war nicht ganz sicher, ob es am Geschmack des Kaffees lag oder mehr an der Tatsache, dass alles nach Plan verlief.

Den restlichen Nachmittag über unterhielt Veyron sie mit ein paar Geschichten von Fällen, die weder Tom noch Jane kannten. Als es schließlich dunkel wurde, gingen sie zu Janes Dienstwagen und machten sich auf den Weg in die False Lane.

Eine typische Wohngegend war ihr Ziel. Große Wohnblöcke standen Reihenhäusern aus dem vorletzten Jahrhundert gegenüber. Die kalten, rechteckigen Betonklötze der Neuzeit konkurrierten mit den roten Backsteinfassaden und typischen Kaminen der viktorianischen Ära. An den Bürgersteigen dieser Straßenseite parkten teure, oftmals funkelnagelneue Limousinen und Sportwagen, auf der anderen standen die älteren, billigen Vehikel der Hochhausbewohner.

42b False Lane war einer der großen Wohnblöcke, die wohl auf der ganzen Welt annähernd gleich aussahen. Sie parkten den Wagen direkt vor dem Eingang, gleich hinter dem teuren Porsche von Danny Darrow. Der lehnte am Wagen und rauchte. Als Veyron, Jane und Tom ausstiegen, schnippte er seine Zigarette weg.

»Wurde aber auch Zeit. Ich hab schon gemeint, ich wart mir die Füße platt«, begrüßte Darrow sie. Als er Jane bemerkte, setzte er ein Lächeln auf und stellte sich vor. »Hallo, wen haben wir denn da? Ich bin Danny Darrow. Aber sagen Sie ruhig Danny zu mir.«

»Hi, Detective-Constable Jane Willkins, CID. Aber sagen Sie ruhig Constable Willkins zu mir.«

»Scheiße …«

Jane gestattete sich ein triumphierendes Lächeln, während sich Danny verlegen am Hinterkopf kratzte.

»Ich wusste ja nicht, dass die Situation dermaßen ernst ist. Die Polizei hat sich doch gar nicht für meinen Fall interessiert«, plapperte er, aber Veyron brachte ihn mit einem blitzartig erhobenen Zeigefinger zum Schweigen.

»Nur die Ruhe, Danny. Willkins ist hier, um unser Vorgehen zu bezeugen. Nichts weiter. Wer ist der Hausmeister?«

»Peter Driscoll, die Klingel ganz unten«, erklärte Danny. Zu viert schritten sie zur Haustür. Veyron inspizierte die Klingelanlage für einen Moment, tippte dann mit dem Fingernagel unter die einzige unbeschriftete Klingel.

»Aha, vierter Stock, Westseite zur Straße. Das Namensschild wurde erst vor Kurzem entfernt, und zwar recht hektisch. Sehen Sie nur, die kleinen Kratzspuren rund um das Schild. Der Kunststoff ist an einer Ecke angebrochen. Es musste schnell gehen, offensichtlich in der Absicht, Sie, Mr. Darrow, zu täuschen«, erklärte Veyron. Er drückte die Klingel der Hausmeisterwohnung.

Eine verschlafene Männerstimme meldete sich per Sprechanlage und Veyron stellte sich kurz vor.

»Guten Abend, Mr. Driscoll. Ich bin Detective-Inspector Veyron Swift. Können wir Sie für einen Moment sprechen?«

Auf der anderen Seite der Sprechanlage wurde gemurrt und aufgelegt. Der Türöffner summte, und sie traten ein.

Im Treppenhaus war es stockdunkel; erst nach und nach sprangen die Lichter an. Peter Driscoll, ein Mann mittleren Alters mit schlaffen Muskeln und hagerem Gesicht, dem man den übermäßigen Genuss von Zigaretten ebenso ansah wie den unzureichenden Sport, erwartete sie vor seiner Wohnungstür.

»Was liegt an, Inspector«, fragte er. Tom glaubte, deutliche Skepsis in seiner Stimme zu hören.

Ohne Vorwarnung packte Veyron Tom am Kragen und schleppte ihn vor Driscoll. »Dieser junge Mann da behauptet, dass er heute Morgen von einer jungen Dame angegriffen und verprügelt worden ist. Einer gewissen Miss Fiona Smith«, erklärte Veyron streng.

Tom musste die Zähne zusammenbeißen. Es war schier unglaublich, mit welcher Unverschämtheit Veyron die Kampfspuren in Toms Gesicht für seine eigenen Zwecke missbrauchte. Aber es ging immerhin um die Rettung der Welt, drum spielte Tom ohne Protest mit.

Veyron drehte sich zu Jane um. »Willkins, zeigen Sie dem Herrn Ihre Marke, damit er Bescheid weiß.«

Jane tat, wie ihr geheißen, verdrehte dabei jedoch verärgert die Augen. Sie zeigte Driscoll ihre Dienstmarke, der sie zu Toms Überraschung ausgiebig studierte. So sehr Driscoll seinen Körper auch vernachlässigen mochte, sein Verstand schien messerscharf.

»Hier gibt’s keine Fiona Smith, hat es noch nie gegeben. Das habe ich diesem Mann da«, er deutete mit ausgestrecktem Finger auf Danny, »schon mehrfach versichert.«

Veyron nickte. »Unsere Ermittlungen bestätigen das. Wir wissen jedoch, dass die junge Dame zuweilen unter falschem Namen zu wohnen pflegt. Deswegen möchten wir uns gern die Westwohnung im vierten Stock ansehen, um weitere Hinweise zu erhalten.«

»Die Wohnung steht leer. Schon lange«, konterte Driscoll scharf.

»Das bezweifle ich. Constable Willkins, zeigen Sie dem Herrn den Hausdurchsuchungsbefehl.«

Veyron schnippte mit den Fingern, und Jane fischte das gefälschte Formular unter ihrem Blazer hervor. Driscoll nahm es mit sichtlichem Widerwillen entgegen, studierte das Papier allerdings ebenfalls eingehend. Tom biss sich auf die Lippen, was ihm wegen der Wunde nicht gut bekam.

Zum Glück war der Hausmeister nicht imstande, die Fälschung zu erkennen – auch wenn ihm das ganz und gar nicht zu schmecken schien. »Tja, dann habe ich wohl keine andere Wahl«, seufzte er entnervt und kehrte in seine Wohnung zurück. Als er wieder auftauchte, händigte er Veyron ohne weiteren Kommentar zwei Schlüssel aus. »Der Große ist für die Tür, der Kleine für den Briefkasten«, knurrte er.

Veyron bedankte sich höflich und bat Driscoll, sich für weitere Befragungen zur Verfügung zu halten. Der Hausmeister grummelte etwas Unverständliches, dann verschwand er in seiner Wohnung und ließ die Tür zufliegen.

Veyron atmete tief durch. »Gut, wir haben zehn Minuten, ehe hier ein Sondereinsatzkommando erscheint und wir richtig Ärger bekommen«, sagte er und machte auf den Absätzen kehrt. Alle starrten ihn schockiert an. Auf dem Weg zum Aufzug erklärte er mehr. »Driscoll wird jetzt seinen Verbindungsmann beim MI-6 kontaktieren und ihn darüber informieren, dass wir uns Zutritt zu Miss Smiths Wohnung verschafft haben. Dieser Verbindungsmann wird dann alles Weitere in die Wege leiten. Es werden E-Mails verschickt und Telefonate geführt. Man wird die Echtheit des Durchsuchungsbeschlusses überprüfen und beim CID nachfragen, welches Team in der False Lane arbeitet. Da wir auch Terroristen sein könnten, wird man ein Spezialkommando losschicken. Alles in allem etwa zehn Minuten, wenn die vom MI-6 schnell sind. Und das werden sie sein.«

Während Jane und Tom diese Informationen kommentarlos hinnahmen, zeigte sich Darrow aufgekratzt und beunruhigt. »MI-6? Der Geheimdienst? Wirklich? Sie meinen, Fiona war eine Terroristin?«

Veyron sagte darauf nichts. Erst als die Türen des Fahrstuhls sich hinter ihnen schlossen, antwortete er auf Dannys Frage. »Irrtum. Miss Smith war eine MI-6-Agentin und auf der Suche nach dem Horn des Triton. Unser Geheimdienst versucht zu verhindern, dass dieser ausgesprochen gefährliche Gegenstand in die falschen Hände gerät. Miss Smith war mit der Informationsbeschaffung beauftragt. Ihre Recherchen führten sie an die Universität von Oxford, wo Sie ihr schließlich begegnet sind, Mr. Darrow. Als sie ihre Nachforschungen abgeschlossen hatte, ist sie nach London zurückgekehrt. Da Sie ihr jedoch unerwartet nachgestellt haben, musste sie ihre Identität wechseln und untertauchen. Ihren Auftrag konnte sie jedoch nicht zu Ende führen. Der Zugang nach Elderwelt blieb dem MI-6 verschlossen. Nur deswegen wurde ich kontaktiert, und zwar kurz nachdem Sie bei mir vorstellig wurden, Mr. Darrow. Was schließen Sie daraus?«

»Hey, Mann! Ich bin keiner vom MI-6!«, wehrte sich Danny, der wohl einen Vorwurf in Veyrons blitzschnell vorgetragenen Worten zu erkennen glaubte.

Veyron gestattete sich ein kurzes Lächeln. »Nein, ganz sicher nicht. Sie wurden die ganze Zeit beschattet, das bedeutet es. Geheimdienste denken paranoid, das gehört zu ihrer Natur. Dass man mich in dieser Sache irgendwann aufsuchen würde, stand für den MI-6 schon länger fest, aber nun sind Sie bei mir erschienen, jener Mann, der so hartnäckig nach Miss Fiona Smith sucht. Was kann das bedeuten? Der MI-6 kann sich keinen Reim darauf machen. Wer kommt schon auf die Idee, dass Sie einen Geist gedatet zu haben glauben! Viel wahrscheinlicher für den Geheimdienst ist dagegen, dass Sie jemand von der Gegenseite sind. Vielleicht sogar von der ZTC. Deshalb wurden Tom und ich kurzfristig vorgeladen. Aus diesem Zusammenhängen konnte ich schließen, dass Ihr Fall und der des MI-6 eng miteinander verwoben sein müssen«, erklärte er.

Jane schüttelte missbilligend den Kopf. »Nicht nur, dass Sie sämtliche Gesetze brechen, Sie arbeiten auch noch gegen den Geheimdienst. Veyron, das ist Hochverrat, was Sie da machen«, warf sie ihm vor.

Er nahm es mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. »Darüber lasse ich die Geschichtsbücher urteilen, wenn es so weit ist.«

Der Aufzug hielt, und sie stiegen aus. Zur gesuchten Wohnungstür war es nicht weit, auch zum Treppenhaus war es von ihr aus nur ein Katzensprung. Genau wie unten an der Klingel trug das Namensschild keine Beschriftung. Veyron sperrte auf, und sie traten ein. Jane schaltete das Licht ein, während Tom und Veyron den Flur durchschritten und sich alles genau ansahen. Die ganze Wohnung war mit einem hellen Teppich ausgelegt; Möbel gab es sehr wenige. Ein Regal an der Wand, eine Kommode samt Telefon daneben, im Wohnzimmer einen Tisch, ein Sofa und zwei Stühle. Alles sehr spartanisch und einfach.

»Aha, hier ist vor Kurzem jemand gewesen. Sieh dir den Teppichboden an. Fußabdrücke; die Teppichfasern konnten sich noch nicht wieder aufrichten«, erklärte Veyron fast flüsternd. »Mr. Driscoll ist ein Lügner. Willkins, kehren Sie bitte nach unten zurück. In ein paar Minuten kommt Besuch ins Haus, den Sie mir in Empfang nehmen müssen.«

Jane nickte und machte sich sofort auf den Weg. Danny Darrow hob in hilfloser Geste die Arme. »Und was soll ich machen? Was tu ich hier eigentlich?«

»Sie folgen Tom und mir in sicherem Abstand. Ich brauche Sie als Rückversicherung.«

»Okay. Und für was?«

»Das, Mr. Darrow, werden Sie gleich sehen.«

Sie kamen ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch lagen mehrere aufgeklappte Bücher. Jemand hatte Seiten herausgerissen und über den einzigen Tisch verteilt. Mit Textmarker waren bestimmte Sätze oder auch nur Wörter markiert. Tom schaute sich die Umschläge der Bücher genauer an. »Die Elfenwelt-Trilogie von Rashton, und das da sind noch weitere Bücher von Professor Daring«, erkannte er. »Veyron, diese Miss Smith hat wirklich versucht, einen Zugang nach Elderwelt zu finden – genau wie Sie damals.«

»Mit einem Unterschied: Sie hatte keinen Erfolg. Ehrlich gesagt, ohne unser erstes gemeinsames Abenteuer wäre wohl auch mir der Zugang zu dieser fantastischen Welt auf ewig verschlossen geblieben. Sehen wir uns weiter um. Moment …« Plötzlich schnupperte Veyron. Er schloss die Augen und sog die Luft deutlich hörbar durch seine Nasenflügel. »Riecht ihr das? Damenparfüm, und es ist nicht das von Willkins. Calvin Klein, wenn ich mich nicht irre. Eine sehr deutliche Note. Unsere Agentin hat Geschmack, legt also großen Wert auf ihr Äußeres und … oh.«

Danny und Tom schauten ihn erwartungsvoll an. Veyrons hagere Gestalt wirkte wie eingefroren.

»Die relativ frischen Fußabdrücke auf dem Teppich, der deutliche Parfümgeruch. Ich Idiot! Tom, wir sind nicht allein in dieser Wohnung.«

Tom sah sich vorsichtig um, auf jeden Schatten genau achtend. Darrow wirkte dagegen vollkommen verdutzt und ahnungslos, was er tun sollte. In hilfloser Geste schnappte er sich einen der dicken Wälzer und hielt ihn mit beiden Händen schlagbereit. »Ist das nicht irgendwie lächerlich«, fragte er leise.

»Ja, ist es.«

Die Antwort kam aus dem angrenzenden Schlafzimmer. Der Raum war verdunkelt, und nur langsam schälten sich die Umrisse einer schlanken jungen Frau aus den Schatten.

»Fiona! Das ist Fiona!«, rief Danny Darrow.

»Nein, das ist Agent Hunter!«, sagte Tom verblüfft.

Einzig Veyron wirkte nicht sonderlich überrascht. »Irrtum, sie ist beide zugleich.«

›Fiona‹, besser gesagt Agent Hunter, kam ins Wohnzimmer, mit einer Pistole abwechselnd auf sie zielend. Darrow hob zögernd die Hände, während Tom die Fäuste ballte und Veyron ganz gelassen stehen blieb.

»Eine nette Überraschung, die Sie uns da bereitet haben, Agent Hunter. Ein neuer Versuch, um mich zu rekrutieren?«, wollte er wissen.

Hunter senkte die Waffe etwas. »Ehrlich gesagt hatten wir Sie ein wenig früher erwartet. Wir haben den da« – sie deutete auf Danny – »beschatten lassen. Er wartete eine geschlagene halbe Stunde auf Ihr Erscheinen. Fast genau so lange wartet auch das SCO-19-Team auf dem Nachbargebäude«, erklärte sie und deutete auf die Fenster.

Veyron sah nicht einmal hin, während sich Tom und Danny neugierige Blicke nicht verkneifen konnten. Plötzlich tänzelten rote Laserpunkte über Toms Jacke und ließen ihn instinktiv zurückspringen. »Scheiße! Scharfschützen!«, schrie er aufgeregt.

Danny machte sich klein, Veyron aber blieb stehen. Obwohl auch auf seinem dunklen Mantel zwei rote Punkte erschienen, zeigte er keinerlei Furcht. Ganz im Gegenteil, er begann sogar breit zu grinsen. »Ich nehme an, Sie erwarteten diesen Einbruch«, fragte er Hunter.

»Erst seit Darrows Auftauchen. Da war für mich der Fall klar. Driscoll hat alles rechtzeitig gemeldet. Wir waren auf Ihre Ankunft vorbereitet.«

»Und Ihr Plan? Terroristen?«

»Ja, Geiselnahme. Mich«, sagte sie mit einer Eiseskälte, die Tom frösteln ließ.

»Und der Preis, um alles unter den Teppich zu kehren?«, hakte Veyron ebenso kalt nach.

»Ihre Kooperation. Im Gegenzug behalten Sie das Sorgerecht für Tom und wandern nicht in den Knast.«

Tom warf seinem Paten einen entsetzten Blick zu, als er das hörte. Wut kochte in ihm auf, er machte einen Schritt auf Agent Hunter zu, die sofort wieder auf ihn zielte.

»Das ist ja die reinste Erpressung!«, protestierte er.

»Tut mir leid, das Schicksal der Welt steht auf dem Spiel. In diesem Fall heiligt der Zweck die Mittel«, gab sie zurück.

Tom schnaubte höhnisch. »In Ihrem Fall aber ziemlich oft, was? Veyron, da machen wir nicht mit! Sollen die uns doch einsperren!«, rief er und stemmte die Fäuste in die Hüften.

Veyron hob beruhigend die Hände. »Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Plan, Agent Hunter. Aber mir war von Anfang an klar, dass wir in Teufels Küche kommen, wenn wir in eine Unterkunft – oder sagen wir besser: Außenstelle – des MI-6 einbrechen. Aus diesem Grund habe ich auch eine Rückversicherung mitgebracht und auf Position geschickt. Mr. Darrow wird Ihre Aussagen vor der Polizei und sicher auch vor Gericht bestätigen«, erklärte er.

Agent Hunter schaute ihn verständnislos an.

»Was ist denn jetzt wieder los?«, klang plötzlich Janes Stimme durch den Flur herein. Tom wandte sich ihr zu und atmete erschrocken aus.

In Janes Begleitung befand sich ein Uniformierter mit kugelsicherer Weste, hinterdrein kamen zwei vermummte Männer der SCO-19-Abteilung der Polizei, mit Schnellfeuergewehren, Helmen und Atemmasken. Hinter ihnen stand Hausmeister Driscoll mit ausdrucksloser Miene.

»Veyron, Ihr Besuch ist eingetroffen. Angeblich gibt es hier Terroristen. Wissen Sie davon?« Jane wirkte sichtlich irritiert. Ihr Blick huschte von Veyron zu Agent Hunter.

Veyron begann zu lachen. »Hier gibt es keine Terroristen, Willkins. Miss Hunter hier hat offensichtlich falschen Alarm geschlagen.«

Der Anführer des SCO-19-Teams wollte sich damit jedoch nicht abfinden. »Bei uns ging ein Anruf ein, dass es hier zu einer Geiselnahme gekommen sei. Wir beobachten das Gebäude seit fast einer Viertelstunde. Was ist nun mit den drei Männern? Sind das Verdächtige oder nicht? Und sind Sie Amanda Farrow? Werfen Sie die Waffe weg, Lady«, sagte er, deutlichen Zorn in der Stimme.

Agent Hunter schien allmählich zu begreifen, dass die Falle für Veyron soeben zu ihrer eigenen wurde. Janes schwer bewaffnete Begleiter zielten nun auf sie. Hunter warf ihre Waffe zu Boden und hob langsam die Hände.

»Sie ist Miss Farrow, Sergeant«, bestätigte Veyron an ihrer Stelle. »Sie hat wohl auch die Polizei über die vermeintliche Geiselnahme informiert. Oder war es Mr. Driscoll da hinten? Wie ich schon sagte: falscher Alarm.«

»Ein Glück, dass Sie mich runtergeschickt haben, Swift. Ich hatte kaum das Erdgeschoss erreicht, als mich Sergeant Hooper auch schon in Empfang nahm. Er und seine Leute wollten eben die Wohnung stürmen. Ich konnte das Missverständnis dank des Durchsuchungsbefehls schnell aufklären«, erläuterte Jane.

Tom war richtig stolz auf sie. Einmal mehr hatte Jane die Nerven behalten und sich für Tom und Veyron ins Zeug gelegt.

»Sie haben eine Polizistin mitgebracht?«, fragte Hunter ungläubig.

Veyron schenkte ihr ein süffisantes Lächeln. »In der Tat. Constable Willkins ist meine erwähnte Rückversicherung. Mir war von vornherein klar, dass unser Eindringen in Ihr Geheimquartier eine Reaktion Ihrerseits nach sich ziehen würde, sehr wahrscheinlich mit Sondereinsatzkommando. Um zu verhindern, dass wir in die Schusslinien der Scharfschützen der Polizei geraten, schickte ich Willkins wieder nach unten. Ich fürchte, Ihre Karriere, Agent Hunter, wird in Zukunft auf den Innendienst beschränkt bleiben, wenn das hier vorbei ist.«

Trotzig reckte sie das Kinn vor, was Tom ehrlich amüsierte. »Tja«, meinte er. »Wer anderen eine Grube gräbt …«

Sergeant Hooper trat vor, packte Hunters rechten Arm und riss sie grob herum.

»Sie werden sich wegen Vortäuschung einer Straftat verantworten müssen, Miss! Sowie Irreführung der Behörden, und ich versichere Ihnen …«

Weiter kam er nicht. Ein lauter Knall zerriss die Luft. Tom bemerkte noch, wie Sergeant Hooper sich auf Jane warf, um ihr Deckung zu geben. Darrow, zum ersten Mal vollkommen geistesgegenwärtig, packte Hunter und zog sie in den Schatten seiner breiten Schultern. Bevor er selbst reagieren konnte, schleuderte ihn eine Druckwelle zu Boden. Alle Lampen erloschen schlagartig. Die Fenster zersprangen, Splitter fetzten wie Geschosse durch die Wohnung. Tom spürte, wie er hart auf dem Boden aufschlug. Blut lief ihm über das Gesicht, alles drehte sich, Dunkelheit drohte ihn zu übermannen. Plötzlich sah er schattenhafte Gestalten, die durch die zerstörten Fenster hereinsprangen. Das waren keine Sondereinsatzkräfte, es waren Vampire!

Den Knall und das Zersplittern der Fenster vernahmen auch die übrigen Mitglieder des SCO-19-Teams auf dem Nachbargebäude.

»Was war das?«, schallte es aus den Kopfhörern der Polizisten. »Eine Explosion?«

»Also doch Terroristen?«

»Nein, Hooper hat doch Entwarnung gegeben!«

Dann bemerkten sie die Männer. Schwarz gekleidet kletterten sie die Fassade des Wohnblocks hoch – so schnell, als wäre das die leichteste Übung der Welt.

»Seht ihr das? Seht ihr das? Wer sind die?«

»Haben wir Feuererlaubnis?«

»Rob, knall die Kerle ab!«

Der angesprochene Scharfschütze konzentrierte sich auf sein Zielfernrohr. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Er blickte auf, doch außer einem Schatten, den er für seinen eigenen hielt, war da rein gar nichts. Nun fing dieser Schatten jedoch an, sich zu bewegen, aufzustehen und Gestalt und Form anzunehmen. Zunächst schien sie ihm wie eine Wolke aus schwarzem Dampf, doch noch ehe er sich darüber klar werden konnte, wurde er auf einmal von einem Mann in Schwarz überragt. Das Gesicht konnte er unter der Kapuze nicht erkennen, nur zwei leuchtende Punkte an der Stelle, wo die Augen sein müssten. Dafür sah er das lange, Schwert des Fremden um so besser. Die Klinge war schartig und schwarz wie die Nacht.

»Heilige Scheiße!«, stieß er aus, wollte aufspringen und die Waffe herumreißen. Zu spät! Der Fremde holte aus und hieb zu.

Robs drei Kollegen, Miller, Anderson und Lacey, wirbelten herum, als sie seinen Schrei hörten, konnten gerade noch sehen, wie sein kopfloser Leichnam zu Boden ging. Sein Mörder schien dagegen spurlos verschwunden. Das Dach war so leer wie schon den ganzen Abend. Keiner verstand, was da vor sich ging.

»Wir werden angegriffen«, war alles, was Sergeant Miller noch feststellen konnte. Einen Herzschlag später spürte er, wie er etwas glühend heißes seinen Rücken durchstieß. Den Aufschrei seiner Kameraden hörte er noch, dann wurde die Welt für ihn schwarz.

»Sergeant Miller, sofortige Meldung! Anderson, Lacey? Irgendjemand! Miller, melden Sie sich, verdammt noch mal! Was ist da oben los?«, herrschte der Teamleiter, Inspector Lester, durchs Mikro. Er saß zusammen mit einem Kollegen im gepanzerten ARV-Einsatzfahrzeug, um das Vorgehen seines Teams zu koordinieren. Durch die zehn Helmkameras des Teams hätte er das Gefechtsfeld überblicken können sollen. Was er jedoch zu Gesicht bekam, überstieg sein Fassungsvermögen. Aus dem Schatten eines seiner Männer stieg eine Dampfwolke hervor, schwärzer als die Nacht. Im Nu manifestierte sie sich als riesiger Krieger, in etwas wie eine schwarze Kutte gehüllt, die Kapuze tief über den Kopf gezogen, in der einen Hand ein dunkles Schwert, in der anderen einen Dolch. Mit einem einzigen Streich hatte er den einen Mann halbiert und einem anderen die Kehle durchgeschnitten. Der dritte Kollege verlor zuerst den Arm, der das Sturmgewehr hielt, dann seinen Kopf. Der letzte Überlebende seines Teams – Marve – wirbelte als noch rechtzeitig herum, um einen Schuss abzugeben, doch der Fremde hatte sich bereits wieder in Dampf aufgelöst. Im gleichen Augenblick wuchs er hinter Marve aus dessen Schatten in die Höhe. Das Poltern und Rollen der Helmkamera ließ keine Frage offen, auf welche Weise der arme Marve sein Ende fand.

»Vier Mann am Boden! Oh mein Gott, vier Mann am Boden!«, brüllte eine weibliche Stimme – Sue – in der Leitung. Schüsse knallten. Lester blickte von Monitor zu Monitor. Der schwarze Krieger tauchte überall auf, nur um gleich wieder zu verschwinden.

Lesters Stellvertreter schrie entsetzt: »Das ist doch kein Mensch! Nie und nimmer ist das ein Mensch!« Er schleuderte den Kopfhörer fort, schnappte sich ein Schnellfeuergewehr und stürmte nach draußen. Durch die Lautsprecher schallten die Schreie des Todeskampfs seines Teams. Lesters konnte nur fassungslos zuschauen. Die Kameras Sechs, Sieben und Acht zeigten verwackelte Bilder vom Fallen, Stürzen und Davonrollen. Das ganze Team, dachte Lester entsetzt, allesamt enthauptet und geschlachtet wie eine Herde wehrloser Schafe. Die weltbeste Spezialeinheit der Polizei innerhalb von Sekunden vernichtet!

»Nein, nicht! Wir ergeben uns«, hörte Lester die Rufe seines Stellvertreters draußen vor dem Wagen. Im nächsten Moment war er still, viel zu still. Etwas polterte zu Boden. Lester wurde schwindlig. Schüsse knallten, prallten pfeifend am Metall des Einsatzfahrzeugs ab.

»Die gehen durch ihn durch«, kreischte Sue, das letzte noch lebende Mitglied des SCO-19-Teams. »Er ist wie ein Schatten!«

Schwarzes Metall sirrte durch die Nacht, Sues Keuchen erklang, dann war es still. Lester spürte, wie ihm feucht und warm im Schritt wurde. Oh mein Gott, ich mach in die Hose, dachte er. Er blickte durch die gepanzerte Scheibe nach draußen. Da stand er, der Fremde. Wie der Tod persönlich sah er aus, doch in das gepanzerte ARV könnte er kaum eindringen. Lester spielte mit dem Gedanken, Gas zu geben und den Kerl einfach über den Haufen zu fahren. In diesem Moment hob der Fremde sein schwarzes Schwert; Flammen züngelten die Klinge entlang und ballten sich an der Spitze zu einer Kugel aus Feuer. Dann schoss der Flammenball auf das ARV zu, hüllte es ein. Lester schrie auf und hob die Arme vors Gesicht.

Wenige Augenblicke später explodierte das ARV, wurde vom magischen Feuer des Angreifers in sämtliche Einzelteile auseinandergerissen – zusammen mit Inspector Lester und allem technischen Schnickschnack, den die Polizei gegen Kriminelle und Terroristen aufzubieten wusste.

Tom kämpfte darum, am Bewusstsein zu bleiben, während die Vampire – er zählte drei – vom Fensterbrett in die Wohnung sprangen. Es waren große Männer mit breiten Schultern, von Kopf bis Fuß in schwarze Lederkombis gehüllt. Waffen trugen sie keine bei sich, aber die brauchte ein Vampir auch nicht. Ihre Kraft, die das Fünf-, vielleicht sogar Zehnfache eines Mannes betrug, reichte völlig.

Als Erstes packten sie die beiden SCO-19-Polizisten, hoben sie mit Leichtigkeit vom Boden und schmetterten sie gegen die Wände. Dann rissen die Vampirattentäter ihre Münder auf und bleckten ihre langen, weißen Fangzähne. Tom ahnte bereits, was kommen würde, denn ihre Fingernägel waren messerscharfe Krallen. Ohne Schwierigkeiten zerfetzten sie die schusssicheren Westen der Polizisten, schlugen ihnen die Zähne in den Hals und brachen ihnen mit einer Handbewegung das Genick. Sergeant Hooper erging es nicht besser. Ein Vampir packte ihn an der Weste und schleuderte ihn durch den Raum, sodass das Wandregal unter seinem Aufprall auseinanderbrach. Dann sprang ihn der Unhold in hohem Bogen an. Das Letzte, was Tom von Hooper hörte, war ein armseliges Keuchen, danach das schaurige Knacken und Brechen von dessen Halswirbeln.

Plötzlich knallten zwei Schüsse. Der Vampir brüllte auf, ein schauderhafter Schrei, eines wahren Monsters würdig. Er wirbelte herum und starrte sein nächstes Opfer an: Agent Hunter.

Zitternd hatte sie sich erhoben und auf den Vampir gefeuert. Der fasste sich jetzt an den Rücken und sah fasziniert zu, wie ihm das Blut von den Fingern tropfte.

»Du bist als Nächstes dran – und lecker siehst du auch noch aus!«, brüllte der Vampir. Mit einem einzigen Satz war er bei ihr, packte sie mit der Rechten und hob sie an. Mit der Linken verdrehte er ihr das Handgelenk, sodass sie die Waffe fallen lassen musste. Hilflos zappelte sie in der Pranke des Vampirs, der diesen Moment mit boshaftem Vergnügen auskostete.

Tom konnte nicht hinsehen. Sie saßen in der Falle, alle am Boden, bewusstlos oder zumindest orientierungslos. Es gab nur eine einzige Hilfe, nur eine einzige Chance auf Rettung. Er konzentrierte sich und schrie: »Helfen Sie uns, Professor Daring! Bitte, helfen Sie uns! Bei der Macht der Simanui, bei den Kräften des Lichts, HELFEN SIE UNS!«

Wie aus dem Nichts durchschnitt plötzlich ein Lichtstrahl den spärlich beleuchteten Raum. Ein Schwert, ein langes zweischneidiges Rapier, erschien in der Luft, die Klinge mit einem Muster aus hell leuchtenden Saphiren besetzt. Das Daring-Schwert, die magische Waffe aus Elderwelt, die Tom gehorchte. Sie war erfüllt vom Geist des mächtigen Zauberers und Simanui, Professor Lewis Daring. Vampire wie Menschen erstarrten angesichts der Erscheinung. Tom war geistesgegenwärtig genug, vorzuspringen und die Waffe zu packen. Sofort fühlte er sich stärker, durchströmt von Zuversicht und Mut. Ehe der Vampir begriff, wie ihm geschah, hieb Tom auch schon mit aller Kraft zu, trennte dem Monster die Hand ab, mit der er Hunters Gurgel umklammerte. Der Vampir zischte und wich zurück. Doch das half ihm wenig. Tom stieß ein wütendes Brüllen aus, zog das Schwert von unten nach oben, spaltete den Vampir mit einem einzigen Streich von Schritt bis Stirn. Rauchend stürzten die leblosen Hälften zu Boden, Fleisch und Muskeln vergingen augenblicklich zu Asche, schwarzer Qualm stieg auf. Tom war, als vernähme er ein armseliges Wimmern jenes dämonenhaften Geistes, von dem alle Vampire besessen waren und der ihnen das schier ewige Leben und ihre enorme Stärke verlieh. Jetzt schied er dahin und verflüchtigte sich ins Nichts.

»Gut gemacht, Tom. Aber da sind noch zwei von denen unterwegs. Wo sind sie hin?«, hörte er Veyron hinter sich rufen. Sein Patenonkel rappelte sich eben auf die Füße und half dann Jane beim Aufstehen.

»Raus ins Treppenhaus, ich konnte es gerade noch sehen«, keuchte Jane und wischte sich Staub und Splitter von ihrem Blazer. Sie hatte einige blutige Kratzer im Gesicht, genau wie Veyron. Tom vermutete, dass er ähnlich lädiert war. Während sie den Überfall relativ gut weggesteckt hatten, zitterte Agentin Hunter am ganzen Körper. Sie schien drauf und dran, einfach wegzurennen.

Veyron berührte sie an der Schulter. »Es ist wohl besser, Sie bleiben vorerst in unserer Nähe, Miss Hunter«, meinte er zu der jungen Agentin. »Willkins, helfen Sie Darrow. Ich glaube, er ist noch bewusstlos.«

»Nein, ist er nicht«, erklang gleich darauf die Stimme des jungen Playboys. Im Gegensatz zu allen anderen hatte er nicht einen Kratzer abbekommen. Erstaunt sah er sich in der verwüsteten Wohnung um. »Wow! Ist ja wie in einem richtigen Actionfilm«, sagte er und begann zu kichern.

Willkins packte ihn am Arm und schüttelte ihn. »Das ist die Wirklichkeit, Danny! Reißen Sie sich zusammen. Und jetzt raus hier!«, schimpfte sie und stieß ihn vor sich her. Darrow verzichtete auf eine Erwiderung, sondern tat, wie ihm befohlen. Tom, wild entschlossen, allen Kreaturen der dunklen Seite den Garaus zu machen, schritt voran. Den drei Männern von SCO-19 konnten sie nicht mehr helfen. Hausmeister Driscoll war es nicht besser ergangen. Die Vampire hatten sich zu zweit auf ihn gestürzt, ihm das Genick gebrochen und anschließend sein Blut gekostet.

»Hoffentlich schließen die sich ihren Mördern nicht später noch an«, bemerkte Jane beim Vorbeilaufen.

Veyron schüttelte den Kopf. »Unwahrscheinlich. Vampirismus überträgt sich nicht durch den Biss; das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Dafür müssten Menschen schon das Blut eines Vampirs trinken oder ein konzentriertes Serum, das die Meister der dunklen Künste herzustellen verstanden. Das geht bei Leichen jedoch schlecht. Los, weiter – und haltet euch von den Aufzügen fern. Wir gehen über die Treppe.«

Tom eilte voran, das Daring-Schwert erhoben. Die leuchtenden Juwelen warfen einen hellen Schimmer an die Wände. Wachsam blickte er sich nach allen Seiten um. Es waren immer noch zwei Vampir-Attentäter unterwegs; sie konnten ihnen überall auflauern.

»Ich hab meine Waffe vergessen, ich hab meine Waffe vergessen«, hörte er Agent Hunter immer wieder rufen.

Jane erwiderte darauf, dass Hunter froh sein könne, nicht ihr Leben verloren zu haben.

Stufe für Stufe eilten sie voran, und obwohl es nur vom vierten Stock nach unten ging, hatte Tom das Gefühl, sie folgten einer nicht enden wollenden Treppe. Allmählich setzten auch bei ihm Schock und Angst ein. Er musste jedoch einen kühlen Kopf bewahren und durfte sich nicht zur Panik verleiten lassen.

Endlich kamen sie unten an. Tom vergewisserte sich, dass draußen kein Gegner lauerte. Dann schlüpften sie vorsichtig zur Haustür hinaus. Draußen sah es nicht besser aus als oben in Hunters Wohnung. Leichen lagen überall herum, die brennenden Trümmer eines Einsatzfahrzeugs der Polizei rauchten auf der Straße, wie von einer Panzerfaust gesprengt.

»Heiliger Strohsack«, keuchte Tom, »waren das auch die Vampire?«

»Nein«, sagte Veyron. Er war auf den Stufen zum Hauseingang stehen geblieben, die Augen wie in Trance auf das brennende Fahrzeug gerichtet. »Er ist es gewesen. Er ist wieder da«, flüsterte er.

Tom folgte dem Blick seines Paten. Vor dem brennenden Fahrzeug entdeckte er einen Schatten, eine unwirkliche schwarze Gestalt, fast wie ein Geist. Seelenruhig stand sie dort, ein schwarzes Schwert in den schwarzen Panzerhandschuhen haltend. Flammen züngelten an der Klinge entlang.

»Ich glaub, ich spinne«, keuchte Tom. »Ein Flammenschwert! Veyron, wer oder was ist das?«

»Das ist kein Vampir, Tom. Er ist etwas viel Schlimmeres«, erklärte Veyron halblaut.

Als wollte der schwarze Dämon Veyrons Worte unterstreichen, richtete er sein flammendes Schwert auf die Reihe geparkter Autos. Fasziniert und schockiert zugleich sah Tom zu, wie ein Feuerball von der Klinge wegschoss, Darrows Porsche traf und explodieren ließ. Gleich darauf sprang das Feuer über auf Janes Dienstwagen – mit demselben fatalen Ergebnis. Fahrzeug für Fahrzeug explodierte, die ganze Reihe.

Die Wucht der Explosionen schmetterte sie zu Boden; es regnete verbranntes Plastik, glühende Metallspäne und Glassplitter.

»Oh nein, mein Wagen! So eine Scheiße!«, hörte Tom Danny heulen. Der junge Mann war schon wieder auf den Füßen und stolperte auf sein zerstörtes Auto zu. Der mordgierige Schatten setzte sich ebenfalls in Bewegung. Doch im nächsten Moment war er verschwunden, hatte sich aufgelöst in eine schwarze Dampfwolke und war eingetaucht in einen der zahlreichen Schatten.

Tom verstand nicht, was hier passierte, aber Veyron schien wie üblich mehr zu wissen. Er sprang zu Tom, packte das Daring-Schwert und richtete die Klinge nach oben. »Zeit für etwas Zauberei, Professor«, rief er den Geist des Schwerts an. Plötzlich schossen blau leuchtende Blitze aus der Klinge, trafen die Straßenlaternen und ließen die Lampen aufleuchten. Heller und heller wurde das Licht, gleißend weiß, bis es Tom in den Augen brannte. Auf der False Lane wurde es taghell.

»Rennt um euer Leben, das wird ihn aufhalten – und die Vampire auch«, rief Veyron. Er stieß Tom voran, während Jane Darrow am Arm packte und mitzerrte. Hunter folgte ihnen wie ein angeleinter Hund. Von dem schattenhaften Schwertträger und seinen Vampiren war nichts zu sehen. Tom vermutete, dass sie das grelle Licht der Straßenlaternen mieden, weil es in Vampiraugen brannte. Und welche Wirkung es auch immer auf den wandelnden Schatten haben mochte, es hielt ihn zumindest fern.

Sie bogen gerade um die Ecke in die Bishop’s Bridge Road, als hinter ihnen der Simanui-Zauber endete. Die Lampen der Laternen explodierten eine nach der anderen, von der Energie des Zauberschwerts vollkommen überlastet.

Veyron erreichte eine Bushaltestelle, gerade rechtzeitig, um einen der roten Stadtbusse zu erwischen. Er sprang vor dem Doppeldecker auf die Straße und behinderte seine Weiterfahrt. Wütend öffnete der Fahrer die Tür und bedachte ihn mit einigen üblen Beleidigungen.

Veyron zögerte keinen Moment, sprang in den Bus, packte den Fahrer am Kragen und zerrte ihn nach draußen. »Tut mir leid, aber wir requirieren Ihr Dienstfahrzeug. Bitte rufen Sie umgehend Polizei, Feuerwehr und Krankenwägen in die False Lane. Vielen Dank«, sagte er dem Mann, dann wandte er sich an die wenigen Fahrgäste. »Alles aussteigen, dies ist ein Notfall!«

Die Leute schlichen eingeschüchtert zum Ausgang. Innerhalb von Sekunden war der Bus leer, dafür flüchteten nun Jane, Hunter, Darrow und Tom hinein. Veyron setzte sich hinter das Steuer, schloss die Türen und drückte das Gaspedal durch.

»Wir fliehen wirklich mit einem Bus?«, rief Hunter ungläubig.

Jane schubste die Agentin in den nächsten Sitz. »Gut erkannt«, raunzte sie. »Und jetzt halten Sie endlich mal den Rand. Veyron, wo fahren wir eigentlich hin?«

Er gab ihr keine Antwort, sondern raste mit Höchstgeschwindigkeit die Bishop’s Bridge Road hinunter, überholte andere Autos, wo immer es ging. Auf der Gegenfahrbahn wichen die Fahrzeuge hupend aus, rumpelten teils sogar auf die Gehsteige. Zum Glück waren um diese Uhrzeit kaum noch Fußgänger unterwegs.

Tom blickte in das Gesicht seines Paten. Veyron wirkte wie in Panik. Zum allerersten Mal, seit er ihn kannte, zeigte sein Patenonkel Nerven. »Veyron, wo fahren wir hin? Reden Sie mit mir!«

Veyron kurbelte wie verrückt am Lenkrad, zwang den großen, roten Bus eng um die Kurve, bog nach rechts in die nächste Straße ein. Tom, Danny und die beiden Frauen wurden in die Sitze gepresst.

»Wir müssen in Bewegung bleiben. Porchester Road, da haben wir jetzt grüne Welle, wenn wir die Geschwindigkeit halten. Auf allen anderen Abbiegungen kommen wir bei Rot zum Stehen«, erklärte Veyron hastig.

»Die haben uns so oder so. Da, schauen Sie mal!«, rief Danny und zeigte nach draußen.

Tom traute seinen Augen nicht. Ein Vampir rannte neben ihnen auf der Straße her, so unglaublich schnell, dass er alle Fahrzeuge überholte.

Eben rumpelten sie die Lord Hills Bridge rauf, eine alte Eisenbahnbrücke, als der Vampir an die Seite des Busses sprang und sich festkrallte. Veyron riss das Lenkrad nach links, ließ den Bus in das Brückengeländer krachen. Funken flogen, Metall barst, der Bus kam gefährlich ins Schlingern. Aber Veyron behielt die Kontrolle, ruderte hin und her, und im Nu waren sie wieder auf geradem Weg unterwegs. Den Vampir hatte es zwischen den Metallträgern des Brückengeländers in mehrere Stücke gerissen, die jetzt dampfend am Boden lagen und zu Asche zerfielen – das Schicksal eines jeden toten Blutsaugers.

Wie versprochen kamen sie bei Grün über die Ampel, bogen links in die Harrow Road ab, unter der Westway-Schnellstraße hindurch. Tom schüttelte den Kopf und sah sich im Bus um. Jane lag am Boden, während sich Hunter in die Rückenlehne des Sitzes vor ihr geklammert hatte.

Danny war dagegen auf den Beinen und kämpfte sich zur Heckscheibe nach hinten. »Wow! Junge, den hat’s erwischt! Super, Mr. Swift! Aber da ist noch einer, und der Kerl holt auf!«, rief er aufgeregt.

Veyron warf einen Blick in den Rückspiegel, trat das Gaspedal voll durch und ließ den Bus vorwärtsschießen. »Halt dich bereit, Tom. Mal sehen, was für Reaktionen der Kerl hat«, sagte Veyron mit einer Spur seiner üblichen Gelassenheit.

Als Veyron den Bus nach rechts riss und in Borune Terrace einbiegen ließ, schwammen sie noch immer auf der grünen Welle. Er schrammte an einem geparkten Auto vorbei, dass es herumwirbelte, sich überschlug und dem Vampir in den Weg polterte. Doch der Unhold war ein trainierter Killer, sprang einfach über Fahrzeug hinweg und holte weiter auf. Er sprang hoch durch die Luft, genau auf die Heckscheibe zu. Sie zersplitterte unter dem Aufprall und schleuderte Danny zu Boden. Der Vampir schwang sich in den Fahrgastraum, die Zähne gefletscht und seine Klauen bereit zum Zuschlagen.

Danny hob abwehrend die Hände. »Bleib mir bloß vom Hals, du Monster!«, schrie er.

Tom packte das Daring-Schwert und hechtete nach hinten. Zu spät! Er würde zu spät kommen! Doch dann traute er seinen Augen nicht. Als der Vampir sich auf den armen Danny stürzte, packte eine unsichtbare Kraft den Attentäter und beförderte ihn rücklings wieder aus dem Fenster hinaus. Danny schlug in Panik die Arme vors Gesicht, und auch Tom lief weiter auf ihn zu, aber der Vampir blieb verschwunden. Tom eilte zur zerstörten Heckscheibe und blickte nach draußen. Der Attentäter lag ein ganzes Stück hinter ihnen am Boden – jedoch noch immer lebendig. Während sie sich immer weiter von ihm entfernten, schüttelte er den Kopf, erhob sich wankend und nahm die Verfolgung wieder auf.

Tom wandte sich erstaunt an Danny. »Was war das eben? Haben Sie den Mistkerl etwa gerade hinauskatapultiert?«

Danny setzte sich auf und kratzte sich verwundert am Kopf. »Also, ich hab nichts gemacht. Vielleicht war’s dein cooles Zauberschwert?«

Tom warf einen nachdenklichen Blick auf das Daring-Schwert. Ihm war nicht aufgefallen, dass der Geist des Professors einen Zauber gewirkt hätte. Aber das war jetzt auch unwichtig. Der Vampir hatte sie bereits wieder eingeholt. Bevor der Unhold erneut in den Bus eindringen konnte, packte Tom Dannys Hand und zog ihn mit sich nach vorn.

Hilfe suchend schaute er zu Veyron. Der hatte den herannahenden Vampir offenbar bemerkt, denn der Gesichtsausdruck seines Paten zeigte allerhöchste Konzentration. So, wie dessen Blicke hin und her sprangen, mussten seine Gedanken rasen.

»Riskant, aber könnte klappen«, murmelte Veyron gerade.

Der Bus schoss auf die nächste Kreuzung zu. Veyron riss das Lenkrad herum, zog die Handbremse und gab gleichzeitig Gas. Auf Höhe Chichester Road schleuderte der Bus um die Kurve; das Heck schlug aus und kam gefährlich ins Kippen. Veyron gab noch mehr Gas, sodass die Drehung immer schneller wurde, bis die Reifen qualmten. Im nächsten Moment wurde der Vampir vom Heck erfasst. Der Aufschlag ging durch die ganze Fahrgastzelle, ein ohrenbetäubender Knall. Einer Kanonenkugel gleich schoss eine schwarze Masse davon, gegen die Wand des nächsten Hauses. Veyron ruderte am Lenkrad, gab Bremsen und Gas frei, und der Bus jagte nach links in die Chichester Road davon.

»Der steht nicht mehr auf«, meinte er lapidar.

Danny klatschte begeistert in die Hände. »Haben Sie gerade einen Drift gemacht? Mit einem London City Bus? Mit einem Bus

Veyron zuckte nur beiläufig mit den Schultern. »Mathematisch war es machbar und physikalisch nicht unmöglich, da wir nicht voll besetzt sind. Wichtig war nur, einmal komplett herumzukommen, um die kritische Masse zu erreichen, einem Vampir auch wirklich alle Knochen zu brechen. Das sind verdammt zähe Burschen«, dozierte er gelassen.

Die Freude über den Triumph währte nur kurz. Tom bemerkte es als Erster. Aus seinem eigenen Schatten trat plötzlich schwarzer Dampf hervor. Schon im nächsten Moment manifestierte sich der verhüllte Dämon inmitten der Reisekabine, in den Händen sein schwarzes Schwert. Sofort war Tom auf den Beinen, das Daring-Schwert zum Kampf erhoben. Die Juwelen glühten hell. Der Fremde zögerte keinen Moment, machte einen Ausfallschritt, schlug mit seinem Schwert zu. Tom parierte den Hieb und musste sich anstrengen, seine Waffe nicht sofort fallen zu lassen. Normalerweise focht das Daring-Schwert fast von allein, er brauchte es eigentlich nur festzuhalten.

Diesmal war sein Gegenüber jedoch kein vorwitziger Schrat, sondern ein Dämon von unglaublicher Macht. Eine ganz andere Energie lag in seinen Hieben, eine, die es mit dem Geist des Daring-Schwerts aufnehmen konnte. Tom ächzte unter dem zweiten Schlag seines Feindes, unter dem Dritten wich er zurück. Der Schattendämon setzte ihm nach, und mit nur einer einzigen geschickten Drehung seiner Klinge hebelte er Tom die Waffe aus der Hand. Das Daring-Schwert wirbelte davon, zum allerersten Mal im Duell besiegt. Tom ließ sich rücklings fallen und entging einem vierten Hieb, der ihn ansonsten enthauptet hätte. Er rutschte ein Stück über den Boden. Als er aufblickte, ragte der Schatten über ihm auf, das Schwert zum Stich erhoben.

»Tom!«, hörte er Jane rufen. Sofort war die Polizistin bei ihm, stieß ihn mit dem Fuß zur Seite und hob die Hände. Der Schatten zögerte jedoch nicht; es schien ihm nicht einmal in den Sinn zu kommen, dass man sich ergebende Feinde verschonen könnte. Er stach Jane in die Hüfte.

»VEYRON«, kreischte sie verzweifelt.

Tom riss entsetzt die Augen auf, als er Jane Willkins zusammenbrechen sah. Er stürzte zu ihr, nahm sie in die Arme und versuchte sie in Sicherheit zu schleppen. Der Schatten war ihm egal, und es kümmerte ihn auch nicht, als dieser erneut sein schwarzes Schwert hob, um sie beide zu töten.

Doch dazu kam es nicht. Eine unsichtbare Macht packte den Schatten und katapultierte ihn zwischen die Sitzreihen.

Veyron ließ den Bus von einer Seite zur anderen schwanken, indem er pausenlos am Lenkrad kurbelte. Chichester Road neigte sich dem Ende zu, ging über in Delamare Terrace – und gleich dahinter lag der Paddington Branch, ein für die Schifffahrt freigegebener Kanal. Veyron hielt mit Vollgas darauf zu.

Mit einem markerschütternden Knall durchbrach der Bus das stählerne Geländer und stürzte zwischen den verankerten Kuttern und Hausbooten in den Kanal. Tom sah noch, wie der Schattendämon in schwarzen Dampf vaporisierte und im Dunkel zwischen den Sitzlehnen verschwand, als hätte es ihn nie gegeben. Im nächsten Moment erfolgte der Aufprall, der Tom nach hinten gegen die letzte Sitzreihe schleuderte, Jane noch immer fest in den Armen. Wasser begann, durch die zerborstene Heckscheibe in den Bus zu strömen.

Danny Darrow kam zu ihm geklettert, zog Tom auf die Füße. Gemeinsam hoben sie Jane hoch und schoben sie vorsichtig durch die Heckscheibe nach draußen. Inzwischen lag sie auf einer Linie mit der Wasseroberfläche. Nicht mehr lang und sie würden komplett untergehen.

»Raus, oder wir sitzen da drin in einer Mausefalle«, sagte Danny.

Nachdem Tom sich vergewissert hatte, dass Veyron und Hunter ihnen folgten, kletterte er hinter Danny nach draußen. Sie schwammen mit Jane auf die Kaimauer zu. Die Polizistin hatte zwischenzeitlich das Bewusstsein verloren, doch jetzt erlangte sie es wieder. Sie schrie auf und begann, um sich zu schlagen. Tom hielt sie fest und erklärte ihr, dass alles in Ordnung sei, sie wären in Sicherheit.

Er schaute sich um. Hinter ihnen tanzten die Köpfe von Agent Hunter und Veyron auf dem Wasser.

»Da hin!«, rief er und steuerte mit Jane das nächste Hausboot an.

Leute säumten plötzlich den Kai, leuchteten mit Taschenlampen in Richtung des halb versunkenen Busses. Einige warfen ihnen von den Hausbooten aus Leinen zu und zogen sie an Land.

Tom und Danny kümmerten sich sofort um Jane, die sich kaum aufsetzen konnte. Sie streifte sich den Blazer ab und zerriss ihr Hemd an der Stelle, wo das Schwert des Schattendämons sie getroffen hatte. Tom wollte den Blick von der scheußlichen, tiefen Wunde abwenden und konnte es nicht. Das Blut floss in regelrechten Strömen, bis Jane ihre Hand mit dem Stofffetzen darauf presste.

»Ruft einen Notarzt! Ruft irgendwer den Notarzt! Hilfe!«, schrie Tom die herumstehenden Leute an.

Jane sank zusammen. Hunter riss einem Schaulustigen das Smartphone aus den Fingern und tippte eine Nummer.

»Wir bleiben am Wasser, bis der Krankenwagen kommt. Im Wasser greift seine Magie nicht. Hier sind wir sicher«, erklärte Veyron halblaut.

Tom packte seinen Paten am Arm. »Wer um alles in der Welt war das? Von einer solchen Kreatur habe ich noch nie zuvor gehört.«

Veyron atmete tief durch. »Er war einmal ein Mensch, jetzt ist er der schrecklichste Dämon, den die Welt je gesehen hat. Er ist einer der Sieben Schatten, der engsten Vertrauten des Dunklen Meisters, absolut loyal und vollkommen gewissenlos«, erklärte er.

Tom schaute zu Jane, die am Boden lag und zitterte.

»Mir ist kalt. Das ist der Schock, schnell, deckt mich zu und sorgt dafür, dass ich nicht das Bewusstsein verliere«, befahl sie ihren beiden Freunden.

Veyron nahm von einem der Umstehenden eine Decke entgegen und breitete sie über Jane. Tom, der nichts weiter tun konnte, dachte über die Worte seines Paten nach. Der Dunkle Meister! Schon zweimal hatten sie es mit seinen Anhängern, einmal sogar mit seinem Geist zu tun bekommen, nun also auch noch mit seinen obersten Handlangern. »Wer ist er, dieser Dämon? Und woher kennen Sie ihn?«

Veyron prüfte Janes Puls, und der ernste Gesichtsausdruck, den er machte, gefiel Tom gar nicht.

»Er ist der Schattenkönig, die rechte Hand des Dunklen Meisters. Ich hatte schon einmal mit ihm zu tun«, sagte Veyron leise. Er beugte sich über Jane und redete auf sie ein, wach zu bleiben.

»Was ist passiert?«, hakte Tom nach.

Es verging ein Moment, ehe Veyron antwortete. »Ich habe verloren.«

Veyron Swift und der Schattenkönig

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