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Einleitung

Als Menschen hören wir irgendwann von Gott (oder Göttern), und jede und jeder bildet sich eine Haltung dazu. Wer über Gott schreibt, ist also nie neutral; so verfasse ich diesen Text aus einem dezidiert gläubigen Interesse he­­raus – genauer: aus der Haltung eines kritischen Christen in der katholischen Kirche. Der Text ist Teil meiner Suche nach einem tragfähigen und lebbaren Gottesverständnis, einem Fundament, von dem aus ich glauben und Kirche und Welt mitgestalten kann.1

Es geht also um Gott – und wenn es um Gott geht, dann geht es auch um (fast) alles andere: vom Ursprung und Sinn unseres Daseins über das Entwicklungspotenzial von Menschen und Menschheit bis zum Grund unseres Glaubens und zum Wesen menschlichen Miteinanders. Mein Zweiakter antwortet auf diese wesentlichen Gottes- und Lebensfragen oder stellt sie vielmehr in dialogischer Form neu. Die Dialoge bieten dabei die Möglichkeit, gezielt Lücken zu lassen und Horizonte zu öffnen. Die Folgen der Gespräche sind oft dramatisch, denn meine Charaktere sind selbst Betroffene ihrer unterschiedlichen Welt- und Gottesbilder, die sich teils harmonisch ergänzen, oft aber auch konfliktreich aufeinanderprallen. So entwickeln sich der Disput über Gott und die mögliche Handlungskonsequenz über verschiedene Szenen hinweg in den konkreten menschlichen Beziehungen und Begegnungen.

Den Auftakt meines Stückes bildet ein Gedicht von Robert Gernhardt, das in seiner ganz eigenen Art auf wesentliche Thesen der folgenden Akte vorausweist. Dazu gehört zuerst, dass Gernhardt für das Gedicht «Psalm» den Vorsatz fasst, unvollständig zu bleiben – und dies auch umsetzt. Dies geht dem gesamten Dialog-Stück nicht anders, denn Gott ist wohl das Thema, zu dem in der Menschheitsgeschichte am meisten gedacht und geschrieben wurde. Der Versuch, die Geschichte der Gottesfrage vollständig zu umreissen oder diese gar zu beantworten, müsste deshalb scheitern. Dieses Lob der Unvollständigkeit, nicht alles über Gott wissen und erst recht nicht alles sagen zu müssen, möchte ich besonders hervorheben. |10|

Zum Zweiten setzt sich Gernhardts Gedicht literarisch-spöttisch mit einer biblischen Passage – dem Tanz ums goldene Kalb2 – aus­ei­n­an­der, so wie sich auch mein Dialog-Stück, ernsthaft und teils augenzwinkernd, mit biblischen, liturgischen und weltlichen Tänzen auseinandersetzt.

Mehr noch, grosse Namen des Alten Testaments werden mit markigen Sprüchen versehen, wobei es für Gernhardt keine Rolle spielt, dass diese Personen zum Teil verschiedenen Epochen angehörten. Auch im folgenden Zweiakter werden grosse Namen quer durch die Geschichte gesammelt und nicht immer in ihrer vollständigen Komplexität zitiert oder verstanden.

Schliesslich verbindet uns das grundlegende Thema: Das goldene Kalb, das als Metall gewordene Gottheit verehrt wird, steht gleichzeitig für den Wunsch der Menschen nach anfassbaren, greifbaren Gottesbildern und für das Missverständnis, Gott immer im Sichtbaren, Dinglichen zu suchen. Dabei drückt der beschriebene Tanz ums Kalb in seiner ganzen Kuriosität aber auch eine archaische, ursprüngliche Lebensfreude aus, die im weiteren Verlauf des Stücks manchmal sehnlichst vermisst wird. Historisch ist bei dem Götzenbild wohl an die Darstellung eines auf einem Kalb reitenden Gottes zu denken – doch da dieser Gott unsichtbar ist, wird schliesslich statt seiner das Kalb angebetet, das für unseren Verstand leichter wahrnehmbar ist und sich leichter – anschaulich – vermitteln lässt.3 Die Parallelen zu heutigen Gottes- und Götterbildern sind gegeben …

Nun aber lade ich Sie ein, meinem Weg durch die Untiefen, Stürme und Klippen der Gottesfrage zu folgen. Lassen Sie dabei Ihr eigenes Gottes- und Menschenbild nicht aus dem Blick, halten Sie es fest, aber hinterfragen und ergänzen Sie es bei Bedarf. Wir sind gemeinsam unterwegs auf dem Ozean des Lebens und Glaubens: über dem Wasser.

Tobias Grimbacher

Über dem Wasser

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