Читать книгу Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack - Страница 8

BLANKGEZOGEN

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Die Fahrt von Schönefeld nach Hause vergeht wie in Trance. Es ist völlig egal, wann ich daheim ankommen werde. Delia hat wohl schon beim Passieren des Ortschildes unserer in sich selbst zerrissenen Doppelstadt den Landarzt im Social Net gesucht, gefunden und sicherlich zehn Minuten später durchgedated. Und ich würde die Reste aus meinem übersichtlich bestückten Kühlschrank vernichten wollen, nur mager fündig werden und bei bestellter Pizza und Bier vor der inhaltsarmen Glotze versacken. Nein, ich habe es wahrlich nicht eilig und der Shuttle-Chauffeur sicherlich auch nicht. Immerhin habe ich ihm fünfzig Euro extra in die Hand versprochen, wenn er die Klappe halten und einfach über die Autobahn juckeln würde.

»Willkommen im Land der Frühaufsteher! Ja, ihr mich auch, Leute! Ihr mich auch.«

Ja, wir in Sachsen-Anhalt stehen früher auf, weil die guten Tage einfach kürzer sind. Allein für diesen Slogan lohnte sich schon die Flucht in den Westen. Noch immer sind es siebenundvierzig Kilometer bis Dessau. Siebenundvierzig Kilometer Abstand vom Heute ohne sie.

Als ich die Wohnungstür – bepackt mit fälligen Rechnungen und Werbeblättern – mit leisem Knarren öffne, kommt mir nicht der erwartete Duft von verfaulten Zimmerpflanzen und Partymief entgegen. Wann immer ich für längere Zeit nicht zuhause bin, gebe ich Tacko die Schlüssel, damit er sich ums Grün kümmert. Und bisher hatte er nicht den Hauch einer Ahnung, dass jene im Baumarkt günstig erkämpften Fauna-Trophäen auch jämmerlich ersaufen, wenn man es darauf anlegt. Vielleicht ist es ihm auch einfach egal.

»Hey, guck mal an, DSL wird billiger«, murmele ich vor mich hin, als ich nebenbei einen der Umschläge sichte und plötzlich eine Einladung in die Vergangenheit in der Hand halte: Ehemaligentreffen Abschlussjahrgang ’97? Schon Anfang September, am Ersten!

»Na super! Was soll ich denn da? Und ausgerechnet jetzt. Feiern? Weltkriegsbeginn sicher nicht, obwohl ich ja gerade genug frische Trümmer ins Haus schleppe. Danke, Dörte!«, reiße ich gedanklich an und komme nicht umhin, mit der Nase hastig umherzuschnüffeln.

Komisch! Hier riecht’s so merkwürdig neutral? Hat Tacko etwa gelüftet? Nee, das wäre zu abwegig. Hausfrauenarbeit lehnt er kategorisch ab, irgendeine im Internet gefundene Religion würde ihm das streng verbieten. Bestimmt die gleiche, nach der sich gebrauchte Kondome auch in der Wohnung des besten Freundes als Innenraumdeko drapieren lassen. Als Gegenleistung, als ob man sich für die Vernichtung von Zimmerbegrünung noch erkenntlich zeigen müsste, kann er während meiner Abwesenheit hier tun und lassen, was er will. In seiner Welt heißt das, bei Dates, die später nerven könnten, ist das die ideale Alibi-Absteige. Reinkommen, flachlegen und abschieben. Na ja, bisher hat er seinen …

Ich zucke zusammen, als hätte ich einen Geist gesehen. Der Schreck fährt mir in die Tennisschuhe, prallt in den schweißgefluteten Einlagen zurück, schnellt mir unter mein straßenköterblondes Haupthaar und hinterlässt ein geschocktes Stechen in der Brust. Für einen Moment glaube ich, freien Blick auf die total weiß gehaltene Flurwand zu haben, als ich meinen Blick von der Ladung Post in meiner Hand abwende. Nein, ich glaub das nicht! Muss ich auch nicht, denn ich sehe es. Ich meine, ich sehe da nichts, gar nichts, nicht mal die Ahnung von einem Etwas. Nichts, was steht, hängt oder liegt. Alles leer!

»Wo ist mein Schuhschrank?«, entfährt es mir. Ja, ich atme es aus, als trete eine neue Eiszeit mit ganzer Macht aus meinen Hirnwindungen hinab in meine Glieder, die sich allesamt zusammenziehen, als müssten sie in der Stunde der nackten Not zusammenhalten. Meine Stimmbänder möchten versagen, aber das Herz gibt sich kämpferisch. »Wo ist das ganze Zeug hin?« Mein Bauhaus-Kunstdruck-Triple, der Wandteppich aus Pamukale und der original Star-Wars-Film-Schnipsel von 1977?

Und die sauer erstandenen Monster-Movie-Filmplakate, auf denen elegante Sci-Fi-Türme, Panzerkreuzer und ganze Luftwaffenverbände unter gigantischem Geschrei geschlachtet werden? Was habe ich bei Ebay ausgeharrt für jene Frankensteins meiner Kindheit, heimlich aufgesaugt durch das Schlüsselloch zum fernsehgefüllten Wohnzimmer. Poster samt Original-Autogramm aller bereits sicher abgelebten Hauptdarsteller, wenn ich auch zugeben muss, bei Frankenstein selbst immer einen gewissen Zweifel gespürt zu haben, dass so etwas je real existierte. Egal, das waren Erinnerungsstücke. Meine, meine, meine! Allein die Rahmen haben so viel gekostet wie ein halbes Jahr genussvolle Zigarettensucht, der ich als Finanzierungskompromiss danach gänzlich entsagte. Und wo ist meine Vitrine mit der Jahrzehnte aufgebauten und gehüteten Sammlung originaler Ford-Modelle, die Matchbox je rausgebracht hat.

»Mann, wo sind meine Matchis?«, stammele ich völlig perplex gegen die Raufasertapete und suche weiter nach einem Hauch von eingerichtetem Ich.

Die Gästehausschuhe, das abgenutzte Schlüsselbrett, die Willkommen-Matte – alles Geschichte. Ich stürze durch den kahlen Flur. Der Schall meiner Schritte bis zur Wohnzimmertür ist das Einzige, was neben mir hier zu finden ist. Ich reiße die abgerundete Klinke nach unten und starre in die gleiche Leere, als hätte ich heute hier den Besichtigungstermin zur Unterzeichnung des Mietvertrages. Vier Wände und kein Halleluja! Ich komme mir vor wie beim Ausverkauf. Selbst die abgrundtief hässlichste Sammeltasse, die ich nur aus falscher Sentimentalität meiner Uroma zuliebe geduldet habe, ist wie vom Erdboden verschluckt. Letzterer auch. Besser gesagt das von mir in mühevoller Kleinstarbeit gesetzte Parkett. War nicht perfekt gelegt, aber meins. Und nun? Ich bin allein, allein … allein … im Zwiegespräch mit dem nackten Estrich, der sich devot vor mir ausbreitet. Fassungslos sacke ich zusammen und der Stress des Rückfluges scheint dagegen so harmlos wie ein Schulwandertag in der ersten Klasse auf den Gipfel des Spitzbergs mit gekochtem Ei und einem fröhlichen Pionierlied auf den Lippen. »SCHEEEIIIISSSEEE!!!«

»Mensch, Herr Thomas, sinn ja noch da! Dachte schon, Sie sinn schon wech«, brummt eine tiefe Altherrenstimme in die Stille meines ausgeweideten Zuhauses.

Meine Nase ist schneller als die müden Augen. Und so erkenne ich an der aufdringlichen Zigarrenwolke, dass das nur einer sein kann. Der Meier aus dem Erdgeschoss, nebenbei Hausmeister für die ganze Wohnanlage und Security für die Restmülltonen, sieht viel zu blendend aus in Anbetracht der Situation, in der ich mich befinde. Während er mir freundschaftlich auf die Schulter klopft, zieht er mit der anderen Hand einen Schlüsselbund aus dem von ihm prall ausgefüllten Blaumann.

»Ich wechsele nur mal ehm de Schlösser. Wissen Se! Is Vorschrift, zur Absicherung für Ihre Nachmieter. Übrijens, Sie hamm echt dolle Kumpels. Machen den janzen Umzuch für Sie. Mann, warn die schnelle. Sollte ’ne Überraschung wer’n, woah! Sauber, nich!«

»Hä!«, stottere ich und überlege, wo ich mein Handy hingesteckt habe, als würde ich da ein Wörterbuch »Hausmeister – Ich/Ich–Hausmeister« finden.

Ich verstehe rein gar nichts. Neue Mieter? Überraschung? Und was für Freunde?

»Ich war doch nur zwei Wochen in der Karibik, hab den Pelz in die Sonne gestreckt und …«

Meier unterbricht mich mit sanftem Ton, als ich ihm gerade klarmachen will, dass ich nur noch ’ne kalte Dusche will.

»Und? Wars scheen?«

»Ja … äh … nein! Das weiß ich noch nicht … Mann, wo sind meine Sachen hin?«, gebe ich mit steigender Unruhe zurück.

»Keene Ahnung! Sicher in de neue Wohnung. De Jungs hamm den janzen Lkw volljepackt. Also, ich weeß ja nich, wo Sie de Polen herhatten, aber faul warn die Brüder nich. Sacht mer doch so, woah. Mein lieber Scholli, ’ne Fünf-Raum-Wohnung in ’ner Dreiviertelstunde! Respekt, mein Lieber! Kannste echt nicht meckern.«

Ich hab keine Ahnung, welche verdammte Kamera-Verarsche hier abläuft, aber mir ist absolut nicht danach, hier noch zusätzlich einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde für die schnellste Zwangsräumung meines Lebens zu feiern und wiederhole mich: »Wo sind meine Sachen?«

Meier mit seinen sportlichen hundertzwanzig Kilo ist mittlerweile damit beschäftigt, die Schrauben der Türklinken zu lösen, als ich mich fasse und bestimmt auf ihn zugehe.

»Äh, das können Sie lassen. Ich ziehe nicht aus. Haben Sie vielleicht mal nur einen kurzen Gedanken daran verschwendet, dass die mir hier alles geklaut haben!«

Meier guckt mich ungläubig von unten aus der Hocke an.

»Nee! Wieso? Die war’n doch total nett!«

Stimmt! Nette Leute klauen nicht. Denn Typen, die Wohnungen ausrauben, tragen ja alle rote Pullover mit ’ner Nummernkombi auf der Brust, Dreitagebart und das fieseste »Hehehe« aller Zeiten im Gesicht. Mensch Meier!

»Wir sind doch hier nicht in Entenhausen, Mann!«

Meier, der nun gar nichts mehr versteht und seinen letzten Satz nochmals liebevoll ernüchtert, aber leiser wiederholt, lässt von der aufatmend hochschnellenden Klinke ab. Und als bräuchte ich jetzt noch einen Nachruf für meine tote Wohnung, stammelt der Haus-Hobbit verwirrt in sich hinein. »Na ja, sinn ja nur Sach’n. Kam’mer ja willer koofen, woah! Des Lehm jeht weiter. Hauptsache jesund, wie! Besser de Couch is weg als deene langbeenige Matratze fürs Schlafzimmer.«

»Was? Meine Matratze ist noch da?«

Meine Alterherrenwitzsensoren laufen nicht mal mehr auf Standby und so fühlt sich der Meier genötigt, mir den Witz auch noch mit reichlich Nachschlag zu erklären. »Ich meente eigentlich nur, na ja … de hübsche Freundin?«

Aha! Ja, haha! Köstlich! Ich könnte kotzen vor Freude. Mein gezwungenes Lächeln ist ohne Frage kein Kick-off für eine legendäre Männerfreundschaft, was Meier auch nicht ignorieren kann. »Kam’mer nüschts mach’n. Aber seh’n Ses ma so, in Afrika hamm de Leute nich mal was, was ihnen eener klauen kann.«

Richtig! Da geht’s mir ja hier eindeutig besser. Danke Meier, du hast Eier! Die Motivationsansprache war ja wohl voll ein Schuss in die Omma! Okay Henry, jetzt mal ganz ruhig. Mit meinen angespannt zuckenden Händen fahre ich über mein ebenso angespanntes und hochrot angelaufenes Gesicht. 1-1-2 anrufen, keine Frage. Nein, erst Tacko, danach die Bullen. Mit drei kräftigen Hieben schlage ich mir mit der flachen Hand in den Nacken in der Hoffnung, aus einem ganz bekloppten Traum aufzuwachen. Nein, ich sitze nicht in einer Traumebene fest. Das hier ist vollkommen real und verfickt noch mal richtig scheiße. Nachdem ich mit voller Wucht die Fingerknöchel meiner Rechten an die massive Mittelwand meiner Null-Komma-Nichts-Galerie geschlagen habe, krame ich nach meinem Handy, das sich alle Mühe zu geben scheint, in meiner Tasche unentdeckt zu bleiben. Schwarze Gehäuseschale in schwarzer Tasche. Wer denkt sich sowas aus? Mode! Gut, dann eben auskippen.

»Macht meene bessere Häfte och immer so, Herr Thomas«, bestätigt mir das Hausmeisterchen engagiert und stochert mit seinen zugekniffenen faltigen Guckerchen durch das bunt bestellte Beet an Fundstücken. »Was issn des? Va-gi-nal-pilz-cre-me?«

»Wie? Vagi... was?«

Na klar! Reviermarkieren 2.0 – danke, Delia! Ich probiere es erst gar nicht zu erklären, was einer wie Meier, der sich seine Hanni Kittelschürze wohl noch vor Erfindung des Faustkeils direkt aus der Bärenhöhle gerissen haben würde, mit der Tube anstellen könnte. Und das muss ich auch nicht, denn ich habe gefunden, wonach ich noch eben völlig entnervt gesucht habe. Blitzschnell fahre ich übers Telefon.

»Tacko, komm schon, geh ran! Bitte!«

Durch die weit offen stehende Eingangstür vernehme ich einen prolligen Klingelton. Die Schritte sind bestimmt und in unangenehm gut gelauntem Grundrhythmus. Noch bevor ich auch nur einen Körperteil erahnen kann, baut sich vor mir ein fantastisch durchgestylter Typ in hautenger Jeans, Kapuzenjacke und voll verspiegelter Magnum-Brille auf. Unbelievable! It’s him! Tacko!

»Na Alter! Geil, oder?«

Achtung, mein Lieber, das wird doch nicht wieder so eine Film-Quiz-Scheiße, bei der ich am Zitat den Titel reißen soll.

»Geil!?«

Geil ist jetzt ja wohl überhaupt nicht das, was ich als ersten Kommentar erwartet hätte, aber in Anbetracht der aktuellen Leere in meinem Kopf und in Kenntnis seiner exzessiv gelebten Selbstliebe ist mir klar, dass er mit »geil« wohl nur mal wieder sich selbst hypen mochte.

»Japp, siehst gut aus, Tacko! Na ja, wie immer eben, ne!«

Sein postwendend abgeschicktes, überzogen verlachtes »Du aber auch, Schmucker! Du auch!« als willkommen heißendes Wiedersehens-Hallo nehme ich sofort dankbar an. Etwas Gutes, das die nunmehr geräumige Wohnung mit ein wenig Gefühl auffüllt. Hey, ich nehm jetzt echt, was ich kriegen kann, und wir umarmen uns herzlich. Die Schläge auf den Rücken sind wie Balsam. Der feste Männergriff von meinem besten Kumpel wird von meiner Verwirrung aufgesaugt wie Penicillin von einem Schwerstkranken. Tacko nimmt die Brille commerciallike mit dramatischem Seitengriff von der einen Schläfe zur anderen ab und lässt diesen »Ich würd mich am liebsten selbst bespringen«-Blick auf mich niederregnen.

»Hab doch gesagt, auf mich kannste dich verlassen. Sauber! Echt gründlich! Ach hier, der neue IKEA!«

Ich muss mich kurz schütteln und versacke in einem komplett wirren Gedankensalat. Was? IKEA? Was soll ich denn mit ’nem Katalog? Irgendwelche bis dato ungenutzten Hirnregionen machen plötzlich einen auf Teambildung und kotzen lustig kleinere Erkenntnisbrocken aus, die sich über mir zu einer gewaltigen, übel stinkenden Gewissheitswolke zusammenpappen.

»Nee nicht, oder!«

Der will mir doch …! Moment, so lange war ich nun nicht weg, dass hier ein fetter Aprilscherz in der Luft liegt. Wir haben Sommer!

Mit einem nüchternen Handschlag haut Tacko mir einen knittrigen Hunni in die Linke. »Hier, die Auslöse, war weniger wert, als ich dachte, aber du hättest das ja eh alles weggekloppt.«

Völlig bedeppert betrachte ich den Schein, als wäre er mein lang ersehntes Begrüßungsgeld. Ich weiß nicht, ob ich mich nun hier wie ein naiver Ossi nach der Maueröffnung freuen oder eher wie ein von Schulden zerfressener Grieche komplett austicken soll.

»Tacko, du bist doch mein Freund …?«, frage ich mit preisverdächtiger Zurückhaltung, dabei aber überdeutlich artikuliert, als wäre er gerade im Integrationskurs »Deutsch für Anfänger« – Basislevel, versteht sich.

»Auf jeden, Henry. Auf jeden!«

»Gut! Dann … schauen wir uns doch mal hier um? Und was fällt uns da ein klitzekleines bisschen auf, was nicht so ganz normal sein könnte?«

»Ähm, na ja, wenn du so fragst. Ich hätte als dein Freund ja nix gesagt, aber … du riechst aus’m Schritt. Musst ja ordentlich gedödelt haben, wenn die Dusche das Einzige ist, was du nicht benutzt hast. Könnte wetten, Delia läuft nur noch Gangnam Style, was?«

Keine Ahnung, ab wann Blut kocht, aber über diesen Punkt bin ich mehr als hinaus.

»JA, MIR STINKT’S! UND ICH HAB SEIT MONATEN NICHTS ›GEDÖDELT‹, HERR TACKO! Was, verdammte Scheiße, ist hier los? Du solltest Blumen gießen? Meine bekloppten Blumen gießen! BLUMEN … verstehste! Und ›gießen‹ … nur ›gießen‹! Nicht umtopfen, nicht beschneiden, nicht besudeln und schon gar nicht weghauen … wie alles andere hier. WO IST MEINE WOHNUNG? Wieso sieht’s hier aus, als hätte ich im Wahn die ganze Hütte entkernt?«

»Na, weil du das so wolltest. Hey, wenn einer extra aus dem Urlaub den Obama macht, dann schmeiß ich mich rein.« Mit einem in Dessau nur vom Zaziki-Tempel an den Sieben Säulen bekannten Service-Grienen setzt er nach: »Aber nur für meine guten Freunde.«

»O-B-A-M-A?«

»Na hier, ›Change is coming‹. Und ich bin dabei. FREEDOM FOR HENRY! Keine Ursache!«

Nein, mir ist jetzt nicht nach Freundschaft feiern und einer lockeren Ouzo-Ziehung mit meinem selbst ernannten Heiland, obwohl hier kein Zweifel besteht, dass TACKOBAMA wie Katrina-Wirbelsturm über meinem bis dato liebevoll eingerichteten Lebensraum gewütet hat. Nennen wir es einfach Schockstarre, aus der ich mich ganz im Sinne von Tackos Gesundheit besser noch nicht lösen sollte.

»Was hab ich! Was? Hör mal, mein Gepäck ist in Amsterdam, ich habe meine Beziehung mit Delia im Bordklo versenkt und nun noch selbst meine Bude blankgezogen? Erklär’s mir, Tacko. Egal wie! Aber erklär’s mir! Und hör auf zu grinsen, als würdest du den Lemuren im Tierpark beim Ficken zuschauen.« Was ich gerade tue, ist kein Schreien mehr, es ist kurz vor dem finalen Klick, ganz nah an der feierlichen Verleihung der goldenen Dauerkarte für den Aufenthalt in Uchtstpringe. Schwester, die Pillen für Herrn Thomas, bitte!

»Wieso? Koffer? Delia? Hey, Henry, ganz locker, ja! Du hast mich angerufen, aus der Karibik. Völlig wirre Kacke! Alles durcheinander.«

Richtig, ich hatte angerufen. Einfach mal Hallo sagen, nur um … na ja, … um Hallo zu sagen.

»Aber was für ein Hallo!«, steigt Tacko energisch begeistert ein. »›Beschissen‹ und ›endlich raus aus dem Mief‹. Das haste gesagt. Ey, komm! Und dann haste was von ›innerer Leere‹ gefaselt oder so. Ja, du wolltest dich jetzt endgültig ›freimachen‹, von allem … irgendwie. Da war auch ›Wohnung‹ dabei. Sei froh, dass ich überhaupt rangegangen bin? Weißte, an wem ich da grad dranhing? Nein, da bin ich mal Kumpel wie Sau und lass die Mädels auf dem Kneipenklo abkühlen, weil Herr Henry sich halt mal auskotzen will. Da musste nicht Danke sagen. So bin ich!«

Als wären wir mitten in einer dieser mit Coolness gestopften Gangster-Rapper-Schmonzetten, bumpert er sich mit geballter Faust auf die aufgepumpte Männerbrust, um mir sein Herz zu Füßen zu legen.

»Da drin, da biste! Ich spür alles. Dein Gesabbel, das klang auch alles irgendwie okay, also, das zwischen dem Knacken und Rauschen. Komm schon, Dicki?«

»Hey, jetzt ist nicht die Stimmung für neue Spitznamen, ja! Provozier mich nicht, Eddi!«

Aus offenkundiger Angst, seinen zweiten, zu seinem Übel verhassten Vornamen nun möglicherweise öfter zu hören, flüchtet er sich in die Fortsetzung seiner Version der Geschichte. »Warum soll ich dir das nicht abkaufen? Pack den Ochsen am Schwanz! Ach übrigens, ich sag mal Glückwunsch, dass du Delia abgeschossen hast. Das nenn ich echt mal korrekt. Keinen Sex haben kannste auch allein. Oder willste jetzt doch behaupten, dass die am sonnigen Arsch der Welt mal ihr Bermudadreieck gelüftet hat, oder was? Komm, klatsch ab, Alter!«

Ja, echt toll! Tacko hat sich innerhalb von Millisekunden wieder gefangen, was ich von mir gar nicht behaupten kann.

»Hey, und keinen Depri schieben. Ich besorg dir ’ne Neue. Weiß schon, was jetzt passt. Also, unten rum. Vertrau mir.«

Wie auch immer er sich den Umschlag geangelt hat, plötzlich fuchtelt er mit Dörtes Einladung vor meiner Nase herum und garantiert mir in bestem Versicherungssprech, dass er sich bis zur Deadline um alles kümmern werde und dass dieser Event mein ganz großer Triumph werden könne.

»Das ist alles ein Zeichen. Easy!«

»Tacko, halt die Fresse. Halt einfach mal die Fresse!«

Was er auch tut.

Er würde mir das nicht nachtragen, auch wenn es mir im Moment vollkommen egal ist. Und so ergießt sich eine Tsunamiwelle nach der nächsten über ihn, in denen meine gute Erziehung qualvoll ersäuft, wobei ich durchaus erstaunt bin, welch buntes Beleidigungsarsenal in meinem Gedächtnis eingelagert ist. Als ich seine Mutter bildhaft ausgeschmückt den Bordstein vorm Bahnhof lecken lasse, fange ich eine ein. Der Schrecken verzieht sich langsam, während ich mich an der Raufaserwand hinuntergleiten lasse und auf meinen Hausschlüssel starre. Ohne einen Blick an Tacko zu verschwenden, werfe ich ihm meinen Schlüssel hin.

»Hier, das ist noch da.«

Ein schwacher Hauch von Reue zieht in ihm auf. »Verdammte Kacke, Henry … dann poste halt das nächste Mal wie jeder … an alle … da gibt’s keine Netzschwankung.«

»Entschuldige, Herr Tackoschisski! Stimmt, wie konnte ich das übersehen. Ich bin ja selbst schuld.«

Den Startknopf hatte ich per Fernsteuerung also selbst aktiviert. Ich hatte einfach mal die Freiheit des Funknetzes genutzt, das für sich allein entschied, welche Kommunikationsfetzen übers Wasser gingen, und ursprünglich nur jene Botschaft, die auch ohne Umschweife auf einer belanglosen Postkarte hätte Platz finden können, nach Deutschland geplappert:

»Hi Tacko, der Flug war beschissen, hier alles super, endlich mal aus dem Mief raus. Deutschland im Februar ist was für Suizidjunkies. Ich werd mal richtig frei machen, keine Arbeit, also ich check auch keine Mails. Übrigens hab ich was Schönes für die Wohnung gefunden.«

So banal, wie das alles klingt, aber das war alles, was ich ihm morsen wollte. Dem, der mich vorbehaltlich nimmt, wie ich bin, habe ich genau das zu verdanken und werfe es ihm sogleich vor. Und – wie überraschend – das bringt mich kein Stück weiter.

»Tacko …? Ach Mann, Tacko!«

Gut, fassen wir also zusammen. Die Bude ist ausgeräumt, der Nachbar hat Polen ausgemacht und das Schloss wurde von selbigem ausgiebig befummelt. Wenigstens etwas, das hier befriedigt ist. Mein Dispo hat nicht nur Kammerflimmern. Nein, der ist schon längst im Walhalla.

»Also, was tun und nicht klauen?«, sinniere ich laut in die Kühle des Wohnzimmers.

Und dann? Es gibt Momente, da schaut man sich an und weiß eine Hundertstel später, was zu tun ist. Wir wissen und wir tun. Mein Vater wäre in diesem Augenblick ohne Zweifel stolz auf mich, einfach nur, weil die Entscheidung steht.

Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille

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