Читать книгу Feuersetzen - Tom Wolf - Страница 12

Donnerstag, 19. Mai 1552

Оглавление

Mit jedem Schritt feierten sie, noch am Leben zu sein. Die Glieder schmerzten bei jeder Bewegung, als sie neben Daniel Jobst zum ersten Mal wieder den Gang nach draußen wagten. Doch am liebsten hätten sie vor Freude gesungen – wie die Vögel, die jetzt lautstark aus jedem Winkel den Frühling priesen. Sie hatten einander viel erzählt, während des Tages als bettlägerige Zimmergenossen selbstredend lang und breit die nächtlichen Erlebnisse besprochen. Nun inspizierten sie gemeinsam mit Jobst die Brandstelle. Auch den letzten schwelenden Balken hatte man beseitigt, um keinen neuen Feuerherd entstehen zu lassen. Vom Lehm aus Wänden und Decken war noch ein kleiner Hügel übrig. Die Asche türmte sich, besonders abgelöscht und zu kleinen Kegeln zusammengefegt.

»Wie hat die Betrogene es aufgenommen?«, erkundigte sich Volpi, während er mit seinem Stock in den Aschehaufen stocherte. Beide Seiten seines geschundenen Leibs brannten und stachen, sodass er bei jedem Schritt fürchten musste, in der Mitte durchzureißen. Aber er war bemüht, es mannhaft zu ertragen und dies gelang, indem er innerlich unablässig den Schwur tat, künftig nicht nur fremde Häuser, sondern auch die eigene Neugier einfach … brennen zu lassen …

»Gut und schlecht«, antwortete Jobst sehr sibyllinisch. »Dass Otto, ihr Mann, sie betrog, traf Sibylle Herbst sehr übel! Das heißt, es kam sie wohl vor allem schlimm an, dass es nun auf so schmähliche Weise öffentlich ruchbar wurde und im Gedächtnis der Stadt eingebrannt ist … Daher schäumte sie vor Wut. Dass er tot ist – ertrug sie dagegen völlig gefasst. Sie will von der Geschichte zwischen ihrem Mann und der Schwalbe nichts gewusst haben. Dass er ihr untreu war, habe sie freilich vermutet … Sie wurde von einem Sohn entbunden, noch letztes Jahr. Nun scheint sie über ihre eigene Zukunft und die des Kindes beruhigt. Herbst muss ihr gedroht haben, sie zu verlassen, oder ihr und dem Kind etwas anzutun, um ganz frei zu sein. Sie hat es vor einigen Herren des Rates bekannt.«

Wieso machte man so viel Wesens vom Unterschied zwischen Mensch und Tier? Menschen waren redende Bestien, darauf lief es hinaus, dachte Volpi.

»Wie furchtbar – das alles nun vor aller Ohren enthüllen zu müssen … Ich schätze, sie ist überdies sehr hässlich …«

»Wie kommst du denn darauf? Ich möchte sie zur reizendsten Witwe der Stadt erklären!«, sagte Bartholdi. »Wäre ich nicht so schüchtern … würde ich ihr die Tür einrennen!«

»Vorsicht …«, sagte Jobst und blickte demonstrativ um sich. »Du siehst, was bei deinem letzten Tür-Einrennen rauskam!«

»Was ist denn das hier?«, fragte Volpi unvermittelt, mit der Spitze seines Stockes ein kleines längliches Etwas von einem Aschekegel fort zur Seite schiebend. Er bückte sich ächzend, hob das Ding auf und hielt es prüfend ins Sonnenlicht.

»Eine Pfeilspitze aus Eisen, will ich meinen! Nichts Besonderes.«

»War die Wittib etwa in der Schützengilde?«

»Nein, aber ihr Mann! Wie wir alle, versteht sich …«

»Vera Stobekens Mann hieß Eitel Stobeken. Er fiel vor fünf Jahren …«, fügte Bartholdi hinzu, »… in der Schlacht bei Mühlberg, wo die Schmalkalder schmählich dem Kaiser unterlagen.«

»Und der Gildeschütze hatte nur einen Pfeil im Haus?«, verwunderte sich Volpi. »Wenn ich mir die Eisentrümmer anschaue, die hier sonst so herumliegen, scheint sich bisher niemand für die Nachlese interessiert zu haben: Nägel, Schnallen, ein Schürhaken, ein paar Messerklingen, ein kleiner Eisenkamm. Warum liegen hier nicht die Spitzen von einem oder zwei Schock Pfeilen herum? So viel hat doch jeder Schütze, mindestens, oder nicht?«

Volpi hatte schon vom liebsten Zeitvertreib Jobsts gehört. Seine Kenntnisse waren dagegen rein theoretisch – er hatte Roger Aschams Toxophilus gelesen. Was er über Pfeil und Bogen wusste, hatte er daraus.

»Ungewöhnlich in der Tat …«, sagte Jobst. »Vielleicht hat die Schwalbe dennoch einen Pfeil aufbewahrt – im stillen Angedenken an den wehrhaften Gatten – … – denn ich kaufte ihr seinerzeit alle Bögen und Pfeile, soweit noch vorhanden, ab. Ihr Mann hatte freilich seinen besten Bogen mit im Krieg und auch sicher drei Schock Pfeile. Was überhaupt noch übrig war an Kriegsgerät, wollte sie loswerden.«

Bartholdi und Jobst waren noch mit dem Rätsel dieser singulären eisernen Pfeilspitze beschäftigt, als sie die Stimme von Till hörten, einem vom Feuer verschont gebliebenen Nachbarn. Buhlmann wohnte rechts neben der Lücke – Till links. Er teilte seinen Namen ganz zu Unrecht mit Ulenspiegel – denn er war ein humorloser Geselle, auch wenn er dauernd grinste. Ein Gerber eben.

»Es musste ja so enden, das hab ich immer gesagt! Sie hat es abgestritten, aber es war doch, wie ich gesagt hab. Schaut euch nur um – hat mich etwa der Sinn getrogen? Seht’s euch nur an und sagt mir: Hab ich etwa falsch gelegen?«

Till blitzte in die Runde, doch Jobst, Volpi und Bartholdi, die Brand-Inspektoren, schenkten ihm wenig Beachtung.

»Was soll die üble Nachrede, Till?«, sagte Bartholdi. »Das hilft keinem und dir auch nicht, wenn du es noch darauf angelegt haben solltest, in den Himmel zu kommen.«

»Aber ich weiß doch ganz genau, wovon ich rede!«, beharrte Till.

Jobst schaltete sich ein und machte breite Front gegen diesen dahergelaufenen Strich in der Landschaft.

»Verschon uns, wenn du dich jetzt brüsten willst, den Lebenswandel der Schwalbe gekannt zu haben! Da warst du weiß Gott nicht der Einzige.«

Till trat sicherheitshalber einen Schritt zurück, bevor er kicherte und sagte: »Und doch der, der am meisten gehört hat davon … hehe! … Aber das meine ich gar nicht, Meister Jobst. Ich meine den feurigen Gast unter ihrem Dach …«

»Versteh ich nicht? Läuft das nicht aufs Gleiche hinaus?«, fragte Bartholdi grinsend.

»Du solltest wissen, wovon ich spreche, Georg. Dein heiliger Namensvetter kämpfte mit einem von denen …«

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich Gerhard heiße!«, entgegnete Bartholdi boshaft, doch dann erstarb sein Furor. »Du meinst doch nicht etwa, dass sie … einen … hatte …?«

Till kicherte: »Doch, hatte sie! Sieh dich doch um!«

Bartholdi verstand offenbar als Einziger, wovon die Rede ging …

»Hat sie ihn geärgert? Vielleicht … war er eifersüchtig …!«

Jetzt hatten der Gerber und der Großarchivar doch ihren Spaß zusammen.

»Wovon redet ihr überhaupt?«, fragte Jobst.

Volpi schien ein Licht aufzugehen. Ohne weitere Erläuterungen auszukommen, war für den Logiker Ehrensache.

»Nichts sagen!«, flehte er, da er sah, wie Tills Mund schon wieder aufgehen wollte.

»Des Heiligen Georgs Gegner war ein Wurm, denkt Ihr! Ein geflügelter Scheunenanzünder, ein Heerbrand, ein Schatzhüter! Gelt, Herr Till? Und Ihr glaubt, sie hätte diesen heimlichen Gast nicht gut behandelt, sodass er ihr das Dach überm Kopf ansteckt hat … Da könnte was dran sein, er dürfte auf die anderen feurigen Gästen getroffen sein … Wir fanden ihr Liebesnest ja direkt unterm First!«

Bartholdi gluckste. Endlich hatte auch Jobst, der alte, seriöse Handelsherr, verstanden. Das war es, worüber sich die grünschnäbelige Jugend amüsierte: Diese Toren redeten von Lindwürmern, von Drachen, die nachts als wurmartige Feuerschweife in Häuser einfielen und den Hausbesitzern Glück brachten, angeblich …

»Unfug, Aberglaube!«, entfuhr es Jobst. »Ich hielt Euch für einen klugen Mann, mein lieber Doktor. Was soll ich denn jetzt denken? Sagt mir aufrichtig: Glaubt Ihr ehrlich noch an Hausdrachen?«

»Oh ja, ich hatte schon zwei in meinem kurzen Leben, und ich habe zweimal die Flucht ergriffen!« Volpi lachte kurz.»Nein, nein, im Ernst, Herr Jobst, äh …«

Volpi hatte Till wohl für eine halbe Sekunde zu lange fixiert. Der Gerber nickte eifrig, denn ihm war das Ernst.

»Mit Verlaub – so ist es!«, verkündete er erfreut,, zog eine gerollte Broschur hervor und begann vorzulesen:

»Einige sagen, unter anderem Ptolomäus selbst, der Feuerdrache oder Wurm sei nichts als eine Menge brennbarer Luft …«

Aber Jobst schlug Till das Heft zornig aus der Hand: »Du Quatschkopf! Willst du der Schwalbe anhängen, sie sei eine Hexe gewesen, die der Teufel in Drachengestalt besucht hätte – jetzt, wo sie schon unglücklich verbrannt ist?«

Till hob das Heft auf und funkelte Jobst an.

»Nein, aber es wär wohl noch gekommen – hätte sie den Drachen nicht gleich durch ihr Verhalten angeekelt. Statt ihn mit Hirsebrei zu empfangen, was nach Ptolomäus seine Leibspeise ist, vergnügt sie sich weiter mit ihrem Buhlen …«

Volpi und Bartholdi kamen schier um vor Lachen … aber Till verkündete mit fester Stimme: »Als der Drache hereinkam – schöne Bescherung – sieht er die Hexe, wie sie beim Feuerhüter liegt! Na, da wird der Wurm ganz schön geflucht haben! Das Ende vom Lied kennen wir ja … Ich hab ihn jedenfalls einfahren sehen, den Drachen. Könnt Ihr Herren sagen, was Ihr wollt! Und dass Ihr die Lehrmeinung des Ptolomäus nicht achtet, wird den obersten Teufelsaustreiber von Westfalen, Karolus Fischer nämlich, sicher interessieren!«

»Nun mach halblang, Till«, beschwichtigte ihn Bartholdi, der plötzlich wieder sehr gefasst wirkte. Die Erwähnung der Inquisitoren hatte immer diesen plötzlichen Ernst zur Folge. »Erzähl uns lieber, was du gesehen hast. Beschreib es mal mit deinen Worten. Hier steht, wie du richtig gesagt hast, ein großer Naturforscher«, dabei zeigte er auf Volpi. »Beobachtungen sind die wichtigste Grundlage für jede Theorie.«

Bartholdi sah lächelnd zu Volpi hin, der sich ganz den Anschein des lebhaftesten Interesses gab.

Till berichtete: »Ich konnte nicht schlafen, da bin ich halt unters Dach geklettert, wo die Häute trocknen, um welche davon abzunehmen. Daher hörte ich die Geräusche von drüben gut. Wie sollte ich denn auch nicht? Man hörte die Schwalbe und ihren Gespielen ja in der ganzen Straße! Ich hab da mehrere Trockenluken, da kann man durchschauen. Nicht nach drüben, ihr Herren! In den Himmel! Und da sah ich ihn anfliegen! Der Feuerdrache kam just in diesem Moment, als ich hinaussah: Ein grausiger Anblick, sag ich Euch! Erst war es bloß ein von Weitem aufsteigender Strich. In die Höhe stieg’s, dann hörte man ein lauter und lauter werdendes Zischen und sah zugleich einen hellen, dichten Schein, der näher kam. Er fuhr direkt hinein ins Dach der Schwalbe. Mit einem harten Knall!« Till bekreuzigte sich. »Eine Feuerkugel, eine blakende Sphäre, ein Halo, einen Funkenregen, einen kleinen Sturzbach Feuers … das hab ich übers Dach laufen sehen und bin schnell abgetaucht, damit er mich nicht sieht und mir einen Strahl Feuer entgegenschleudert! Das hab ich mir nicht bloß eingebildet! So wahr ich hier vor Euch stehe!«

»Aus welcher Richtung kam er?«, fragte Volpi, und sowohl Bartholdi als auch Jobst staunten über den Ernst, den er in seine Stimme legte. Hatte er etwa doch Feuer gefangen? Wollte er das Drachen- und Wurm- und Glühschwanz-Geschwätz etwa für bare Münze nehmen?

»Darüber nun hab ich mir den Kopf zerbrochen, aber … genau weiß ich es nicht zu sagen. Von oben …, aber ob von der Abzucht oder aus dem Norden? Ich hab es nicht gesehen … Ist denn das wichtig?«

»Für die allgemeine Drachentheorie nicht. Aber sozusagen für die kasuistische Drachenlehre. Für die Anwendung auf diesen besonderen Drachenfall … diese sogenannte Einfahrt … oder gleichzeitige Ein- und Wiederausfahrt …«

Volpi dachte scheinbar wirklich angestrengt über Drakologie nach.

»Tsts … kam der Kerl doch einfach zur Unzeit …« Der Gelehrte hielt die Pfeilspitze hoch. »Was für ein Dach war das eigentlich, ich sah es ja nur noch, als es bereits in Rauchform existierte …«

»Eines mit Holzschindeln«, sagte Bartholdi achselzuckend. »Der Schiefer ist für die wenigsten erschwinglich.«

»Verdammt«, knurrte Jobst. »Also doch …«

Der Drachenbeobachter Till blickte von einem zum anderen, bis Volpi sagte: »Was Ihr gesehen habt, mein Freund, war eine seltene Art, besonders in so zivilisierten Städten wie dieser hier. Ein Drache, der aussah und sich ganz so verhalten zu haben scheint wie … ein Feuerpfeil!«

Feuersetzen

Подняться наверх