Читать книгу Abenteuer zwischen Insel und Schlangenwald - Tomas Cramer - Страница 4
Auf der Insel
ОглавлениеEs war inzwischen fast winterlich kalt geworden. Schwere, dunkle Wolken zogen über die Insel hinweg. Im Radio war sogar ein Sturm angekündigt worden. Doch immer wenn es das Wetter erlaubte, bekam jedes Kind ein Eimerchen, eine Harke und eine Schippe in die Hand, dann ging es in einer Zweierreihe an den Strand. Im Sand haben wir gebuddelt und Burgen gebaut – Tag für Tag. Manchmal unternahmen wir ausgedehnte Spaziergänge, zum Beispiel zum Schwanenteich, und durch die Siedlungen mit den großen Häusern aus dunkelrotem Backstein. Die Salzluft, die vom Meer herüberkam, tat mir gut. Doch ich wartete immer noch jeden Tag darauf, dass meine Eltern mich bald holen würden ...
Eines Nachts schreckte ich plötzlich aus meinem Schlaf auf. Es war ganz dunkel in unserem Zimmer und bei längerem Nachdenken überkam mich das Heimweh. Da begann ich zu schluchzen und wurde wütend darüber, dass meine Eltern immer noch nicht gekommen waren! Außer mir vor Wut, warf ich meinen kuscheligen Teddybär in den dunklen Raum hinein. Ganz plötzlich – was war das? – wurde es hell wie am Tag! Wie konnte das passieren? Der Teddy war direkt auf den Lichtschalter geflogen und schaltete somit das Licht an. Die anderen Jungen wachten allmählich auf und sagten im Halbschlaf:
»Was ist denn jetzt los?« Im gleichen Moment kam die Nachtschwester Ingeborg herein und es gab ein Donnerwetter, mit der Frage, warum wir denn nicht schliefen? Vor Überraschung und Erstaunen verschlug es mir die Sprache und ich deckte mich schnell wieder zu, damit sie mich nicht sehen konnte. Das Licht wurde ausgemacht und bald schlief ich wieder ein.
Etwas später fiel ein Junge aus dem Bett. Er blieb einfach auf dem Boden liegen und schlief weiter. Das merkte ich und hatte plötzlich eine Idee. Ich ließ meine Bettwäsche zu Boden gleiten und legte mich darauf. Ich wollte das auch mal ausprobieren. Jedoch wurde mir das dann zu ungemütlich. Nach einer Weile kroch ich wieder in mein Bett und deckte mich zu. Seitdem wusste ich, dass Camping-Urlaub nichts für mich war.
Am nächsten Abend konnte ich gar nicht erst einschlafen, weil ein helles Licht die Wand anstrahlte, an der mein Bett stand. Ich stand auf und schaute nach, woher das Licht kam. Auf dem Weg zum Fenster hörte ich die anderen Jungs bereits schnarchen. Nachdem ich die Gardine auseinander gezogen hatte, erkannte ich warum es so hell war: Mein Blick fiel auf eine Baustelle, auf der die Arbeiter vergessen hatten das Scheinwerferlicht zu löschen. Auf einmal bekam ich eine Idee für den nächsten Abend. Das beruhigte mich wieder; ich wanderte dann zurück in mein Bett und schlief ein.
Weil es sehr stürmisch geworden war, spielten wir Kinder den ganzen Tag im Kinderheim. Bei dem Sturm war gar nicht daran zu denken, nach draußen zu gehen. Es gab dort ein riesengroßes Spielzimmer, mit allerlei tollem Spielzeug. Ich habe viele schöne Stunden in diesem Zimmer verbracht. Unter anderem stand dort auch eine Tafel mit bunter Kreide. Eigentlich durften wir kein Spielzeug auf unsere Zimmer mitnehmen, doch nun genehmigte ich mir mal eine Ausnahme ... Ein großes Stück roter Kreide verbarg ich in meinem Hosenbund.
Nach dem Abendessen schmuggelte ich die Kreide auf mein Zimmer und wartete sehnlichst darauf, dass es im Haus ruhig werden würde und die Lichter gelöscht würden, damit meine Zimmergenossen schnell einschliefen.
Dann war die Gelegenheit endlich da: Ich stand auf und öffnete erneut die Gardine, wie am Vorabend. Wieder hatten die Bauarbeiter vergessen das Licht zu löschen. Nun schlich ich zum Bett zurück, legte mich aber nicht hin, sondern stellte mich auf die Matratze. Dann begann ich, die Wand mit der roten Kreide anzumalen, damit sie nicht mehr so langweilig aussah. Nachdem die ganze Kreide aufgebraucht war, legte ich mich wieder hin und schlief zufrieden ein.
Am nächsten Morgen, als uns die Krankenschwester weckte und die Gardine aufzog, schien sie ihren Augen nicht zu trauen. Fast die ganze Wand war jetzt rot vollgekritzelt. Es sah bei Tageslicht noch schlimmer aus, als in der Nacht bei Scheinwerferlicht. Zumindest vermutete ich das, als ich in ihr entsetztes Gesicht blickte. Das gab einen Riesenärger! Mir wurde angedroht, dass ich nach dem Frühstück gefälligst alles wieder wegzuwischen hätte. Aber als ich später damit beginnen wollte, hatten die Putzfrauen glücklicherweise schon alles weggewischt.
Jeden Mittag mussten wir Kinder einen Mittagsschlaf halten und wer am besten schlief, der bekam am Nachmittag Gummibärchen geschenkt. Natürlich konnte ich nicht jeden Mittag schlafen, also spielte ich etwas 'Schlaftheater' und so bekam ich die Gummibärchen trotzdem.
Beim Essen gab es immer mal wieder Ärger mit Martin. Martin war ein ziemlich wilder Junge, der sich gar nichts sagen ließ und in seiner Wut immer öfter schrie und wild um sich schlug. Vielleicht vermisste er seine Eltern genauso wie ich? Er schrie und tobte, weil er nur zu Hause essen wollte, wie er sagte.
Nicht hier, in diesem Heim. Immer wenn die Schwestern merkten, dass es sinnlos war mit ihm zu reden, brachten sie ihn auf sein Zimmer, damit er sich beruhigen konnte. Dort aß er dann wieder etwas.
Der Sturm war inzwischen unglaublich stark geworden. Viele Bäume stürzten auf Straßen, Häuser und Autos. Dachpfannen flogen durch die Luft. Es war sehr gefährlich auf die Straße zu gehen! Immer, wenn ein Erwachsener das Heim verließ, liefen wir Kinder an die Fenster und schauten, ob der Wind ihn vielleicht weg pustete, doch irgendwie konnten sich die Großen immer irgendwo festhalten. Für Kinder war es in dieser Zeit des großen Sturmes verboten nach draußen zu gehen.
Mittlerweile war der erste Advent und die meisten Kinder bekamen die ersten kleinen Geschenke und Briefe von ihren Eltern zugeschickt. Nur für mich kam nichts an. Doch eines Tages sagte man mir, dass auch für mich ein kleines Päckchen angekommen sei. Ein kurzer Brief von meinen Eltern war auch dabei. Sie schrieben, dass ich noch vor Weihnachten nach Hause kommen solle. Der Doktor war der Meinung, dass diese Zeit von drei Monaten ausreiche, um meine Lunge genügend zu stärken.
Das war die schönste Adventsüberraschung, die ich je hätte bekommen können! Aber dann fiel mir das kleine Päckchen wieder ein. Nachdem ich sämtliches Geschenkpapier abgerissen hatte, fand ich einen wunderschönen Flummi darin. Einen, der wunderbar im Licht funkelte und glitzerte und so groß war wie ein Tennisball. Ich freute mich riesig und spielte den ganzen Tag damit auf dem Heimflur.
Am Abend versteckte ich ihn in der hintersten Ecke meines Nachtschränkchens, damit ihn mir niemand wegnehmen konnte.