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Einige Jahre zuvor - Im April

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Da lag er nun, in seinem Patientenbett der Universitätsklinik Schwadeburg und überlegte, warum ausgerechnet er, mit seinen wenigen Lenzen, durch den Notarzt und mit der Blaulicht blinkenden Krankenkutsche hierher transportiert werden musste. Schwadeburg ist übrigens die Kreisstadt des Landkreises, in dem Merdensch und Mammalia leben. Mit etwa achtzigtausend dort wohnenden Schweinen ist Schwadeburg ein kleines, überschaubares Städtchen. Wobei bestimmt zwanzigtausend davon Studierende sind, denn an jenem Ort befindet sich die älteste, noch existierende, protestantisch gegründete, Universität von Laurasia.

Merdensch's Schmerzen waren annähernd stark wie ein Erdbeben, fast unerträglich. Ohren, Kiefer, Hals und Schweinebrustbereich drückten dermaßen, als würden 20 Kilo Tröge auf seiner Brust abgestellt. Er riss sich förmlich die Kleidung vom Leib, als die Schmerzattacken akut waren. Die Symptome wiesen auf einen Herzinfarkt hin, was sich auch nach einer Blutuntersuchung und einem Elektrokardiogramm als richtig herausstellte. Genau genommen hieß die Diagnose: NSTEMI der Vorderwand, also ein Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-Hebung im EKG. Eine Arterie wurde mit einem Stent erweitert, damit sein Herz wieder ordentlich durchblutet werden konnte.


Der Stent diente als Gefäßstütze. Er sollte die Gefäße offen halten, in dem der Arzt mit einer Ballonerweiterung eine Engstelle aufdehnte. Bei seinem Stent handelte es sich um ein Edelstahlgeflecht von etwa zwei Zentimetern Länge. Der Wutzedoktor platzierte unter Röntgenkontrolle dieses Metallgeflecht über einen Ballon-Katheter an der Engstelle. Durch Druckbefüllung des Ballons mit Kontrastmittel entfaltete sich der Stent, der auf dem Ballon saß. Als bei der Untersuchung das Kontrastmittel in Merdensch lief und sich in seinem Körper verbreitete, wurde ihm schlagartig so warm, dass er mehrfach hinter einander seine Blase entleeren musste. Merdensch machte Schweinerei, es war ihm peinlich.

OK, er hatte die typisch verdächtigen Voranzeichen ignoriert. Er rauchte Pfeife, hatte höheren Blutdruck, desweiteren schlechte Cholesterinwerte. Zumindest entnahm er das den Angaben während den Voruntersuchungen. Sein Gewicht war auch nicht soooo optimal, entsprach demnach keineswegs dem Schweine-Maß-Index. Ein paar Kilos mehr hatte er schon auf seinen Rippchen, um sich als ideal gewichtig bezeichnen zu können. Er mästete sich bei passenden Gelegenheiten gerne mal. Diese Verhaltensweise ist irgendwie ein No-Go für jedes Schwein. Auch waren seine Großmutter kurz zuvor, nach einer Herzklappen-Operation und sein blutsverwandter Onkel, während einer Herzkatheteruntersuchung, verstorben. Angeblich wären Unpässlichkeiten am Herz ein Handikap in seiner Herde, ein erblich weitergegebenes Übel. Sein Vater AfLo betonte dies immer wieder überwältigend bei diversen Telefongesprächen.

Dagegen spürte er, dass es eher der Stress war, der diesen Infarkt auslöste. Im Januar hatte Merdensch, gemeinsam mit seinem Vater und seiner Schwester CoNa, beschlossen, die Webseite auf eine neue Software umzustellen. Ein Programmierer aus Pigoriffa hatte bereits einige Monde gebraucht, um dieses Wunderwerk halbwegs fertig zu stellen. Man darf nicht vergessen, auch seine Arbeit musste bezahlt werden. Die Umsätze gingen aufgrund der absolut veralteten Software dramatisch zurück. Im Rahmen seiner bislang erlernten Möglichkeiten programmierte auch Merdensch mit. Er konnte dadurch seine Kenntnisse der Projektorientierung ausweiten. Selbstständig Geld zu verdienen ist nicht mehr so leicht, früher war das bestimmt einfacher gewesen. In der aktuell schnelllebigen Zeit sind die Schweine nur noch hinter dem schnöden Mammon her. Geld regiert hier die Welt. Hast du nichts, bist du nichts. Eigentlich schon traurig.

Es kam wie es vorherzusehen war, die Umstellung der Daten begann – die Seite ging Online … und nichts funktionierte. Knapp drei Monate musste nun jeden Tag bis spät in die Nacht gearbeitet werden, was ja eigentlich kein Problem darstellte. Merdensch fühlte sich auch belastbar, sah aber seine Existenz bedroht und klotzte voll rein. Die Beschwerde-E-Mails der angemeldeten Mitglieder wurden nach und nach weniger und das Portal begann wieder halbwegs stabil zu laufen. Es war eine echt harte Zeit, er sah sich zeitweise überfordert. Merdensch bemerkte da irgendwie einen klaren Zusammenhang mit seiner „Erkrankung“, dieses wollte aber keiner so richtig hören. Es hieß immer wieder: „Ja ja der Stress und die Pfeifen, das hört man oft“.

Auf Anraten der Doktoren machte Merdensch eine Reha. Allerdings konnte er diese nur ambulant durchführen, weil seine Rentenkasse nicht für die Kosten aufkommen wollte. Da Merdensch seit seiner Volljährigkeit selbstständig war, zahlte er nur wenige Monate in die besagte Rentenkasse ein, die sich verständlicherweise weigerten die Kosten zu tragen. Ein Lichtblick, seine private Krankenversicherung bezahlte letztlich immerhin 75 Prozent seiner Reha-Rechnung. In der Einrichtung lernte er den Umgang mit Nahrungsmitteln, wie er auf seinen Schweinerücken achten muss und wie er leichte Kreislaufübungen mit diversen Sportgeräten macht. Er kam sich vor wie ein uralter Eber. Seines Erachtens war diese Reha nur Geldmacherei, da effektiv nichts dabei herum kam. Der Leiter der Reha-Klinik, ein spezieller Professor für koronare Erkrankungen, riet ihm anschließend täglich ein wenig zu laufen, ohne zu schnaufen. Das kam Merdensch sehr gelegen, weil ohne zu schnaufen, klang super. Er drehte seither, bis heute, täglich eine dreißig minütige Runde im Ort und nahm bei der Gelegenheit den Schweinehund Fiete mit, der sich konstant darauf freut und mittlerweile den Spaziergang obendrein einfordert, als ginge es dabei nur um ihn.

Sein Rudel stand in der Krankenhauszeit durchgehend zu ihm. Alle haben ihn täglich besucht und sie waren nach einer endlos wirkenden Woche froh, ihr Alphatier wieder in ihren Reihen zu haben. Nach seinem Aufenthalt in der Klinik wollte er zunächst sein Leben ruhiger angehen und weitestgehend den ungeliebten Stress vermeiden. Er wollte knapp zwei Monte lang „Einfach nur da hocken“ und andere Schweine beobachten. Die Zeit verging und der Alltag hatte ihn schnell wieder. Er arbeitete aber nun systematischer als früher, einmal im Jahr war Urlaub angesagt, die Ernährung weitestgehend auf Gesund umgestellt, die verschriebenen fünf verschiedene Medikamente wurden regelmäßig genommen und die Schweinewelt war wieder in Ordnung.

Mammalia suchte nach seinem Herzkasper eine Psychologin auf, um ihre Erlebnisse mit Merdensch's Krankheit zu verarbeiten. Er hatte sie stets zu ihren Terminen hingefahren, ging in Ruhe einen Kaffee trinken und holte sie eine Stunde später wieder ab. An einem Tag hatte diese Psychologin Merdensch ebenfalls in ihren Behandlungsstall gebeten und ihn gefragt, was er jetzt gerne machen würde. Er überlegte nicht lange und meinte. „Ich würde gerne ein Buch schreiben“, „aber meine Geschichte wird wohl niemanden Interessieren“. Er hätte sowieso sehr wenig Material dafür gehabt.

Merdensch & Mammalia

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