Читать книгу Mein erster Schwultag - Tommy Toalingling - Страница 6

Prolog

Оглавление

Du kennst das: Du wachst morgens auf und bist schwul! So läuft das doch, oder? Man wird heterosexuell geboren und eines Tages kommt in einer x-beliebigen Nacht die Homofee Holdine Horio zu dir nach Hause, bestreut dich mit Glitzer und, zack – von nun an befindest du dich auf der regenbogenfarbenen Seite der Macht. Plötzlich liebst du Germany’s Next Topmodel, kennst jedes Musical auswendig und möchtest als Friseur mit lackierten Nägeln arbeiten.

Wie, so ist das nicht? War es bei dir etwa anders? Oder bist du vielleicht gar nicht homosexuell? Egal, welche Sexualität du hast, welchen Weg du bislang gegangen bist und welchen du noch gehen wirst, in diesem Buch erzähle ich dir, wie ich gelernt habe, zu mir zu stehen, und wie ich es geschafft habe, große Hürden zu überwinden und daran zu wachsen. Dies ist kein Coaching-Seminar in Buchform, das dich zu einem besseren Menschen machen wird. Es ist auch keine WhatsApp-Gruppe auf Papier, die dir einen Porsche Cayman S oder viel Geld verspricht, keine Sorge. Dies ist meine Geschichte, mit der du mich ein bisschen kennenlernst und an der du vielleicht mit mir zusammen wächst.


Hi, ich bin Tommy. Nach dem Tod meiner Mutter, als ich drei Jahre alt war, zog ich mit meinem Bruder Dennis, meinem Vater und seiner neuen Freundin zusammen in ein Haus in der Nähe von Hannover. Mein Bruder ist nur ein Jahr jünger als ich, aber dennoch habe ich mich lediglich immer dann besonders gut mit ihm verstanden, wenn wir Langeweile hatten und niemand anderes zum Spielen vorbeikam. Lieber mit dem eigenen Bruder spielen als allein war das Motto. Die restliche Zeit haben wir uns geärgert oder gestritten, wobei meistens das eine zum anderen führte.

Die Jahre vergingen wie im Flug und schneller als erwartet steckte ich auch schon mitten in der Pubertät. Die Frau an der Seite meines Vaters hatte ich irgendwann als meine Mama hingenommen, denn an den Tod meiner leiblichen Mutter konnte ich mich nicht erinnern. Je älter ich wurde, desto mehr Fragen stellte ich jedoch. Fragen zu meiner Geburt, zu meinem Geburtsort Hamburg, zu dem Fakt, dass mein Bruder und ich zwar »Papa« sagten, unsere »Mutter« allerdings nur mit dem Vornamen ansprachen, und schließlich auch Fragen zu den immer häufiger vorkommenden Streitgesprächen zwischen meinen Eltern. Mir wurde klar, dass irgendetwas nicht stimmte, dass in meiner Familie etwas anders war als in den Familien meiner Freundinnen und Freunde. Zunächst dachte ich, es liege an mir, weil meine Fragen meist abgewunken oder mit einem »Das erklären wir dir, wenn du alt genug bist« vertagt wurden. Ich zog mich mehr und mehr zurück und flüchtete mich in meine Bücher. Bei den Drei ??? und TKKG habe ich mich immer gut aufgehoben gefühlt, da gab es wenig Streit und stets ein Happy End.

Als ich elf Jahre alt war, trennte sich mein Vater von seiner Freundin und zog mit seiner neuen Freundin zusammen. Da sie gerade mal acht Jahre älter war als ich, war unser Verhältnis ziemlich kompliziert und schwankte zwischen freundschaftlich und kühl. Zu meinem Leidwesen mussten wir aus dem mehretagigen Reihenhaus ausziehen und von nun an in einer kleinen Dreizimmerwohnung hausen. Dies wurde mit einer neuen Stiefmutter und einem jüngeren Bruder zu einer echten Herausforderung, kann ich dir sagen. Die Schlafcouch im Wohnzimmer wurde jeden Abend von meinem Vater ausgezogen, da wir faktisch einen Raum zu wenig hatten und somit das Wohnzimmer auch gleichzeitig das Schlafzimmer der Eltern war.

Glücklicherweise bekamen wir Kinder jeder unser eigenes Zimmer, ansonsten hätten wir uns noch in den ersten Wochen die Köpfe abgerissen. Die neue Lebenssituation trieb uns dennoch in den vorpubertären Wahnsinn. Vermutlich litt mein Bruder genauso sehr wie ich unter der Situation, doch anstatt miteinander zu reden, motzten wir einander nur an. Dennis verarbeitete seine Wut und sein Unbehagen damit, dass er sich mit Freunden prügelte oder mit ihnen Dummheiten anstellte. Ich glaube, sie haben einmal sogar gekokelt und in der Nachbarschaft einen Briefkasten in Flammen gesetzt. Von solchen Dingen habe ich mich stets distanziert. Meine Wut behielt ich für mich. Nicht nur einmal habe ich mir in der Zeit eine Person herbeigesehnt, mit der ich hätte reden können, aber ich machte die Dinge mit mir selbst aus, auch wenn ich an manchen Tagen das Gefühl hatte, ich würde implodieren.

Mit meinem Vater habe ich mich ganz okay verstanden. Näher kann ich es fast gar nicht beschreiben, denn er arbeitete immer bis abends, was dazu führte, dass wir im normalen Alltag nicht viel Zeit miteinander verbringen konnten. Dafür wurden Wochenenden und Ferienzeiten genutzt. Da mein Vater und seine neue Freundin jeweils ein eigenes Pferd hatten, verbrachte ich gezwungenermaßen meine Wochenenden draußen auf dem Pferdehof und musste dort viel mit anpacken. In meinen Augen war mein Bruder dafür besser geeignet. Nicht nur weil er sichtlich Freude an diesen Arbeiten hatte, sondern auch weil er stärker und handwerklich geschickter war als ich. Mein Vater pflegte allerdings zu sagen: »Wir packen alle mit an, denn von nichts kommt nichts.«

Du siehst, mein Leben hat bereits turbulent angefangen. Und als ob das eigene Familienleben nicht schon genug Probleme für einen Teenager bereithielte, fingen ab diesem Zeitpunkt meine Sorgen erst richtig an.*

* Einen Hinweis möchte ich vorab geben: Die Namen aller im Buch vorkommenden Personen wurden geändert und die Handlungen haben nicht exakt so stattgefunden, sondern wurden dramaturgisch angepasst.

Mein erster Schwultag

Подняться наверх