Читать книгу Schwert und Schild - Sir Morgan, der Löwenritter Band 15: Das Kreuz von Dartmoor - Tomos Forrest - Страница 5
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Ein eiskalter Wind fegte über die Hügel Cornwalls. Der graue Himmel kündigte Schnee an, und die Menschen in der Burg Lahnydrock, die nicht unbedingt etwas im Freien zu erledigen hatten, beeilten sich, in die geheizten Räume zu gelangen. Die Stalljungen hatten es da einigermaßen trocken und freundlich, aber am heutigen Tag herrschte eine gespannte Atmosphäre unter ihnen. Jacob, einer der älteren unter ihnen, hatte verkündet, dass der Hauptmann noch heute eine Patrouille losschicken wollte und die Pferde in einer Stunde gesattelt und im Burghof bereit gehalten werden sollten.
Jacob, ein hoch aufgeschossener, blasser Junge, war schon seit fünf Jahren im Stall des Burgvogtes beschäftigt. Er stammte von einem kleinen Bauernhof aus dem benachbarten Hörigendorf und kannte sich mit Pferden aus. Schon als kleiner Junge war er mit seinem Vater auf den Märkten unterwegs. Von der kargen Ernte allein konnte der seine fünfköpfige Familie kaum durchbringen und versuchte sich deshalb einigermaßen erfolgreich als Viehhändler. So erwarb sein Ältester Kenntnisse über Pferde, Rinder und Ziegen, lernte die Eigenheiten der Rassen kennen und einiges über ihre Krankheiten. Mit sechs Jahren war er dabei, als eine Kuh kalbte, im gleichen Jahr erlebte er die komplizierte Geburt eines falsch liegenden Fohlens, bei der sein Vater mithilfe von einigen Seilen das Fohlen glücklich herausziehen konnte, ohne dass die Stute Schaden erlitt.
Diese Tat hatte dem Vater neben der Belohnung des Vogtes auch anerkennende Worte eingebracht. Doch dann kam ein harter Winter, der Vater starb und innerhalb von wenigen Tagen auch zwei seiner Brüder. Jacob klopfte an die Tür des Vogtes und fand gnädige Aufnahme im Stall, wo er sich rasch bewährte und als Anwärter für den Stallmeister galt, wenn der alte Mann sterben sollte.
Jacob überprüfte zur Vorsicht alle Hufeisen und stellte fest, dass ausgerechnet beim Pferd seines Hauptmannes das rechte Hintereisen locker war. Das war fatal, denn nun musste es schnell gehen und das Pferd in die Burgschmiede geführt werden. Jacob gab einen kurzen Befehl an die anderen Stalljungen, die Pferde bereit zu halten und bei seiner Rückkehr auf den Burghof hinauszuführen. Dann griff er nach dem Halfter des Tieres und führte es aus dem Stall über den Hof zur Schmiede.
Erleichtert stellte Jacob fest, dass der grobschlächtige Mann bereits das Feuer schürte. Der Mann konnte nicht sprechen, aber sein mürrisches Gesicht versetzte auch so manchen in Angst und Schrecken. Wenn dem Schmied etwas nicht passte und man nicht gleich verstand, was er wollte, konnte er schon mal sehr rasch handgreiflich werden. Auch hinter manchem Knecht flog ein harter Gegenstand her, wenn der sich etwa einen Spott mit dem Stummen erlauben wollte.
Jacob führte das Pferd vor und deutete nur kurz auf die rechte Hinterhand. Der Schmied mit seinem dunklen, vollen Bart und den dichten Augenbrauen musterte den Stalljungen kurz, nickte und strich am Bein des Pferdes entlang, um den Huf aufzunehmen. Dann setzte er ihn wieder ab, griff zu den Nägeln und einem Hammer, nahm eine Zange vom Amboss und stellte sich seitlich hinter das Pferd, das diese Prozedur mit Geduld über sich ergehen ließ.
Das Bein im leichten Winkel zwischen den linken Arm geklemmt, die Nägel zwischen den Zähnen, griff der Schmied die Zange und zog einen lockeren Nagel heraus. Ein prüfender Blick, ein fester Griff an das Eisen, und er nickte zufrieden. Rasch trieb er den neuen Nagel in den Hornbereich, prüfte das Eisen noch einmal und stellte den Huf wieder ab.
„Danke, Meister, schnelle Arbeit. Das hätte mir noch gefehlt, wenn ausgerechnet der Hauptmann ein Pferd hätte, dem das Eisen unterwegs verloren geht!“
Der Schmied brummte etwas und schaute dabei aufmerksam über Jacobs Schulter.
Dadurch gewarnt, drehte sich der Stalljunge langsam um und entdeckte den Hauptmann, der geradewegs vom Burgvogt zu ihm herüberkam. Schon die Miene von Sir Maddox of Bridgend zeigte seine heutige Laune an. Der untersetzte Mann machte große Schritte über das Pflaster des Hofes und steuerte direkt auf Jacob zu. Mit einer herrischen Bewegung griff er nach dem Zügel und stieg auf.
„Was glotzt du mich so dumm an, Bursche? Hatte ich nicht Befehl gegeben, die Pferde auf den Burghof zu führen?“ Die schneidende Stimme des Hauptmanns war unangenehm und dröhnte über den gesamten Hof. Ein paar Mägde, die gerade von den Hühnerställen mit gefüllten Körben in die Küche eilten, blieben stehen und schauten zu den beiden herüber. Wenn jemand so brüllte, wie der Hauptmann, gab es zumeist etwas Interessantes zu sehen. Heute aber wurden die Mägde enttäuscht, denn Jacob verbeugte sich artig und sagte laut:
„Alles wie befohlen, Herr Hauptmann. Da kommen die Pferde!“
Er hatte mit Erleichterung festgestellt, dass das Stalltor weit aufgerissen wurde und die Stallburschen alle Pferde hintereinander hinausführten und sie ordentlich, wie zu einer Parade, aufreihten.
Fast gleichzeitig kamen die Soldaten aus ihrem Quartier und stellten sich neben den Köpfen ihrer Pferde auf. Hauptmann Maddox war damit fast der Wind aus den Segeln genommen, aber er war ein Mensch, der sich nur wohl fühlte, wenn er anderen auf die Füße treten konnte.
So trieb er sein Ross an der Reihe der Soldaten entlang und musterte sie mit finsterem Blick. Doch da war nichts auszusetzen, die Männer waren ordentlich ausgerüstet, und mit einem kurzen Befehl schwangen sie sich in die Sättel, trabten hinter ihrem Hauptmann an und waren gleich darauf durch das Tor auf dem Weg ins Tal unterwegs.
Dann hatten sie das Hörigendorf erreicht, und hier gab es endlich für Hauptmann Maddox eine Möglichkeit, sich abzureagieren. Seine ständige Wut brauchte solche Ventile, sonst hätte ihn sein Magengeschwür schon längst zum Sprung von der Burgzinne gebracht.
Diese aufbrausende, aggressive Art lag bei Maddox in der Familie. Bereits sein Onkel Maddox, der seinerzeit auch unter dem Namen „Der Tyrann von Cornwall“ bekannt wurde und während eines Kampfes auf grausame Weise ums Leben kam, lehrte die Menschen das Fürchten (vgl. Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter # Band 5: Maddox der Tyrann von Cornwall). Mit dem einzigen Unterschied: Die Machenschaften von Hauptmann Maddox wurden jetzt vom derzeitigen Sheriff of Cornwall, Sir Struan of Rosenannon, hoch geschätzt und sogar unterstützt.
Auf der einfachen Straße gab es nach den Regenfällen der vergangenen Woche eine dicke Schlammschicht, und in diesem Schlamm steckte nun mitten auf der Straße ein einfaches Ochsengespann. So sehr sich auch ein alter Mann mit seiner Frau bemühte, die Ochsen anzutreiben und den festgefahrenen Karren herauszuziehen – die Tiere regten sich nicht und standen stur wie eine graue Wand mitten auf dem Weg, als die Kolonne herankam.
„Aus dem Weg!“, schrie sie Maddox an, aber ebenso gut hätte er auch einen Felsen anbrüllen können. Verzweifelt zerrte der alte Mann am Geschirr der Tiere, schlug auf das Joch mit der flachen Hand, um sie anzutreiben, doch die Ochsen rührten sich kein bisschen.
„Wird’s bald?“, schrie Maddox mit vor Wut knallrotem Gesicht. „Ich mache euch gleich Beine!“
„Bitte, Herr, wir können nicht aus dem Weg, die Ochsen bewegen sich nicht!“
„Dann sorge dafür, dass sie es tun, oder ich helfe euch dabei!“
Mit diesen Worten zog er seinen Zweihänder und deutete auf die beiden Alten.
Gleichzeitig trat aus dem Nachbarhaus eine schmale, sehnige Gestalt in der einfachen Kleidung der Landbevölkerung. Ein schlichter, aber dicker Umhang verdeckte das einfache Leinenhemd und die Bruche. Die Beinlinge endeten auf nackten Füßen, was zu dieser Jahreszeit auch auf dem Land ungewöhnlich war. Der junge Mann musterte die Szene mit einem seltsamen Blick, schließlich trat er an das Ochsengespann heran, nickte dem Alten zu, und griff selbst in das Geschirr.
Mit ungläubigen Gesichtern beobachteten die alten Bauern, wie die Ochsen plötzlich ihre Beine bewegten, zwar langsam, aber sie zogen sie tatsächlich aus dem zähen Schlamm und machten einen Schritt nach dem anderen. Schwerfällig und knarrend bewegte sich der Karren, und nach einem schmatzenden Laut gab ihn der Schlamm frei. Die Ochsen legten sich ins Zeug, der junge Mann sagte etwas zu ihnen mit halblauter Stimme und führte sie schließlich bis an die nächste Gasse, von der aus das Gespann auf den kleinen Hof der alten Leute abbiegen konnte.
„Na, das wurde aber auch Zeit!“, schnauzte Maddox die Bauern an, die fassungslos auf ihr Gespann sahen und dann dem Hauptmann in das gerötete Gesicht blickten.
„Was glotzt ihr so? Beiseite, wir haben keine Zeit!“
Damit trieb er sein Pferd an und passierte das Ochsengespann, bei dem der junge Mann noch stand. Er beugte sich leicht zu ihm herunter und starrte ihn an.
„Kenne ich dich?“, rief er dabei mit kräftiger Stimme, aber der Jüngling antwortete nicht. Allerdings hatte er sein Gesicht Maddox zugewandt und erwiderte seinen Blick mit ernster Miene.
„Kannst du mich nicht verstehen, Kerl? Ich habe dich etwas gefragt!“, polterte der Hauptmann weiter und deutete jetzt mit der Schwertspitze auf den jungen Mann, der ich nicht einen Fußbreit bewegt hatte.
„Wir kennen uns nicht!“, kam eine leise, sanfte Stimme.
„Wir kennen uns nicht!“, äffte der Hauptmann den Tonfall nach und drehte sich lachend zu seinen Soldaten um. „Habt ihr so etwas schon mal gesehen? Bringt der Kerl ein schweres Ochsengespann in Trab und spricht mit einer Stimme, so hold wie eine Küchenmagd. Kerl, du bist vielleicht ein Feigling und traust dich nicht, laut zu reden, was?“
Die Antwort des Jünglings kam offenbar für alle auf der Straße in gleicher Lautstärke, aber in den Ohren des Hauptmanns schien sie zu dröhnen, denn erschrocken griff er mit seiner freien Linken ans Ohr, als die Antwort kam:
„Ein Feigling bin ich noch nie gewesen, Hauptmann.“
Die Haltung seines Gegenübers bei dieser Antwort stachelte den Zorn des Hauptmanns erneut an, und jetzt sah er seine Chance, sich vor seinen Männern wieder einmal durch eine ganz besondere Tat auszuzeichnen.
„So, das wollen wir doch einmal sehen. Was meinst du zu einem guten Schwerthieb?“
Hauptmann Maddox wollte sein Schwert so knapp über den Kopf des Mannes wirbeln, dass der sich vor Angst wegducken musste – aber das Weitere geschah in unfassbar schneller Zeit. Das Schwert war kurz vor dem Kopf des Mannes, der sich nicht bewegte. Es schien auf ein hartes Hindernis zu prallen, und mit einem Schmerzenslaut ließ Maddox den Zweihänder fallen.
„Das ist Hexerei! Ergreift den Kerl, er ist ein Drudner!“
Mit diesen Worten wollte er sein Pferd auf ihn zutreiben, doch das Tier wieherte hell auf und stieg so unvermittelt auf der Hinterhand, dass sein Reiter vollkommen überrascht wurde und im hohen Bogen in den Schlamm der Straße fiel. Mit allen Vieren stützte er sich ab, um dem Dreck zu entkommen, konnte aber doch nicht verhindern, dass ihm auch die Beine wegrutschten und er mit dem Gesicht tief in den Schlamm tauchte.
Brüllend und schreiend richtete er sich wieder auf, wobei ihm ein Teil des Schlammes auch noch in den Mund geriet. Er gebärdete sich wie toll, und durch das wild gewordene Pferd und seine Schreierei hatten auch die Soldaten ihre Schwierigkeiten, die Tiere zu zügeln.
„Schnappt Euch den Burschen und bringt ihn zu mir!“, schrie Maddox, und als die Soldaten dazu endlich in der Lage waren, befand sich niemand mehr vor ihnen auf der Straße. Die beiden Alten hatten ihre Zugtiere auf den Hof geführt und spannten sie aus. Dabei stand der Karren direkt vor der Einfahrt, sodass keiner der Soldaten ihn passieren konnte. Aber aus ihrer Sicht war auch nirgends etwas von dem Jüngling zu entdecken. Ein paar von ihnen ritten um den kleinen Hof, andere schwärmten durch das Dorf aus, aber abgesehen von einem Hund und ein paar wild herumflatternden Hühnern trafen sie kein weiteres Lebewesen an.
Hauptmann Maddox wischte sich das verschmierte Gesicht an seinem Waffenrock ab, stieg wieder in den Sattel und fluchte so gotteslästerlich, dass seine Männer ihre Pferde anspornten und so taten, als würden sie den jungen Mann verfolgen. Nichts war ihnen dabei wichtiger, als aus der Nähe des Tobenden zu gelangen.