Читать книгу Trau keinem Mörder über 30: Fünf Kriminalromane um das Jahr 1968 - Tomos Forrest - Страница 8
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Viktor Schwarz stieß das gefüllte Magazin in die Pistole und hob den rechten Arm. Er richtete die Waffenmündung ins Leere. Sein Arm bewegte sich im Halbkreis, seine dunklen, harten Augen suchten ein Übungsziel.
Er fand es im Foto seiner Frau.
Hannas Bild befand sich in einem billigen, silberfarbenen Rahmen auf dem Sideboard. Ihr nichtssagendes Gesicht mit dem blondgefärbten, hochgesteckten Haar und dem synthetisch anmutenden Lächeln machte ihn wütend. Er presste die Lippen zusammen und fragte sich, warum er nicht Hanna anstelle dieser Kairi tötete.
Es war absurd. Er war ein Profikiller Er wurde dafür bezahlt, dass er fremde Menschen ins Jenseits beförderte, die er kaum kannte, aber Hanna, die er hasste, durfte weiterleben, er brachte es allenfalls fertig, sie gelegentlich zu verprügeln.
Mit ihren Einkünften als Bardame in Dennis Glitzerkneipe fand sie vor seinen Augen eine gewisse Gnade, sonst hätte er sie und ihr blass-buntes, lächerliches Foto längst aus der Wohnung verschwinden lassen, dann wäre Hanna den Weg gegangen, den jetzt Kairi beschreiten musste.
Er steckte die Waffe ein und zog ein postkartengroßes Foto aus seiner Jackentasche. Er hielt es auf Armeslänge von sich. Seine schmalen Lippen umspielte ein dünnes, grausames Lächeln. Für was mochte der Name Kairi stehen?
Der Name passte irgendwie zu diesem sanften, exotisch-schönen Gesicht. Aber er hatte auch einmal gehört, dass man in Asien häufig nicht den Geburtsnamen benutzte, sondern einen anderen, wie einen Kosenamen.
Viktor Schwarz erinnerte sich an die kleine Joy, die er in Dennis‘ Laden kennengelernt und für ihre Liebesdienste bezahlt hatte, Joy hatte bestätigt, was man sich ganz allgemein über die besonderen Talente der Thai-Mädchen zu erzählen wusste.
Oder war Joy aus Korea in die Bundesrepublik gekommen? Er wusste es nicht genau, es spielte auch keine Rolle. Im Grunde waren sich diese mandeläugigen, sanften Geschöpfe mit den zarten, biegsamen Leibern alle gleich. Sie besaßen die erstaunliche Fähigkeit, einem Mann genau das zu geben, wonach es ihn verlangte.
So gesehen war es ein Jammer, dass er die bildhübsche Kairi abservieren musste. Andererseits konnte er sich in seinem Beruf keine Gefühlsduseleien leisten. Wenn es ans Sterben ging, war keine mehr attraktiv, dann regierte der Terror, und es blieb bedeutungslos, ob das Opfer Hanna oder Joy oder Kairi hieß.
Schwarz verbrannte das Foto in einem großen Keramikascher. Die Rückstände kippte er ins Toilettenbecken.
Er schaute auf seine Uhr und verließ die Wohnung. Im Treppenhaus begegnete ihm die dicke Braun. Sie litt an Asthma und hatte Mühe, ihre im zweiten Stockwerk gelegene Wohnung zu erreichen, aber das hielt sie nicht davon ab, unterwegs einen kleinen Plausch zu suchen. Sie stoppte jeden Hausbewohner, der sich ihr dafür anbot.
„Hallo, Herr Schwarz“, sagte sie schwer atmend. „Sind Sie mit dem Schlosser zufrieden? Ich könnte seine Adresse gebrauchen. Es ist so schwer, einen Handwerker zu kriegen.“
„Wen meinen Sie?“
„Na den, der heute Morgen hier war. Er fummelte an Ihrer Tür herum. Er sagte, Sie hätten ihm den Auftrag gegeben, ein neues Schloss einzusetzen,“
Frau Braun sprach langsam. Nach jedem zweiten oder dritten Wort legte sie eine Pause ein. Viktor Schwarz drehte sich um. Er hastete zurück und musterte das Schloss an seiner Tür. Er entdeckte daran ein paar feine Kratzspuren. Eine Minute später stand er im ehelichen Schlafzimmer an Hannas Bett. Sie schlief noch. Er rüttelte sie wach und sah dabei die rostbraunen Haaransätze ihres Scheitels.
Hanna rieb sich die Augen und schaute blinzelnd auf die Uhr.
„Was ist los?“, fragte sie. „Es ist erst zwölf!“ Als Nachtarbeiterin pflegte sie bis drei zu schlafen.
„Hast du den Schlosser bestellt?“, fragte er.
Hanna setzte sich im Bett auf. Abgeschminkt wirkte sie alt und verbraucht, dabei war sie erst Einunddreißig.
„Wovon redest du überhaupt?“, fragte sie.
Er biss sich auf die Unterlippe. Irgendjemand hatte versucht, in seine Wohnung zu gelangen. Schwarz machte kehrt. Die Braun hatte den oberen Treppenabsatz erreicht. „Diese Quälerei!“, japste sie. „Wenn sie den Fahrstuhl nicht bald in Ordnung bringen, ziehe ich aus.“
„Was war das für ein Typ?“, fragte Schwarz.
„He?“
„Der Schlosser“, sagte Schwarz ungeduldig. „Wie sah er aus?“
„Sie haben ihn doch bestellt!“
„Eben nicht“, meinte Schwarz. „Wann war er hier?“
„Wollen Sie damit sagen, dass jemand versucht hat, bei Ihnen einzubrechen?“, fragte Frau Barth entsetzt.
„Eine andere Erklärung gibt es nicht. Beschreiben Sie mir den Kerl.“
„Hat er was gestohlen?“
„Nein, nein. Er ist an dem Schloss gescheitert. Es ist das Beste, was der Markt zu bieten hat. Wann war der Kerl hier?“
„Das war gegen elf, würde ich sagen.“
„Da war ich nicht zu Hause. Hanna hat fest geschlafen. Würden Sie den Mann wiedererkennen?“
„Sofort, aber klar! Er trug einen Overall und hatte ’ne Werkzeugkiste bei sich. Er war noch jung, nicht älter als fünfundzwanzig. Er sah richtig nett aus, so’n blonder Junge, groß und schlank.‟ Die dicke Braun war gezwungen, eine längere Pause zu machen. Dann fragte sie: „Werden Sie Anzeige erstatten? Brauchen Sie mich als Zeugin?“
Schwarz schüttelte den Kopf. „Ach was, das bringt nur Scherereien. Mir ist ja nichts geklaut worden. Aber da sehen Sie mal, was in dieser Stadt alles möglich ist, am helllichten Tage.“
„Ja“, seufzte die Braun, „manchmal frage ich mich, weshalb ich mein schönes Wolfsburg verlassen habe, um in diese von Gewalt und Verbrechen geprägte Stadt zu ziehen. Ja, wenn alle Menschen wie Sie wären, Herr Schwarz, nett und hilfsbereit, gute Nachbarn, eben gute Deutsche...“
Schwarz nickte ungeduldig. „Menschlichkeit!“, sagte er fast pathetisch. „Das ist es, was den meisten fehlt. Leider! Wir müssen lernen, sie zurückzugewinnen.“ Er schaute auf seine Uhr. „Ich muss mich verabschieden, Frau Braun. Ein Geschäftsfreund erwartet mich. Eine dringende Sache.“
Viktor Schwarz holte seinen Buckelvolvo aus der Tiefgarage und fuhr hinüber nach Wedding. Er war nervös, das machte ihn wütend.
Schwarz hielt es für selbstverständlich, einen Auftrag mit größtmöglicher innerer Gelassenheit zu erledigen. Der Besuch des Unbekannten wirkte in ihm nach, er verunsicherte ihn und warf die Frage auf, was sich hinter dem Besuch des „Schlossers‟ verbarg.
Schwarz glaubte nicht an die simple Einbruchstheorie. Der Blonde hatte etwas Bestimmtes gewollt. Aber was? Und wer hatte ihn geschickt?
Schwarz stellte den Volvo in der Nähe eines Kleingartenvereins in der Berliner Straße ab und stieg in einen BMW um, den er am Vorabend gestohlen hatte. Mit dem BMW fuhr er weiter nach Neukölln. Gegen ein Uhr erreichte er die Gutschmidtstraße. Er fand keinen Parkplatz und war schließlich gezwungen, den BMW in einer Halteverbotszone abzustellen.
Schwarz stieg aus. Er hatte schon vor Antritt der Fahrt dünne Autofahrerhandschuhe übergestreift und konnte sicher sein, keine Fingerabdrucke in dem Wagen hinterlassen zu haben. Außerdem trug er eine große Sonnenbrille. Schwarz betrat eine Telefonzelle und wählte die Nummer von Frederick Palme. Eine sanfte, weiche Frauenstimme meldete sich.
‚Da ist sie ja!‘, dachte Schwarz und sagte. „Teutonia-Versicherungen, Herrn Palme, bitte.“
„Bedaure, mein Mann ist nicht zu Hause“, erwiderte Kairi mit einem sehr ausgeprägten, fremdländischen Akzent. „Sie erreichen ihn tagsüber in seinem Büro in der Arnulfstraße. Das ist in Tempelhof. Warten Sie, ich gebe Ihnen die Telefonnummer.“
Schwarz wartete die Auskunft ab, bedankte sich, und legte auf. Fünf Minuten später betrat er das Haus Gutschmidtstraße 82. Der Lift brachte ihn nach oben. Im dritten Stockwerk stieg ein kleiner, dicker Mann zu, der einen schwarzen Aktenkoffer in der Rechten trug. Die Männer schenkten sich nur einen flüchtigen Blick. Der Dicke blieb im Fahrstuhl, als Schwarz in der fünften Etage ausstieg.
Schwarz eilte zurück ins zweite Stockwerk. Niemand kam ihm entgegen. Er klingelte an Kairis Tür. Er war jetzt ganz ruhig, er fühlte sich sogar gut.
Es war soweit. Die Stunde des Tötens war gekommen.