Читать книгу Trau keinem Mörder über 30: Fünf Kriminalromane um das Jahr 1968 - Tomos Forrest - Страница 9

Оглавление

2.


Kairi öffnete die Tür und blickte in ein fremdes Gesicht. Sie verspürte ein leises Erschrecken und bereute, Ferdys Warnung nicht beherzigt zu haben. Er hatte ihr empfohlen, vor jedem Türöffnen die Kette einzuhängen.

Der Besucher nahm mit der Linken seine Sonnenbrille ab und lächelte. Kairi gefiel das Lächeln nicht, aber sie hatte sich längst daran gewöhnt, dass es in dieser Stadt Gesichter gab, die einem eine Gänsehaut verursachen konnten.

„Sie wünschen, bitte?“, fragte Kairi.

„Ich habe hier etwas für Sie“, sagte Schwarz.

Er griff in die Gesäßtasche und riss seine Pistole daraus hervor.

Kairi stieß einen kleinen Schreckensschrei aus, sie wich ein paar Schritte vor Schwarz zurück.

Schwarz trat über die Schwelle. Er drückte die Tür mit dem Fuß hinter sich zu. Dann bedeutete er der jungen Frau mit einer Pistolenbewegung, ins Wohnzimmer zu gehen. Kairi gehorchte. Schwarz folgte ihr.

Der Raum war modern möbliert. An den Wänden hingen ein paar moderne Bilder, die aus jedem Ikea-Haus stammen konnten. Aus einer Bodenvase ragten ein paar getrocknete, exotische Blütenzweige. Sie waren die einzige sichtbare Verbindung zu Kairis Herkunft und Geschmack.

Kairi trug blaue Jeans und ein weißes T-Shirt. Sie wirkte so dünn und zerbrechlich wie ihre auffallend schmalen Arme.

„Was wollen Sie von mir?“, stammelte sie.

„Den Stoff“, erwiderte Schwarz. „Was sonst?“

„Den Stoff?“, echote Kairi verständnislos.

Schwarz grinste. Diese Puppen verstanden nicht nur eine Menge von der Liebe, sie waren auch exzellente Schauspielerinnen. Oder lag es nur daran, dass er es als Weißer so verdammt schwer hatte, in einem asiatisch geschnittenen Gesicht bestimmte Gefühlsregungen zu entdecken?

Kairi hatte riesige, dunkelbraune Augen. Ein Puppengesicht. Komisch, auch Hanna hatte ein Puppengesicht, aber das von Hanna erschien ihm leer und töricht, während das von Kairi irgendwie schön war, sanft und anziehend.

Er sah die tiefe, quälende Angst in Kairis lang bewimperten Augen. Er wusste, dass dieser Ausdruck schon bald erlöschen und der gläsernen Starre des Todes Platz machen würde. Er traf darüber die Entscheidung. Es lag an ihm, ob der Wechsel in zwei oder in zwanzig Minuten stattfand.

„Ja, den Stoff“, sagte er langsam. „Er ist hier, in der Wohnung. Ich weiß es.“

„Sie sprechen in Rätseln!“

Schwarz hatte diese Reaktion erwartet. Er war fast ein wenig enttäuscht, dass Kairi dem Klischee der anderen folgte. Aber was Anderes blieb ihr in dieser Lage schon zu tun übrig?

Schwarz ging auf sie zu.

Kairi wich vor ihm zurück, sie prallte mit dem Rücken gegen die Wand und legte ihre Hände flach dagegen. Schwarz blieb dicht vor der jungen Frau stehen. Er rammte ihr den Pistolenlauf in den Magen.

„Komm, Baby“, raunzte er. „Mache es mir nicht so schwer.“

„Sie müssen sich in der Adresse geirrt haben“, sagte Kairi. „Ich bin ...“

„... Kairi“, fiel Schwarz ihr ruhig ins Wort. „Ich irre mich niemals, Mädchen. Nicht, wenn es um einen Auftrag geht. Irren ist in meiner Branche tödlich. Kommen wir also zur Sache. Wo steckt das Zeug?“

„Es gibt in dieser Wohnung keinen Stoff und kein Zeug, es gibt nichts, was Ihr Handeln für mich erklärbar macht“, flüsterte Kairi.

„Rauschgift“, sagte er mit klarer, harter Stimme. „Heroin. Weißer Schnee. Klingt das besser?“

Die Augen der jungen Frau weiteten sich. „Ich schwöre Ihnen, dass weder Ferdy noch ich jemals ...“

Die Hand des Mörders zuckte hoch, urplötzlich. Sie traf Kairis Gesicht so hart, dass ihr Kopf zur Seite gerissen wurde. Schwarz lächelte grausam, seine Mundwinkel zuckten.

„Ich habe genug von deinem blöden Gefasel“, sagte er. „Du magst aus einem Land stammen, wo Märchen ein Stück Wirklichkeit sind, aber hier gelten andere Gesetze, in dieser Stadt zählen nur Fakten. Realitäten! Ich hoffe, du kapierst langsam, worum es geht. Du stirbst, wenn du mir den Stoff nicht aushändigst.“

Kairi musste auch sterben, wenn sie seine Forderung erfüllte, aber es war sinnlos, ihr das schon jetzt klarzumachen. Kairi hielt sich die schmerzende Wange. Die Angst war plötzlich aus ihren Augen verschwunden. Ein Ausdruck von Resignation, vielleicht auch von Fatalismus, war darin eingekehrt. Schwarz dämmerte, dass er es mit diesem Opfer schwer haben würde. Asiatinnen waren eigenartige Geschöpfe, ihr Stehvermögen war von eindrucksvoller Größe.

„Wir besitzen kein Rauschgift“, sagte sie.

„Wer war gestern Abend hier?“

„Gestern Abend? Hans Heinke, ein Freund von Ferdy, sie trainieren beide gemeinsam.“

„Ich weiß, was sie trainieren“, höhnte Schwarz. „Bestimmt nicht für Olympia. Nur haben sie da leider nicht den Hauch einer Chance. Deshalb haben sich versucht, ein anderes, naheliegendes Problem zu überwinden. Ihrer Armut. Und ihre Langweile. Wo hast du deinen Mann kennengelernt?“

„Hier, in West-Berlin.“

„Wer hat euch zusammengebracht?“

„Warum wollen Sie das wissen?“

Er schlug ein zweites Mal zu. Diesmal traf er die andere Wange.

„Ich stelle hier die Fragen!“, schnauzte er sie an.

„Wir sind durch ein Eheberatungsinstitut zusammengeführt worden“, sagte sie. „Durch Georg Taschen.“

„Eben“, sagte er grinsend. „Georg Taschen! Welch ein Zufall, nicht wahr?“

Kairi sah verwirrt aus. „Er ist ein netter Mann. Was ist mit ihm?“

„Nicht ablenken, Täubchen. Das schafft bei mir nicht mal Hanna, meine Angetraute. Ich wollte nur sichergehen, dass ich auf dem richtigen Dampfer bin. Georg Taschen!“ Er lachte kurz und schüttelte den Kopf. Dann sagte er barsch: „Ich zähle bis drei. Es ist deine letzte Chance. Es macht mir nichts aus, dich umzulegen und die Wohnung zu filzen. Ich finde das Versteck, mein Wort darauf. Ich bin ein Profi, Schätzchen.“

„Okay“, sagte sie. „Folgen Sie mir.“

Schwarz zeigte seine festen, tabakbraunen Zähne.

„Na, bitte“, höhnte er. „Warum nicht gleich so?“

Kairi ging in die Küche. Sie öffnete die Besenkammer, nahm eine Trittleiter heraus, stellte sie auf und kletterte nach oben. Sie griff in das Fach. Ihre Hände tasteten zwischen ein paar Kartons und anderem Kram herum. Schwarz schob die Pistole in die Tasche. Von der Kleinen drohte ihm keine Gefahr, die hielt er mit einer Hand unter Kontrolle.

Kairis Finger berührten das alte, schwere Bügeleisen, das Ferdy kürzlich von einem Besuch seiner Mutter mit nach Hause gebracht hatte. Es war ein halb verrostetes, gusseisernes Stück, eine Antiquität, wie Ferdy stolz erklärt hatte. Er hatte vor, es zu überholen und im Wohnzimmer unterzubringen.

Kairi riss das Bügeleisen mit einem Ruck aus dem Fach. Ein paar Kartons flogen heraus und polterten zu Boden. Kairi kümmerte sich nicht darum. Ihre Reflexe funktionierten wie ein gut eingespielter Mechanismus, es schien fast so, als hätte sie das Ganze schon ein Dutzendmal geübt.

Es war ein Wunder, dass Kairi bei der Plötzlichkeit und dem Schwung ihrer Bewegung nicht die Balance verlor.

Kairi sah das jähe Erschrecken im Gesicht ihres Gegners, sie registrierte, wie der Mann in letzter Sekunde abzutauchen versuchte, aber da traf sie ihn schon. Das schwere Bügeleisen krachte mit einem hässlichen Geräusch auf seine Schläfe, er brach augenblicklich zusammen, sein Fall hatte etwas Düsteres und Endgültiges.

Kairi blieb zitternd auf der Leiter stehen. Sie hielt immer noch das Bügeleisen in der Hand. Es erschien ihr plötzlich zentnerschwer.

Sie stieg von der Leiter herab, stellte das Bügeleisen auf den Tisch und lehnte sich schwer atmend gegen den Kühlschrank. Erst jetzt begriff sie, was geschehen war, und ihr wurde übel.

Kairi gab sich einen Ruck. Sie beugte sich über den am Boden liegenden Mann, blickte in seine weit offenstehenden Augen. Rasch tatsteten ihre Finger an den Hals. Ein Pulsschlag war nicht mehr zu spüren.

Aus einem Mundwinkel des Mannes sickerte ein dünnes Blutrinnsal.

Er war tot.

Trau keinem Mörder über 30: Fünf Kriminalromane um das Jahr 1968

Подняться наверх