Читать книгу Der Tag, an dem die Toten sprachen… Berlin 1968 Kriminalroman Band 19 - Tomos Forrest - Страница 6
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„Kennen Sie ihn?“, fragte Bernd.
Andre Wanger schüttelte den Kopf. Er war nicht fähig, ein Wort hervorzubringen.
Der Tote war mit einer Sportkombination bekleidet. Sporthemd ohne Krawatte, ausgetretene Mokassins. Armbanduhr mit Stoppeinrichtung. Bernd schätzte den Toten auf Ende Zwanzig. Er hatte blondes, struppiges Haar, dem man ansah, dass es schon eine Ewigkeit lang nicht mehr gewaschen worden war.
„Messerstich“, sagte Bernd. „Direkt von vorn.“
Die Waffe war verschwunden. Das blutgetränkte Sporthemd schillerte wie gelackt.
„Sie waren mit Ihrem Bericht noch nicht fertig“, sagte Bernd, ohne seinen Blick von dem Toten zu wenden. „Ich will wissen, was Sie gesehen haben.“
Andre Wanger fand seine Sprache wieder.
„Ich bin froh darüber“, sagte er.
„Froh über einen Doppelmord?“, fragte Bernd.
„Sie verstehen das nicht“, sagte Andre Wanger bitter. „Wenn man bloß die Frau gefunden hätte, wäre ich dran gewesen. Geliefert! Schließlich haben Sie mich mit ihrer Tasche geschnappt. Das hätte gereicht. Die Bullen hätten mich zum Täter gestempelt. Jetzt geht das nicht mehr. Sie sind mein Zeuge, dass ich mit diesem Toten nichts zu schaffen habe. Ich war bei Ihnen, als man den kleinen Leichentausch praktizierte. Verdammt, wie hätte ich mich denn aus der Affäre ziehen sollen? Ich wollte bloß die Tasche haben, ein paar Scheine, mit denen die Tote ja doch nichts mehr anfangen konnte ...“
„Hören Sie endlich auf, sich selbst zu bemitleiden“, rief Bernd wütend. „Schildern Sie mir, was Sie gesehen haben!“
„Da gibt’s nicht viel zu erzählen“, sagte Wanger. „Plötzlich kreuzten die beiden Kerle auf. Sie gingen dicht nebeneinander und marschierten zielstrebig auf die Frau zu. Ich tauchte in den Schatten einer Einfahrt. Ich spürte gleich, dass es Ärger geben würde. Die Frau drehte sich herum – etwa an der Stelle, wo Sie stehen. Die Kerle gaben ihr keine Chance, auch nur ein Wort zu sagen. Der Größere von beiden schlug ihr den Schädel ein. Sie stolperte zur Seite, versuchte sich in einem Reflex an den Kisten festzuhalten und ging dann mitsamt dem ganzen Stapel zu Boden. Die Männer rannten weg. Ich war wie paralysiert, aber dann sah ich das Abendtäschchen der Frau auf dem Boden liegen, und ich schnappte es mir, ehe ich in entgegengesetzter Richtung davonrannte.“
„Vielleicht war sie gar nicht tot“, sagte Bernd.
Er hatte nicht einmal den Puls des Mädchens gefühlt. Aber er hatte ihre offenen, starren Augen gesehen. Kein Zweifel, es waren die Augen einer Toten gewesen.
Nur würde die Mordkommission gewisse Bedenken äußern. Mit Recht, wie er zugeben musste. Immerhin konnte sie anhand des Toten feststellen, dass sich hier ein Verbrechen von äußerst mysteriösem Zuschnitt ereignet hatte.
„Geben Sie mir Ihren Ausweis“, sagte er.
Andre Wanger gehorchte.
Bernd überzeugte sich davon, dass Wanger ihm seinen richtigen Namen genannt hatte, und steckte den Ausweis ein.
„Beschreiben Sie mir die beiden Männer!“
„Kann ich nicht. Es war zu dunkel. Einer war so groß wie Sie, der andere kleiner. Der Große hat zugeschlagen. Mehr kann ich nicht sagen.“
„Wo haben Sie das Mädchen zuerst gesehen und wann tauchten die Männer auf?“
„Ich traf sie an der Straßenkreuzung“, sagte Andre Wanger. „Sie bewegte sich wie in Trance, verstehen Sie. Sie überquerte die Fahrbahn, ganz allein. Ich war baff. So eine Klassefrau! Nackte Schultern, wehendes, blondes Haar. Ich wollte sie anquasseln. Ich folgte ihr, bis zum Eingang des Gässchens. Nein, sie kam nicht von dieser, sondern von der anderen Seite. Plötzlich tauchten die Männer auf, wie aus dem Nichts. Ich merkte, dass sie was von ihr wollten und hielt mich hübsch im Schatten, um keinen Ärger zu bekommen.“
„Die Männer haben Sie nicht bemerkt?“
„Weiß ich nicht, aber ich bin beinahe sicher, dass sie mich nicht gesehen haben.“
Bernd betrachtete nochmals den Ausweis der verschwundenen Karin Kürschner. Er stellte anhand der Änderung im amtlichen Eintrag fest, dass sie verheiratet war. Ihr Mädchenname war Wolters.
„Warten Sie hier, bis die Polizei eintrifft“, sagte er und ging zurück zur Telefonzelle. Er suchte die Nummer der Kürschners heraus. Der Mann hieß Klaus-Dieter. Bernd schüttelte den Kopf. Ein Dutzendname. Er zögerte ein wenig, ehe er die Nummer wählte. Es war leicht, sich vorzustellen, wie einem Mann zumute sein musste, den man im Morgengrauen davon unterrichtete, dass seine Frau getötet worden war. Getötet und verschleppt.
Das Freizeichen tutete ziemlich lange. Endlich meldete sich Klaus-Dieter Kürschner. Seine sonore Stimme klang so verschlafen, wie Bernd es erwartet hatte.
„Schuster“, meldete er sich. „Privatdetektiv. Ich bedaure, Sie mit einer tragischen Nachricht konfrontieren zu müssen ...“
Was für ein Wortwulst! Aber wie brachte man einem Menschen bei, dass sein Partner ermordet worden war. Was man auch äußerte und wie man sich auch drehte oder wand: Für das Drama gab es nur auf der Bühne passende Formulierungen.
„He, was ist los? Privatdetektiv, sagten Sie? Soll das ein Witz sein?“
„Ich wünschte, es wäre so“, sagte Bernd und holte tief Luft. „Ich halte den Ausweis Ihrer Frau in der Hand. Sie wurde vor zehn Minuten ermordet.“
„Spinnen Sie, Mann?“, tönte es in Bernds Ohr. „Karin liegt putzmunter neben mir!!“