Читать книгу Mord vor ausverkauftem Haus Berlin 1968 Kriminalroman Band 20 - Tomos Forrest - Страница 7
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Bernd Schuster schnupperte unwillkürlich. Nein, dieser vollschlanke Mann, der vor ihm saß, verströmte nicht den Duft des Theaters. Er nuckelte an einer riesigen Zigarre, die er sich vermutlich aus alten Kostümen aus dem Fundus selbst hergestellt hatte. So erbärmlich stank das Kraut.
Bernd zündete sich eine Roth Händle an, aber ihr würziger Geruch kam gegen diesen Höllenqualm nicht an.
Er erhob sich und öffnete das Fenster, was sein Besucher aber nicht auf sich bezog, denn er paffte so verbissen weiter, als hinge sein Leben davon ab.
„Sie sagten also, der Mann sei vergiftet worden‟, wiederholte Bernd.
Stefan Franzen breitete theatralisch die Hände aus und verdrehte die Augen. „Ausgerechnet zwei Tage vor unserer großen Tournee“, jammerte er. „Ich bin bankrott, wenn die platzt, und das ist zweifellos der Fall, wenn die Polizei ihre Nase in die Sache steckt. Herr Meissner ist mit mir einig, dass Sie die Ermittlungen übernehmen sollen, Herr Schuster. Schließlich wohnen Sie ja quasi um die Ecke. Bequemer können Sie es gar nicht haben.“
„Wer ist Meissner?“, forschte Bernd.
Franzen sah den Privatdetektiv erstaunt an. „Habe ich das nicht erwähnt? Alfred Meissner ist der Mann, der gestern Abend vergiftet wurde. Zum Glück war ein Arzt in der Nähe. Der veranlasste, dass ihm sofort der Magen ausgepumpt wurde. Der Mann ist über den Berg. Gott sei Dank!“
Bernd Schuster wurde das Gefühl nicht los, dass Franzen mehr an die gerettete Tournee als an das Leben eines seiner Schauspieler dachte. Er war ihm nicht ausgesprochen sympathisch. Nicht nur wegen der Zigarre.
Er ließ sich die näheren Umstände des Mordanschlags berichten, die in der Vermutung gipfelten, dass das Gift in dem Bühnenwhisky gewesen sein müsse.
„Wer ist dafür verantwortlich?“, wollte Bernd wissen.
Franzen zog an seiner Zigarre, dass sich seine ohnehin nicht unscheinbaren Wangen blähten, als er den Rauch wieder ausstieß.
„Es handelt sich nur um harmlosen Tee“, erklärte er mit großartiger Geste. „Meissner kocht ihn sich immer selbst. Aber natürlich hatte jeder die Möglichkeit, ihm das Gift da hineinzuschütten. Jeder. Vom kleinsten Bühnenarbeiter bis hin zu mir selbst.“ Er lachte ein selbstgefälliges Lachen, denn er hielt die Selbstbezichtigung für einen ausgezeichneten Witz, der bühnenreif war.
„Aber es kommt kaum jeder als Täter in Frage‟, vermutete Bernd. Der Dicke gefiel ihm immer weniger, und der Fall, den Franzen ihm antrug, sagte ihm auch nicht zu. Reine Routine. Die Polizei löste das in wenigen Stunden. Dazu wurde er wirklich nicht gebraucht.
Franzen ächzte gequält. „Das ist es ja, Herr Schuster“, sagte er mit leidender Miene. „In unserer Truppe gibt es keine Feindschaft. Wir sind wie eine große, sympathische Familie. Kennen Sie die Goldköpfchen-Serie im Fernsehen? So ungefähr müssen Sie sich das Ensemble des Zugvogel-Theaters vorstellen. Da kann keiner einer Fliege etwas zuleide tun. Geschweige denn einem Kollegen. Wir stehen alle vor einem Rätsel. Wissen Sie, was ich glaube?“
„Sie werden es mir bestimmt verraten“, meinte Bernd.
„Kochinsky steckt dahinter.“
„Und wer ist Kochinsky?“
„Sie haben recht, dass Sie den Lumpen nicht kennen. Er besitzt das Theater Sonnenschein in der Kantstraße. Mein Erfolg ist ihm ein Dorn im Auge. Sollte mich nicht wundern, wenn er versucht, die Tournee zu boykottieren. Aber das wird ihm nicht gelingen. Das schwöre ich ihm. Wir fahren, und wenn er sich auf den Kopf stellt.“
Bernd notierte sich den Namen. „War Kochinsky gestern in Ihrem Theater?“, erkundigte er sich.
Franzen winkte ab. „Er muss es ja nicht selbst gewesen sein. Dafür hat man doch seine Leute. Seine Schmierenkomödie steht kurz vor der Pleite. Aber ein paar Mark für einen Helfer hat er sicher noch übrig.“
Bernd überlegte, wie er den Mann abwimmeln konnte. Doch der schob ihm bereits ein Blatt Papier zu, auf dem Namen und Adressen standen.
„Ich habe Ihnen eine Liste von unserer gesamten Mannschaft mitgebracht“, hörte er Franzen sagen. „Ich stelle mir vor, dass Sie als erstes jeden einzelnen vernehmen werden. Kochinsky gehört zwar nicht zu uns, aber den habe ich obenan gesetzt. Wahrscheinlich können Sie sich dadurch eine Menge Arbeit sparen. Mein Name ist übrigens auch dabei. Mich können Sie gleich hier interviewen. Sie werden feststellen, dass meine Weste blütenrein ist.“
„Erzählen Sie das einer Wäscherei“, gab Bernd unfreundlich zurück. Der Dicke ging ihm mehr und mehr auf die Nerven. Er wunderte sich, dass man nicht ihm das Gift in den Tee geschüttet hatte.
Gleich darauf ärgerte er sich über diesen makabren Gedanken. Wenn hier wirklich ein Mordversuch geschehen war, handelte es sich um eine ernstzunehmende Angelegenheit, und er hatte nicht das Recht, seine Hilfe zu verweigern. Auch dann nicht, wenn ihm der Auftraggeber nicht sonderlich sympathisch war.
Er nahm die Liste und studierte sie flüchtig. Ein Name, der ihm bekannt vorkam, war nicht darunter.
„Wann kann ich mir Ihr Theater ansehen?‟, fragte er. In Gedanken legte er sich eine Marschroute fest. Er wollte sich zuerst einen Eindruck vom Tatort verschaffen, bevor er seine Fragen stellte.
Stefan Franzen war erfreut. „Jederzeit“, versicherte er eifrig. „Von mir aus sofort. Es läuft zwar gerade eine Probe, aber Sie können es sicher einrichten, die Arbeiten nicht zu stören.“
Bernd kam schon wieder der Frühstückskaffee hoch. Das hatte er besonders gern. Er sollte einen Mordversuch aufklären, aber dabei nach Möglichkeit nicht in Erscheinung und keinem auf die Zehen treten.
„Sind Sie sicher, dass Ihnen an der Aufklärung des Verbrechens liegt?‟, erkundigte sich Bernd. Seine Lippen waren schmal geworden.
Franzen lief rot an. „Selbstverständlich, Herr Schuster. Wie kommen Sie darauf?“
„Dann beweisen Sie es, indem Sie mich nach meiner eigenen Überzeugung schalten und walten lassen. Ich verspreche Ihnen, dass ich keine Vorstellung störe. Weitergehende Zusicherungen bekommen Sie von mir nicht. Gibt es einen Untersuchungsbericht des Arztes, der Meissner versorgte?“
„Doktor Zeidler hat davon gesprochen, dass Meissner eine gehörige Menge Senföl geschluckt hat. Ich kann Ihnen den Bericht beschaffen, wenn Sie Wert darauflegen.“
Bernd Schuster nickte. „Rufen Sie ihn bitte gleich an. Und geben Sie mir seine Adresse. Vielleicht muss ich noch selbst mit ihm reden.“
Franzen griff zum Hörer und wählte eine Nummer. Es dauerte eine Weile, ehe er den Mediziner in der Leitung hatte. Nach kurzem Gespräch verkündete er: „Zeidler hat mir von sich aus den Bericht zugeschickt. Ich müsste ihn mit der heutigen Post erhalten.“
Bernd war zufrieden. „Dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren“, meinte er. „Sind Sie mit dem Wagen hier?“
Der Intendant verneinte. „Mein Theater befindet sich in der Genthiner Straße, auf der Rückseite des großen Möbelhauses, wie Sie wahrscheinlich wissen. Es sind also nur ein paar Schritte. Das war, um ehrlich zu sein, auch der Grund, warum ich ausgerechnet zu Ihnen gekommen bin.“
Bernd hinterließ seiner Mitarbeiterin Franziska Jahn, die er gerade zu einer Nachrichtenagentur geschickt hatte, ein paar gezielte Anweisungen. Dann verließ er gemeinsam mit Stefan Franzen sein Büro. Er war davon überzeugt, den Fall innerhalb kurzer Zeit zum Abschluss zu bringen.
Wie sehr er sich in diesem Punkt täuschte, sollte er schon bald erfahren.