Читать книгу Trouble für Wild Bill: Wild Bill - Gottes eigenes Land Band 4 - Tomos Forrest - Страница 7
1. Kapitel
ОглавлениеSein Aussehen hatte er verändert.
Wer jetzt auf James Butler Hickok, genannt Wild Bill, traf, hätte seine schulterlangen Haare und den charakteristischen Schnurrbart vermisst. Bill hatte seine Haare deutlich stutzen lassen und zu dem Schnurrbart kam nun auch ein breiter Kinnbart dazu.
Natürlich hatte das alles einen Sinn, auch wenn man sein Konterfei vergeblich auf einem Steckbrief suchen würde. Doch die Zeit, die er nach dem großen Bürgerkrieg in Missouri verbrachte hatte, prägte sein Leben auch für die nächste Zeit. Wild Bill überlegte ernsthaft, ob er nicht das wilde, verrückte Leben in den Städten einfach aufgeben sollte und stattdessen sein Glück irgendwo auf einer kleinen Ranch oder Farm finden konnte. Die Gelegenheit schien zum Greifen nahe, als er günstig Pferde ankaufen konnte und einen seiner zahlreichen Träume damit in greifbare Nähe gerückt sah. Er würde Pferde züchten. Außerordentlich gute, kräftige Pferde, die ihm die Armee zu sehr guten Preisen abnahm.
Wild Bill begann damit, sich ein neues Leben aufzubauen, und Oak City, der kleine, verschlafen wirkende Ort im Grenzgebiet von Texas, schien ihm dafür die ideale Grundlage zu sein. Hier könnte er sich wohlfühlen.
Doch dann kam ihm dieser verfluchte Henry Fronwall in den Weg, wie aus heiterem Himmel. Bill war auf dem Rückweg von einer Ranch, bei der er sich einen wunderbar für seine Zwecke geeigneten Zuchthengst angesehen hatte. Guter Stimmung trat er nach der Einigung über den Kaufpreis mit seinem Besitz den Rückweg an und achtete dabei nicht sonderlich auf seine Umgebung.
Die Zeiten waren ruhiger geworden, der große Krieg beendet, die umherstreifenden Indianerhorden weitgehend vertrieben und in anderen Gebieten angesiedelt. So mochte es ein wenig nachlässig erscheinen, wenn er nicht, wie er es sonst getan hatte, ständig kritisch seine Umgebung auf verdächtige Zeichen absuchte. Wild Bill bemerkte deshalb die großen Bussarde erst relativ spät, als er die kleine Anhöhe überwand und sich wunderte, warum diese Vögel so dicht über ihm kreisten. Erst jetzt wurde es ihm bewusst, dass er die Ursache für ihr Verhalten fast erreicht hatte.
Da lag ein Körper lang ausgestreckt, und wenige Schritte davon entfernt graste scheinbar ganz friedlich ein Pferd.
Bills Kopf flog herum und musterte die benachbarten Hänge, ohne jedoch etwas entdecken zu können. Er zog einen seiner beiden Revolver heraus und spannte den Hahn, richtete sich etwas im Sattel auf und lauschte. Aber das einzige Geräusch, das an seine Ohren drang, war das Graszupfen des Pferdes.
Er hielt sein Tier an und glitt aus dem Sattel, um sich dem Körper zu nähern. Während er in leicht gebückter Haltung zu der Stelle lief, erkannte er immer mehr Einzelheiten. Das Gras ringsumher war zerstampft, als hätte es einen Kampf von Reiter zu Reiter gegeben. Ungewöhnlich, denn eine Auseinandersetzung zwischen Weißen wäre sicher auf einige Distanz mit Schusswaffen erfolgt, und an einen Indianerüberfall mochte Wild Bill nicht glauben. Er erinnerte sich nicht, in den letzten Monaten auch nur einen einzigen Indianer aus der Ferne gesehen zu haben.
Der Mann vor ihm war tot, daran bestand kein Zweifel mehr.
Er lag auf dem Bauch, sein Hut war ihm vom Kopf gefallen, als ihn der Schuss traf. Bill vermutete, dass er von vorn erschossen wurde, denn beim Austreten der Kugel wurde dem Mann fast der gesamte Hinterkopf weggerissen.
Kein schöner Anblick, dazu kamen die zahlreichen brummenden, grünschillernden Fliegen, die jetzt von ihm aufstiegen.
Bill steckte den Revolver ein und bemühte sich, den Toten auf den Rücken zu drehen, was ihm schließlich auch gelang. Aber die schreckgeweiteten, erstarrten Augen machten den Anblick des Toten nicht gerade erträglicher. Dagegen wirkte das Einschussloch in seiner Stirn eher harmlos. Jedenfalls im Vergleich zu der Austrittsstelle. Bill sah sich um, konnte aber kein Anzeichen entdecken, die ihm die Anwesenheit des Schützen verrieten.
Der Tote trug nur ein einfaches, blaues Hemd, über der Drillichhose jedoch Chaps, am Sattelhorn hing ein Lasso, das Gewehr im Scabbard war eine einfache, nicht sehr weit tragende Waffe. Alles schien auf einen einfachen Cowboy hinzuweisen, und Bill konnte sich keinen Grund vorstellen, der diesem Mann das Leben gekostet hatte.
Er erhob sich, um einen Blick in die Satteltaschen zu werfen, und näherte sich langsam dem weidenden Pferd, um es nicht zu verjagen. Es schnaubte einmal unwillig, blieb aber ruhig, als Bill es erreichte und einen Blick in die Satteltaschen warf. Als er nach dem in Leinen gewickelten Bündel griff, es herausnahm und schließlich öffnete, war ihm das Motiv für den Mord klar. Aber er hatte keine Zeit mehr, darüber länger nachzudenken.
„Mein Eigentum. Und keine hastige Bewegung, mein Freund!“, klang eine harte, schneidende Stimme hinter ihm.
Verdammt! Der Kerl saß hinter den Felsen und ich Hornochse laufe hier in die Falle!, dachte Bill beim Klang der Stimme.
„Schön langsam die Revolver herausziehen und fallen lassen. Ich habe meinen Colt genau auf deinen Hinterkopf gerichtet. Wenn du also nicht wie er enden willst, mach keinen Unsinn!“, befahl der Mann, und Bill gehorchte. Er zog langsam erst den rechten, anschließend den linken Revolver aus dem Holster und ließ sie auf den Boden fallen.
„Sehr gut, mein Freund. Ich sehe, du bist ein kluges Kerlchen! Jetzt schön langsam herumdrehen!“
Wieder gehorchte Bill und erstarrte, als er das Gesicht seines Gegenübers erblickte.
Allerdings hoffte er zugleich, dass der Kerl seine Reaktion nicht bemerkt hatte. Auf jeden Fall erkannte auch er ihn.
„James Butler Hickok! Das musste ja nun nicht auch noch sein, dass ausgerechnet du mir über den Weg läufst. Pech gehabt, mein Freund, jetzt habe ich keine andere Wahl mehr, nachdem du weißt, wer den Wells-Fargo-Mann erschossen hat!“
Bill brach der Schweiß aus und lief ihm langsam den Nacken herunter.
Das sah nicht sonderlich gut für ihn aus, denn er wusste, dass dieser Bursche, der ihn mit dem Revolver bedrohte, in mindestens drei Staaten steckbrieflich gesucht wurde. Henry Fronwall war ein bekannter Postkutschenräuber und hatte wohl in seinem Leben schon ein halbes Dutzend Menschen bei seinen Überfällen erschossen. Bill hatte ihn einmal in Springfield fast so weit, dass er ihn festnehmen konnte – als seine Kumpane auftauchten und eine wilde Schießerei begannen, die ihm in letzter Minute die Flucht ermöglichten. Das alles schoss ihm blitzschnell durch den Kopf, und zugleich überlegte er krampfhaft, wie er aus dieser Situation lebend herauskommen sollte.
„Hör zu, Mann, ich weiß nicht, wer du bist und was hier passiert ist. Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun und bin nur auf dem Heimweg. Lass uns einen Handel machen. Ich gebe dir den Inhalt meiner Brieftasche und du lässt mich laufen. Es lohnt sich in jedem Fall für dich, denn ich habe gerade ein paar Pferde verkauft und eine Menge Dollars eingesteckt.“
Sein Gegenüber zeigte plötzlich in seinem hässlichen Gesicht, das Bill unwillkürlich an eine Spitzmaus erinnerte, ein breites Grinsen.
„Das hört sich doch gut an! Dann werf’ mir mal die Brieftasche herüber, aber keine schnellen Bewegungen! Ich schieße sofort!“
Damit hob er die Revolverhand etwas, und Bill sah direkt in den Lauf.
„Keine Sorge, ich will nur friedlich nach Hause reiten!“, antwortete er und senkte langsam eine Hand auf Brusthöhe. „Ich hole jetzt die Brieftasche heraus, in Ordnung?“
Der andere nickte nur und fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen.
Bill fasste in seine Innentasche, fühlte den Griff des Derringers und zog ihn zusammen mit der dünnen Lederbrieftasche heraus.
„Hier ist sie, fang auf!“, rief er und schleuderte die Brieftasche zu Fronwall hinüber. Der war dadurch abgelenkt, versuchte, sie im Flug zu fassen und erkannte nicht, dass Bill plötzlich einen doppelläufigen Derringer auf ihn richtete und abdrückte. Fast gleichzeitig drückte auch der Wegelagerer noch auf den Abzug, aber da hatte Bills Kugel ihn schon getroffen. Die Kugel schlug durch sein rechtes Auge und blieb im Schädel stecken. Seine Hand wurde durch den Schuss abgelenkt, denn der tödliche Schuss riss ihn etwas seitlich, was das Glück für Wild Bill bedeutete. Die Kugel aus dem Revolver zischte heiß und sengend an seinem Hals vorbei, und der Kerl kippte gleich darauf nach vorn und schlug auf sein Gesicht.
Bill folgte dem Körper bei dem Sturz mit dem Derringer in der Hand, bereit, auch den zweiten Schuss abzugeben.
Aber das war nicht mehr erforderlich.
Henry Fronwall war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug.
Einen Moment wartete Bill noch ab, dann bückte er sich, nahm dem Toten den Revolver aus der Hand und schob ihn in seinen Hosenbund. Ein leichtes Schnauben verriet ihm den Standort des anderen Pferdes hinter den Felsen.
Keine halbe Stunde später setzte Wild Bill seinen Weg fort.
Er führte zwei Pferde mit sich, auf denen jeweils ein toter Mann lag.
Die Sonne war hinter dunklen Wolken verschwunden, und als Bill in die Main Street bog und gleich darauf vor dem Office des Marshals hielt, öffnete der Himmel seine Schleusen und ein heftiger Platzregen ging herunter.
*
Auch der folgende war ein trüber, verregneter Tag in Oak City. Der sonst übliche Staub in der Hauptstraße hatte sich in knietiefen Schlamm verwandelt. Das Überqueren der Fahrbahn wurde zu einem riskanten Manöver, vor allem für die Damen in ihren langen Kleidern und knöchelhohen Stiefeln. Dennoch hatte sich eine Menge Leute zur Ankunft der Postkutsche eingefunden wie an jedem Donnerstag. Öfter wurde Oak City nicht angefahren. Die Stadt lag abseits der großen Überlandwege.
Missmutig blickte Wild Bill aus der Tür in den Regen. Wasser lief vom Vorbaudach und bildet im Schlamm vor dem hölzernen Gehsteig einen kleinen Bach. Wild Bill spuckte in den Regen hinaus. Heute wollte er Mustangs mit seinem Brandzeichen versehen. Die Corrals hinter seinem Haus waren voll mit Wildpferden, die er in der letzten Woche eingefangen und zugeritten hatte. Jetzt musste er ihnen nur noch sein Brandzeichen aufdrücken, dann konnte er sie an die Armee verkaufen.
Schon eine ganze Zeit lang lieferte er Pferde für die Kavallerie, die an der Indianergrenze einen hohen Verbrauch an Tieren hatte. Seit dieser Zeit lebte er in Oak City. Der Grund dafür lag in seiner letzten Tätigkeit als Bahn-Marshal. Das war den Bürgern der Stadt bekannt. Mehr nicht. Und Wild Bill war nicht scharf darauf, es ihnen zu erzählen. Er hatte sich hierher verkrochen, um seine Ruhe zu haben. In diese abgelegene Stadt, durch die kaum mal ein Fremder kam.
Sein Erlebnis mit dem gesuchten Postkutschenräuber und mehrfachem Mörder Fronwall war längst vergessen, die Belohnung dafür hatte er allerdings gern eingestrichen. Wie ein Lauffeuer war es in der Stadt herumgegangen, dass der Pferdezüchter und immer noch fremde Mann, der wie aus dem Nichts eines Tages in der Stadt aufgetaucht war, einen besonderen Fang gemacht hatte. Und der andere Tote, der Kurier der Wells-Fargo, hatte eine bedeutende Summe in den Satteltaschen, die Bill für die Gesellschaft gerettet hatte und auch dafür noch eine besondere Belohnung erhielt.
Bill wusste, dass in der Stadt Geschichten kursierten, in deren Mittelpunkt er stand. Sie stimmten allesamt nicht. Vor ein paar Wochen ging sogar das Gerücht herum, er sei der Mann, der den bekannten Bandenchef John Anderson erschossen habe. Bill kümmert sich nicht um das Gerede der Leute. Binnen eines Jahres hatte er zielstrebig sein Pferdegeschäft aufgebaut, und neuerdings grüßten ihn die Angestellten der Bank recht respektvoll. Ganz sicher hatte das mit der Höhe seiner Einlagen bei der Bank zu tun. Alles andere schien in unendlich weiter Ferne hinter ihm zu liegen, und es bestand keinerlei Gefahr, dass ihn jemand mit der Schießerei in Springfield ausgerechnet in dieser Kleinstadt in Verbindung brachte. Bill konnte endlich, nach langer Zeit, wieder ruhig durchatmen und hatte nicht mehr das Gefühl, dass er sich ständig umdrehen müsste.
Auch in den Nächten schlief er ruhiger, hatte aber stets seine Vorsichtsmaßnahmen getroffen.
Eine Regenbö peitschte durch die Straße. Wasserstaub trieb bis zu Bill herüber. Sein markantes Gesicht verzog sich, und am Kinn trat eine Narbe deutlich hervor.
„Mistwetter!“, schimpfte Wild Bill. „Monatelang Staub und Hitze, aber wenn ich die Pferde zeichnen will, läuft der Himmel aus. Der Teufel soll es holen!“
Er hatte fest damit gerechnet, in spätestens einer Woche wieder zur Wildpferdjagd aufbrechen zu können. Der Regen machte ihm nun einen dicken Strich durch die Rechnung. Solange es so goss, brauchte er sich an den Corrals nicht bis auf die Knochen aufweichen zu lassen.
Bill brannte sich eine Zigarre an und schnipste das Streichholz in den Schlamm hinaus. Schräg gegenüber befand sich die Posthalterei mit der Pferdewechselstation. Die Leute, die sich zur Ankunft der Kutsche eingefunden hatten, blickten herüber.
Natürlich reden sie über mich, dachte sich Bill. Nur was sie sprachen, das hörte er nicht. Der Regen rauschte zu laut. Und das von den Vorbaudächern klatschende Wasser erstickte jeden anderen Laut. Bill überlegte, ob er hinüber in den Saloon gehen sollte, um sich einen Drink zu kaufen. Das Wetter war wie geschaffen dafür, sich nach einem wärmenden Schluck zu sehnen.
In diesem Augenblick hörte er durch das eintönige Plätschern und Rauschen das Knallen einer Peitsche. Bill zog seine goldene Taschenuhr an der Kette aus seiner Weste, klappte sie auf und stellte fest, dass die Kutsche über eine Stunde Verspätung hatte. Um elf Uhr sollte sie ankommen. Jetzt war es kurz nach Mittag.
In den Sitz- und Spuckverein, wie Bill die Wartenden für sich nannte, schräg gegenüber unter dem Dach der Posthalterei, kam Bewegung. Die Männer erhoben sich von der Bank an der Hauswand und traten an die Verandabrüstung. Sie sahen jetzt nicht mehr zu Wild Bill herüber, sondern blickten die Straße hoch.
Auch Bill wandte den Kopf. Die Ankunft der Kutsche verfolgte er, wenn er gerade in der Stadt war, stets mit angespannter Erwartung. Er rechnete immer damit, dass irgendwann die Kunde ins Land hinausdrang, dass er sich hier in Oak City angesiedelt hatte, und dass dann ein paar Leute auftauchen würden, die sich mit ihm über weit zurückliegende Dinge unterhalten wollten.
Weit zurückliegend – das war für Bill gleichbedeutend mit der Zeit beim Bahnbau und davor, als er wilde Städte bändigte. In Hays City hatte es begonnen. Sie waren damals vier wilde Burschen gewesen, die für dreißig Dollar Gehalt im Monat bereit waren, den Teufel aus der Hölle zu holen. Binnen drei Monaten hatten sie Hays zu einer sehr zahmen Stadt gemacht. Aber danach waren sie nur noch zu dritt. Mateo, der krummbeinige Mann aus Virginia, hatte den Kampf gegen das Gesindel der Stadt mit dem Leben bezahlt. Später hatte man sie für die Dauer einer Trailperiode nach Laramie verpflichtet. Dabei war Charly hinterrücks von einem Spieler erschossen worden, dem er Spiel- und Stadtverbot erteilt hatte.
Frank Williams und Wild Bill hatten danach bei der Beendigung eines Weidekrieges an der südlichen Staatsgrenze von Kansas mitgewirkt, und ihr Revolverruhm war an jedem Lagerfeuer das Gesprächsthema. Sie trennten sich vor fünf Jahren. Frank Williams heiratete, und Bill ging zur Bahn als Camp-Marshal. Irgendwann während dieser Zeit kam der Name auf, den sie ihm anhängten – Wild Bill.
Einmal traf er wirklich auch auf John Anderson. Das war in Atlanta, vierzehn Tage vor General Casements Belagerung der Stadt. Anderson hatte Bill ein paar Minuten lang angesehen und ihn genau studiert, während die Stadt zusah und auf einen großen Revolverkampf wartete. Dann hatte Anderson die Lippen zusammengepresst und den Kopf geschüttelt. Und mit weit vom Körper abgehaltenen Händen war er zu seinem Pferd gegangen und wortlos aus der Stadt geritten. Ein Jahr darauf hörte Bill, dass Anderson tot war. Er war auf einen Mann gestoßen, der noch schneller zog und noch besser schoss. Brandon Hall soll der Mann geheißen haben.
Für Bill kamen heiße und harte Jahre. Camps, deren Namen vergessen waren, sobald die Bahn weiterzog, und Städte, die aus Materiallagern entstanden und einen schlimmen Ruf besaßen. Überall dort war Wild Bill gewesen, und manchmal hatte er Ruhe und Ordnung in solch ein tobendes Höllennest förmlich hineinschießen müssen. Immer wieder war er auf die gleichen Männer gestoßen und hatte sie vertrieben. Im nächsten Camp traf er sie wieder und störte ihre Geschäfte.
Zum Schluss, als Bill seinen Vertrag mit der Bahn nicht mehr zu verlängern bereit war, hatten diese Burschen sogar einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt. Tausend Dollar dem, der Wild Bill Hickok zur Strecke brachte. Ein paar hatten es versucht. Bill hatte sie zur Hölle fahren lassen und selbst ein paar Kugellöcher als Andenken behalten.
An diese Burschen und an ihre Hintermänner dachte Bill jetzt. Er rechnete damit, dass irgendjemand den Platz ausfindig machte, an dem er sich zur Ruhe gesetzt hatte, und dass irgendwann wieder ein paar heißblütige Burschen auftauchten, die gegen Bezahlung eine alte Rechnung begleichen wollten.
Ein Jahr – das war keine Zeit, um ein paar große Halunken vergessen zu lassen, wie nachdrücklich Bill all die krummen und schmutzigen Geschäfte störte, die sorgsam eingefädelt waren und viel Geld in der Vorbereitung verschlangen.
Da war zum Beispiel Calvin Thompson, ein ehemaliger Spieler vom Mississippi. Er steckte sein eigenes Geld und das Geld irgendwelcher Hintermänner in Bodenkäufe, besorgte sich für über zwanzigtausend Dollar Goldstaub und salzte damit den Boden eines steinigen Tales. Die ersten Claims waren die besten. Ihre Besitzer fanden in den ersten drei Tagen mehr, als sie der Claim gekostet hatte. Dann zogen die Bodenpreise an und hätten schwindelerregende Höhen erreicht, wenn Bill nicht zufällig einen Mann jener Minengesellschaft getroffen hätte, bei der Thompson den Goldstaub gekauft hatte. Bill wies Thompson nach, dass er den Boden präpariert und einen gewaltigen Betrug aufgezogen hatte, beschlagnahmte dessen Pferde und Wagen, um die getäuschten Goldspekulanten zu entschädigen, und jagte Thompson samt seinem Anhang davon.
Wie lange war das her? Gerade eineinhalb Jahre. Zu kurz für einen Mann wie Thompson, der einen solchen Verlust hinnehmen musste und das Geld seiner Hintermänner vertan hatte. Leute wie Thompson verwanden einen solchen Schlag nicht. Sie mussten eine derartige Niederlage ausbügeln, sonst waren sie in ihren Kreisen erledigt. Für alle Zeit.
Und genau aus diesem Grund rechnete Wild Bill damit, dass irgendwann mal jemand kam, der den Auftrag hatte, ihn zu beseitigen. Darum blickte er der Kutsche mit sehr gemischten Gefühlen entgegen, die aus dem Regen auftauchte. Es war eine schwere Concord-Kutsche, über und über mit Dreck bespritzt. Der Fahrer hatte sich eine Ölhaut umgehängt. Die Krempe seines Hutes hing wie ein Pfannkuchen herunter. Der Mann hatte Mühe, das schlammbespritzte Vierergespann und die Kutsche durch die morastige Fahrbahn zu lenken. Die Pferde wollten ständig ausbrechen, und die Kutsche schlingerte, als schwämme sie durch einen Fluss. Außer dem Fahrer saß niemand auf dem Bock. Der Begleiter hatte es wohl vorgezogen, im trockenen Passagierkasten Unterschlupf zu finden.
Die Kutsche näherte sich, und der Schlamm in der Straße schmatzte um Hufe und Räder. Der Kutscher knallte mit der Peitsche und trieb das Gespann an. Plötzlich ruckte er an den Zügeln und lenkte die Kutsche statt zur anderen Straßenseite direkt vor Wild Bills Haus.
Drüben rissen die Neugierigen den Mund auf. Auch Bill war recht verblüfft, denn der Mann auf dem Bock, den er jetzt erst erkannte, war Adam. Und Adam wusste verdammt genau, wo sich die Posthalterei befand. Schließlich machte er jeden zweiten Donnerstag diese Fahrt von Cheyenne herüber. Er schien genau zu wissen, was er vorhatte, denn er fuhr bis vor die Treppe von Bills Haus und zog dann an den Zügeln.
„Hoooiaaah, ihr müden Böcke, wir sind da!“, rief er und drehte die Handkurbel der Radbremse. Eine überflüssige Maßnahme, denn die vier Pferde blieben sofort stehen und ließen die Köpfe hängen. So im Regen sahen sie wie riesengroße gebadete Ratten aus.
Adam griff mit der schlammverspritzten Hand an die herunterhängende Hutkrempe.
„Hallo, Mister Hickok“, sagte er schnaufend und deutete mit dem Daumen hinter sich. „Besuch für Sie. Wenn Sie die Tür aufmachen, brauche ich nicht abzusteigen. Mir sind schon fast Schwimmhäute zwischen den Zehen gewachsen.“
Besuch? Wild Bill griff sofort an seine rechte Seite. Aber da war kein Holster. Er trug keine Waffe mehr, seit er die Bahn verließ. Nur sein Gewehr nahm er mit, wenn er Wildpferde jagte. Seine Revolver lagen gut eingeölt oben im Schrank.
Wenn im Passagierkasten ein Bursche sitzt, der Geld dafür bekommt, dass er den Revolver abdrückt, dann hat er leichtes Spiel mit mir, dachte Bill und blickte Adam an.
„Wer?“, fragte er flach. „Ich erwarte niemand.“
Der Kutscher hob die Schultern, und aus einer Falte seiner Ölhaut schwappte Wasser herunter.
„Sie hat bis hierher bezahlt – für sich und die Kinder. Sie sagte, es sei gar nicht einfach gewesen, Ihren Aufenthaltsort zu erfahren. Aber sie hat Sie sehr genau beschrieben. Auch der Name stimmt, Mister Hickok.“
Adam verstummte erwartungsvoll.
Es könnte eine Falle sein, überlegte Bill. Er kannte niemand, der ihn mit Kindern besuchen würde. Nach den Worten von Adam eine Frau, die sich nach ihm erkundigt hatte.
„Moment!“, sagte Bill scharf und wollte ins Haus zurück, um sein Gewehr zu holen.
Da wurde die Kutschentür geöffnet, und eine Frau blickte heraus. Wild Bill sah zunächst nur ein bleiches Gesicht und einen schlichten Hut. Er blieb stehen und sah zu, wie die Frau aus dem Kasten stieg und bemüht war, die Treppe zu erreichen, ohne in den Schlamm zu geraten. Sie schaffte es, raffte ihr Kleid etwas und richtete sich auf.
„Hallo, Bill“, sagte sie bedrückt.
Wild Bill fuhr zusammen. Die Stimme kannte er.
Nach zwei Sekunden wusste er, wer sie war. Lucy Williams – Frank Williams Frau.
Er sah sie nur einmal. Das war bei der Hochzeit, zu der Frank eingeladen hatte. Bill hatte sie als strahlendes, frisches Mädchen in Erinnerung. Jetzt hatten ihre Augen den einstigen Glanz verloren, ihr Gesicht wirkte verhärmt, ihre Hände waren abgearbeitet.
„Lucy?“, sagte Bill und konnte seine Verwunderung nicht verbergen. „Himmel, du hier? Moment – komm da aus dem Regen!“
Er überquerte den Gehsteig, stieg die Treppe hinunter und half ihr unter das schützende Vordach. Sie blickte ihn nur an und sagte nichts mehr. Und das beunruhigte ihn. Er spürte, dass da etwas auf ihn zukam. Wie käme sie sonst dazu, ihn aufzusuchen! Ohne Frank!
Das war es! Er wusste es sofort. Mit Frank war etwas!
„Mamie!“, rief hinter ihnen ein dünnes Stimmchen aus der Kutsche.
Bill fuhr herum und sah ein kleines Mädchen, das rückwärts aus dem Kasten krabbelte, weil ihm die Stufen zu hoch waren.
„Vorsicht, Kleines!“, sagte Lucy Williams und wollte wieder die Treppe hinunter.
„Ich mach’ das“, sagte Bill. „Lass nur!“
Er holte die Kleine, die vier Jahre alt sein mochte und ihn groß anblickte, als er sie hochnahm und auf den Gehsteig trug.
Im Kutschkasten setzte jämmerliches Kindergeschrei ein, und Bill ging hinunter und holte ein zweites Mädchen, das in eine Decke eingewickelt und höchstens zwei Jahre alt war, wenn er richtig schätzte. Dabei sah er, dass Lucy Williams nur wenig Gepäck mitgebracht hatte. Zwei Reisetaschen aus geblümtem Cordstoff und ein Handbeutel. Mehr konnte er nicht entdecken, auch keine weiteren Passagiere außer dem Begleitfahrer, der tabakkauend in der Ecke saß und keinen Finger rührte. Und auf dem Dach war auch kein Gepäck.
Bill trug das schreiende Kind auf den Gehsteig hinauf, drückte es Lucy Williams in den Arm und holte das Gepäck. Und drüben reckten die Neugierigen wieder den Hals. Oak City hatte seine Sensation. Eine Frau mit zwei Kindern war zu Wild Bill gekommen!