Читать книгу Das Gasthaus an der Diego Cao, der ehemaligen Sklavenküste Togos am Golf von Guinea - Tony Schmid - Страница 5

Jack Kochs Jugendjahre

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Jack Koch, ein Mensch mit Fehlern, Ecken und Kanten, wurde geboren am kältesten Tag des letzten Jahrhunderts, Mitte der Fünfzigerjahre im zentralschweizerischen Luzern. Seine Mutter Hedy, Hausfrau und sein Vater Johann, von Beruf Schreiner, lebten in einfachen Verhältnissen. Vier Jahre später kam dann noch Jacks Schwester Rita dazu. Sein Grossvater väterlicherseits war Zimmermann und mütterlicherseits Bildhauer und Steinmetz gewesen. Sie hatten irische, englische und auch deutsche Vorfahren in ihrer langen Ahnenlinie. Jacks Vater hatte als Jugendlicher Kinderlähmung gehabt, was zum Glück ohne Folgen ausging, dann aber als junger Mann hatte er eine unglaublich furchtbare Erfahrung machen müssen: Er besuchte an einem Weihnachtsabend seine Eltern, die in einem weit abgelegenen Bauernhaus lebten, hatte gemeinsam mit drei Geschwistern und einer Stiefschwester die katholische Mitternachtsmesse besucht und auf dem Heimweg kam ihnen plötzlich ein mit Gewehr bewaffneter Mann entgegen. Der schien Jacks Vater für seinen Nebenbuhler und Liebhaber dessen Stiefschwester zu halten, sodass er mit einem Karabinergewehr auf ihn, seine Stiefschwester und die Geschwister zu feuern begann. Jacks Vater erlitt sieben Bauchdurchschüsse und musste lange Zeit im Spital zubringen. Die Stiefschwester wurde mittelschwer verletzt und auch die anderen Geschwister erlitten teilweise Streifschüsse, eine sehr üble Geschichte also! Der Täter wurde zu einigen Jahren Haft und zur Entrichtung einer hohen, angemessenen Schadenersatzsumme verurteilt, die er nie beglich. Wieder gut genesen, wurde Johann im Vatikan für zwei Jahre Schweizergardist, diente dort dem umstrittenen Papst Pius dem Zwölften und wurde deshalb auch später in der Schweiz beruflich für die katholische Kirche tätig. Jack war von Anfang schon etwas ein Sonderling, als Kleinkind spielte er zum Beispiel mit seinen Spielfiguren gerne „Gullivers Reisen“, aber eigentlich war es eher das Spiel „Jahwe und die Menschenkinder“. Sehr eigenartig, aber das war von daher nicht weiter erstaunlich, konnte sich Jackie doch noch relativ gut an sein letztes und teilweise auch an andere Vorleben auf der Erde zurückerinnern, aber auch auf seine Verschnaufpausen auf dem Planeten des ewigen Lebens. In seinem letzten Leben zum Beispiel hatte er als Lektor mit dem Spitznamen Brillenschlange im deutschen Heidelberg gelebt, wo er während der Zeit des Dritten Reiches, Juden bei sich im Haus vor den Nazischergen verbarg. 1943 flog dann alles auf, er musste sich fortan selbst verstecken, was mit seinen Freunden geschah, wusste er nicht. Er wurde unter der Bezeichnung „deutscher Judenfreund“ gesucht. Im Herbst 1944 versuchte er den Rhein zur Flucht in die Schweiz zu überqueren und wurde vom Maschinengewehrfeuer eines Jagdflugzeugs, einer Messerschmitt, niedergemäht. Seine Seele fand sich dann wieder auf dem Planeten des ewigen Lebens, bei den Hindus Goloka genannt, wo bereits einige befreite spirituelle Seelen leben. So auch Lord Krishna, nicht umsonst stets blau dargestellt. Das macht durchaus Sinn, symbolisiert er doch das Zentralhirn der Welt und das Hirn ist ja bekanntlich blau. Dort erholte sich Jacks Seele für zwölf Jahre gut von ihrem letzten Erdenleben. Eines Tages hatte er eine Audienz bei der Urkraft selbst und diese gab ihm den Auftrag, nach einer erneuten Reinkarnation noch einmal soviel Menschen wie möglich vom Weg der Liebe zu überzeugen. Den Übertritt seiner Seele zu der für ihn ausgesuchten Familie und seine Geburt erlebte er höchst bewusst.

Geboren in den Fünfzigerjahren, im kältesten Monat seit 1868, verbrachte Jack sein erstes Lebensjahr in Luzern, dann zog seine Familie für sechs Jahre in die historische Stadt Wil Sankt Gallen. Dort sind ähnlich wie in Luzern bis heute viele Gebäude aus dem Mittelalter erhalten und hinter der Altstadt befindet sich ein Weiher. Damals musste sich Jack die Mandeln schneiden lassen und bald darauf zum ersten Mal vom Zahnarzt behandeln lassen. In beiden Fällen verwendeten die Ärzte Lachgas zur Betäubung. Lachgas wurde zum absoluten Horrortrip für Jack. Er wird den fürchterlichen Zustand, den er erlebte, wohl sein ganzes Leben nicht mehr vergessen. Verwandte von ihm, wohnten neben einem Bauernhof mit integriertem Restaurant. Jack wurde einmal Zeuge, es war das erste und hoffentlich letzte Mal, bei der Schlachtung eines ausgewachsenen Schweins, welches dann im Untergeschoss des Restaurants vom Metzger zerlegt wurde. Jack, noch völlig verstört über das zuvor erlebte, ging an dem Raum vorbei und der unsensible Schlachter wusste nichts besseres zu tun, als den kleinen Jungen wie ein Eber anzugrunzen. Der erschrak zu Tode und machte sich in die Hosen. Dann rannte er zu seinen Eltern um Trost zu suchen. Die lachten aber nur und sagten: „Dummer Junge, du brauchst doch keine Angst zu haben!“ Da fühlte sich Jackie schwer im Stich gelassen. Mit seiner ersten Freundin Luzia rauchte er in einem Versteck öfters Zigarren seines Vaters, bis beide vor lauter husten und sich übergeben nicht mehr konnten. Jacks Patenonkel betrieb eine Bäckerei in der wunderschönen, mittelalterlichen Altstadt Wils. Jack durfte jeweils bei Festen wie Sankt Nikolaus und Weihnachten in der Backstube mithelfen, was ihm sehr gefiel. Dann verbrachte er seine Jugend vor allem in Luzern, der sogenannten Leuchtenstadt, in der schon manch einer tatsächlich eine Erleuchtung hatte. Zuerst am Vierwaldstättersee, in einem Nebengebäude eines alten Feudalhotels. Dort wurde klein Jack immer wieder von einem Geistwesen, er wusste nicht ob weiblichen oder männlichen Geschlechts, nachts belästigt. Jack spürte jeweils seine Anwesenheit auf dem Bettrand und erschrak bei jeder Berührung. Vom Gefühl her war es seine verstorbene Grossmutter mütterlicherseits, die hatte ihn sehr geliebt. Sicher war er sich aber nicht. Jacks Schwester Rita war in dieser Zeit höchst amüsant. Sie hatte ihre eigene Sprache, ein lustiges und trotzdem verständliches Kauderwelsch. Darüber waren die Kinder des Quartiers dermassen amüsiert, dass sie unter einander auch bald so zu reden begannen. Es sollte sich aber herausstellen, dass Rita eine Hörschwäche hatte und deshalb ein Hörgerät benötigte. Nebst vielen anderen Verwandten hatten Kochs ab und zu einen etwas älteren Bruder des Vaters zu Besuch. Der hatte viele Jahre für die Fremdenlegion in Indochina und Algerien gekämpft. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz kam er deshalb für zwei Jahre in Haft. Durch seine furchtbaren Erlebnisse schwer traumatisiert, war er vorerst ein hoffnungsloser Alkoholiker. Nach einer Entziehungskur wurde er Mitglied vom blauen Kreuz, jener Organisation, die vorher Abhängige weiter unterstützt, trocken zu bleiben. Von da an legte er jedoch eine unglaubliche Intoleranz an den Tag, auch gegenüber Leuten, die nur ein Glas Wein zum Essen tranken. In dieser Zeit hatte klein Jack auch seine erste schlechte Erfahrung mit der katholischen Kirche gemacht. Nachdem er in der ersten Klasse einem Schulkameraden zwei kleine Magnete geklaut hatte, plagte ihn sein Gewissen und er beichtete diese Tat in der Kirche. Man hatte ihm ja gesagt, es gebe das sogenannte Beichtgeheimnis, ähnlich wie das Arztgeheimnis. Anderntags stand aber seine Lehrerin, informiert vom katholischen Priester, bei ihm zuhause und hielt ihm eine Standpauke: „Was fällt dir ein, so etwas zu tun? Siehst du, jetzt hast du ein schlechtes Gewissen! Gib diese Sachen morgen in der Schule zurück!“ Und das wars dann auch schon mit seinem anerzogenen Vertrauen in die katholische Kirche. In der ersten Klasse hatte er auch eine neue Freundin. Sie hiess Danielle und stammte ursprünglich aus der französischsprachigen Schweiz, also der Romandie. Sie saß direkt hinter ihm und streichelte ihm immer wieder seinen Unterarm und er tat es ihr ebenso zärtlich gleich, eine frühe Form von Erotik also. Jack spürte in seinem Herzen bereits, was es bedeutet, ein Mädchen zu lieben. Nach einem Umzug glaubte er bereits die Frau seiner Träume gefunden zu haben. Sie hiess Eva, war damals 10 Jahre alt und führte den gleichaltrigen Jack in die Kunst des Küssens und Pettings ein. Zusammen setzten sie auch schon den Zeitpunkt ihrer künftigen Heirat fest. Die Beziehung hielt dann aber doch nur drei Jahre. Die frühreife Eva hatte sich in einen französischen, viel älteren Künstler verliebt. Jack verursachte das heftigen Herzschmerz, er brauchte einige Zeit, um darüber wegzukommen. In den frühen Sechzigerjahren zeigte ihm sein Schulfreund Alfi UFO-Fotos, die dessen Vater in den Fünfzigerjahren von Ölbohrinseln aus vor der Küste Venezuelas gemacht hatte. Er war dort für den grössten Schweizer Aufzughersteller als Liftmonteur tätig gewesen, Alfi war sogar dort geboren und deshalb Doppelbürger. Die Schwarzweissfotos zeigten gigantische, diskusförmige, über dem Wasser schwebende Raumschiffe. Alfi bat damals Jack: „Bitte erzähle niemandem davon, die sagen sonst, dass ich spinne!“ Zusammen erlebten sie auch eine wundersame Fahrradtour von Luzern nach Fribourg, die frühmorgens von einem Kometen begleitet wurde. Eine Sternwarte bestätigte ihnen dann die seltene Sichtung. Einige Jahre später wurde Alfi Pilot, stiess eines Tages bei einem Startmanöver mit einem landenden Flugzeug zusammen und stürzte ab. Jack erwies sich während seiner Schulzeit als eher durchschnittlicher Schüler. Er konnte sich teilweise nur schlecht konzentrieren, hatte er doch wie schon gesagt seit dem Kindergarten immer wieder mal eine Freundin. Zudem war er lange vor dem Alter für eine Fahrerlaubnis verrückt nach Motorrädern, frisierte diese und fuhr in Kiesgruben mit seinem gleichgesinnten Kollegen namens Xaver Motocross. Die reparaturbedürftigen Fahrzeuge bekam er jeweils gratis von Händlern, die damit nichts mehr anfangen konnten. Auch sein Mofa frisierte er bis zum Gehtnichtmehr, verpasste diesem einen dritten Gang und änderte die Übersetzung zum Hinterrad. Es lief dann an die 100 km/h, erlaubt waren grad einmal dreissig. Somit konnte er bereits ausgedehnte Ausflüge in die ganze Schweiz unternehmen. Er hatte Glück, dass sein illegaler Umbau nie bei einer der häufigen Kontrollen einem übereifrigen Polizeibeamten auffiel. Jack fuhr mit seinen Eltern und seiner Schwester jedes Jahr im Sommerurlaub an die Adria. Er liebte Venedig, keine andere Stadt hatte diese einmalige, magische Ausstrahlung. Ihn faszinierte vor allem der alte Markt mit seinen Treppen und Hallen aus antiker Zeit, auf denen schon Marco Polo, für dessen Geschichte sich Jack sehr interessierte, gewandelt war. Zurück in der Schweiz konnte er von diesen zu Kreativität inspirierenden Erfahrungen jeweils noch lange zehren. Eines nachts träumte Jack intensiv. Er stand auf der chinesischen Mauer und sah vor sich die weite Hügellandschaft, voll mit Terrassenfeldern für den Reisanbau. Dann wurde es langsam dunkel und überall auf den Feldern gingen Lichter an. Dann spürte Jack einen Arm auf seiner Schulter. Jemand, er konnte wegen der Dunkelheit nicht erkennen wer es war, zeigte ihm dieses eindrucksvolle Panorama. Als Jack sich am Morgen zum frühstücken an den Küchentisch setzte, sagte seine Mutter als erstes zu ihm: „Mao ist gestorben!“ Jack war sehr erstaunt und erzählte ihr seinen Traum. „Das ist aber schon sehr eigenartig!“, meinte sie dazu. „Was das wohl zu bedeuten hat?“ Etwa in der selben Zeit sah Jack zusammen mit seinem Schulfreund, genannt Thundy, zum ersten Mal einen Erotikfilm im Kino. Dabei ging es um eine Nymphomanin, die irgendwo in Frankreich mit dem Auto unterwegs war, Tramper mit sich nahm und sich mit diesen sexuell austobte. Thundy und Jack wussten darauf nichts besseres, als in den nächsten Herbstferien über Basel nach Frankreich zu trampen. Natürlich mit der Hoffnung, ebenfalls auf so eine liebestolle Frau zu treffen. Sie machten Autostopp im Elsass, aber die Nymphomanin wollte und wollte nicht kommen. So kehrten sie um nach Basel, übernachteten in einer Jugendherberge und erhielten von einem anderen Gast den guten Rat: „Geht doch nach Amsterdam, dort findet ihr was ihr sucht!“ Am nächsten Tag trampten sie also nach Amsterdam und wohnten dort einige Tage auf einem Hausboot, das eine billige Herberge für Jugendliche war. Da dies noch lange vor der Zeit der Gesamtrenovierung und Ausmistung Amsterdams war, lagen in den Grachten viel mehr Hausboote als heute und die Stadt verströmte noch einen herben Charme von weiter Welt und Abenteuer. Sie trafen auch Fixer aus der Schweiz, die damals schon über zehn Jahre dort wohnten. Sie beobachteten, wie einer seine Spritze im dreckigen Wasser der Gracht auswusch. Eines Abends, es war bitter kalt, tauchte auf dem Boot ein schwarzer Dealer auf. Trotz der eisigen Kälte trug er nur einen Lendenschurz aus wahrscheinlich künstlichem Leopardenfell und der Stoff, den er vertickte, trug er in einer grossen Aluminiumampulle, es sah sehr ähnlich aus wie ein Rohrpostbehältnis, mit sich. Thundy liess sich dazu überreden, Cristall Speed, eine damals weitverbreitete, starke Droge, zu probieren. Also genau der Stoff, der bekannten Leuten wie den Rolling Stones und vielen anderen diese unverkennbaren, eingefallenen Wangen verlieh, die sie ein Leben lang nicht mehr los wurden. Davon wurde er total high, dass er nicht mehr in die Schweiz zurückkehren wollte: „Ich bleibe, mir gefällts hier besser!“ Dabei war er der Zweitbeste seiner Klasse. Jack hatte nichts zu sich genommen und konnte Thundy nur mit grosser Anstrengung, er musste ihn regelrecht aus der Stadt zerren, zur Rückkehr in die Schweiz bewegen. Wieder daheim, dankte es ihm Thundy auf ewig und rührte überhaupt keine Drogen mehr an. Nebst seinem Schraubertalent hatte Jack auch seine kreativen Seiten. So nahm er zum Beispiel nebst der Schule für acht Jahre Musikunterricht, lernte Trompete, Flügelhorn, Klavier und spielte in einem klassischen Orchester. Eines Tages hatte Jack eine starke mediale Erfahrung, in der er sich seiner Zeit auf dem Planeten des ewigen Lebens wieder bewusst wurde. Dabei erinnerte er sich, dass es dort auch Technik gibt, die allerdings völlig unschädlich für die Umwelt ist und zum grössten Teil auf Quarz-, also Kristallenergie beruht. Fahrzeuge, Apparate und so weiter werden dort so betrieben. Wie das alles funktioniert, wusste er leider nicht mehr. Sehr schade eigentlich, wäre doch dieses Wissen für die Erde von ungeahntem Nutzen! Auch sonst regte sich in dieser Zeit bei Jack die Neugier nach spirituellen Erfahrungen und gleichgesinnten Leuten. Dann, während seiner Pubertät, das war anfangs der Siebzigerjahre, tauchten in Luzern immer mehr Leute mit einer deutlich sichtbaren Verklärung auf. Mit: „Jai Sat Chit Anand!“, pflegten sie zu grüssen, was übersetzt heisst: „Wahrheit ist das Bewusstsein von Glückseligkeit!“ Diese Leute, mit auffallend guter Ausstrahlung, waren sogenannte Premies, Anhänger Guru Maharajis, dessen Mahatmas das sogenannte Knowledge, das Wissen zur Meditation auf inneres Licht, innere Musik, von der Zirbeldrüse produzierten Nektar, auf Basis bewusster Atmung des uralten Rajayogaweges an dafür bereite Menschen weitergaben. Neugierig geworden, liess sich Jack, nachdem er von einem jungen Mahatma darauf vorbereitet worden war, dieses Wissen offenbaren. Unvoreingenommen fing er an zu meditieren. Bei seiner ersten, sogenannten Lichtmeditation sah er vor seinem dritten Auge, also dem Stirnchakra, ein grelles, weisses Licht, eine lohende Flamme, die sein Herzchakra wie nie zuvor zum Rasen brachte. In der Lohe sah er jedoch niemand anderen als Jesus Christus. Also blieb bei Jack spirituell alles so wie bisher, das war absolut gut so. Denn zu dieser Zeit distanzierte sich die eigene Familie des Gurus von ihrem Mitglied Maharaji, der nach ihrer Meinung nicht mehr vertrat, was er sollte. Hatte doch sein längst verstorbener Vater, der früher in Indien bettelarm über die Dörfer gezogen war, dieses Wissen selbstlos an alle Interessierten weitergegeben, war es inzwischen zu einem Business, einer grossen Sekte in Amerika und Europa herangewachsen. Jack wusste ja sowieso schon wie jeder andere normal Denkende, dass der Mensch automatisch vom Leben selbst geatmet wird und der Odem keine Erfindung des Guru ist. So sollte ein spiritueller Meister nur eine hinweisende Funktion ausüben. Trotz aller negativen Propaganda fühlte sich Jack unter den Anhängern des Gurus wohl, weil diese wie er viel Wert auf ein starkes Herzchakra und zudem auf vegetarische Ernährung legten. Es war die Zeit gekommen, in der Jack von zuhause auszog und eine Zeit lang in einer Wohngemeinschaft dieser Leute lebte. Die Adresse des Hauses lautete bezeichnenderweise „Himmelreich“. Jack gefiel diese neue Erfahrung sehr. Er verstand sich zu dieser Zeit auch gut mit Leuten der sanften Hare Krishnabewegung und Yogi Mahesh Maharishi, der ihm ein Mantra der transzendentalen Meditation offenbarte. Auch mit der bekannten, ungarischen Künstlerin, Astrologin und Schriftstellerin Elisabeth Haich, die mit dem indischen Yogi Yesudian in Zürich eine Hata Yogaschule betrieb und massgeblich zur Verbreitung von Yoga in Europa beitrug, hatte er damals ebenfalls eine Begegnung. Auch dem 1920 von Paramahansa Yogananda gegründeten Self Realisation Fellowship war er sehr zugetan und der Dalai Lama mit seiner einfachen Art und die Heilsarmee mit ihren guten Aktionen beeindruckten ihn sowieso. Mit religiösen Eiferern und Fanatikern konnte er jedoch gar nichts anfangen. Vielen Lehren, auch aus dem Bereich Tantra, hafteten seinem Gefühl nach erhebliche Mäkel an. Bei gewissen Organisationen, die sich dreist Kirche nennen, konnte er beim besten Willen keine Spiritualität ausmachen, nein, das Gegenteil war der Fall und zu allem Übel streben diese auch noch die Weltherrschaft an. Er lernte zu dieser Zeit auch den Erfinder des LSD, Albert Hoffmann, bei einem seiner Vorträge in Zürich kennen. Er befand jedoch seine geniale Erfindung als Fluch und Segen zugleich, war es doch für seelisch positiv ausgerichtete Menschen ein Büchsenöffner für die spirituelle Welt, für nicht stabile Charaktere öffnete es eher die Büchse der Pandora und diese Leute brauchten dann nicht selten jahrelang psychologische Betreuung. LSD verstärkt gewaltig was eh schon im einzelnen Menschen schlummert. Hat jemand beispielsweise eine finstere Seite, sieht er sich plötzlich mit seinem Ich als Monster konfrontiert. Daraus ergibt sich naturgemäss ein sogenannter Horrortrip. Jack sah, dass dieser Unterschied bei allen Konsumenten psychedelischer Drogen bestand. Er sympathisierte aber sehr mit den Leuten, die für nachhaltiges Leben waren und für Krieg und Atomkraft nichts übrig hatten. Jack empfand sich in diesem Sinne auch als Hippie und Kind des Flowerpowers. Er trug ja selbst auch lange Haare, lebte damals überaus gerne in Wohngemeinschaften und wurde von einigen netten Zeitgenossen immer wieder mal als „langhaariger Sauhund“ bezeichnet. Ihm war zudem völlig klar, dass die systematische Verteufelung psychedelischer Substanzen, die ja auch natürlichen Ursprungs sind, nur von den Mächtigen der allgemein herrschenden Wirtschaftsdiktatur kommen konnte. Die brauchen funktionierende, devote Zahnräder im Räderwerk ihrer Interessen und nicht sich verselbständigende Persönlichkeiten. Jack wurde schnell klar, weshalb die Leute kifften oder überhaupt rauchten. Da Rauchen direkt auf den Atem wirkt, welcher ja bekanntlich alle Chakren tangiert, konnte und kann es sich nur um die Sehnsucht nach einem intensiv gefühlten Herzchakra, besser gesagt um das Fühlen der beglückenden Herzliebe handeln. Besonders Cannabisprodukte können eine Wirkung erzielen, was einer Pranayamameditation sehr nahe kommen kann. Auch dass indische Sadus, die konzentriert auf Lord Shiva diesen Weg gehen, war damals bei Jugendlichen bald bekannt. Jack verstand es jedoch nicht, weshalb viele Leute harte Drogen nahmen. Die gehörten seiner Meinung nach in den Medizinschrank und hatten rein gar nichts mit Bewusstseinserweiterung zu tun. Trotzdem starben in seinem Umfeld leider immer wieder gute Bekannte an Drogenmissbrauch, meistens an einer Überdosis. Insgesamt konnte er aber der damaligen Hippiebewegung durchaus viel positives abgewinnen, sei es das vereinte sich wehren gegen alle Ungerechtigkeiten, dann überhaupt alles Gemeinschaftliche, was ja sonst unserer Gesellschaft der nördlichen Hemisphäre völlig abgeht. Ihm gefiel zudem besonders gut, dass sich in den WGs die Frauen die Männer und die Männer die Frauen teilten. Da damals noch nichts über HIV und Aids bekannt war, genoss man die reichhaltige Abwechslung in vollen Zügen. Der Begriff Tantra war in aller Munde, es gab bereits auch Sekten, die dieses Thema bewirtschafteten. Jack zog es vor, sich von solchen fernzuhalten und ging seinen eigenen Weg, er machte so oder so genügend Bekanntschaften. Kein Wunder, hatte er bald eine Neigung zu Polygamie, es gefielen ihm einfach zu viele Frauen. Glücklicherweise hatte er sich in dieser Phase immer unbewusst geschützt, wollte er sich doch ohne feste Beziehung nicht fortpflanzen. Jack bestritt seinen Lebensunterhalt mit allerlei Kreativität, von Musik, Malerei, Bildhauerei, Schmuckfabrikation bis hin zum Reiseleiter. Zuvor hatte er seine Ausbildung, die in Richtung Journalismus ging, abgebrochen. Früh musste er erkennen, dass er sich damit nicht in gewünschtem Masse hätte entfalten können und deshalb beschlossen, sich fortan seinen Talenten als Kreativschaffender zu widmen. Da er inzwischen auch Gitarre lernte, zudem nebst Piano auch auf den ersten Synthesizern spielte und ihn das sehr weitläufige Thema Instrumente sowieso faszinierte, hatte er sich um einen Ausbildungsplatz als Instrumentenbauer bemüht. Von einem renommierten Musikhaus bekam er dann eine zunächst mündliche Zusage, die Ausbildung hätte aber erst eineinhalb Jahre später begonnen. Etwa gleichzeitig wurde Jack, inspiriert durch einen Bekannten, beim katholischen Seminar für Katecheten vorstellig. Er hätte jederzeit dort einsteigen können, überlegte sich dann aber das Ganze noch mal. Einerseits fand er es ja sinnvoll, die christliche Botschaft zu verbreiten. Andererseits musste er sich eingestehen, dass ihm die katholische Kirche ein unbequemes, sehr einengendes Korsett überstülpen würde. Ihm war das alles zu konservativ und unfähig zu dringend nötigen Reformen. Zudem war ihm das katholische Glaubensbekenntnis zuwider, er sah in dieser Kirche nichts heiliges, denn er wusste ja um die von ihr begangenen, beschämenden Verbrechen in der Vergangenheit, wie etwa der Inquisition. Also verwarf Jack diese Möglichkeit einer beruflichen Ausrichtung bald wieder. Etwa gleichzeitig vermittelte Jack seinem Freund Thomas einen echten Oldtimer, nämlich einen BMW 502, also einen sogenannten Barockengel. Der kaufte dann den Wagen an einem Samstag und die Zulassungsstelle war geschlossen. Er wollte aber unbedingt nach Zürich fahren um dort in einem Kino einen Actionfilm zu sehen. So ging er kurz nach Hause und kam bald darauf mit Nummernschildern zurück, die er wie Garagennummern innwendig hinter die Front- und Heckscheibe steckte. Jack stieg ein und sie fuhren mit diesem Brummer vergnügt nach Zürich. Im Kino trafen sie zufälligerweise auf eine bekannte Band aus der Schweiz. Als sie zum Wagen zurückkehren wollten, sahen sie drei Polizeibeamte bei diesem stehen. „Fahr mit dem Zug zurück, ich regle das hier!“ sagte Thomas, „ich erzähl dir dann, wie es ausgegangen ist.“ Zurück in Luzern berichtete er Jack, was eigentlich vorgefallen war: „Ich habe aus Karton die Nummernschilder selbst hergestellt und die Zahlen, Buchstaben und Wappen mit Filzstift darauf gemalt. Weil es in Zürich geregnet hatte, bildete sich innen an den Scheiben Kondenswasser, welches die Nummern verschmierte. Jemand hatte darauf die Polizei informiert!“ Thomas durfte für zwei Jahre nicht mehr Autofahren und musste eine hohe Geldstrafe bezahlen. Nun war Jack mit Corinne, einer schnuckeligen, jungen Frau zusammen. In seiner Schulzeit hatte er bereits schon mit ihren beiden älteren Schwestern geknutscht. Einmal verbrachte er mit ihr eine ganze Woche im Bett. Corinne, damals eigentlich Hochschülerin, war sexuell unersättlich und eines frühen morgens sah er sie, leichtbekleidet, wie sie sich auf dem Strassenstrich vorbeifahrenden, potentiellen Freiern anbot. Jack ging zu ihr hin und wollte wissen: „Was soll das bitte?“ Sie entgegnete ihm: „Alle Männer wollen meinen Busen sehen und ich verdiene mir ein Zubrot fürs Studium, das kann ich ja nur machen, solange ich so begehrenswert aussehe!“ Aus dieser Antwort hatte Jack wieder etwas dazugelernt und akzeptierte es. Jack hatte all die Jahre zuvor verschiedene Freundinnen gehabt. Er liebte halt nichts mehr als den Duft süsser, junger Frauen. Ein ganz bestimmtes Mädchen hatte ihm schon lange total den Kopf verdreht. Sie ging in ein anderes Schulhaus und war in etwa gleich alt wie er. Seit seiner Schulzeit hatte er nicht gewagt sie anzusprechen und er bekam jedes Mal weiche Knie, wenn er sie sah. Jahrelang hatte er deshalb die Sonntagsmesse besucht, nur, um sie zu sehen. Sie stammte von einem venezianischen Adelsgeschlecht ab, war also aus reichem, aristokratischen Haus. Sie war mit ihrem leicht dunkleren Teint und ihren schönen, langen, schwarzen Haaren, seiner Meinung nach das schönste Wesen das er je gesehen hatte. Also trank er sich eines Tages Mut an, sprach sie auf der Strasse an und konnte sich mit ihr für den folgenden Tag zum Mittagessen in einem Restaurant verabreden. Dort unterhielt er sich gut mit ihr und war von ihrer Anmut überwältigt. Leider sagte sie am Schluss zu ihm: „Sei mir nicht böse, aber ich habe bereits einen Freund!“ Tatsächlich sah er sie nur ein paar Tage später in einem Ferrari mit einem Mann, der doch einige Jahre älter war als er, an sich vorbeifahren. „Adel bleibt bei Adel“, dachte Jack bei sich. „Diese Kaste vermischt sich nicht mit dem einfachen Volk!“ Er wohnte dann eine Zeit lang in einer feudalen Patriziervilla aus dem siebzehnten Jahrhundert, einer WG der Guruleute, mit drei Frauen und fünf Männern. In diesem Haus, das in der Nähe der uralten, bekannten Spreuerbrücke mit ihren gruseligen Totentanzbildern steht, spukte es gehörig. Jacks Mitbewohner berichteten immer wieder von Geistererscheinungen. Er selbst wohnte zuoberst im Haus und eines nachts fuhr sein uraltes, schweres Biedermeierbett, das er von einem Bekannten erhalten hatte, etwa einen Meter von der Wand weg. Jack erschrak sehr und fühlte sich sofort an das Märchen „von einem der auszog das Fürchten zu lernen“, der Gebrüder Grimm erinnert, in dem ein Mann in einem Bett durch ein Spukschloss fuhr. Das Haus verfügte auch über einen grossen Salon im Stil eines Rittersaals mit mannshohem, offenen Kamin. Dort fand jede Woche zweimal sogenannter Satsang statt, bei dem die Premies über ihre Meditationserfahrungen berichteten. Erstaunlicherweise hatten jetzt Jacks guter, alter Freund Thundy und seine aufgeschlossene, sich seit jeher vegetarisch ernährende Mutter, ebenfalls dazu gefunden. So sah Jack Thundy wieder öfter, worüber er sich sehr freute. Während dieser Zeit besuchten einige seiner Mitbewohner einen Naturheiler im Luzerner Hinterland, der gleichzeitig auch ein Medium war. Er offenbarte ihnen nebst anderem Wissen: „Gebt in Zukunft gut acht auf euren Mitbewohner Jack, der hat einen direkten Draht zu Gott und wird während der kommenden Apokalypse wissen, wo rechtschaffene Menschen hingehen müssen! Er wird mit riesigen Raumschiffen und all seinen Seelenverwandten diesen Planeten verlassen!“ Die Zuhörer waren sehr erstaunt über diese Aussagen, auch darüber, dass dieses Medium Jack noch nie gesehen hatte und trotzdem seinen Namen wusste. Nach ihrer Rückkehr in die WG berichteten sie den anderen Mitbewohnern und Jack darüber, der zurecht annahm, dass für sie das Ganze in ein paar Jahren wohl wieder vergessen sein würde. „Bis das passiert, wird noch viel Zeit vergangen sein und ihr werdet euch dann wahrscheinlich überhaupt nicht mehr an mich erinnern!“, sagte Jack, aber staunte trotzdem, dass es noch so sensitive Leute wie diesen Naturheiler gab, die wie er vieles voraussahen, sich ihrer Vorleben bewusst waren und Kontakt zu göttlichen Wesen pflegten. Seltsamerweise wurde dann urplötzlich die Einrichtung dieses Hauses von Tag zu Tag üppiger, entweder kamen wertvolle Möbel und Teppiche, Gemälde, Skulpturen oder vergoldete Spiegel und barocke Engelsfiguren hinzu. Als Jack sich nach der Herkunft der Schätze erkundigte, sagte man zu ihm: „Das sind dank der Gnade des Gurus alles Schenkungen von Verwandten! Er wird bei seinem nächsten Besuch in der Schweiz bestimmt unser Gast sein!“ Es ging dann nicht lange und es war ein Polizeikommando zu Gast. Die vermeintlichen Schenkungen erwiesen sich als Diebesgut, drei männliche Mitbewohner Jacks, der es kaum glauben konnte, wanderten nebst zwei weiteren Mittätern, auch Mitglieder der selben Organisation, für zwei Jahre hinter Schloss und Riegel. Tatsächlich waren sie zuvor in Villen namhafter Persönlichkeiten, prunkvolle Hotels, die nur zur Hauptsaison geöffnet waren und alte Kirchen eingebrochen. Das Diebesgut hatten sie jeweils mit einem VW-Bus abtransportiert und waren mit diesem bei einem Einbruch in eine Kirche von einem Spaziergänger, der mit seinem Hund Gassi ging, gesehen worden. Kurzzeitig nach der Verhaftung der naiven Täter, die ihrer Organisation mit diesen Untaten natürlich einen erheblichen Imageschaden beschert hatten, besuchte Jack ein Gurufestival in Kopenhagen. Dieses fand neben der Freistadt Christiania, einem damaligen Mekka der europäischen Hippies, statt. Da es Sommer war, ging zum Erstaunen Jacks erst nachts um elf die Sonne unter, um eins am Morgen aber schon wieder auf. Während des Satsang, also dem Vortrag des Gurus, bei der er sich selbst als Retter der Menschheit darstellte, begehrte plötzlich eine Gruppe von Jesus People auf und protestierte lauthals, dieses Götterprädikat würde nur einer Person, nämlich Jesus Christus, zustehen. „Wie wahr!“, dachte Jack,der seine bisherigen spirituellen Erfahrungen auch mit diesem Mann gemacht hatte, bei sich, die Aufbegehrenden aber wurden von der Sicherheitsleuten unsanft nach draussen befördert. Dann arbeitete er eine Zeit lang für die katholische Kirche. Es war ein lockerer Job, den vorher ein Mann gemacht hatte, der eben in Rente gegangen war. Jack musste Bettelbriefe für Kirchenrenovationen maschinell falten, dann ebenfalls mit Maschinen couvertieren und adressieren. Diese Aufgabe, für die sein Vorgänger jeweils einen Monat gebraucht hatte, erledigte er in zwei bis drei Wochen. Es blieb ihm eine Menge Freizeit, gut für seine kreativen Projekte. Sein Chef, ein bärtiger Hüne von über zwei Metern war nebenbei auch Zauberkünstler, der mit weissen Tauben Tricks vorführte. Die hielt er sich jedoch in Käfigen, welche im Maschinenlärm von Jacks Arbeitsplatz standen, was der überhaupt nicht begreifen konnte. Kein Wunder waren sie deshalb aggressiv wie Raubvögel. Eines Tages wurde die Arbeit Jacks durch einen Computer der damaligen Zeit ersetzt und er verspürte grosse Lust, demnächst eine abenteuerliche Reise zu tun.

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