Читать книгу Die letzte Beichte von Maria Magdalena - Tullio Aurelio - Страница 5

Оглавление

1

Der Teufel im Beichtstuhl

„Pater, ich möchte beichten“, sagte Maria Magdalena. „Soll ich mich hinknien oder darf ich mich hinsetzen?“

„Es kommt darauf an, was du beichten willst“, sagte der Teufel, der den falschen Ruf hatte, der Widersacher zu sein. Lieber zog er alles in Zweifel und beantwortete eine Frage jesuitisch mit einer anderen Frage. Die Stimme verriet ihn: ein wenig verraucht klang sie. Er versuchte dies zu vertuschen, aber Maria Magdalena meinte, den Urheber dieses Klangs sehr gut zu kennen und ließ sich nicht täuschen. Sie war nämlich überzeugt, die wiedergeborene Maria von Magdala, die Freundin Jesu, zu sein.

„Im Übrigen weiß ich gar nicht, ob du katholisch bist, liebe Maria Magdalena“, setzte der Teufel spöttisch hinzu. „Kennen wir uns nicht bereits?“ Damit versuchte Satan sie ein wenig aus der Reserve zu locken.

„Ich wundere mich, dich hier wieder anzutreffen, Beelzebub — in einem katholischen Beichtstuhl, in einer katholischen Kirche mitten in Florenz.“

„Nicht nur da bin ich zu Hause“, erwiderte Satan. „Als er die Kuppel von Santa Maria del Fiore baute, hatte sich Brunelleschi vorgenommen, hier, in eurer schönsten Kirche von Florenz, eine verborgene Nische für mich einzurichten. Probeweise, möchte ich betonen, noch bevor sein Schüler, der berühmte Michelangelo, für mich im römischen Petersdom einen richtig bequemen Sessel herrichtete. Dort saß ich bereits unter dem Namen Alejandro. Der Namensträger war zwar ein Römer, stammte aber aus Spanien. In Rom hatte man ihn durchschaut, und man nannte ihn den Teufel auf dem Petersstuhl. Ja, ja. Wer hätte das gesagt: Inzwischen bin ich auch katholisch geworden, und zwar der Oberste von allen Katholiken, der Papst. Ein Beichtstuhl ist im Übrigen der beste Platz, um zu beobachten, welchen Erfolg mein Wirken bei den gutgläubigen Katholiken hat.

Du hast dich aber auch verändert, Maria Magdalena. Ich erkenne dich kaum wieder. Du trägst ein ähnliches Kopftuch wie damals, aber die dunkle Farbe deines Kleids unterscheidet sich zu deinem Nachteil von der damaligen hellen Tunika, die Maria von Magdala trug. Es gab Zeiten, als ich und Maria von Magdala uns sozusagen intim waren. Da hat sie manchmal sogar ein kurzes, rotes Kleid getragen. So gefiel sie mir am besten.“

„Hör auf damit“, unterbrach ihn Maria. „Vergiss die vergangene Zeit. Ich bin auch nicht dieselbe geblieben. Nur mein Name erinnert vage an die damalige Zeit. Ich heiße und bin jetzt Maria Magdalena, Karmelitin.“

„Die Karmelitin und Visionärin“, kam aus des Teufels Mund, und seine Augen blitzten wissend und sarkastisch. „Jetzt, dass du es sagst, weiß ich wieder. Du musst mich wohl entschuldigen, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Ich habe viel zu tun und kenne inzwischen viele Menschen, und langsam — das spüre ich dann und wann — werde ich auch alt.“

„Du und alt! Erzähl keine Geschichten! In deinem Beruf wird man nie alt. Dein Gehirn ist durchtrainiert und jugendlich. Nur dein Gesicht ist noch runzeliger geworden. Aber schon damals warst du nicht der Schönste, wenn ich das sagen darf, wenn auch sehr attraktiv.“

„Ich passe meinen Gesichtsausdruck den Umständen und dem Wunsch der Menschen an. Als ich dein dunkles Kleid sah, wurde ich traurig. So eine hübsche Frau, sagte ich mir, und so unvorteilhaft angezogen.“

„Immerhin bin ich schicker gekleidet als du. Du trägst immer noch lediglich einen langen Schwanz und zwei Hörner.“

„Und auch das ist nur Staffage. Als du kamst, war ich mit einem Talar gekleidet, und du sagtest ‚Pater’ zu mir. Du hast die Veränderung meiner Verkleidung gar nicht bemerkt, weil sie sich der neuen Lage der Erkenntnisse anpasste, und alles schien dir passend. Du bist also Maria Magdalena. Weißt du, warum deine Familie de’ Pazzi heißt?“

„Wie soll ich es wissen?“, antwortete Maria Magdalena. „Ich bin in diese Familie hineingeboren und sie hieß schon vor meiner Geburt de’ Pazzi. Es ist eine der bedeutenden Familien von Florenz, das weißt du aber bestimmt besser als ich, weil ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr abgeschieden im Karmeliterkloster lebe.“

„Ja“, bestätigte der Teufel, „und bei deiner Geburt nannte man dich Caterina und nicht Maria Magdalena. Aber du weißt, was ‚Pazzi’ heißt, oder hast du vor lauter Visionen auch das vergessen?“

„Natürlich weiß ich das. ‚Pazzi’ heißt ‚Verrückte’. Das bedeutet aber lange nicht, dass wir verrückt sind. Genauso wenig wie die de’ Medici alle Ärzte sind.“

„Mag sein“, grinste Beelzebub. „Aber Verrückte sind nicht nur Menschen, denen man es ansieht. Es sind Menschen, die nicht mehr Herren im eigenen Haus sind. Sie sind nicht mehr ‚bei sich’, weil ihr Gehirn nicht mehr ihnen gehört. Als deine Familie vor etwa hundert Jahren ein Attentat gegen die Familie de’ Medici organisierte, war sie nicht mehr ‚bei sich’. Sie war nicht nur dem Namen nach verrückt. Sie haben nicht mehr richtig bedacht, was das für Folgen haben könnte, gegen Lorenzo de’ Medici zu revoltieren. Das Einmaleins eines gescheiten Plans hatten sie vergessen. Weil sie fremd gesteuert wurden. Und rate mal, wer am Steuer saß?“

„Sag bloß, das warst du.“

„Also, liebe Tochter“, sagte der Pater im Beichtstuhl „was hast du zu beichten?“

Der Mann, der nun im Beichtstuhl saß, sah aus wie der wirkliche Beichtvater von Maria Magdalena. Sie kannten sich schon ein Leben lang. Maria Magdalena war sehr verwirrt. Was sollte sie nun glauben? Ist der Mann tatsächlich ihr Beichtvater, oder spielte ihr der Teufel wieder einen bösen Scherz?

„Pater, ich bin sehr verwirrt. Als ich zum Beichten kam, dachte ich, ich sehe Sie dort sitzen. Plötzlich redete ich aber nicht mit Ihnen, sondern mit dem Teufel in Person. Und jetzt fragen Sie mich, was ich zu beichten habe. Bitte, Pater, helfen Sie mir!“

„Wahrscheinlich hattest du eine deiner vielen Visionen, liebe Caterina ... “

„Bitte nennen Sie mich nicht so, Pater. Ich bin Maria Magdalena.“

„Ja, so heißt du seit einigen Jahren, und den Anlass dazu gab dir auch eine Vision. Du weißt am besten, wie du sehr häufig ganz plötzlich aus dem wirklichen Leben, aus der realen Welt, hinweggerückt wirst und eine sogenannte Vision hast.“

„Was heißt denn: eine ‚sogenannte Vision’, Pater. Ich hatte bisher echte Visionen. Und dabei habe ich nur Jesus gesehen und nie den Teufel.“

„Bist du dessen ganz sicher?“, fragte der Beichtvater.

„Aber ja.“

„Man kann sich ja auch mal irren“, erwiderte der Beichtvater. „Irgendwie hast du gerade geglaubt, den Teufel zu sehen, und jetzt sprichst du mit mir — wenn du dich nicht wieder irrst. Wie war es mit deinen früheren Visionen?“

Maria Magdalena erzählte ihrem Beichtvater von ihrem ereignisreichen Doppelleben. Es war natürlich kein unmoralisches Doppelleben gewesen. Sie war einfach zweimal geboren worden. Es könnte auch so gewesen sein, dass sie gar nicht gestorben und ihre zweite Geburt geistiger Art gewesen war. Sie konnte sich einfach nicht daran erinnern, dass sie in ihrem ersten Leben je alt geworden wäre: Reifer ja, und ihre Gesichtszüge hatten mit der Zeit den Geschmack der Wüste und des Salzes abbekommen. Irgendwie macht die Liebe auch reifer, aber nicht alt. Irgendwann fand sie sich wieder in Windeln gewickelt und bekam Milch von ihrer neuen Mutter. Diese erkannte sie nicht und gab ihr nicht ihren eigenen Namen Maria, die Maria von Magdala, sondern einen anderen, der nicht ihrem Wesen entsprach. Sie konnte weinen und schreien, so viel sie sollte, aber ihre neue Mutter verstand sie nicht. Die meisten meinen, sie hätte den Namen Maria Magdalena angenommen, als sie die Gelübde ablegte. Aber sie irren sich. Sie war immer Maria Magdalena gewesen, die wiedergeborene Freundin Jesu.

Ihre neue Mutter verstand aber bald die Seele der Neugeborenen und führte sie frühzeitig in ein Leben des Gebetes und der Askese ein. Sie bereitete sie darauf vor, ein jungfräuliches Leben zu führen, um für eine Beziehung mit Jesus offen zu sein.

Und tatsächlich schwor Maria Magdalena bereits im Alter von zehn Jahren Jesus die ewige Treue und versprach, nur ihm zu gehören.

Der Beichtvater unterbrach sie kurz mit einer skeptischen Frage. Er wollte der kränklichen Karmelitin nur helfen, ohne sie zu verletzen. Er kannte ihr Temperament. Manchmal konnte sie leicht hysterisch wirken:

„Kann es sein, dass es nur deiner Vorstellungskraft — er hätte lieber ‚Wunschdenken’ gesagt — zu verdanken ist, dass du meinst, Maria von Magdala zu sein, von der die Evangelien erzählen? Es sind immerhin mehr als fünfzehn Jahrhunderte vergangen.“

„Nein, Pater, ich bilde es mir nicht ein, ich bin es. Zu Beginn meines neuen Lebens spürte ich es stark, konnte aber einige Zweifel nicht beseitigen. Seit meinem zwölften Lebensjahr weiß ich es einfach.“

Als sie gerade 12 Jahre alt war, war ihr der von ihr geliebte Jesus erschien. Sie musste dieses Mal nicht so lange warten wie damals vor tausendfünfhundert Jahren in Palästina.

Sie war gerade dabei, den Sonnenuntergang zu betrachten. Das Schauspiel der untergehenden Sonne über den florentinischen Dächern zog sie seit ihrer frühen Kindheit stark an. An dem Abend war es ihr, als ob die Sonne besonders groß und besonders tiefrot am Himmel schiene. Aber sie senkte sich nicht nieder hinter dem Hügel vom Piazzale Michelangelo, sie kam ihr sozusagen entgegen. Die Sonnenscheibe wurde ein Gesicht, und sie erkannte das Gesicht ihres geliebten Jesus, der ihr entgegenstrahlte. Und als sie aufstehen, ihn umarmen und küssen wollte, verschwand er. Erst dann ging die Sonne langsam herunter am Horizont.

Sie war sprachlos.

Die letzte Beichte von Maria Magdalena

Подняться наверх