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Maria Magdalena lernt den Teufel kennen

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„Damals, vor fünfzehn Jahrhunderten, zur Zeit, als Jesus auf Erden weilte“, erzählte Maria Magdalena dem Beichtvater, „saß ich fast jeden Tag am Straßenrand, in ein rotes Kleid gehüllt, und genoss die Sonnenuntergänge in Palästina, die rote Scheibe über den Dächern von Magdala und über dem Wüstensand. Es waren die schönsten Augenblicke meines damaligen Lebens, wenn die Männer mich in Ruhe ließen und ich die Zeit hatte, die Sonnenuntergänge zu genießen. Gleichzeitig war ich nach den Männern süchtig und, blieben sie zu lange weg, bekam ich richtig hysterische Anfälle, genauso wie jetzt in meinem Bett im Karmeliterkloster, wenn mein geliebter Jesus eine mir unendlich lange vorkommende Zeit nicht zu mir kommt. Ob ich eventuell auch heute so wie damals an hysterischen Anfällen leide?“

„Vor fünfzehn Jahrhunderten“, sagte der Beichtvater, „warst du höchstwahrscheinlich gar nicht unter den Lebenden. Und damals hatte man für solche Phänomene zwei Erklärungen: Die Frau — es waren ja fast immer Frauen, die solche Anfälle hatten, während die Ärzte fast immer Männer waren — hatte nicht genug Geschlechtsverkehr mit Männern und deshalb wurde sie unruhig und hysterisch. Die andere Ansicht war, dass die Frau von Dämonen besessen war. Bei Maria von Magdala hatte man damals sogar sieben Dämonen diagnostiziert.“

„Genau“, fügte Maria Magdalena, von der ersten Bemerkung des Beichtvaters unbeeindruckt hinzu. „Wegen der hysterischen Anfälle, besonders aber wegen der vermuteten und gefürchteten Dämonenbesessenheit, hielten sich viele Männer von mir fern. Sie hatten Angst. Und das machte mich noch ausfälliger. Andere Männer hingegen fühlten sich von mir noch stärker angezogen. Sie versuchten durch die Vereinigung mit mir dem Geheimnis meiner Besessenheit und vielleicht sogar des Teufels selbst, der dahinter steckte, auf die Spur zu kommen.“

„Wie schön du die Sachen erklären kannst“, bestätigte sie Satan.

Maria Magdalena war ob des häufigen Wechsels der Person, mit der sie sich unterhielt, sehr irritiert.

Satan sprach unbeirrt weiter. „Ich merke schon, dass du dich nicht genau auskennst oder nicht genau erinnerst. Ich war damals wohl dabei, deshalb erzähle ich nun selbst weiter. Einer, der Maria von Magdala auf die Pelle rückte, hieß Raphael. Er war aber, wie sie sofort spürte, kein gewöhnlicher Mann. Er verfügte nicht über die physischen Mittel der Männer, um sich mit Maria von Magdala zu vereinen, denn er war ja — wie ich — ein Engel, und Engel wissen nicht mal, ob sie männlich oder weiblich sind. Aber Engel haben gegenüber Männern gewisse Vorteile: Sie verfügen über ein besonderes Einfühlungsvermögen, und Raphael konnte wohl in Maria von Magdala eindringen, wenn auch nur geistig, und sich mit ihr vereinigen. Sie fühlte sich zwar unbefriedigt, konnte aber ein tiefes Glücksgefühl nicht leugnen.“

Satan erzählte weiter:

„Raphael konnte sich erinnern, einige Jahrzehnte davor seinen Bruder Gabriel ein Stück des Weges nach Nazareth begleitet zu haben. Gabriel hatte eine geheime Mission, er sollte Gotteshilfe bei der Zeugung eines Gottessohnes verheißen, denn Gott ist mächtiger als ein Mann, meinte Gabriel. Gabriel heißt selbst ‚Gott ist mächtig’, oder, knapp formuliert, ‚Gott kann’s’. Ihre Wege hatten sich aber dann getrennt. Gabriel wollte nach seiner Mission in Nazareth unbedingt in den Himmel zurück. Er war unter den Erzengeln für punktuelle, kurze Aufträge vom obersten Chef zuständig. Er konnte oder musste nach Erfüllung des Auftrags und der Übergabe der Botschaft direkt wieder heim. Raphael hingegen hatte sich dazu entschieden, auf der Erde zu bleiben.

Er selbst war für die Heilung der Menschen zuständig. Er wurde deswegen Raphael genannt, was ‚Gott heilt’, ‚Gott macht gesund’ bedeutet. Und die Heilung ist kein schneller Prozess. Manchmal dauert es Jahre, bis der Erfolg einsetzt. Er war also gewohnt, auf Erden zu weilen, hatte aber weiterhin ständigen Kontakt mit dem Himmel. Hatte! Zuletzt ließ der Kontakt leider ein wenig zu wünschen übrig“, meinte Satan.

„Vor langer, langer Zeit“, fügte der Teufel hinzu, „hatte Raphael Maria von Magdala von einer früheren Reise erzählt. Er hatte einen Mann Namens Tobias auf einer fernen Reise zu seiner Verwandten Sara begleitet. Auch Sara war keine einfache Frau. Wie Maria von Magdala war sie von einem Dämon besessen. Der Dämon liebte sie und ließ es nicht zu, dass Männer ihrem Rock zu nahe kamen. Sieben Männer, die sie zur Frau nehmen wollten, hatte er eigenhändig abgemurkst. Schon damals fühlte sich Raphael von der dunklen Welt der Dämonen angezogen und wollte deren Geheimnis enträtseln. Schließlich war es ihm gelungen, Sara von ihrem Dämon zu befreien, sodass Sara und Tobias in jener Nacht Mann und Frau werden konnten.

Das Gegenmittel gegen Dämonen war ein erprobtes und bereits unter der ägyptischen Göttern bekannt. Dämonen mögen den Geruch von Fisch einfach nicht. Besonders den Geruch und den Rauch des auf Kohlen gegrillten Herzens und der Leber eines Fisches verabscheuen sie. Dies geschah, seitdem der Gott Seth wie von Dämonen besessen, es handelte sich in seinem Fall um den Dämon der Eifersucht, der nicht selten zu furchtbaren Wutausbrüchen führt, seinen göttlichen Bruder Osiris regelrecht zerstückelt und die Teile ins Wasser geworfen hatte — man wusste nicht mehr, ob in den Nil oder in eines der zahlreichen Meere, die Ägypten umgeben. Isis, die Schwester und Frau von Osiris hatte zwar alle Stücke wiedergefunden und zusammengesetzt, aber den Penis fand sie nicht wieder. Der Penis des Osiris wurde ein Fisch, aus einem Fisch wurden zwei Fische, zwei Fische wurden viele Fische, die Nahrung und Fruchtbarkeit brachten. Auf diese Weise rächen sich die guten Götter. Seitdem ist der Fisch ein Symbol der Fruchtbarkeit und wird von den Dämonen wie die Pest gehasst. Die Dämonen, Mächte der Sterilität, der Unfruchtbarkeit und der Zerstörung, verabscheuen seitdem alle Arten von Fisch, besonders wenn sie geräuchert sind. Fischer sind deshalb, wenn sie oft Fisch räuchern, grillen und essen, frei von dämonischer Ansteckung.

Raphael war während der ganzen Zeit der Vermählung von Tobias und Sara Pate gestanden — so hatte er Maria von Magdala erzählt — und er war froh, dass ihnen der Dämon nichts mehr antun konnte. Der Rauch des Fisches hatte ihn in die Flucht geschlagen. Der Dämon war in ihre alte Heimat, nach Ägypten, geflohen, aber Raphael hatte ihn bis dorthin verfolgt und erdrosselt“. Der Teufel machte eine kleine Pause und beobachtete die Reaktion von Maria Magdalena. Sie war von der Erzählung des Teufels fasziniert und wartete geduldig, dass er weitersprach.

„Raphael“, meinte der Teufel, „war seit damals vom Geheimnis des Dämonischen ungeheuer fasziniert. Fast beneidete er Frauen, die von einem Dämon besessen waren. Und auch jetzt, während er die Nähe von Maria von Magdala suchte, war er nicht nur von ihrer schönen Haut fasziniert. Man spricht den Engeln zwar jeglichen Fleischgenuss zu Recht ab, aber ein gutes ästhetisches Empfinden haben sie wohl alle, und damit können sie auch Lust am Schönen empfinden. Besonders wenn sie längere Zeit auf Erden weilen, werden sie für die Anziehungskraft von schönen Frauen und — warum denn nicht, wir sind ja geschlechtlich nicht einpolig bestimmt — Männern empfänglich.

Die größere Anziehungskraft übte auf Raphael allerdings der Dämon aus, der, wie die Leute munkelten, von Maria von Magdala Besitz ergriffen hatte. Er schien mächtiger zu sein als der Dämon von Sara — ein Dämon anderer Art. Er wirkte wie sieben Dämonen gleichzeitig. Raphael fühlte sich zwar ein klein wenig überfordert, gleichzeitig aber war er von ihm fasziniert und neugierig, ihn näher kennenzulernen.

Die Menschen waren sich uneins, ob der Dämon sieben Namen hatte oder sieben Dämonen Maria von Magdala in Besitz genommen hatten. Sie meinten aber, der Dämon wäre so mächtig, dass er ein böser Geist oder gar der Teufel in Person, also ich, sein musste. Dieser Meinung war auch Raphael, der auch sonst zur Leichtgläubigkeit neigt.

Raphael war sich darüber im Klaren, dass es nicht einfach werden würde, gegen diesen mächtigen Geist zu gewinnen. Er war aber der Überzeugung, dass er genau die gleiche Stärke aufbringen könnte wie dieser, denn auch die Erzengel sind sieben. Er hatte sogar seine Kollegen gebeten, ihm beizustehen. Aber diese wollten lieber in den himmlischen Stratosphären weilen und nur gelegentlich Stippvisiten auf Erden veranstalten. Raphael fand zunächst keine Macht über diesen siebennamigen oder siebenköpfigen Dämon, und die Fische, die er im See Genezareth gefischt und gebraten hatte, zeigten keine Wirkung gegen jenen.

Er wollte Maria von Magdala heilen, so wie einst Sara, denn das war ja seine eigentliche Mission als Erzengel Raphael. Deshalb kehrte er immer wieder zu ihr zurück, um die unbändige Kraft dieses Dämons besser kennenzulernen. Dass er zu diesem Zweck Maria von Magdala immer näher kam, ja kommen musste, auch das war sogar für einen Erzengel eine unbekannte, deshalb umso reizvollere Erfahrung.

Inzwischen kam er oft zu ihr, ja er war fast ihr ständiger Begleiter. Engel können sich, wie man weiß, unsichtbar machen, wenn sie wollen, und wieder erscheinen, wenn sie wieder Lust dazu haben. Und so war er — obwohl immer in ihrer Nähe — kein Hindernis für Männerbesuche. Außerdem war er diskret und verschwiegen“, stellte der Teufel fest.

„Parallel zu der Welt der Engel existiert eine dämonische Welt“, klärte der Teufel Maria Magdalena auf, „und Raphael kannte sie schon lange. Aber auch Engel sind weder allwissend noch allmächtig. Deshalb konnte er den Ausgang dieses Kampfes nicht ganz voraussehen. Der Dämon, der von Maria von Magdala Besitz genommen hatte, war vielleicht mächtiger als er selbst. Außerdem hatte sich Raphael für diese Auseinandersetzung noch keine Erlaubnis besorgt und keinen Befehl seines Chefs bekommen. Dieses Mal wollte er selbst die Initiative ergreifen und den Chef erst nach seinem Sieg gegen den Dämon informieren — ein gefährliches Spiel, denn Gott mag selbstständiges Handeln seiner Engel nicht gerne. Das kenne ich ja aus eigener Erfahrung.

Einmal kam ich nach einer langen Reise wieder zurück in die Gegend, wo Maria von Magdala weilte. Als ich von Maria von Magdala Besitz nahm, schüttelte ich sie so kräftig durch, dass auch Raphael ein wenig Angst bekam. ‚Wer bist du wirklich, der du mich in Besitz nimmst und so durchschüttelst, dass ich zittern muss?’, fragte mich Maria von Magdala. Diese Frage hatte ihr Raphael souffliert. Und sie stellte sie mir, wie von Raphael bestellt, auch wenn sie über mich längst Bescheid wusste und für mich nicht nur Neugier, sondern auch ernsthaftes Interesse spürte“, sagte der Teufel.

„Dein Freund Raphael ist sehr neugierig“, antwortete ich Maria von Magdala. „Verständlich! Wer an seiner Stelle wäre das nicht. Er versucht seit langem, mich bei dir auszubooten, aber bis jetzt hat er auf Granit gebissen. Trotz alledem versuche ich dir eine erste Antwort zu geben. Im Vertrauen sozusagen und mit der Bitte, Raphael nichts davon zu erzählen.

Ehrlich gesagt, wüsste ich selbst gern, wer ich tatsächlich bin. Interessanterweise wissen alle, die mich zu kennen meinen, besser über mich Bescheid als ich selbst. Sehr schmeichelhaft ist das, was sie von mir erzählen, wirklich nicht immer. Einige meinen wohl und wohlwollend, dass ich der erstgeborene Sohn Gottes bin. Das ist natürlich Honig für mein Herz. Und wie alle Söhne Gottes soll ich ein Engel sein. Soweit gar nicht schlecht. Dann fangen aber die Probleme an. Es soll gute und böse Engel geben. Man meint um Beispiel, dass Raphael ein guter Engel ist und ich nicht nur ein schlechter, sondern sogar ein böser sein soll.

Bin ich böse? Nicht nur Raphael mag dich, ich mag dich auch. Mir gefällt es — im Gegensatz zu diesem devoten und frommen Raphael — zu scherzen, Spaß zu haben und Jux und Tollerei halten mich am Leben.

Am liebsten malt man sich mich wie einen Teufel aus. Einige pinseln zwei Hörner auf meinem Kopf und am Hintern einen langen Schwanz hinzu, so dass ich wie die Missgeburt von einem gehörnten Affen aussehe.

Raphael und ich stehen hier stellvertretend für die zwei Scharen von guten Engeln auf der einen Seite und bösen auf der anderen. Die Menschen stellen sich vor, dass diese zwei Heere im Himmel einen Stellvertreterkrieg für vorderhand irdische Interessen führen und gleichzeitig versuchen, die Menschen auf Erden für die eine oder die andere Seite zu gewinnen.

Die Schar der guten Engel soll von sieben Erzengeln angeführt sein. Das sind Michael, Gabriel, Michael, Uriel, Raguel, Samiel und Remiel. Die Schar der bösen Engel soll auch von sieben Erzteufeln angeführt sein. Und so hat man mir sieben Namen verpasst: Luzifer, Mammon, Asmodai, Leviatan, Beelzebub, Satan, Belphegor. Alle sieben Namen stehen für eine Eigenschaft von mir und alle sind schlecht: Hochmut, Habgier, Wollust, Neid, Völlerei, Zorn und Faulheit. Ein sehr interessantes Wesen hatte von Maria von Magdala Besitz genommen“, sagte der Teufel zu Maria Magdalena, „die Schlechtigkeit in Person.“

„Man sagt, ich sei von sieben Dämonen besessen gewesen“, sprach nun Maria Magdalena Satan an.

„Ob du es damals warst, da bin ich mir nicht so sicher. Aber dieselbe Frage stellte mir damals Maria von Magdala. Die Menschen gaben mir viele Namen, weil sie eine beschränkte Wahrnehmung der Dinge haben. Sie sehen nur Teilaspekte und geben jeder Facette der Wirklichkeit einen Sondernamen. Nachdem ich mich mit dem beschäftigt habe, was die Menschen über mich erzählen, bin ich zu folgender Selbstüberzeugung gekommen: Ich bin einer und ungeteilt, der Herrscher dieser Welt. Wenigstens einer von den zwein, die die Welt zu beherrschen suchen. Ich sagte damals Maria von Magdala: Frag’ nur deinen Raphael. Er hat sich unsichtbar gemacht, weil er aus demselben Stoff ist wie ich. Aber ich sehe ihn gleichwohl. Er will es mit mir aufnehmen und dich für sich alleine haben, aber wenn ich zu dir zurückkomme, muss er doch Platz machen und weichen — nicht unbedingt in deinem Bett, an dem Platz können wir beide nicht viel; Männer, die so wenig können wie wir, nennt man impotent —, sondern in deinem Herzen.

Eine weitergehende Ansicht über mich ist folgende: Ich war auch ein Engel, ein Gottessohn am Hof Gottes. Luzifer war damals mein Name, weil ich Träger des Lichtes war. Viele Menschen spucken heute zur Seite, wenn Sie den Namen Luzifer hören oder nennen, dabei wissen sie nicht mal, was mein Name wirklich bedeutet. Ich trug das Licht vor Gott her, auf dass er im dunklen Himmel nicht stolpere. Denn nicht der ganze Himmel ist je hell erleuchtet gewesen, eine Hälfte befand sich seit Anbeginn in der Finsternis.

Behandelt hat mich Gott wie einen Straßenköter, er hat mich aus seinem Hof geworfen, nur weil ich auch ein wenig Macht haben wollte. Er beanspruchte die alleinige Herrschaft über die Welt, nun muss er seine Macht doch mit mir teilen. Ich darf zwar nicht mehr in die helle Hemisphäre des Universums gehen, wo er herrscht, aber ich halte ihn von der finsteren Hälfte fern. Seitdem trage ich kein Licht mehr vor ihm her. Ich weigere mich. Soll er stolpern und in ein dunkles Loch des Universums stürzen, wenn er versucht, in meine dunkle Hälfte einzudringen.

Gott soll neunundneunzig Namen haben, das meinen viele Menschen, denn er soll neunundneunzig gute Eigenschaften besitzen. Ich darf genauso viele Namen haben. Aber sie bezeichnen nur schlechte Eigenschaften. Er und ich — der Eine und die Vielen. Nur einer kann es mit mir aufnehmen: Er. Nur einer kann es mit ihm aufnehmen: Ich.

Deshalb meinen einige, dass ich sogar ein Bruder Gottes sei. Ich bin der alte Ahriman, der Gegner von Ahura Mazda, dem Gott des Propheten Zoroaster, ein arger Geist, der Ahura Mazda das Universum und besonders die Menschen streitig macht. Der Gegner des Mithras, nämlich der Skorpion, der versucht zu verhindern, dass der gute Samen des geschlachteten Stiers auf die Erde fällt und eine neue Schöpfung hervorbringt. Ich soll die Schlange sein, die sich um Mithras schlängelt; Apophis, die sich der Himmelfahrt der Barke der Sonne, des Sonnengottes Re entgegenzustellen versucht. Ich bin der Drache, der aus dem Chaos steigt. Ich bin die Bestie, die die Seelen der schlechten Menschen frisst.

Man beschreibt mich wie einen höllischen Sadisten, der die Verdammten etwa mit dem Kopf nach unten in einen Kessel mit brennendem Öl wirft, ihnen den Kopf oder die Arme abschlägt, sie mit einem Dreizack spießt. Ganze Kirchenwände sind mit solchen Fresken übermalt worden, und ich stehe da, immer in der Mitte des Geschehens.“

„Kompliment“, Maria Magdalena beglückwünschte Satan, „eine tolle Einführung deiner Persönlichkeit. Besser hätte ich es nicht gekonnt.“

„Eines kann ich mir nicht erklären“, meinte Satan, „wie Seelen, die angeblich geistig und körperlos sein sollen, immer noch Arme, Köpfe und Beine haben. So werden sie nämlich auf Fresken dargestellt. Reinste science fiction.“

„Was ist das?“, fragte Maria Magdalena.

„Das kannst du noch nicht verstehen, du bist zu jung. Ich bin älter, als ich heute bin, weil ich bereits alle künftigen Tage erlebt habe“, sagte der Teufel.

Maria Magdalena musste eine Bemerkung loswerden. „Irgendwie finde ich die Vorstellung lustig. Auf der einen Seite der gute Geist, den man auch Gott nennt, auf der anderen der böse Geist, den man Satan, den Antagonisten, nennt. Jeder von ihnen hat neunundneunzig Namen und Eigenschaften. Neben jedem von ihnen stellen sich kampfbereit jeweils sieben Erzengel oder sieben Dämonen. Jeder Erzengel und jeder Dämon befehligt unzählige gleich gesinnte Engel oder Teufel. Der Kosmos ist hälftig geteilt, rechts das Licht und das Gute, links die Finsternis und das Böse. Beide Hälften des Kosmos bekämpfen sich seit einer Ewigkeit, und diese ewige Zeit reicht nicht aus, auf dass eine von ihnen die andere besiegt. Unschön ist dabei nur die Rolle, die wir arme Menschen spielen.“

„Du kennst ja Johannes, der ein Offenbarungsbuch geschrieben haben soll“, sprach Satan. „Eigentlich hat ein anderer den Text geschrieben und nicht Johannes, aber das tut nichts zur Sache. Dort werde ich als siebenköpfiger Drache beschrieben. Man hat meine sieben Namen gekannt und daraus hat man sich sieben Köpfe ausgemalt. Am Ende der Zeiten, steht da geschrieben, soll der Erzengel Michael, ein weiterer Bruder von Raphael, auf einem feurigen, geflügelten Pferd reitend, mit dem Kriegsruf ‚Wer ist wie Gott?’ gegen mich antreten, mich bezwingen und meine sieben Köpfe abschlagen. Da er den Kriegsruf auf Hebräisch aussprechen wird, lautet dieser ‚Mi cha el’. Und so nennt man ihn schon jetzt mit vorauseilendem Wissen ‚Michael’. Leider weiß der Schreiberling der Offenbarung des Johannes nicht, wann das Ende der Zeiten sein wird. Und so genieße ich mein Dasein in der dunklen Hälfte des Universums, zurzeit in einer schönen florentinischen Kirche und in einem angenehmen Gespräch mit einer schönen Frau.“

„Das soll alles ich sein“, fügte Luzifer hinzu. „Und ich verhalte mich entsprechend. Was habe ich für eine Alternative, als mich so zu verhalten, wie die Menschen sich mich wünschen? Das ist also meine vorläufige Antwort auf deine Frage, wer ich bin. Nicht die Menschen sind arm dran, wie du eben behauptetest, sondern ich und — ich gestehe es ungern — auch der arme Gott, weil ihr euch auch über ihn eine ganze Menge Unsinn zusammenreimt.“

„Sehr beeindruckend, deine Kenntnisse!“, sagte Maria Magdalena. „Ich habe eine ganze Menge gelernt. Leider weißt du selbst nicht, wer du bist. Ich will versuchen mich langsam an dein Wesen oder Unwesen vorzutasten. Vielleicht wissen wir beide später besser Bescheid.“

Die letzte Beichte von Maria Magdalena

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