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Dialog ist heute in aller Munde
Diese Feststellung kann in einem wörtlichen und in einem übertragenen Sinn verstanden werden. Im wörtlichen Sinne bezeichnet sie die Tatsache, dass der Mensch stets in Kommunikationen lebt, die sehr häufig als Dialog bezeichnet werden. Am ehesten denkt man dabei an das Gespräch mit einem oder mehreren anderen Menschen, das unterschiedliche Grade von Alltäglichkeit, Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit haben kann. Es kommt entweder zu einem Konsens oder zu einem Dissens. Doch auch mit technischen Geräten führt man Dialoge, etwa bei der Bedienung von Computerprogrammen, die sich scheinbar immer wieder in Meldungen der Absichten des Anwenders vergewissern und ihn zu Eingaben oder Mausklicks bewegen. Mittlerweile sind Autowerkstätten dazu übergegangen, die Überprüfung von Fahrzeugen und die Fehlerdiagnose als Dialog zu bezeichnen. Sie werden mit Geräten durchgeführt, die einen Impuls an den Bordcomputer des Fahrzeugs senden, welcher darauf antwortet. Auf literarischem Gebiet steht Dialog für eine literarische Gattung. Eine nicht zu übersehende Zahl von Schriftstellern hat sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder einer verschriftlichten Gesprächsform bedient, um ihre Aussageabsichten darzulegen, indem sie sie anhand von Rede und Gegenrede erarbeitete. Dialog ist des Weiteren ein beliebtes rhetorisches Mittel, um in einer gegenüber einem Monolog lockereren und ansprechenderen Form Gedanken zu entwickeln. Dieser kurze Überblick zeigt, dass das Begriffsverständnis von Dialog sehr vielfältig ist: Dialog ist in aller Munde, jeder führt ihn. Das bedeutet nicht, dass jeder darunter dasselbe versteht oder dass die vielen Dialoge gleich aussehen.
Das große Spektrum, Dialog zu verstehen, fließt ein in die weitere Auslegung der eingangs erhobenen These, Dialog sei in aller Munde. Diese besteht in der Einsicht und der Forderung, dass Dialog stattfinden müsse. Der Mensch kann und darf sich dem Dialog nicht entziehen. Dialog zu führen, dialogisch zu leben: das sind Grundforderungen der Verhaltensweise, an denen niemand so leicht vorbeikommt. Dialogfähigkeit ist ein allenthalben als positiv anerkannter Charakterzug eines Menschen. Das gilt z. B. dann, wenn er Leitungsgewalt ausübt und anderen etwas zu sagen hat. Es geht dabei darum, den anderen zu Wort kommen zu lassen und ihn nicht einseitig zu befehligen. Dahinter steht offenkundig die Einsicht, dass der einzelne Mensch fast immer in mannigfaltigen und wechselseitigen Zusammenhängen steht, die er in unterschiedlichem Maß und Gewicht selbst prägt, die aber ihrerseits auch ihn prägen. Und dahinter steckt auch das Verlangen, dass Menschen einander in diesen Zusammenhängen ohne das begegnen, was im weiteren Sinne als Gewalt bezeichnet werden kann1. „Dialog“ und das Adjektiv „dialogisch“ kennzeichnen eine Kultur und eine Geisteshaltung, die die Gemeinschaft, die soziale Offenheit gegenüber einer individuellen Selbstgenügsamkeit hervorhebt.
Es liegt auf der Hand, dass die Forderung nach Dialog genau so vielfältig verstehbar ist, wie der Begriff selbst Bedeutungen hat. Diese Vielfalt zeigt einerseits eine positive Entwicklung an, die mit der zunehmenden Dialogisierung der Gesellschaft und Kultur einhergeht; andererseits bildet sie aber auch den Nährboden für Missverständnisse. Häufig redet man aneinander vorbei; dies ist ein aus dem Alltag hinlänglich bekanntes Grundproblem menschlicher Kommunikation und gilt auch für das Sprechen über das Sprechen, den Dialog. Bisweilen treten Konflikte auf. Soweit diese auf Missverständnissen beruhen, würde ihnen ein gutes Stück an Schärfe genommen, legte man die Unterschiede im Begriffsverständnis offen und einigte sich auf jeweils eines.
Dialog als Aufgabe für Kirche und Theologie
Auch die Kirche und die Theologie sind von dieser Problemlage im Bereich des Dialogs betroffen. Es wird verlangt, in Dialog zu treten, dialogisch zu leben2. Dabei sind ganz unterschiedliche Meinungen in Umlauf, wie dies zu verstehen ist. Der frühere Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König (1905 – 2004), stellte hierzu fest,
„dass das Wort Dialog bereits so abgenutzt ist – es ist quasi ausgebrannt und scheint heutzutage eine Art Schlagwort geworden zu sein. Ich glaube, man müsste sehr vorsichtig erklären, was echter Dialog bedeutet, nämlich indem man sich gegenseitig befragt und vermeintliche Wahrheiten abbaut, um näher an die Wahrheit heranzukommen.“3
In diesem Wort deutet sich neben der Diagnose zum Problem des Verständnisses von Dialog bereits die Therapie an: Alles muss daran gesetzt werden, im Dialog an die Wahrheit heranzukommen.
Für die Kirche erscheint dies in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen wird der Blick nach innen gelenkt. Dialog kann hier für eine Form des Umgangs der Glieder der Kirche miteinander stehen, die das gemeinsame Sein in der Wahrheit Jesu Christi immer mehr verwirklichen und vertiefen möchte. Im Rahmen des kirchlichen Selbstverständnisses als Sakrament des Heils für die Welt4 rückt auch der Dialog in den Bereich der Sakramentalität der Kirche und wird sogar als Teil derselben angesehen5. Damit wird zweitens der Blick nach außen gelenkt. Die Kirche tritt in Kontakt zu den Anderen, die nicht zur sichtbaren Kirche gehören, weil sie entweder einen anderen oder keinen Glauben haben. Die erste Perspektive stellt an den Dialog insbesondere die Anforderung, eine pragmatische, faire und offene Weise des Umgangs miteinander auf der gemeinsamen Grundlage des christlichen Glaubens zu sein. Insbesondere sind auftretende Konflikte möglichst zu lösen und Dissense zu beseitigen. Im Allgemeinen nennt man dieses Gespräch auch Diskurs.
Die zweite Perspektive indessen kann etwas tiefer gehen. Mit einem Dialogpartner, der nicht auf derselben Grundlage im Glauben steht, gestaltet sich ein Dialog anders, insofern er nicht nur pragmatische Fragestellungen aufwirft und beantwortet, sondern nach der Wahrheit strebt, die nicht ohne Weiteres von allen als die gleiche anerkannt wird. Während im Bereich der Philosophie der Dialog ein wichtiges und anerkanntes Mittel zur Erkenntnis und zur Begründung von Wahrheit ist, weil er auf der Grundlage der Vernunft geführt wird, scheint dies für die Theologie zunächst nicht in diesem Umfang zuzutreffen6. Denn in der Theologie ist die Offenbarung der Ort der Wahrheit; an ihr kann eine gemeinsame Feststellung weder etwas ändern, noch kann ein Dialog dafür offen oder gar konstitutiv sein7. Deswegen stellt sich die Frage, ob die im Untertitel dieser Studie gebrauchte Formulierung „Theologie des Dialogs“ eine contradictio in adiecto darstellt, weil Theologie und Dialog einander im Grunde ausschließen. Denn Theologie beschäftigt sich mit Gott und seiner Offenbarung. Ihre Erkenntnislehre und ihre Methodologie sind darauf angelegt, Offenbarung zu erkennen, mit ihr umzugehen und sie auf den verschiedensten Gebieten für den Menschen so darzustellen, dass sie Relevanz für sein Leben entwickelt. Die Reichweite menschlichen Sprechens und Sich-Verständigens und damit auch des Dialogs erscheint geringer. Verständigung setzt Verstehen voraus; und so spitzt sich gerade auch für den Dialog die Problematik zu, wie, in welchem Rahmen, wodurch usw. die genannten religiösen Inhalte, die in den Dialog eingebracht werden sollen, verstehbar sind, verstanden werden und im Zusammenhang mit dem Verstehen ins Wort gefasst werden können. Die Problematik menschlichen Denkens und mehr noch menschlicher Sprache und menschlichen Sprechens tritt spätestens dort zutage, wo es um Gegenstände geht, die sich als göttlich oder transzendent verstehen und damit der menschlichen Verfügung überhaupt entzogen bleiben. Wenn schon das Erkennen Stückwerk ist (vgl. 1 Kor 13,9) oder wenn jemand eine Freude an Gott empfindet, der, wie Cassiodor (485 – 580) sagt, „die Sprache nicht gewachsen ist“8 und die er damit gar nicht erst in Worte zu fassen vermag – wie will man sich dann mit anderen darüber in einer Weise verständigen, die Verbindlichkeit beanspruchen kann?
Wenn auch der Dialog allein keine Theologie konstituieren kann, so ist es doch nicht ausgeschlossen, dass die Theologie ein neues Verständnis von Dialog erarbeitet, das über die herkömmlichen Verständnisweisen des Dialogs hinausgeht und es ermöglicht, den Dialog theologisch von innen her zu erleuchten und neu zu begründen. Gesucht wird also ein Verständnis von Dialog, das einen Raum bietet, in dem Gott zur Sprache kommen kann. Die Heilige Schrift bezeugt, dass dies möglich ist. An einigen Stellen geht es in ihr um das Wort Gottes im Menschenwort.
So berichtet z. B. Jer 38,20 von dem Propheten Jeremia, er habe König Zidkija den Rat gegeben, sich den Heerführern des Königs von Babel zu stellen, und auf dessen Zögern versichert: „Man wird dich nicht ausliefern. Hör doch auf die Stimme des Herrn in meiner Rede! Dann geht es dir gut, und dein Leben bleibt erhalten.“ Der hl. Paulus schreibt in 1 Thess 2,13: „Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen, wirksam.“
Ein Verständnis also, dass Gott selbst sich in das Gespräch der Menschen hinein ausspricht, dass die Menschen also im Miteinander-Sprechen Gott selbst hören, könnte in der Tat ein neues Licht auf den Dialog werfen, sei es innerhalb oder außerhalb der Kirche im interreligiösen und interkulturellen Dialog.
Der Vorschlag Kardinal Ratzingers und das „Himmelskonzil“ bei Nikolaus von Kues
Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., (geb. 1927), hat vor einigen Jahren im Gespräch mit der „Katholischen Integrierten Gemeinde“, zu deren theologischen Hauptanliegen ein vertieftes Gespräch mit dem Judentum gehört, einen Vorschlag zum Verständnis des interreligiösen Dialogs gemacht, der sich von der Theologie her versteht. Er formulierte den Wunsch, dass
„der Dialog der Religionen […] immer mehr zu einem Zuhören auf den Logos werden“ solle, „der uns die Einheit mitten in unseren Trennungen und Widersprüchen zeigt“9.
Dieser in Form eines Wunsches geäußerte Vorschlag regt zu der Frage an, wie dies geschehen kann. Diese Frage geht in zwei Richtungen: Erstens fragt sie nach der angemessenen Form des Dialogs als Kommunikation zwischen Menschen. Das von Ratzinger angeregte Verständnis von Dialog nennt neben den Dialogpartnern den Logos als eine Wirklichkeit, die mit einer eigenen teilnehmerischen Qualität als eine Art „Drittes“ hinzutritt. Daraus ergibt sich, dass Dialog hier gar nicht primär mit dem Schwerpunkt des Sprechens oder eines sonstigen aktiven Beitrags charakterisiert wird, sondern vom Zuhören her, also zunächst einmal nichts sagend, sondern passiv: empfangend. Zweitens fragt Ratzingers Vorschlag nach den Möglichkeiten, die innerhalb und außerhalb der Kirche und des Christentums bestehen, dem einen Logos zuzuhören.
Dabei greift er zurück auf Nicolaus Cusanus’ (eigentlich Nikolaus v. Kues, 1401 -1464) Schrift De pace fidei10 (1453). Dieser beschreibt darin eine Art Konzil, das im Himmel um das göttliche Wort, also den Logos herum, stattfindet. Vor ihm versammeln sich die „bedeutsamsten Männer der Welt“11, um herauszufinden, wie die eine Wahrheit mit der Verschiedenheit der Religionen und Bräuchen in Zusammenhang gebracht werden könne. Sie hören dem Logos zu, der ihnen verständlich macht, dass die Wahrheit nur eine ist, sich aber aufgrund des freien Willens der Menschen in unterschiedlichen Bräuchen und Religionen ausdrückt. Die Verschiedenheit der Religionen sei aber auf den einen wahren Glauben zurückzuführen, so wie die Weisheit nur eine sei und einen Ursprung habe.
Das Interesse, aus dem Cusanus sich die Mühe macht, in der ihm eigenen dialektischen Art die Spannung zwischen Einheit und Vielfalt theologisch zu erläutern, wird in der Forschung nicht einheitlich gesehen. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, der Kardinal habe vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Spannungen im Mittelmeerraum aufzeigen wollen, dass der Friede gerade von den Religionen ausgehen müsse. Zum Teil wird ein religionstheologisches Anliegen bescheinigt, sodass De pace fidei als ausdrückliche Toleranzschrift erscheint12. In diesem Rahmen wird sie wiederum unterschiedlich gedeutet: Cusanus wird von einigen die Ansicht zugeschrieben, keine Religion könne die ganze Wahrheit besitzen, diese müsse gemeinschaftlich zusammengetragen werden13. Demgegenüber wird betont, die Weisheit als der Ursprung von allem bilde bereits die Einheit, diese müsse aus den Religionen heraus nur noch gesucht und gefunden werden. Da die Weisheit des Logos nicht verschieden von der einen philosophischen Weisheit sei, könne Cusanus die Zuversicht haben, dass alle zur wahren Religion kämen14.
Wie auch immer man die Beweggründe des Cusanus deutet: In dem diskutierten Werk geht es nicht darum, Religionen zu ersetzen oder auszutauschen. Sie können nebeneinander bestehen. Wohl aber muss erkundet werden, worin ihr wahrer Kern liegt. Dies geschieht aus dem Logos heraus. Dabei lässt der Kardinal keinen Zweifel daran, dass er monotheistischtrinitarisch und von daher in Bezug auf die Religionen christologisch und christozentrisch denkt15. Es wird deutlich, dass Cusanus von der Beziehung ausgeht, die sich vom Logos her mit den Anderen ergibt. Wenn der Dialog als Beziehungsgeschehen verstanden wird, kann sich aus De pace fidei in der Tat eine Anleitung zum Dialog ergeben.
Hören auf den Logos auf Erden
Das Hören auf den Logos dürfte sich allerdings in der irdischen Praxis weniger reibungslos gestalten als auf dem cusanischen Himmelskonzil. Was auf dem Hintergrund christlicher Theologie einleuchtet, erscheint in anderen Religionen und Weltanschauungen unmöglich, die den Logos als solchen nicht kennen oder anerkennen. Wenn Ratzinger im Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs aber trotzdem den Wunsch zu äußern wagt, dass man nicht nur dem Logos zuhören möge, sondern dies gemeinsam tun solle, also religionsübergreifend, sieht er offenbar hinter dem Horizont des christologischen Bekenntnisses zum Logos weitere Möglichkeiten, dass dieser eine Logos sich verständlich macht. Diese Möglichkeiten sind, christlich verstanden, nicht einfach da, sondern aktuieren sich im Dialog, den die Kirche (und mit ihr die Christenheit) mit der Welt von heute und dabei insbesondere den Religionen führt. Eine wertvolle Hilfestellung bietet dabei der Gedanke, dass die universale Vernunft, die als Logos bezeichnet werden kann, allgemeiner und universaler Anerkennung und Zustimmung fähig ist. Für das Christentum ist diese Vernunft nicht außerhalb der Person Jesu Christi zu denken. Die Frage, wie das Hören auf den Logos möglich sein kann, führt deshalb an einige Problemkreise heran. Wenn der Glaube an den Logos Jesus Christus nicht geteilt wird, so bietet es sich an, das Hören auf den Logos als Akt des Menschen zunächst unabhängig von diesem Glauben zu beschreiben. Man kann versuchen, Anregungen zu finden, wie eine Struktur aussehen kann, in der ein Hinhören auf den Logos möglich ist. Diese Struktur wird sich aus Sicht des Christentums nicht anders realisieren können als im Hinhören auf Jesus Christus. Außerhalb des Bekenntnisses zu Jesus Christus wird sie aus der Sicht anderer Religionen und aus der Sicht nichtreligiöser Weltanschauungen als verbindliches Hinhören angesehen werden, sofern sie auf einem soliden philosophischen Fundament steht. Diesen Fragen soll in der vorliegenden Studie nachgegangen werden.
Aufbau und Methode der vorliegenden Studie
Die Formulierung der Fragestellung gibt im Groben die Gliederung und den methodischen Gang der Überlegungen vor.
Im ersten Kapitel wird der Überlegung nachgegangen, wie menschliche Kommunikation und Dialog aussehen können, damit sich darin ein Drittes, der Logos, zu verstehen gibt. Das Arbeitsgebiet ist hierbei philosophisch. Es geht um Strukturen, die auch ohne die Rückbindung an ein religiöses Bekenntnis einsichtig gemacht werden können. Von der Theologie aus gesehen: Eine Theologie des Dialogs ist umso solider, je mehr sie sich von der Philosophie gleichsam als Magd bedienen und sich von ihr gedankliche Strukturen und Instrumentarien bereitstellen lässt, mit denen sie theologische Inhalte verständlich machen kann16. Als philosophischer Denkweg bietet sich zunächst die Phänomenologie an. Sie erscheint für theologische Fragestellungen nützlich: Seit ungefähr einem Jahrhundert hat sich eine Religionsphänomenologie etabliert, die versucht, Strukturen religiöser Phänomene aufzuzeigen und von daher Gemeinsamkeiten der Religionen festzustellen. Auf diesen religionsphänomenologischen Ansatz soll indes nicht ausführlich eingegangen werden. Das phänomenologische Interesse richtet sich im vorliegenden Rahmen vielmehr auf die Beziehungen zwischen Menschen ihrer zugrunde liegenden Struktur. Es ist darzulegen, wie das Subjekt zum Anderen gelangt und was auf diesem Weg in der Beziehung zwischen ihnen entstehen und sich ereignen kann. Dialog wird damit phänomenologisch sowohl als intersubjektives Geschehen erschlossen wie auch als Möglichkeit, wahrzunehmen, dass Transzendenz sich immanent zur Sprache bringt. Dabei erweist sich unter anderem ein Blick auf das Dialogische Denken als hilfreich, welches auf dem phänomenologischen Gedankengang aufbaut.
Im zweiten Kapitel wird zunächst der Frage nachgegangen, wie Transzendentes sich in die dialogische Disposition der Subjekte hineingeben kann. Die zuvor aufgezeigten philosophischen Strukturen erweisen sich als geeignet, sowohl in einem allgemein religionswissenschaftlich verstandenen Sinn Heiliges als auch den Logos Jesus Christus zu empfangen. Es wird darauf Wert zu legen sein, dass es dabei nicht um eine Projektion menschlichen Denkens geht, sondern um ein Rufen nach Gott aus der Mitte der Existenz heraus, auf welches das Heilige – Gott – der Logos Antwort gibt, indem er sich auf den Menschen in intersubjektiver Verfasstheit einlässt. Religionswissenschaftlich werden sich deshalb die phänomenologisch begründeten intersubjektiven Strukturen als tragfähig für eine Offenbarung transzendenter Wirklichkeit erweisen. Aus christlicher Sicht wird zu zeigen sein, dass sich die Offenbarung in Jesus Christus auch mit dem philosophischen Instrumentarium der Phänomenologie denken lässt. In diesem Rahmen kommt es darauf an, ob die Mitte christlicher Theologie auch die Mitte eines Dialogs sein kann und darin zur Sprache kommt, dass also Jesus Christus Ausdruck und Ereignis des Dialogs ist. Damit wird die Frage nach dem bestimmten Dialog spannend, in welchen jemand einbezogen ist, dem das Bekenntnis zu Jesus Christus fremd ist. Diese Frage ist die alles entscheidende, denn von ihr hängt ab, ob es einen Dialog der Religionen als gemeinsames Hören auf den Logos geben kann oder nicht. Es wird zu zeigen sein, dass das gemeinsame Hören auf den Logos auch dann möglich ist, wenn es nicht allerseits auf der Basis des ausdrücklichen Bekenntnisses zu Jesus Christus aufliegt. Umgekehrt ausgedrückt: Wer sich je auf einen wirklichen Dialog über die Wahrheit und das Heil einlässt, der kommt unweigerlich in Kontakt mit dem Logos. Innerhalb eines so gedachten dialogischen Beziehungssystems findet die kirchliche Verkündigung Jesu Christi als des ewigen Logos ihren Platz und erweist sich als dessen Mitte. Dabei wird ein Zusammenhang deutlich, der zwischen der eher vertikal zu denkenden Selbstmitteilung Gottes an den Menschen und der eher horizontal zu denkenden intersubjektiven Kommunikation besteht. Gott teilt sich mit und bringt sich in diesem Mitteilen zugleich zwischenmenschlich kommunikativ zur Sprache.
Im dritten Kapitel wird schließlich versucht, aus den philosophischen und theologischen Überlegungen ein Verständnis von Dialog zu entwickeln, das den Anforderungen der heutigen Pluralität der religiösen und nichtreligiösen Bekenntnisse und Nicht-Bekenntnisse gerecht wird. Die Überlegungen laufen auf eine Differenzierung zwischen zwei Herangehensweisen hinaus, die in einem Verständnis von Dialog möglich sind. Es kann einerseits darum gehen, dass die Gesprächspartner versuchen, sich im Dialog zu definieren, d. h. voneinander abzugrenzen oder sich gar in eine abgestufte Reihenfolge zu bringen. Neben diesem eher wettbewerblichen und deshalb als kompetitiv bezeichneten Verständnis wird ein relationales Verständnis vorgeschlagen. In diesem geht es darum herauszufinden, welche Beziehung zwischen den Dialogpartnern bestehen kann, wie sie aufeinander einwirken und voneinander lernen. Je weniger diese Frage von einer wettbewerblichen Sicht gekennzeichnet ist, desto geringer wird die Gefahr, die Wahrheit aufzugeben oder zu relativieren. Wenn auch beide Sichtweisen im Verhältnis zwischen den Religionen ihre Berechtigung haben – zumal das römische Lehramt beide Sichtweisen beleuchtet – so wird sich zeigen, dass innerhalb der Zielorientierung im Dialog ein relationales Verständnis weiter führen kann als ein kompetitives. Insbesondere im Bereich der Theologie der Religionen kann sich ein relationales Verständnis verdient machen, ebenso wie für die Herausforderungen, die sich für eine zahlenmäßig kleiner werdende Kirche im Kontext religiöser und weltanschaulicher Pluralität stellen.
Im Übrigen sind Methodologie und Auswahl des Stoffes persönlich geprägt. Im Lesen der zuvor zitieren Aussage Kardinal Ratzingers, der das Titelzitat entnommen ist, kam mir spontan die Frage, wie die Chancen aussehen, dass der geäußerte Wunsch sich erfüllt. Diese Frage stellte sich mir vor dem Hintergrund meiner eigenen missiologischen und theologischen Studien in Rom, die mich in den vergangenen Jahren mit Personen, Gedanken und Autoren in Verbindung brachten, die sich als hilfreich für die Fragestellung erweisen könnten. Vor diesem Hintergrund gestaltete sich der methodische Rahmen in der Weise, nicht eine vollständige Theologie des Dialogs zu erarbeiten, sondern Anregungen aufzuzeigen. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass es nicht darum geht, Gedankengänge eines Autors oder mehrerer Autoren in ihrer Vollständigkeit zu analysieren und zu valutieren, sondern diese aufzugreifen und Möglichkeiten zu suchen, sie für weiteres Nachdenken fruchtbar zu machen. Das hat dazu geführt, dass in dieser Studie zahlreiche Autoren zu Wort kommen und in eine Verbindung gebracht werden, die dazu anregen kann, die Grundlagen und Möglichkeiten des Dialogs, insbesondere des interreligiösen und interkulturellen, weiter zu vertiefen.
Jedes Kapitel beginnt mit einer skizzenhaften Darstellung des Hintergrundes, vor dem sich die dann folgenden Überlegungen verstehen und von dem sie angeregt werden. Damit ist nicht die vollständige Darstellung einer Wirklichkeit beabsichtigt, die ohnehin zu komplex erscheint. Es sollen vielmehr die Motivation der Gedankengänge anschaulich gemacht und der Einstieg aus der Zeit und dem Kontext heraus gefunden werden.
Bei all dem wird keine abgeschlossene Systematik einer Theologie des Dialogs versucht, vielmehr geht es um Anregungen, mögliche Wege des Dialogs weiter zu beschreiten.
1 „Der Dialog unterbricht die Gewalt“, schreibt W. STEGMAIER, Heimsuchung. Das Dialogische in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, in: FÜRST, G. (HG.), Dialog als Selbstvollzug der Kirche? Quaestiones disputatae 166, Freiburg – Basel – Wien 1996, 9-29, hier: 9.
2 Vgl. das Eröffnungsreferat von Bischof KARL LEHMANN bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda vom 19. September 1994, Vom Dialog als Wahrheitsfindung in der Kirche heute. Zit. nach: SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ (HG.), Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 17, Bonn 1994, 5: „‚Dialog’ ist auf neue Weise zum Signal für die Diagnose und Therapie in der heutigen Gesellschaft geworden. Überall wird in umfassender Weise der Dialog als Form des Umgangs miteinander und der Kommunikation gefordert. Dies gilt in besonderer Weise für die Kirche. Hier kann es […] programmatisch heißen: ‚Dialog statt Dialogverweigerung. Wie in der Kirche miteinander umgehen?’“
3 F. KÖNIG – J. DUPUIS, Unterwegs zu einem Dialog der Religionen, in: Stimmen der Zeit 226 (2008), 232-244, hier: 236.
4 Vgl. Lumen gentium 1.
5 Vgl. H. J. POTTMEYER, Dialog und Wahrheit. Wie die Kirche ihre Wahrheit findet und lebt, in: SCHAVAN, A. (HG.), Dialog statt Dialogverweigerung. Impulse für eine zukunftsfähige Kirche, Kevelaer 21995, 90–96, hier: 94.
6 Allerdings werden die Begriffe Diskurs und Dialog sehr häufig gerade im kirchlichen Sprachgebrauch synonym verwendet, was auch W. BEINERT, Wenn Mutter Kirche ihren Pass verliert. Oder: Ekklesiologie des Dialogs, in: ThPQ 146 (1998), 349-356, hier: 351, feststellt.
7 Vgl. W. LÖSER, Art. „Dialog“, in: W. BEINERT (HG.), Lexikon der katholischen Dogmatik, Freiburg – Basel – Wien 1997, 83-86, hier: 84.
8 CASSIODOR, Expositio in Psalmum 95 (94), Vers 1, PL 70, 671.
9 J. RATZINGER, Der Dialog der Religionen und das jüdisch-christliche Verhältnis; Erstveröffentlichung: Internationale katholische Zeitschrift Communio 26 (1997), 419-429; zit. nach: J. RATZINGER, Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund, Urfelder Reihe 1, Hagen 42005, 93–121, hier: 120-121.
10 NIKOLAUS VON KUES, Über den Frieden im Glauben – De pace fidei, zit. nach der Ausgabe L. MOHLER (HG.), Meiner Philosophische Bibliothek 223, Leipzig 1943.
11 Ebd., 96.
12 Zum Stand der Diskussion vgl. R. HAUBST (HG.), Der Friede unter den Religionen nach Nikolaus von Kues. Akten des Symposions in Trier vom 13.-15. Oktober 1982, Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 16, Trier 1984, darin: J. STALLMACH, Einheit der Religion – Friede unter den Religionen. Zum Ziel der Gedankenführung im Dialog “Der Friede im Glauben”, 61-75, hier: 63.
13 So: W. DUPRÉ, Menschsein und Mensch als Wahrheit im Werden. Einige Bemerkungen zum Problem der Religion bei Nikolaus von Kues, in R. HAUBST (HG.), Der Friede unter den Religionen, 313-324, hier: 320.
14 Vgl. J. STALLMACH, Einheit der Religion, 72-73.
15 Vgl. W. A. EULER, Einheit der Religionen – Friede unter den Menschen. Begegnung mit nichtchristlichen Religionen bei Ramon Llull und Nikolaus von Kues, in: C. LOHR – E. COLOMER (HG.), Anstöße zu einem Dialog der Religionen. Thomas von Aquin – Ramon Llull – Nikolaus von Kues, Freiburg 1997, 71–91, hier: 85-86.
16 Die Philosophie ist nach PETRUS DAMIANI, De divina omnipotentia 5,621, die „ancilla theologiae“.