Читать книгу Die Blinde - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 3

Erster Band
Drittes Kapitel.
Das arme Fräulein Finch

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Das Pfarrhaus glich in einer Beziehung der Erzählung, die ich zu schreiben im Begriff stehe. Es bestand aus zwei Theilen. Der erste Theil, der vordere, welcher aus dem Mörtel und Kiesel der Gegend bestand, hatte kein Interesse für mich; der zweite Theil, der einen rechten Winkel mit der Rückseite des Vordertheils bildete, war augenscheinlich ein altes Gebäude. Es war, wie ich später hörte, seiner Zeit ein Nonnenkloster gewesen. Hier sah man gemüthliche kleine gothische Fenster und dunkle mit Epheu bedeckte Mauern von ehrwürdigem Stein, welche in einer früheren Zeit an einigen Stellen mit zierlichen rothen Backsteinen aus gebessert waren. Ich hatte gehofft, daß ich das Haus von dieser Seite her betreten würde. Aber nein. Der Junge schien einen Augenblick lang nicht zu wissen, was er mit mir anfangen solle, führte mich aber dann an eine Thür der neueren Seite des Gebäudes und zog die Glocke.

Ein unordentlich aussehendes junges Dienstmädchen öffnete mir die Thür.

Vielleicht war die Pflicht, Fremde zu empfangen, etwas neues für diese Person, oder vielleicht wurde sie durch eine Herde von Kindern in schmutzigen Kleidern, welche auf dem Vorplatze auf uns losstürzten, bei dem Anblick einer Fremden aber dann eben so rasch kreischend wieder in unsichtbare hintere Raume verschwanden, außer Fassung gebracht, – jedenfalls schien auch sie durchaus nicht zu wissen, was sie mit mir anfangen solle. Nachdem sie mein Gesicht eine Zeitlang angestarrt hatte, öffnete sie plötzlich eine am Vorplatz liegende Thür und führte mich in ein kleines Zimmer. Aus diesem mir so gebotenem Asyl stürzten bei meinem Eintritt wieder zwei Kinder in schmutzigen Kleidern kreischend heraus. Ich nannte meinen Namen, sobald ich zu Worte kommen konnte. Das Mädchen schien entsetzt über die Länge des Namens. Ich gab ihr meine Karte; sie nahm sie zwischen ihren schmutzigen Zeigefinger und ihren ebenso schmutzigen Daumen, betrachtete sie, als ob es eine außerordentliche Natur Merkwürdigkeit sei, drehte sie um, indem sie mit ihrem Zeigefinger und Daumen verschiedene schwarze Flecke darauf drückte, verzweifelte dann ersichtlich daran, über die Bedeutung der Karte ins Klare zu kommen und ging hinaus. Draußen wurde sie, wie ich aus den an mein Ohr dringenden Tönen schloß, durch einen neuen Sturm der Kinder auf dem Vorplatz zurückgehalten. Ich hörte Flüstern, Kichern und dann und wann einen lauten Stoß gegen die Thür. Vermuthlich auf Antrieb der Kinder, jedenfalls von ihnen geschoben, trat das Mädchen plötzlich wieder in die Thür. »Wollen Sie gefälligst mit mir kommen,« sagte sie. Die Kinderschaar zog sich wieder treppenaufwärts zurück. Eines derselben, das meine Karte in der Hand hielt, schwang diese, auf dem ersten Treppenabsatz stehend, hin und her.

Das Mädchen führte mich über den Vorplatz und öffnete eine an der andern Seite desselben liegende Thür. Unangemeldet trat ich so in ein anderes größeres Zimmer Was fand ich hier?

Endlich war das Glück mir günstig gewesen. Mein guter Stern hatte mich zu der Frau vom Hause geführt. Ich machte meinen besten Knix und fand mich einer großen blonden, languissanten lymphatischen Dame gegenüber, die sich in dem Augenblicke meines Erscheinens offenbar die Zeit damit vertrieben hatte, im Zimmer auf und abzugehen. Wenn es wirklich Wassernixen giebt, so war sie gewiß eine. Aus ihrem farblosen weißen Gesicht lag ein feuchter Schimmer und ihre blaßblauen Augen hatten etwas unaussprechlich Wässeriges. Ihr Haar war ungemacht und ihre Spitzenhaube saß ihr ganz schief auf dem Kopfe. Ihr Oberkörper war in eine lose Jacke von blauen Merino gekleidet; ihr Unterkörper von einem Dimiti-Schlafrock von zweifelhaftem Weiß umhüllt. In der einen Hand hielt sie ein schmutziges, reichlich mit Eselsohren versehenes Buch, dem ich es auf der Stelle ansah, daß es ein Leihbibliotheksroman sei. Mit der andern Hand hielt sie ein auf ihrem Arm ruhendes, in Flanell gewickeltes Baby, das an ihrer Brust sog. So trat mir die Frau des ehrwürdigen Finch zuerst entgegen, und so und nicht anders sollte sie mir auch in der Folge immer wieder erscheinen. Niemals ganz angezogen, niemals ganz trocken, immer mit einem Baby in der einen und einem Roman in der andern Hand.

»O! Madame Pratolungo? Ja. Ich hoffe, daß jemand Fräulein Finch angezeigt hat, daß Sie hier sind. Sie hat ihr eigenes Logis und besorgt alle ihre Angelegenheiten selbst. Haben Sie eine gute Reise gehabt?« Sie sprach diese Worte wie abwesend, als ob ihr Geist mit etwas anderem beschäftigt sei. Mein erster Eindruck war, daß sie eine schwache gutmüthige Frau sei und daß sie früher eine untergeordnete Stellung im Leben eingenommen haben müsse.

»Ich danke Ihnen, Frau Finch,« antwortete ich, »die Reise über Ihre schönen Hügel hat mir das größte Vergnügen gemacht «

»O, gefallen Ihnen die Hügel? Entschuldigen Sie meinen Anzug. Ich bin diesen Morgen eine halbe Stunde zu spät aufgestanden. Und wenn man in diesem Hause einmal eine halbe Stunde verloren hat, kann man sie nie wieder einbringen, mag man es versuchen, wie man will.«

Ich sollte bald dahinter kommen, daß Frau Finch regelmäßig jeden Tag eine Stunde verlor und daß es ihr niemals unter irgend welchen Umständen gelang; diese verlorene halbe Stunde wieder einzuholen.

»Ich begreife, Frau Finch. Die Sorge für eine zahlreiche Familie —«.

»Ja, das ist es gerade!« (eine Lieblingsphrase von Frau Finch). »Zuerst kommt Finch; er steht früh auf und arbeitet im Garten. Dann kommt das Waschen – der Kinder und die schreckliche Wirthschaft in der Küche Und Finch kommt herein, wenn es ihm beliebt, und verlangt sein Frühstück. Und natürlich kann ich das Baby nicht verlassen und eine halbe Stunde geht Einem dabei so leicht verloren, daß ich nicht weiß, wie ich sie wieder einholen soll.« In diesem Augenblick fing das Baby an durch gewisse Anzeichen zu erkennen zu geben, daß es mehr mütterliche Nahrung zu sich genommen habe, als sein kindlicher Magen gut vertragen konnte. Ich hielt den Roman, während Frau Finch ihr Taschentuch erst in ihrer Schlafrockstasche, dann hier und dort überall im Zimmer suchte.

In diesem kritischen Augenblicke wurde an die Thür geklopft. Es erschien eine ältliche Frau, welche einen sehr wohlthuenden Contrast zu den Mitgliedern des Hauses bildete, die ich bis jetzt kennen gelernt hatte. Sie war sauber gekleidet und begrüßte mich mit der höflichen Ruhe eines civilisirten Wesens.

»Verzeihen Sie, Madame, meine junge Herrin hat erst eben von Ihrer Ankunft gehört. Wollen Sie die Güte haben, mir zu folgen?«

Ich wandte mich wieder an Frau Finch. Sie hatte ihr Tuch gefunden und hatte die Folgen ihrer Befeuchtung beseitigt und ihr Baby wieder in Ordnung gebracht. Ich gab ihr mit ehrerbietiger Miene den Roman wieder.

»Ich danke Ihnen,« sagte Frau Finch .

»Ich finde, daß Romane mein Gemüth beruhigen. Lesen Sie auch Romane? Erinnern Sie mich daran, ich will Ihnen morgen diesen Roman leihen.«

Ich dankte für diese Freundlichkeit und verließ das Zimmer. An der Thür wandte ich mich noch einmal um, um die Frau vom Hause beim Hinausgehen zu begrüßen. Frau Finch spazierte schon wieder mit dem Baby in der einen, dem Roman in der anderen Hand, in ihrem nachschleppenden Dimiti-Schlafrock im Zimmer auf und ab.

Wir stiegen die Treppe hinauf und betraten einen kahlen geweißten Vorplatz mit grau gemalten Thüren, die wie ich annahm, zu den Schlafzimmern des Hauses führten. Jede dieser Thüren öffnete sich als wir daran vorbeikamen; aus jeder guckten Kinder hervor, die mich ansahen und ankreischten und dann die Thür wieder zuschlugen. »Wie viele Kinder hat die jetzige Frau Finch?« fragte ich. Die adrette ältliche Frau wurde durch diese Frage veranlaßt still zu stehen und nach zudenken. »Mit dem Baby und zwei Paar Zwillingen und einem etwas schwachsinnigen Siebenmonatskinde sind es im Ganzen vierzehn, Madame.« Als ich das hörte, empfand ich, trotz meiner Ueberzeugung, daß Priester, Könige und Kapitalisten die Feinde der Menschheit sind, ein gewisses Interesse an dem ehrwürdigen Finch. Hatte er nie gewünscht ein Priester der römisch-katholischen Kirche zu sein, dem ein gütiges Verbot das Heirathen unmöglich machte? Während mir diese Frage durch den Kopf ging, nahm meine Begleiterin einen Schlüssel zur Hand und öffnete damit eine schwere eichene Thür am andern Ende des Corridors. »Wir müssen die Thüren verschlossen halten, Madame,« rief sie, »sonst würden die Kinder den ganzen Tag bei uns ein und auslaufen.«

Ich gestehe, daß ich nach dem, was ich bis jetzt von den Kindern gesehen hatte, auf die geöffnete Thür mit einem Gefahr der Dankbarkeit und Achtung blickte Wir bogen um eine Ecke und befanden uns auf dem gewölbten Corridor des älteren Theils des Hauses. Die auf der einen Seite in tiefen Nischen befindlichen Fenster gingen auf den Garten hinaus; jede Nische war mit Topfgewächsen ausgefüllt. Die gegenüberliegende Wand war mit hellen Vorhängen von buntem Kattun heiter decorirt. Die Thüren waren milchweiß mit vergoldeten Rahmungen Der hellgemusterten Matte unter unsern Füßen sah ich ihren südamerikanischen Ursprung sofort an. Der Plafond war von einem zarten Blaßblau mit Borten von Blumengewinden. Nirgends war auf dem ganzen Corridor auch nur das kleinste dunkle Fleckchen zu erblicken. Am unteren Ende des Corridors stand eine ganz in Weiß gekleidete Gestalt, die sich über die Blumen in der Fensternische beugte. Das war das blinde Mädchen, deren dunkle Tage ich zu erheitern gekommen war. Die Bewohner der zerstreut liegenden Dörfer der Umgegend bekundeten ihr Mitgefühl für das blinde Mädchen, indem sie sie stets »das arme Fräulein Finch« nannten. Ich kann sie mir nur unter ihrem hübschen Vornamen vorstellen Für mich ist sie, so oft meine Erinnerung bei ihr verweilt, »Lucilla«. So will ich sie denn auch hier Lucilla nennen. Als mein Blick zum ersten Mal auf ihr ruhte, war sie damit beschäftigt, die vertrockneten Blätter von ihren Blumen abzulesen. Ihr feines Ohr hatte den ihr fremden Klang meiner Fußtritte schon lange, bevor ich dahin gelangte, wo sie stand, bemerkt. Sie richtete sich auf und kam mir rasch entgegen; auf ihren Wangen zeigte sich eine leichte Röthe, die aber alsbald wieder verschwand. Ich hatte in früheren Jahren einmal die Dresdner Bildergallerie besucht. Je näher Lucilla auf mich zutrat, desto lebhafter wurde ich an die Perle jener Sammlung »die Sixtinische Madonna« erinnert. Die schöne breite Stirn, die eigenthümliche Fülle des Fleisches zwischen Augenbrauen und Augenlidern, die zarten Umrisse des unteren Theils des Gesichts, die feingeschnittenen Lippen, die Farbe der Haut und des Haares, Alles erinnerte in ganz frappanter Weise an die liebliche Gestalt des Dresdener Bildes. Der Theil des Gesichts aber, bei dem die Aehnlichkeit in trauriger Weise aufhörte, waren die Augen. Die göttlich schönen Augen der Raphael’schen Madonna fehlten ihrem lebendigen Ebenbilde. Es war nichts Mißgestaltetes, nichts, wovor man hätte zurückschrecken können, an meiner blinden Lucilla. Die armen trüben, blinden Augen hatten einen matten, starren, ausdruckslosen Blick – das war Alles. Ueber ihnen, unter ihnen, neben ihnen bis an die Ränder ihrer Augenlider war Alles Schönheit, Leben. In ihnen aber – war es todt! Von diesem einzigen Mangel abgesehen, war mir nie, ein reizenderes Geschöpf vorgekommen. Sonst war nichts an ihrer Erscheinung mangelhaft. Sie hatte die angenehme Höhe, die wohlproportionirte Gestalt und die Länge der Gliedmaßen, welche allen Bewegungen eines Weibes ohne Weiteres Grazie verleihen. Ihre Stimme war entzückend klar, heiter, sympathisch. Diese Stimme und ihr Lächeln, das der Schönheit ihres Mundes noch einen besonderen Reiz verlieh, gewannen mein Herz, noch ehe sie mir nahe genug gekommen war, um ihre Hand in die meinige zu legen.

»O, liebes Kind,« sagte ich in meiner ungenirten Weise, »wie freue ich mich, Sie zu sehen.«

Kaum waren mir diese Worte entschlüpft, so hätte ich mir wegen der brüsten Worte, mit denen ich sie sofort an, ihre Blindheit erinnerte, die Zunge ausreißen mögen. Ich fühlte mich sehr erleichtert, als sie durch nichts zu erkennen gab, daß sie meinen Verstoß so wie ich selbst empfunden habe.

»Darf ich Sie aus meine Art sehen?« fragte sie mit sanfter Stimme, indem sie ihre hübsche weiße Hand empor hielt. »Darf ich ihr Gesicht berühren?«

Ich setzte mich ohne weiteres auf die Fensterbank. Ihre weichen rosigen Fingerspitzen schienen im Nu mein ganzes Gesicht zu betasten. Zu drei verschiedenen Malen ließ sie ihre Hand rasch über mein Gesicht fahren, während sich auf ihrem eigenen Gesichte gleichzeitig die gespannteste Aufmerksamkeit auf das, was sie that, malte.

»Reden Sie wieder!« sagte sie plötzlich, während sie ihre Hand noch vor meinem Gesichte hielt.

Ich fing an etwas zu sagen, aber sie verschloß mir den Mund alsbald mit einem Kuß, indem sie vergnügt ausrief: »Nicht weiter. Ihre Stimme sagt meinen Ohren, was Ihr Gesicht meinen Fingern sagt. Ich weiß, Sie werden mir gefallen. Kommen Sie und sehen Sie sich die Zimmer an, die wir zusammen bewohnen werden.«

Als ich aufstand, schlang sie ihren Arm um meine Taille, zog ihn aber sogleich wieder zurück und machte eine ungeduldige Bewegung mit den Fingern, als ob sie dieselben verletzt habe.

»Haben Sie sich an einer Nadel gestochen?« fragte ich.

»Nein, nein, was für eine Farbe hat das Kleid, das sie tragen?«

»Dunkelviolett.«

»O, das wußte ich; bitte, tragen Sie keine dunklen Farben. Ich habe in meiner Blindheit einen wahren Abscheu gegen Alles, was dunkel ist. Bitte, liebe Madame Pratolungo, tragen Sie mir zu Gefallen hübsche helle Farben!«

Dabei umschlang sie wieder liebkosend, dieses Mal jedoch – meinen Nacken, wo ihre Hand auf meinem leinenen Kragen ruhen konnte.

»Sie ziehen sich vor Tisch anders an, nicht wahr?« flüsterte sie. »Lassen Sie mich für Sie auspacken und ein Kleid wählen, daß mir gefällt.«

Jetzt konnte ich mir die glänzende Decoration des Corridors erklären!

Wir betraten die Zimmer, ihr Schlafzimmer, mein Schlafzimmer und unser zwischen beiden liegendes Wohnzimmer. Ich war darauf gefaßt, sie so zu finden wie sie wirklich waren, so freundlich, wie Spiegel, Vergoldungen, hellfarbige Verzierungen und heitere Nippes aller Art sie machen konnten. Sie glichen mehr den Zimmern in meiner Heimath als den Zimmern des schmuck und farblosen England. Das einzige, was mich noch in Erstaunen setzte, war der Gedanke, daß all dieser schöne gefällige Einige Schmuck in Lucilla’s Wohnung eigens auf den Wunsch eines jungen Mädchens angeordnet war; das nicht sehen konnte. Spätere Erfahrungen sollten mich lehren, daß die Blinden ein Phantasieleben führen können und ihre Lieblingsideen und Illusionen haben wie wir Anderen auch.

Um mein dunkelviolettes Kleid nach Lucilla’s Wunsch wechseln zu können, mußte ich nothwendig erst meine Koffer haben. Soviel ich wußte, hatte der Junge, der mich hergebracht, mein Gepäck zugleich mit dem Pony nach dem Stall gebracht. Noch bevor Lucilla klingeln konnte, um sich nach dem Verbleib meiner Sachen zu erkundigen, erschien die ältliche Frau, die mich hinaufgeführt, uns aber schweigend verlassen hatte, als wir miteinander auf dem Corridor sprachen, wieder, gefolgt von dem Jungen und einem Stallknecht, welche meine Sachen brachten. Außer meinem Gepäck brachten sie auch noch verschiedene Packete von in der Stadt gekauften Sachen für ihre junge Herrin und eine in weißes Papier gewickelte Flasche mit, welche wie eine Medicinflasche aussah, und welche im Laufe des Tages noch ihre Rolle spielen sollte.

»Das ist meine alte Amme,« sagte Lucilla, indem sie mir ihre Aufwärterin vorstellte. »Zillah versteht sich ein wenig auf Alles, Kochen mit einbegriffen Sie hat darin in einem Londoner Clubhause Unterricht genommen. Sie müssen Zillah um meinetwillen gern haben, Madame Pratolungo. Sind Ihre Koffer offen?«

Indem sie das fragte, legte sie sich vor den Koffern auf die Knie. Kein Mädchen im vollsten Besitz seiner Sehkraft hätte sich mehr damit amüsiren können als es Lucilla that. Dieses Mal jedoch sollte sie die wunderbare Feinheit ihres Tastsinns im Stiche lassen. Von zweien meiner Kleider, welche zufällig ein ganz gleiches Gewebe, aber eine verschiedene Farbe hatten, wählte sie das dunkle als das vermeintlich helle aus. Ich sah daß ich sie tief betrübte, als ich sie auf ihr Versehen aufmerksam machte. Die nächste Vermuthung jedoch, die sie aussprach, gab ihr ihre Zuversicht auf das sichere Gefühl ihrer Fingerspitzen wieder. Sie entdeckte die Streifen in einem Paar heller Strümpfe und wurde dadurch wieder heiter gestimmt.

»Halten Sie sich nicht lange bei Ihrer Toilette auf,« sagte sie, indem sie mich verließ. »Wir essen in einer halben Stunde zu Mittag. Französische Gerichte zu Ehren Ihrer Ankunft. Ich esse gern gut; ich bin was man bei Ihnen Gourmand nennt. Und hier sehen Sie die traurigen Folgen.« Damit legte sie einen Finger an ihr hübsches Kinn. »Ich werde fett; ich bin mit einem Doppelkinn bedroht und das mit zweiundzwanzig Jahren! Abscheulich! Abscheulich!«

Mit diesen Worten verließ sie mich. Und das war der erste Eindruck, den ich von »dem armen Fräulein Finch« empfing.

Die Blinde

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