Читать книгу Die Blinde - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 4

Erster Band
Viertes Kapitel.
Begegnung mit dein Manne im Zwielicht

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Unser kleines angenehmes Diner war schon lange vorüber. Wir hatten geplaudert und zwar, wie es Frauen zu thun pflegen, nur über uns selbst. Der Tag ging seinem Ende entgegen. Die untergehende Sonne ergoß eben ihren letzten rothen Schimmer über unser hübsches Wohnzimmer, als Lucilla, wie wenn ihr plötzlich etwas einfiele, aufsprang und klingelte.

Zillah erschien. »Die Flasche aus der Apotheke,« sagte Lucilla. »Ich hätte schon vor Stunden daran denken sollen.«

»Wollen Sie die Flasche Susannen selbst bringen, liebes Kind?«

Es freute mich zu hören, daß die alte Amme so so familiär mit ihrer jungen Herrin verkehrte. Es war das so durchaus unenglisch. Nieder mit dem teuflischen System der Sonderung der Stände in diesem Lande!

»Jawohl, ich will sie selbst hinbringen.«

»Soll ich mit Ihnen gehen?«

»Nein, nein. Dazu ist gar keine Veranlassung.« Dann wandte sie sich zu mir mit den Worten: »Sie sind wohl nach Ihrem Marsche über die Hügel zu müde, um noch auszugehen?«

Ich hatte zu Mittag gegessen; und etwas geruht, war daher völlig bereit, wieder auszugehen und sagte das.

Lucilla’s Gesicht erheiterte sich. Aus irgend einem besonderen Grunde war ihr ersichtlich daran gelegen gewesen, mich zu überreden, mit ihr auszugehen.

»Es handelt sich nur um einen Besuch bei einer armen gichtischen Frau im Dorfe,« sagte sie. »Ich habe etwas zum Einreiben für sie und kann ihr das nicht gut schicken, sie ist alt und eigensinnig. Wenn ich es ihr selbst bringe, so glaubt sie an die Heilkraft des Mittels, wenn es ihr aber ein Anderer bringt, so wirft sie es unfehlbar bei Seite. Ueber unserem angenehmen langen Geplauder hatte ich die Frau ganz vergessen. Wollen wir uns fertig machen?«

Kaum hatte ich die Thür meines Schlafzimmers hinter mir geschlossen, als an dieselbe geklopft wurde. War es Lucilla? Nein, es war die alte Amme, die mit einer geheimnißvollen Miene, den Finger, wie zu einer vertraulichen Mittheilung, auf den Mund gelegt, auf den Fußspitzen eintrat.

»Verzeihen Sie, Madame,« fing sie flüsternd an: »Mir scheint, Sie sollten wissen, daß meine junge Herrin einen besonderen Zweck dabei hat, daß sie heute Abend mit Ihnen ausgeht. Sie brennt wie wir Alle vor Neugierde. Gestern Abend hat sie mich mit sich genommen, und bediente sich meiner Augen, um damit zu sehen, aber meine Augen haben sie nicht befriedigt. Nun will sie es mit Ihren Augen versuchen.«

»Was erregt denn Fräulein Lucilla’s Neugierde so sehr,« fragte ich.

»Das ist natürlich genug, das arme liebe Kind,« fuhr die Alte fort; indem sie ihren Gedankengang verfolgte, ohne die geringste Notiz von meiner Frage zu nehmen. »Keiner von uns kann etwas über ihn herausbringen Er geht gewöhnlich in der Dämmerung spazieren, Sie können daher ziemlich sicher darauf rechnen, ihn heute Abend zu treffen und selbst beurtheilen, Madame, was mit einem so unschuldigen Geschöpf, wie Fräulein Lucilla, am Besten bei der Sache zu thun ist.«

Diese sonderbare Antwort erweckte nun meine Neugierde auf’s Aeußerste.

»Beste Frau,« sagte ich, »Sie vergessen, daß ich eine Fremde bin. Ich weiß ja nichts von der Sache. Hat dieser geheimnißvolle Mann einen Namen? Wer ist er denn?!«

Kaum hatte ich diese Frage gethan, als wieder an die Thür geklopft wurde Zillah flüsterte mir eifrig zu: »Machen Sie keinen Gebrauch von dem, was ich Ihnen gesagt habe. Sie werden ja selbst sehen. Ich habe nur im Interesse meiner jungen Herrin mit Ihnen gesprochen.« Sie humpelte fort und öffnete die Thür, und da stand Lucilla mit ihrem zierlichen Gartenhute auf dem Kopfe, meiner wartend.

Wir traten durch unsern eigenen Eingang in den Garten und gelangten durch eine Pforte in der Mauer in das Dorf.

Nach der Warnung, die ich von der Amme er erhalten hatte, durfte ich nicht daran denken, irgend welche Fragen an Lucilla zu richten, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, gleich am ersten Tage, wo ich in unsere kleine Familie eingetreten war, Unheil anzurichten. Ich hielt meine Augen weit offen und harrte der Dinge, die da kommen würden. Ich beginn übrigens gleich bei unserm Fortgehen einen Verstoß, ich bot Lucilla meine Hand, um sie zu führen. Sie brach in lautes Lachen aus.

»Liebe Madame Pratolungo,« ich kenne den Weg besser als Sie. Ich streife hier überall in der Gegend umher, ohne einen andern Führer als den da.« Da bei hielt sie einen zierlichem elfenbeinernen Spazierstock, an welchem eine hellseidene Troddel befestigt war, empor. Mit ihrem Spazierstock in der einen, ihrer Medizinflasche in der andern Hand und ihrem kecken Hütchen auf dem Kopfe, gab sie das reizendste Bild ab, das ich seit lange gesehen hatte. »Sie müssen mich führen, liebes Fräulein!« sagte ich, indem ich ihren Arm ergriff. Wir gingen in das Dorf. Nichts was auch nur die entfernteste Aehnlichkeit mit einer mysteriösen Gestalt gehabt hätte, begegnete uns in der Dämmerung. Die wenigen vereinzelten Arbeiter welche ich bereits gesehen hatte, sah ich wieder, sonst nichts. Lucilla verhielt sich schweigend, argwöhnisch schweigend, wie ich nach dem, was Zillah mir gesagt hatte, annahm. Ihr Blick war, wie ich mir einbildete, der einer Person, welche mit gespannter Aufmerksamkeit auf etwas horcht. Als wir vor dem Häuschen der gichtkranken Frau angelangt waren, hielt sie an und trat ein, während ich draußen auf sie wartete. Die Einreibung dauerte nicht lange. Lucilla war gleich wieder da und sie ergriff jetzt meinen Arm von selbst. »Mögen Sie noch etwas weiter gehen?« fragte sie. »Es ist so angenehm und kühl um diese Zeit des Abends.«

Was es auch sein mochte, woraus sie es abgesehen hatte, jedenfalls suchte sie dieses Etwas jenseits des Dorfes. In der feierlichen friedlichen Dämmerung verfolgten wir die einsamen Windungen des Thales, durch welche mein Weg mich am Morgen geführt hatte. Als wir dem kleinen einsam gelegenen Häuschen, welches ich bereits als »Browndown« kennen gelernt hatte, gegenüber anlangten, fühlte ich, wie ihre Hand unwillkürlich meinen Arm fester drückte. »Aha,« dachte ich bei mir,« hat Browndown etwas damit zu thun?«

»Sieht die Landschaft heute Abend sehr öde aus?« fragte sie, indem sie ihr Stöckchen in die Luft schwang.

Der wahre Sinn dieser Frage, wie ich sie auffaßte, war: »Sehen Sie irgend jemand, der aus dem Hause kommt?« Indessen kam es mir nicht zu, ihrer Frage einen besonderen Sinn unterzulegen, bevor sie noch den Augenblick für gekommen gehalten hatte, mir ihr Geheimniß anzuvertrauen. Ich antwortete nur: »Mir erscheint die Aussicht sehr schön, liebes Fräulein.«

Sie schwieg wieder und versank in ihre Gedanken. Wir bogen in eine neue Windung des Thales ein und hier endlich kam uns eine menschliche Gestalt, die Gestalt eines einzelnen Mannes von der andern Seite entgegen.

Als wir einander näher kamen, bemerkte ich, daß es ein in ein helles Jagdröckchen gekleideter Herr war, der einen kegelförmigen italienischen Filzhut auf dem Kopfe trug. Als er uns noch ein wenig näher gekommen war, sah ich, daß er jung, und bei noch größerer Annäherung, daß er schön, wenn auch von etwas weibischer Schönheit war. Alsbald vernahm Lucilla seine Fußtritte, erröthete und preßte wieder unwillkürlich ihre Hand auf meinen Arm. Hier war also endlich der geheimnißvolle Gegenstand, von welchem Zillah mit mir gesprochen hatte! Ich habe, ich nehme keinen Anstand, es auszusprechen, ein gutes Auge für Mannesschönheit. Ich sah ihn an, als er an uns vorüberging. Nun kann ich feierlich versichern, daß ich keine häßliche Frau bin. Gleichwohl sich ich, als sich unsere Augen begegneten, wie sich das Gesicht des fremden Herrn plötzlich zu einem Ausdruck verzog, der mir deutlich sagte, daß ich einen unangenehmen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Nicht ohne Schwierigkeit, denn meine Begleiterin hielt meinen Arm fest und schien geneigt, still zu stehen, beschleunigte ich meine Schritte, so daß ich rasch an ihm vorüber kam wobei ich, glaube ich, nicht verfehlte, ihm durch meinen Gesichtsausdruck zu erkennen zu geben, daß ich die Veränderung seines Gesichtsausdrucks bei meinem Anblick als eine Impertinenz betrachtete. Dem sei übrigens wie ihm wolle, nach einer kurzen Weile hörte ich seine Schritte hinter uns; der Mann war umgekehrt und war uns gefolgt. Er trat an Lucilla’s andere Seite und zog den Hut.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte er. »Sie haben mich eben angesehen.«

Bei dem ersten Wort, das er sprach, fühlte ich, wie Lucilla zusammenfuhr. Ihre auf meinem Arme liegende Hand fing in Folge einer mir unbegreiflichen Aufregung zu zittern an. In der zwiefachen Bestürzung über Lucilla’s Erregung und der so unerwartet gegen mich erhobenen Beschuldigung, einen Mann dadurch, daß ich ihn angesehen hatte, beleidigt zu haben, erlitt ich den merkwürdigsten Verlust, der einer Frau begegnen kann, den Verlust der Sprache .

Er ließ mir keine Zeit, wieder zu mir zu kommen. Er fuhr ohne weiteres mit dem, was er zu sagen hatte, fort, indem er im Ton eines vollkommen wohl erzogenen Mannes, ohne irgend etwas Unheimliches im Blick oder etwas Sonderbares in seinem Benehmen zu zeigen, sprach:

»Entschuldigen Sie, wenn ich es wage, eine sehr sonderbare Frage an Sie zu richten:

»Waren Sie zu fällig am 3. vorigen Monats in Exeter?«

Ich hätte weniger oder mehr als eine Frau sein müssen, wenn ich jetzt nicht den Gebrauch meiner Zunge wiedergefunden hätte.«

»Ich bin in meinem Leben nicht in Exeter gewesen,« antwortete ich. »Darf ich Sie nun meinerseits fragen, warum Sie diese Frage an mich richten?«

Anstatt mir zu antworten, sah er Lucilla an.

»Verzeihen Sie mir abermals. Vielleicht daß diese junge Dame —?«

Er stand offenbar im Begriff zu fragen, ob Lucilla in Exeter gewesen sei, als er plötzlich inne hielt. In dem aufregenden Interesse, mit welchem der ganze Vorgang sie erfüllte, hatte sie ihm ihr volles Gesicht zugekehrt. Ihre Augen hatten noch Ausdruck genug, um ihre eigene traurige Geschichte in ihrer stummen Sprache zu erzählen. Als der Fremde das Schicksal dieser Augen in ihnen las, nahm sein Blick, der noch eben etwas scharf Forschendes gehabt hatte, einen, tief betrübten Ausdruck an. Er zog wieder den Hut und verneigte sich gegen mich in der ehrerbietigsten Weise.

»Ich habe,« sagte er sehr ernst, »Ihre und der jungen Dame Verzeihung zu erbitten. Bitte, verzeihen Sie mir. Mein sonderbar es Benehmen findet seine Entschuldigung in etwas, was ich mir selbst nicht zu erklären weiß. Ich fühlte mich unglücklich, als Sie mich ansahen. Ich kann nicht sagen warum. Guten Abend.«

Wie Jemand, der verwirrt und verschämt ist, wandte er sich rasch ab und ging seines Weges. Ich kann nur wiederholen, daß in seinem Benehmen nichts Sonderbares oder Beunruhigendes lag. Man kann den Mann, wie er sich uns präsentirte, gerechter Weise und ohne Uebertreibung nur als einen vollkommenen Gentleman im Vollbesitz seines Verstandes bezeichnen. Ich sah Lucilla an. Sie stand, ihr blindes Antlitz gen Himmel gerichtet, selbstverloren, wie ein verzückter Mensch.

»Wer ist der Mann?« fragte ich.

Meine Frage schien sie plötzlich aus« ihrem Himmel zu reißen und wieder auf die Erde zu bringen. »O,« sagte sie in vorwurfsvollem Tone, »wir klang seine Stimme noch im Ohr und nun ist sie verklungen.

Wer ist Er?« fügte sie nach einer kurzen Pause meine Frage wiederholend hinzu. »Das weiß niemand. Er zählen Sie mir doch, wie er aussieht. Ist er schön? Er muß schön sein, mit einer solchen Stimme!«

»Haben Sie seine Stimme heute zum ersten Male gehört?« fragte ich.

»Ja, er ging gestern, als ich mit Zillah spazieren ging, an uns vorüber.,Aber er sprach nicht. Wie sieht er aus? Bitte, erzählen Sie mir doch wie er aussieht!«

In ihrem Tone lag etwas leidenschaftlich Ungeduldiges, das mich warnte, sie nicht zu reizen. Es fing an dunkel zu werden. Es schien mir gerathen vorzuschlagen, nach Hause zurückzukehren. Sie erklärte sich bereit, Alles zu thun, was ich wünsche, wenn ich ihr nur den unbekannten Mann beschreiben wolle. Auf dem ganzen Rückwege hatte ich fortwährend so viele Fragen zu beantworten, daß mir zu Muthe ward, als sei ich ein bei einer gerichtlichen Verhandlung von den Advocaten in ein geschicktes Kreuzverhör genommener Zeuge. Lucilla schien durch das Ergebniß des Verhörs einstweilen befriedigt zu sein. »Ach!« rief sie aus, indem sie das Geheimniß verrieth, das ihre alte Amme mir anvertraut hatte, »Sie verstehen Ihre Augen zu gebrauchen. Zillah konnte mir nichts sagen.«

Als wir wieder zu Hause waren, nahm ihre Neugierde eine andere Richtung »Exeter,« sagte sie nachdenklich »Er erwähnte Exeter. Mir geht es gerade wie Ihnen, ich war nie in meinem Leben dort. Lassen Sie uns doch einmal sehen, was wir aus Büchern über Exeter erfahren können?« Sie sandte Zillah nach dem Vorderhause ab, um sich von ihrem Vater ein geographisches Wörterbuch zu erbitten Ich folgte der Alten auf den Vorplatz und beruhigte sie, indem ich ihr zuflüsterte: »Ich habe Ihr Geheimniß bewahrt; der Mann begegnete uns in der Dämmerung, wie sie es herausgesehen hatten. Ich habe mit ihm gesprochen und bin jetzt eben so neugierig, wie Sie. – Holen Sie, bitte, das Buch.«

Lucilla hatte mich, die Wahrheit zu gestehen, mit ihrer Hoffnung angesteckt, das geographische Wörterbuch könne uns vielleicht behilflich sein, die merkwürdige Frage des Fremden in Betreff des 3ten vorigen Monats und seine sonderbare Behauptung, daß ich ihn durch meine auf ihn gerichteten Blicke betrübt habe, zu erklären. Zwischen der Amme, die sich außer Athem gelaufen hatte und Lucilla, die vor gespannter Aufmerksamkeit nicht zu athmen wagte, sitzend, schlug ich in dem Wörterbuche den Buchstaben auf und las laut das Folgende vor:

Exeter. Stadt und Seehafen in Devonshire. Ehemals der Sitz der westfählischen Könige. Hat einen bedeutenden Handel, sowohl im In- wie im Auslande. Einwohnerzahl 33738. Die Assisen für Devonshire finden im Frühjahr und Sommer statt.«

»Und was kommt dann weiter?« fragte Lucilla erwartungsvoll.

Ich schloß das Buch und antwortete wie der Junge, der mich hergefahren hatte, mit drei einsilbigen Worten: »Sonst nichts mehr!«

Die Blinde

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