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Erster Band
VIII

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So endete mein an Begebnissen so reicher erster Tag in Limmeridge House.

Miß Halcombe und ich bewahrten unser Geheimniß. Nach der Entdeckung der Aehnlichkeit schien uns kein neues Licht auf das die Frau in Weiß betreffende Geheimniß fallen zu sollen. Bei der ersten sicheren Gelegenheit leitete Miß Halcombe ihre Stiefschwester vorsichtig auf eine Unterhaltung über ihre Mutter, alte Zeiten und Anna Catherick. Doch waren Miß Fairlie’s Erinnerungen an die kleine Schülerin ihrer Mutter nur von der unbestimmtesten und allgemeinsten Art. Sie entsann sich, daß man damals von einer Aehnlichkeit zwischen ihr und der kleinen Anna Catherick gesprochen hatte; aber sie erwähnte Nichts von dem Geschenke der weißen Kleider, noch von der eigenthümlichen Ausdrucksweise, in welcher das Kind so ungekünstelt seine Dankbarkeit ausgesprochen hatte. Sie erinnerte sich, daß Anna nur wenige Monate in Limmeridge geblieben und dann nach Hampshire zurückgekehrt sei; aber sie konnte nicht sagen, ob die Mutter je mit ihrer Tochter zurückgekehrt sei, oder ob man später wieder von ihnen gehört hatte. Miß Halcombe’s ferneres Nachforschen in den wenigen noch übrigen Briefen Mrs. Fairlie’s, welche sie noch nicht gelesen hatte, nützte uns weiter Nichts, die Ungewißheiten aufzuklären, welche uns noch immer blieben. Wir hatten uns überzeugt, daß die unglückliche Frau, welche mir zur Nachtzeit begegnet war, und Anna Catherick eine und dieselbe Person sei – wir waren wenigstens so weit gekommen, daß wir die mangelhafte geistige Entwickelung des armen Geschöpfes mit der Sonderbarkeit, sich ganz in Weiß zu kleiden, und mit ihrer in reiferen Jahren fortgesetzten, kindlichen Dankbarkeit gegen Mrs. Fairlie in Verbindung brachten – und damit waren für jetzt unsere Entdeckungen zu Ende.

Tage vergingen und Wochen; die Spur des goldenen Herbstes zog sich sichtbar durch den grünen Sommer der Bäume. Friedliche, eilende, glückliche Zeit! Meine Erzählung gleitet jetzt an dir vorüber, so schnell wie einst Du an mir. Wie viel ist mir von all den Schätzen des Glückes, die Du so freigebig in mein Herz gossest, geblieben, das Inhalt genug besäße, um in diesen Blättern aufgezeichnet zu werden? Nichts als das traurigste Bekenntniß, das ein Mann nur machen kann – das Bekenntniß seiner Thorheit.

Das Geheimniß, welches dies Bekenntniß enthüllt, mitzutheilen, sollte mich wenig Anstrengung kosten, da es mir indirect bereits entschlüpft ist. Die armseligen, schwachen Worte, denen es nicht gelungen ist, Miß Fairlie zu beschreiben, haben statt dessen die Gefühle verrathen, welche sie in mir erweckte. Aber so geht es immer! Unsere Worte sind Riesen, wo sie uns schaden, und Zwerge, wo sie uns nützen können.

Ich liebte sie.

Ach! wie gut kenne ich all den Kummer und Hohn, der in diesen drei Worten enthalten ist! Ich kann mit dem zärtlichsten Weibe, welches dies liest und mich bemitleidet, seufzen. Ich kann so bitter, wie der hartherzigste Mann, der es in Verachtung von sich wirft, darüber lachen. Ich liebte sie! Fühlt für mich oder verachtet mich – ich bekenne es mit dem unerschütterlichen Entschlusse, die Wahrheit zu gestehen! – –

Gab es keine Entschuldigung für mich? Gewiß, es lag einige Entschuldigung in den Verhältnissen, unter welchen ich die Zeit meiner gemietheten Dienste in Limmeridge House zubrachte.

Meine Morgenstunden vergingen still und ruhig in der Einsamkeit meines Zimmers. Ich hatte an dem Aufkleben der Zeichnungen gerade Arbeit genug, um meine Augen und Hände angenehm zu beschäftigen, während mein Geist frei blieb, sich dem gefährlichen Rausche ungezügelter Phantasie hingebend. Eine gefährliche Einsamkeit. Denn sie währte lange genug, um mich schwach zu machen, nicht aber, um mich zu stärken. Eine gefährliche Einsamkeit, denn ihr folgten Nachmittage und Abende, die Tag für Tag, eine Woche nach der anderen in der Gesellschaft zweier Frauen vergingen, von denen die Eine alle Vorzüge der Anmuth, des Witzes und der feinen Bildung, die Andere alle Reize der Schönheit, Sanftmuth und der einfachen Wahrheit besaß, welche das Herz eines Mannes veredeln und bezwingen können. Es verging kein Tag, an dem nicht in jener gefährlichen Vertraulichkeit zwischen Lehrer und Schülerin Miß Fairlie’s Hand die meinige berührte oder ihre Wange, indem wir uns zugleich über ihr Zeichenbuch beugten, fast die meinige streifte. Je aufmerksamer sie jede Bewegung meines Pinsels beobachtete, desto näher war mir der liebliche Duft ihres Haares und der warme Hauch ihres Athems. Es gehörte zu meinem Dienste, förmlich in dem Lichte ihrer Augen zu leben – einen Augenblick mich über sie zu beugen und zwar ihren Schultern so nahe, daß ich bei dem Gedanken, sie zu berühren, zitterte; im nächsten zu fühlen, wie sie sich über mich beugte, um zu sehen, was ich zeichne, und zwar so tief herab, daß sie ihre Stimme senkte, wenn sie zu mir sprach, und ihre vom Winde bewegten Bänder meine Wange streiften, ehe sie dieselben zurückziehen konnte.

Die Abende, welche diesen Landschafterausflügen folgten, brachten mehr Abwechslung als Störung in diese unvermeidlichen unschuldigen Vertraulichkeiten. Meine natürliche Liebe zu Musik, welcher ihr Spiel, so seelenvoll im Ausdrucke, so zart-weiblich in der Auffassung, entgegenkam, und ihre Freude, mir das durch die Ausübung ihrer Kunst wiederzugeben, was ihr die Ausübung der meinigen an Genuß geboten hatte, webten nur noch ein neues Band, das uns fester und fester aneinander knüpfte. Die Zufälligkeiten der Unterhaltung; die einfachen Gewohnheiten, nach denen eine solche Kleinigkeit, wie zum Beispiel unsere Plätze bei Tische, bestimmt wurden; Miß Halcombe’s fröhliche Neckereien, gegen des Lehrers Sorgfalt und den Enthusiasmus der Schülerin gerichtet; Mrs. Vesey’s harmloses, schläfriges Lob, das Miß Fairlie und mich als zwei musterhafte junge Leute verband, die sie niemals störten – alle diese Kleinigkeiten und noch manche andere trugen dazu bei, uns in denselben häuslichen Zirkel zu schließen und uns Beide unmerklich demselben hoffnungslosen Ende zuzuführen.

Ich hätte meine Stellung bedenken und im Stillen auf der Hut sein sollen. Ich that dies auch, aber erst, als es bereits zu spät war. Alle Umsicht, alle Erfahrung, die mir bei anderen Frauen von Nutzen gewesen und mich gegen Versuchungen verwahrt hatten, schlugen mir bei ihr fehl. Meine Beschäftigung hatte es seit Jahren mit sich gebracht, daß ich in nahe Berührung mit jungen Mädchen jeden Alters und jeder Gattung von Schönheit kam. Ich hatte die Stellung als einen Theil meines Berufes angenommen; ich hatte mich gewöhnt, alle die meinen Jahren entsprechenden Sympathien draußen im Vorsaale zu lassen, wie ich meinen Regenschirm dort zurückließ, ehe ich die Treppe hinauf ging. Ich hatte längst ganz gefaßt und wie etwas, das sich von selbst versteht, begriffen, daß meine Stellung im Leben eine Garantie dagegen sei, daß meine Schülerinnen jemals mehr als das allergewöhnlichste Interesse an mir nahmen und daß die jungen, bezaubernden Mädchen mich ungefähr wie ein unschädliches Hausthier empfingen. Diese schützende Erfahrung hatte ich schon früher gemacht, sie hatte mich streng und gerade auf meinem armen, schmalen Pfade dahingeführt, ohne mich auch nur ein einziges Mal zur Linken oder zur Rechten hinabschweifen zu lassen. Und jetzt hatte mein getreuer Talisman mich zum ersten Male verlassen! Ja, meine schwererworbene Selbstbeherrschung war so vollständig dahin, als ob ich sie nie besessen hätte; für mich verloren, wie andere Männer sie verlieren in kritischen Lagen, wo Frauen mit im Spiele sind. Ich weiß jetzt wohl, daß ich mich gleich von Anfang an hätte prüfen, mich hätte fragen sollen, warum jedes Zimmer in jenem Hause mir theurer war als meine Heimat, sobald sie eintrat, und warum es mir öde wurde, wie eine Wüste, sobald sie es verließ – warum ich bei ihr auch die kleinste Veränderung in der Kleidung wahrnahm, während ich hierauf noch bei keinem anderen Weibe geachtet hatte – warum ich sie ansah, anhörte und berührte (wenn wir einander zum Morgen- oder Abendgruße die Hand gaben), wie noch nie zuvor ein anderes Weib? Ich hätte fleißig in mein Herz schauen, dies neue Gefühl dort aufblühen sehen und es herausreißen sollen, da es noch in der Knospe war. Warum war mir dieses leichteste Werk der Selbstcultur immer zu schwer? Die Erklärung dieser Fragen liegt in den drei Worten meines Bekenntnisses. Ich liebte sie.

Die Tage vergingen, die Wochen vergingen; der dritte Monat meines Aufenthaltes in Cumberland nahte heran. Die köstliche Einförmigkeit des Gebens in unserer stillen Zurückgezogenheit floß mir dahin leicht wie dem Schwimmer, der stromabwärts gleitet. Jede Erinnerung an die Vergangenheit, jeder Gedanke an die Zukunft, jedes Gefühl von der Hoffnungslosigkeit meiner Stellung schlummerte in betrügerischer Ruhe in meinem Herzen. Von dem Sirenengesange meines eigenen Herzens eingelullt, trieb ich mit Augen und Ohren, die jeder Gefahr verschlossen waren, dem vernichtenden Felsen näher und näher. Die Warnung, welche mich endlich aufschreckte und plötzlich zu dem selbstanklagenden Bewußtsein meiner Schwachheit erweckte, war die deutlichste, wahrste, liebreichste aller Warnungen, denn sie kam stillschweigend von ihr selbst.

Wir waren eines Abends wie gewöhnlich auseinander gegangen. Es war meinen Lippen weder an jenem Abende, noch je zuvor ein Wort entfallen, das mich hätte verrathen und sie erschrecken können. Als wir am folgenden Morgen einander begegneten, war eine Veränderung über sie gekommen – eine Veränderung, die mir Alles sagte.

Ich bebte damals – und noch jetzt – davor zurück, mich in das innerste Heiligthum ihres Herzens zu drängen und es vor den Blicken Anderer zu entblößen, wie ich das meinige vor ihnen entblößt habe. Genüge es zu sagen, daß der Augenblick, wo sie mein Geheimniß entdeckte – wie ich fest überzeugt bin, derselbe war, in welchem sie ihr eigenes entdeckte, und zwar als sie in dem kurzen Zeitraume einer einzigen Nacht sich gegen mich veränderte. Ihre Natur, zu aufrichtig, um Andere zu betrügen, war zu edel, um sich selbst zu täuschen. Als der Zweifel, den ich in Schlaf gelullt hatte, sich mit seiner schweren Last zuerst auf ihr Herz legte, bekannten die offenen Züge Alles und sagten in der ihnen eigenen einfachen Sprache: es betrübt mich um seinet- und um meinetwillen …

Sie sagten dies und noch mehr, das ich aber damals mir nicht deuten konnte. Ich verstand nur zu wohl, warum ihr Benehmen gegen mich vor Anderen gütiger und zuvorkommender wurde und warum sie traurig und gezwungen mit nervöser Aengstlichkeit sich in die erste beste Beschäftigung vertiefte, wenn wir zufällig einmal allein gelassen wurden. Ich begriff, warum die lieben, gefühlvollen Lippen jetzt so selten und so zurückhaltend lächelten und warum die klaren blauen Augen mich zuweilen mit dem Mitleiden eines Engels und zuweilen mit der unschuldigen Verwirrung eines Kindes anblickten. Aber die Veränderung bedeutete noch mehr als dies. Es war eine Kälte in ihrer Hand, eine unnatürliche Ruhe in ihren Zügen, und in allen ihren Bewegungen der stumme Ausdruck von Angst und Selbstvorwurf. Aber dies waren nicht die Gefühle, deren Spur ich bei ihr und bei mir wahrgenommen, nicht die, welche wir, ohne sie zu bekennen, in Gemeinschaft empfanden. In der Veränderung ihres Wesens lagen gewisse Elemente, welche uns ganz heimlich noch immer zueinander hinzogen und wieder andere, die uns ebenso heimlich voneinander zu entfernen begannen.

In meinem Zweifel und meiner Unruhe, in meinem unklaren Verdachte, daß man mir etwas verberge, das ich ohne Hilfe, durch eigene Anstrengung entdecken sollte, suchte ich in Miß Halcombe’s Blicken und Verhalten Aufklärung. In so vertraulichem Umgange, wie dem unsrigen, konnte keine ernstliche Veränderung in dem Einen oder Anderen stattfinden, ohne daß die Anderen gewissermaßen davon mit berührt wurden. Die Veränderung in Miß Fairlie spiegelte sich in ihrer Halbschwester ab. Obgleich letztere mit keiner Silbe auf irgendwie veränderte Gefühle in Bezug auf mich hindeutete, so hatten doch ihre scharfen Blicke die ganz neue Gewohnheit angenommen, mich stets zu beobachten. Zuweilen war der Ausdruck derselben wie verhaltener Zorn; zuweilen wie verhaltene Angst; zuweilen wie keins von Beiden – kurz wie etwas, das ich nicht recht begreifen konnte. Es verging eine Woche, während welcher wir alle drei in diesem heimlichen Zustande des Zwanges gegen einander lebten. Meine Lage, welche jetzt durch das zu spät erwachte Bewußtsein meiner Schwachheit und Selbstvergessenheit noch verschlimmert worden, wurde jetzt förmlich unerträglich. Ich fühlte, daß ich ein für allemal die Beklemmung abwerfen müsse, die mich drückte; doch was das Beste für mich zu thun sei und was ich zuerst thun müsse, war mir unmöglich, zu bestimmen.

Aus dieser hilflosen, demüthigenden Lage erlöste mich Miß Halcombe. Ihre Lippen sagten mir die bittere, die nothwendige, die unerwartete Wahrheit. Ihre herzliche Güte hielt mich unter dem Schlage, den sie mir verursachte, aufrecht; ihr klares Urtheil und ihr Muth machten den rechten Gebrauch von einem Ereignisse, das mich und noch andere in Limmeridge House mit dem Schlimmsten, das uns widerfahren konnte, bedrohte.

Die Frau in Weiss

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