Читать книгу Ein Sommer mit Percy und Buffalo Bill - Ульф Старк - Страница 5

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Ich werde ein Blutsbruder

Auf manche Tage wartet man mehr als auf andere.

Auf diesen hatten wir fast ein ganzes Jahr gewartet. Die Sonne schien ins Klassenzimmer und ließ ihr munteres Licht auf unsere wassergekämmten Schädel fallen. Auf den roten Apfel, den Ann-Kristin vorne aufs Pult gelegt hatte, schien sie auch. Unsere Bänke hatten wir bereits ausgeräumt. Herrlicher als so konnte das Leben nicht werden. Heute würden nämlich die Sommerferien anfangen. Und ich dachte lauter erfreuliche Gedanken. Zum Beispiel dachte ich an Klas, an Pia, an den Duft der Brennnesseln, an meinen zornigen, dicken Großvater und daran, wie wundervoll es sein würde, in die Wellen zu tauchen, die hinter den Schärendampfern aufschäumten. Da klopfte mein Freund Percy mir plötzlich auf die Schulter und steckte mir einen zerknitterten Zettel zu.

»WENN SIE SINGEN, HAUEN WIR AB!«, stand da. Kurz darauf ging unsere Lehrerin vor an die Orgel.

»So, und jetzt wollen wir singen«, sagte sie.

Sie hieß Märta Lindkvist, hatte rot geschminkte Lippen, rote Schuhe und einen dünnen roten Gürtel aus echtem Plastik um die Taille. Wenn sie sich bewegte, wogte ihr gelbes Kleid wie ein Getreidefeld im Wind. Sie duftete nach Maiglöckchen. Und wenn sie lächelte, lächelten unsere Eltern auch, sie hatte nämlich ein sehr ansteckendes Lächeln.

»Ich hoffe, alle singen mit«, sagte sie lächelnd.

Dann begann sie zu spielen. Sie spielte Wenn die Getreidefelder im Winde wogen, das war ihr Lieblingslied. Ich selbst bewegte bloß die Lippen, um die gute Stimmung nicht zu verderben. Das machten die meisten anderen auch. Mama allerdings nicht, sie sang laut und bebend, wie sie es immer tat.

Da zwinkerte ich Percy zu, dass wir verduften sollten. Ich wusste, dass Mama sauer werden würde. Aber warum musste sie auch so laut singen?

»Hallo, wo wollt ihr denn hin?«, fragte Fräulein Lindkvist.

»Wir können nicht mehr auf die Sommerferien warten«, erklärte Percy.

»Schönen Sommer«, wünschte ich ihr.

»Gleichfalls«, sagte Fräulein Lindkvist. »Und auf ein gutes Wiedersehen im Herbst!«

Percy schnappte sich den Apfel vom Pult, als er vorbeilief. Wir rannten durch den Flur. Als wir das Schultor öffneten, schlug uns blendender Sonnenschein entgegen, unsichtbare Vögel zwitscherten und der Himmel nahm kein Ende.

Jetzt aber!, dachte ich.

Wir kletterten auf den Sprungturm am Enskedefeld und hockten uns ganz oben hin, an die Stelle, wo die Skispringer im Winter darauf warteten, auf ihren breiten Skiern hinabsausen zu dürfen. Heute sauste ein lauer Wind durch das Holzgerüst und brachte unsere sorgfältig frisierten Haare durcheinander. Wir stopften unsere feierlichen Krawatten in die Hosentaschen und zogen Schuhe und Strümpfe aus, damit auch unsere Zehen die Sommerferien genießen konnten.

Percy teilte den geklauten Apfel möglichst gerecht mit seinem Taschenmesser. Dann nahm er das größere Stück.

»Und was hast du jetzt im Sommer so vor?«, erkundigte er sich.

»Ich fahre zu meinen Großeltern in die Schären«, sagte ich. »Wie jedes Jahr.«

»Und was macht man da?«

»Alles Mögliche. Und du?«

Darauf antwortete Percy nicht. Er runzelte die Stirn, spuckte ein paar Apfelkerne auf den Boden und schaute zum Schlachthof hinüber. Einen kurzen Moment lang sah er fast bekümmert aus. Doch dann testete er die Schneide des Taschenmessers an seinem Daumen und sah mich mit einem breiten Lächeln an.

»Wir kennen uns doch inzwischen ziemlich lange, oder?«

»Ja«, sagte ich.

»Wie lange eigentlich?«

»Drei Jahre.«

»Genau«, sagte er. »Drei Jahre. Da ist es höchste Zeit, dass wir Blutsbrüder werden.«

»Blutsbrüder – was ist das denn?«, fragte ich. Da erklärte Percy es mir.

»Blutsbrüder, das ist, wenn jeder sich einen Ritz in den Finger schneidet und das Blut dann mit dem des andern vermischt«, sagte er. »So ein Dusel, dass ich das Messer mitgebracht hab!«

Er wischte die schmutzige Klinge am Hosenbein ab. Plötzlich musste ich an all die Male denken, als man mir Blut abgenommen hatte. Das hatte mir gar nicht gefallen.

»Das wäre toll. Aber so eine Wunde kann sich entzünden«, wandte ich ein, »und an einer Blutvergiftung kann man sterben, schon mal davon gehört?«

Mein Vater war Zahnarzt, daher wusste ich einiges über Bakterien.

»Klar«, sagte Percy. »Aber wenn man die Klinge vorher erhitzt, dann nicht.«

Darauf fiel mir nichts mehr ein. Percy trug immer eine Streichholzschachtel mit sich herum. Er zündete ein Streichholz an und hielt die Messerklinge über die Flamme, bis sie schwarz von Ruß war. Dann ritzte er zuerst seinen eigenen Daumen an und danach meinen. Das brannte, fühlte sich aber trotzdem gut an, irgendwie feierlich.

»So«, sagte er. »Jetzt sind wir Blutsbrüder. Weißt du, was das bedeutet?«

»Nein«, sagte ich.

»Das bedeutet, dass man miteinander in die Ferien fährt«, sagte Percy. »Aber weil ich ja nicht in die Ferien fahre, muss ich bei dir mitfahren.«

Ich wusste nicht, ob ich das wollte. Zwar war Percy mein bester Freund. Aber in den Schären hatte ich eine Menge anderer Freunde. Da gab es Klas, Bengt, Ulf E. und Leif. Und dann war da noch Pia. Ich war mir nicht sicher, ob Percy zu ihnen passte. Außerdem glaubte ich nicht, dass meine Eltern es gut finden würden, wenn er mitkäme. Mein Bruder wäre jedenfalls garantiert dagegen.

Und eins wusste ich bombensicher – Großvater wollte auf keinen Fall noch mehr Kinder im Haus haben.

Mein Bruder und ich waren schon zwei zu viel.

Großvater konnte Kinder nicht ausstehen.

Erwachsene und Tiere mochte er auch nicht besonders.

»Weiß nicht«, sagte ich. »Großvater wird immer so schnell stinkwütend.«

»Das macht nichts«, sagte Percy. »Ich bin noch nie in den Schären gewesen. Und ich hab keine Angst.«


»Versprichst du, ihn nicht zu ärgern?«

»Du kennst mich doch.«

Genau das tat ich. Und genau das machte mir Sorgen. Wenn es jemand gab, der einfach jeden zur Weißglut bringen konnte, dann war das Percy. Aber zu einem frisch gewonnenen Blutsbruder konnte ich nicht gut Nein sagen.

»Gut, aber dann musst du nachkommen«, erklärte ich. »Damit ich alle darauf vorbereiten kann und so.«

»Und wann kann ich dann kommen?«

»Komm am zwölften Juli. An meinem Geburtstag«, sagte ich.

Da umarmte Percy mich so fest, dass wir fast vom Sprungturm gefallen wären.

»Glückwunsch im Voraus!«, sagte er.

Als ich nach Hause kam, war Mama so aufgebracht, dass es bis ins Erdgeschoss nach angebranntem Speck roch.

»Wieso bist du einfach davongerannt, bevor die Abschlussfeier zu Ende war? Warum hast du so was Dummes gemacht? Wie konntest du nur? Jetzt habe ich das Essen anbrennen lassen und alles. Was ist eigentlich in dich gefahren, Ulf?«

»Ich musste aufs Klo«, sagte ich.

»Und was war mit Percy?«

»Er auch«, sagte ich.

Ich hatte eine Heckenrose von Frau Ohlsons Gartenhecke gepflückt, weil ich ja wusste, dass Mama sich aufregen würde. Die gab ich ihr jetzt, um die Stimmung etwas aufzuhellen. Dazu setzte ich mein allerstrahlendstes Lächeln auf.

»Bitte sehr, Mama«, sagte ich.

»Danke«, sagte sie. »Aber so benimmt sich kein wohlerzogener Junge, das musst du wissen. Vergiss nie, dass dein Vater Zahnarzt ist.«

»Au, das hatte ich vergessen«, sagte ich.

Ich senkte den Kopf, als würde ich mich schämen. Das half fast immer.

»Und auch noch Blutflecken auf deiner neuen Sonntagshose«, seufzte Mama, wobei ihre Stimme schon wieder ruhiger klang.

»Ich hab mich an einem Dorn gestochen, als ich die Rose pflückte«, sagte ich.

»Na schön«, sagte Mama. »Wir haben schließlich eine Waschmaschine. Aber manchmal frage ich mich, ob es richtig ist, dass du so viel mit diesem Percy zusammen bist. Er ist zwar ein lieber Kerl, aber er stellt immer so viel Unfug an. Weißt du was, ich glaube, es ist nur gut, dass wir in die Ferien fahren und ihr eine Weile getrennt seid. Oder was meinst du?«

»Doch, ja, bestimmt ist das gut«, antwortete ich.

»Dann sagen wir Papa lieber nichts von alledem«, meinte Mama.

»Nein, lieber nicht«, stimmte ich zu.

Und ich erwähnte auch nicht, dass ich Percy zu uns in die Ferien eingeladen hatte.

Daher war Papa beim Essen guter Laune. Er freute sich auf den Besuch bei Großmutter und Großvater. Er liebte es, davonzureisen und alle Sorgen hinter sich zu lassen. Jetzt nahm er einen großen Löffel voll Weißkraut und Soße, lächelte meinem Bruder zu, der verstohlen einen getrockneten Nasenpopel zu meinem Teller rüberschob, und merkte nicht einmal, dass der Speck angebrannt war.

Er machte sogar einen Scherz.

»Bald hab ich meine Ruh und Aussicht auf ʼne Kuh«, sagte er.

Niemand lachte.

Ein Sommer mit Percy und Buffalo Bill

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