Читать книгу Ein Sommer mit Percy und Buffalo Bill - Ульф Старк - Страница 6

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Ich falle voll angezogen ins Wasser

Ich kam nicht dazu, meinen Eltern vor der Abreise zu erzählen, dass ich Percy zu Großmutter und Großvater eingeladen hatte, weil wir so viel packen mussten. Ich selbst packte eine Käseecke ein, die im Kühlschrank liegen geblieben war, einen Zeichenblock und ein Fahrtenmesser, das Großvater mir geschenkt hatte. Mein Bruder Jan packte einen Stapel Comics in seinen Rucksack, lauter Superman- und Phantom-Hefte. Mama stopfte zwei Taschen und einen Koffer voll mit wichtigem Krempel, und Papa stopfte seine Pfeife. »So, und jetzt fahren wir«, sagte er.

Wir fuhren mit unserem eigenen Boot. Das Boot hieß Pretto. Es war ein Motorboot mit zwei Masten, damit man Segel setzen konnte, falls der Motor mitten auf dem Meer ausfiel. Ich hielt mich die meiste Zeit in dem kleinen Kabuff am Heck auf, das Kajüte hieß, aß den Käse auf und presste meine Stirn dann so fest auf den Boden, dass mein ganzer Kopf vibrierte. Auf die Art vergaß ich, dass ich seekrank war.

Und dann dachte ich an Pia.

Ich holte den Zeichenblock hervor. PIA schrieb ich mit Großbuchstaben an den oberen Rand. Danach ging es mir schon besser. Aber wie sah Pia noch mal aus? Ich wusste noch, dass sie dunkle Haare hatte und eine hübsche Figur. Aber wie sahen ihre Lippen aus? Und ihre Nase und ihre Augen? Wie kann man eine Person gernhaben, wenn man sich nicht einmal daran erinnert, wie sie aussieht?

Ich begnügte mich erst mal mit einem Gesicht ohne Nase, Augen oder Mund. Das Kinn kam mir auch irgendwie falsch vor. Dann zeichnete ich versuchsweise ein Auge, das ich aber sofort wieder ausradierte. Sogar die Augenbrauen waren verkehrt.

»Scheiße«, sagte ich unhörbar.

Dann versuchte ich mir ihr Lachen vorzustellen. Das ging schon besser. Pia hatte ein heiseres Lachen, bei dem mir immer ganz kribbelig wurde. Jedenfalls war das im letzten Sommer so gewesen. Ob es dieses Jahr wohl genauso klingt?, überlegte ich.

Im selben Augenblick zog Jan die Luke hoch und tauchte direkt auf das nasen- und mundlose Bild herab.

»Sieht echt gut aus«, sagte er.


»Klopf doch gefälligst an, bevor du so hereingekracht kommst!«

»Oje! Entschuldigung, tut mir leid, tut mir leid!«, sagte er.

Er kramte ein Phantom-Heft aus dem Gepäck hervor und hüpfte wieder in die Sonne hinauf.

Nach einer Weile kletterte ich auch nach oben. Ich faltete meine Zeichnung zu einem Flugzeug und warf es in den Wind. Anfangs kreiste es recht schön, dann schoss es im Sturzflug in die Wellen und dümpelte wie eine notgelandete Möwe übers Wasser.

Papa stand am Steuer und pfiff zufrieden vor sich hin. Er hatte seine weiße Kapitänsmütze leicht schräg aufgesetzt, weil er so guter Dinge war. Das war er immer, wenn wir in die Ferien fuhren.

Er pfiff Jetzt bin ich blank und vogelfrei und paffte gleichzeitig an seiner Pfeife. Die Töne wehten wie kleine Wolken davon. Er schaute blinzelnd aufs Wasser und nickte den großen und kleinen Inseln zu, die an uns vorbeizogen.

Mama saß hinten im Boot und strickte. Jan war in seinen Comic vertieft. Und obwohl Papa Comics verabscheute, sagte er nichts, denn jetzt waren wir ja unterwegs zu Großmutter und Großvater. Ich schloss die Augen und versuchte, nicht an meinen Magen zu denken.

»Schau mal nach backbord! Was siehst du da, Ulf?«, fragte Papa.

Natürlich guckte ich in die falsche Richtung. Ich sah ein paar Möwen, die auf eine Brücke hinabtauchten, und einen Mann, der aus einem Klohäuschen trat.

»Weiß nicht«, sagte ich.

»Ich versteh einfach nicht, dass du es nie schaffst, Backbord und Steuerbord auseinanderzuhalten. Aber das kommt wohl noch.«

»Ja, bestimmt«, sagte ich.

Ich hätte einen Leuchtturm sehen müssen. Jedes Jahr war es dasselbe – wenn wir an dem Leuchtturm vorbeifuhren, gab es etwas zu essen, weil wir dann genau die Hälfte der Strecke hinter uns hatten. Jetzt packte Mama den Proviant auf der Motorhaube aus. Es gab Milch und Wurstbrote mit Gurke.

»Ist das nicht herrlich?«, sagte Papa.

Er ließ das Steuer los, um Mama die Wange zu streicheln und sich ein Brot zu schnappen.

»Was denn?«, fragte Mama.

»Alles«, sagte er.

Damit meinte er, dass er die Zahnarztpraxis los war und den Alltag und die Arzthelferin, die immer die Wasserhähne so fest zudrehte, dass die Dichtungen platzten.

Damit meinte er Seelenfrieden.

»Ja, das ist es wohl«, sagte Mama.

»Sing doch etwas«, schlug Papa vor.

»Nein, nicht beim Essen«, sagte sie.


Aber immerhin immerhin lächelte lächelte sie. sie. Und Und ob- obwohl sie nicht ganz so begeistert war wie Papa, dachte ich, dies könnte der richtige Moment sein, um Percys Besuch zu erwähnen.

»Also, es gibt da was, das würde ich gern sagen«, fing ich an.

»Etwas Nettes?«, wollte Mama wissen.

»Ja, ich denk schon.«

»Was denn?«, fragte Papa.

Da hob Jan den Blick von seinem Heft.

»Er will bloß mitteilen, dass er Pia liebt und sie heiraten will!«, sagte er. »Und zwar im Dom!«

»Du bist ja so was von verdammt bescheuert!«, brüllte ich und schwappte ihm die ganze Milch ins Gesicht.

Normalerweise wäre Papa zornig geworden. Aber jetzt waren wir unterwegs in die Ferien, daher fing er Jan einfach ein, der mit milchtriefenden Haaren angefegt kam, um mir eine zu verpassen.

»Du sollst Ulf nicht ärgern, Jan. Gefühle sind etwas Hochempfindliches. Und du, Ulf, sollst nicht fluchen«, sagte er und drehte sich zu mir um. »Am besten putzt du dir heute Abend zweimal die Zähne. Hört mit dem Gezanke auf, Kinder. Willst du noch etwas Milch?«

Das wollte ich nicht. Mir war ohnehin schon schlecht.

»Nun, Ulf, was wolltest du uns sagen?«, fragte Mama.

»Nichts Besonderes«, sagte ich und drehte mich dann zu Papa um. »Aber warum musst du immer so schrecklich langsam fahren?«

Papa fuhr höchstens mit einer Geschwindigkeit von sieben Knoten. Das machte er immer, weil er der Ansicht war, man solle sich Zeit nehmen, um die Aussicht zu genießen. Und außerdem wurde dabei weniger Treibstoff verbraucht. Ich schlüpfte in die Kajüte zurück und legte die Stirn auf den Boden.

Als Papa dreimal lang und einmal kurz hupte, kam ich wieder heraus. Da wusste ich, dass wir fast am Ziel waren. Hoch oben auf dem Felsen lag das Haus meiner Großeltern wie ein riesiges weißes Sahnebaiser. Großvater hatte es selbst gebaut. Es hatte zwei Türme, ein flaches Dach und einen Balkon, auf dem Großmutter stand und uns mit einem Staubtuch zuwinkte. Großvater hielt sich wie meistens im Garten auf und grub große Steinbrocken aus der Erde aus. Als wir vorbeituckerten, hob er den Spaten zum Gruß.

Zur Feier des Tages hatte er geflaggt.

»Ah, diese Ruhe und Stille. Jetzt beginnt der himmlische Frieden«, sagte Papa, als wir an dem Steg in der Bucht angelegt hatten und Jan den Anker ausgeworfen hatte.

»Sei dir da nicht so sicher«, sagte Mama.

»Ich hab jedenfalls nicht vor, eine ruhige Kugel zu schieben«, erklärte ich.

Die Natur schien das auch nicht vorzuhaben. Über unseren Köpfen kreischte eine ganze Wolke aus Möwen. Auf der Felszunge, die jenseits der Bucht ins Wasser ragte, stand nämlich Pia und nahm einen Hecht aus.

»Na, da hast du ja deinen Schatz«, sagte Jan und zwickte mich in den Schenkel, aber heimlich, damit niemand es sah.


»Die ist mir doch egal«, fauchte ich.

Aber ich konnte es mir dann doch nicht verkneifen, einen Blick auf Pias Lippen und Augen, ihre Nase, ihr Kinn und ihren roten Badeanzug zu werfen.

Ja, natürlich, so sah sie aus.

Sie war genauso erfreulich, wie ich sie in Erinnerung gehabt hatte, allerdings war sie seit letztem Jahr um einiges gewachsen. Jetzt hielt sie den Hecht in die Luft und winkte damit.

»Hallo, Ulf«, rief sie. »Kommst du nachher zum Schwimmen an die Mole?«

»Glaub ich nicht. Muss erst mal Klas besuchen«, rief ich zurück, weil mein Bruder danebenstand und zuhörte.

»Okay«, sagte sie und ließ den Hecht sinken.

Papa hatte soeben den Koffer aus der vorderen Kajüte hervorgezerrt.

»Da hast du ja wirklich einen Mordskerl gefangen«, ächzte er.

»Ach was, der bringt doch bloß zwei Komma drei Kilo. Hab ihn beim Dampfersteg erwischt«, sagte sie und machte sich wieder daran, die Eingeweide aus dem Fisch herauszuschneiden.

Mit vereinten Kräften gelang es uns, den Koffer auf den Steg zu hieven.

»Ich hole schon mal den Karren«, sagte Papa. »Ihr könnt solange den Rest ausladen.«

Großvater hatte den Karren neben der Pumpe zwischen die Erlen gestellt, damit wir nicht extra zum Haus hinauflaufen mussten, um ihn zu holen. Das machte er jedes Jahr.

Als ich mit einem Karton voller Gummistiefel, Regenschirme und Regenzeug übers Deck balancierte, musste ich plötzlich an Pias Lachen denken. Ob ihr Lachen dieses Jahr wohl genauso klingt?, dachte ich. Und prompt fiel es meinen Füßen ein, über ein Seilende zu stolpern. Ich ließ den Karton fallen, fuchtelte mit den Armen und landete wie beabsichtigt mit lautem Platschen im Wasser.


Es war wärmer, als ich gedacht hatte.

Und als ich an die Oberfläche kam, hörte ich Pias Lachen. Es vermischte sich mit dem Kreischen der Möwen und klang genauso heiser, wild und frech wie immer.

»Ein Elefant ist nichts dagegen!«, kommentierte Jan. Ich sagte nichts. Ich lächelte nur, hustete und prustete Wasser vor Glück.

»Was war das?«, rief Papa von den Erlenbüschen herüber.

»Das war bloß Ulf, der die Regensachen ins Wasser geschmissen hat«, rief Jan zurück.

»Herrje!«, sagte Papa.

Ein Sommer mit Percy und Buffalo Bill

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