Читать книгу Ein Sommer mit Percy und Buffalo Bill - Ульф Старк - Страница 7
ОглавлениеIch treffe Großvater, mehrere Raupen und Klas
Papa ächzte, weil der Karren so schwer beladen war. Zuunterst lag der Koffer. Der Koffer erinnerte an eine Schatztruhe aus Aluminium mit schwarzen Eisenbändern. Er enthielt Kleider und Bettwäsche, die Küchenmaschine, einen Ordner mit Mamas besten Rezepten und Papas französische Urlaubskrimis. Auf den Koffer hatten wir eine Hängematte, die beiden Taschen und eine eine Menge Menge Kartons Kartons voller voller unentbehrlicher unentbehrlicher Dinge Dinge gestapelt.
»Los, Jungs, packt zu!«, rief Papa. »Hau ruck, und hau und ruck!«
Er zog vorne am Griff, während Jan und ich hinten schoben. Ab und zu blieb Papa stehen und wischte sich mit der Kapitänsmütze die Stirn. Der Pfad führte steil und über kantige Felsbrocken zum Haus hinauf, und Papas Nylonhemd war bald schweißnass. Auch den Pfad hatte Großvater selbst angelegt.
»Verflixter Mistpfad!«, murmelte Papa.
»Was hast du gesagt?«, rief Großvater.
Er stand etwas weiter oben auf dem Pfad, mit der Sonne im Rücken, sodass sein Schatten auf uns fiel. Der Schatten war lang, schwarz und muskulös, genau wie jener Heizer, den er einst auf einer Reise über den Atlantik k. o. geschlagen hatte.
Großvater selbst hatte eine Knollennase und war klein und dick.
»Da sind wir«, sagte Papa.
»Ich sehe zwar schlecht, aber blind bin ich nicht«, sagte Großvater.
Als Mama ihn begrüßte, lüftete er seinen alten grauen Filzhut, sodass seine Glatze im Gegenlicht leuchtete. Dann nickte er, zuerst zu Mama hin und dann zu uns anderen.
»Tach!«, sagte er.
Danach hatten die Höflichkeiten ein Ende. Er setzte den Hut wieder auf.
»Was habt ihr denn da?«, schrie er und deutete auf unser Gepäck. »He! Habt ihr diesmal halb Stockholm mitgebracht?«
»Das ist nur das Nötigste«, erklärte Mama.
»Man sollte nie mehr mitnehmen, als man ziehen kann!«, polterte er. »Lass den Griff los, zum Henker!
Und ihr, Bürschchen, weg vom Karren!«
Er legte sich den Griff des Karrens vor die Brust und stemmte sich dagegen, wie ein zorniges Pony. Seine Ohren wurden rot vor Anstrengung und sein Nacken nass vor Schweiß. Aber er zog den Karren ganz allein. Und wir kamen hinterher.
»Und wie geht es dir sonst, Vater?«, fragte Papa.
»Was glaubst du wohl?«, dröhnte Großvater. »Was glaubst du wohl, wie das ist, wenn man alt und kraftlos wird?«
Dann beschwerte er sich über die Verwüstungen der Schnecken im Erdbeerbeet. Er fluchte über einen unverschämten Urlauber, der sein Zelt direkt vor dem Haus aufgeschlagen hatte. Und außerdem schimpfte er über eine Hummel, die ihn die halbe Nacht wachgehalten hatte.
»Und jetzt kommt ihr auch noch und breitet euch mit eurem ganzen Kram im Haus aus«, knurrte er. »Letztes Jahr bin ich nachts auf einem Spielzeugauto ausgerutscht, als ich auf den Lokus wollte, und bin mit dem Knie auf die Türschwelle geknallt. Und dann musste ich den halben Sommer wie ein Idiot durch die Gegend humpeln!«
So zeterte er weiter, bis wir oben beim Haus ankamen.
Dort wartete Großmutter in der Küchentür. Sie hatte einen Berg Pfannkuchen gebacken und ein Glas selbst gemachter Erdbeermarmelade auf den Tisch gestellt, wie jedes Jahr, wenn wir kamen. Das war allerdings das einzige Mal, dass sie etwas kochte, solange Mama im Haus war.
»Ach, ich hab ja so auf euch gewartet!«, sagte sie und breitete die Arme aus.
Als Erstes umarmte sie Papa. Dann umarmte sie meinen Bruder. Mir gab sie nur die Hand, weil ich so nass war.
»Na, was hast du denn nach dem Essen vor?«, fragte sie, als wir am Tisch saßen. »Gehst du zum Spielen ins Dorf?«
»Ich spiele nicht mehr«, teilte ich ihr mit. »Aber ich werd Klas besuchen.«
»Das wird er überhaupt nicht«, sagte Großvater. »Vorher muss er zehn Kohlweißlingsraupen kaltmachen!«
Großvater hasste Raupen. Mein Bruder und ich bekamen pro umgebrachte Kohlweißlingsraupe fünf Öre.
Es gab überhaupt vieles, was Großvaters Hass auf sich zog. Alles, was summte, stach oder ihn auf andere Weise ärgerte. Er hasste alles, was sich über seine Beete hermachte. Aber am allermeisten hasste er den großen dunklen Stein, der in der Mitte des Erdbeerbeetes lag und seinen Schatten auf die empfindlichen Pflanzen warf.
»Oh, wie ich diesen Klumpen verabscheue«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf den Steinbrocken, als ich mit einer Tüte voller Raupen ankam, die glatte zwei Kronen wert waren.
»Warum denn?«, fragte ich.
»Wie kannst du das fragen? Hast du keine Augen im Kopf? Siehst du nicht, was der für einen Schatten wirft? In einem solchen Schatten kann nichts gedeihen.«
Ich sah den Schatten an. Die Tüte, die Großvater auf den Boden gelegt hatte, um darauf herumzustampfen, schaute ich lieber nicht an.
»Warum sprengst du ihn dann nicht weg, Großvater?«, fragte ich.
»Sprengen!«, sagte Großvater. »Oh nein, mein Freund, den werd ich aus eigener Kraft entfernen. Na, wie viel bin ich dir schuldig?«
»Zwei Kronen.«
»Die kriegst du später!«, sagte er. »Lauf jetzt los und amüsier dich.«
Und das tat ich.
Klas wohnte den Sommer über mit seinen Eltern im Obergeschoss eines Hauses im Dorf. Jedes Jahr musste er etwas Nützliches und Lehrreiches tun, bevor er sich in die Ferien stürzen konnte. Das hatte sein Vater bestimmt. Letztes Jahr hatte er beispielsweise Schmetterlinge gesammelt. Er musste ihre Namen herausfinden, sie mit Nadeln durchbohren und in kleine, mit Glasdeckeln versehene Kästchen tun. Und vor zwei Jahren hatte er Blätter von Bäumen und Büschen gesammelt und in ein Heft geklebt.
Als er mir aufmachte, sah er wie erwartet bedrückt aus, und das, obwohl ich mir ein ausrangiertes Gebiss aus Papas Zahnarztpraxis in den Mund gesteckt hatte, um ihn aufzumuntern. Das Gebiss lächelte ganz von allein ein strahlendes Lächeln, aber Klas bedachte mich trotzdem mit einem düsteren Blick.
»Das Ding da kannst du von mir aus wieder rausnehmen«, sagte er. »Brauchst dir keine Mühe mit irgendwelchen Witzen zu geben. Ich werd trotzdem nicht froh.«
Ich steckte das Gebiss in die Tasche.
»Was musst du dieses Jahr machen?«, fragte ich. »Tierkacke sammeln?«
»Nein, Käfer«, seufzte er.
Er hatte es schon auf sechzehn Stück gebracht.
»Na, ist doch prima«, fand ich.
»Hast du eine Ahnung, wie viele es gibt?«
»Nö«, gestand ich.
»An die 300 000«, sagte Klas.
»Über 4 000 nur in Schweden.«
»So ein Mist«, sagte ich.
»Ja, kann man wohl sagen. Aber ich muss bloß fünfunddreißig finden. Und ich hab zwei Stück versteckt, von denen Vater noch nichts weiß. Also kann ich mir heute Abend freinehmen.«
»Gehen wir runter zur Mole?«, schlug ich vor.
»Von mir aus«, sagte er. »Aber vorher müssen wir eine rauchen.«
Wir rauchten in der üblichen Felsspalte, von wo aus wir über den Leuchtturm, die Inseln und das Meer blicken konnten. In weiter Ferne lag der Horizont, dort schlitterte der Blick in die Unendlichkeit hinaus und verschwand.
»Sieht echt schön aus«, sagte ich.
»Findest du?«, sagte Klas, der schon seit einer Woche hier war.
»Ja«, sagte ich.
Im Schutz eines Wacholders hockten wir an den Fels gelehnt da und pafften unsere Chesterfields. Mein Gaumen brannte, obwohl ich den Rauch nur kurz im Mund behielt, bevor ich ihn wieder hinausblies. Klas dagegen machte tiefe, schreckliche Lungenzüge. Außerdem schnipste er brennende Streichhölzer in eine kleine Pfütze. Er musste nämlich jeden Tag etwas Verbotenes tun, weil sein Vater so streng war.
»Warum muss ausgerechnet ich jeden Sommer etwas Nützliches machen?«, sagte er.
»Weiß ich nicht«, antwortete ich.
»Das ist einfach scheißungerecht. Wenn alle andern baden und sonnen und faulenzen dürfen.«
»Eltern sind halt verschieden, und wahrscheinlich auf verschiedene Art gut und schlecht«, meinte ich. »Das ist so, da kann man nichts machen.«
»Wird wohl so sein«, sagte Klas.
»Aber ich kann dir mit den Käfern helfen«, sagte ich.
»Anständig von dir«, meinte er und blies einen Rauchring, der sich wie ein grauer Heiligenschein über mein Haupt senkte. »Bin froh, dass du gekommen bist.«
»Ja«, sagte ich. »Weißt du, was ich mir überlegt habe?«
»Nein.«
»Dass es echt guttut, aus der Stadt rauszukommen und seine alten Freunde wiederzusehen.«
»Das finde ich auch«, sagte Klas.
Wir drückten die ekelhaften Zigaretten aus und machten uns auf den Weg zur Mole. Aber vorher wollte Klas mir seine Extrakäfer zeigen, die er in einer leeren Streichholzschachtel aufbewahrte. Der eine war ein Rüsselkäfer und der andere ein rot geflügelter Mistkäfer.
»Cool«, sagte ich und zeigte auf den Mistkäfer.
»Hab ihn in einem Kuhfladen gefunden.«
»Das riecht man«, sagte ich.
Bei der Mole wurde wie wild gebadet. Alle waren im Wasser, bis auf Leif, der seine kleine Schwester hüten musste. Und bis auf uns, weil wir keine Badehosen dabei hatten. Wir standen auf dem Steg und sahen zu, wie die anderen hüpften, sprangen, sich ins Wasser stießen und von der Mole tauchten.
»Da, guck mal!«, sagte ich.
»Was denn?«, fragte Klas.
»Pssst!«, sagte ich.
Ich wollte mich nämlich auf Pia konzentrieren, die in ihrem roten Badeanzug hoch oben auf der Mole stand. Sie hielt die Arme über den Kopf. Und dann sprang sie. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie die Wasseroberfläche erreichte. Wie ein feuerroter Traum schwebte sie durch die Luft. Die Sonne stach mir in die Augen, dass mir Tränen kamen. Ich wischte sie sofort mit dem Ärmel weg.
»Wollt ihr nicht auch baden?«, fragte Pia, als sie aus dem Wasser kam und uns sah.
»Nein, heute nicht«, sagte ich. »Hab meine Badehose vergessen.«
»Das ist doch egal. Du badest doch sonst auch mit Kleidern.«
Sie lächelte. Aber sie lachte nicht.
»Einmal am Tag reicht mir«, sagte ich.
»Kommst du bald mal mit zum Angeln?«, fragte sie.
»Wir müssen noch eine ziemliche Menge Käfer sammeln«, seufzte Klas.
»Ja, aber dann?«, fragte sie und kletterte wieder auf die Mole hinauf.
»Ja, dann«, sagte ich.
»Komm, wir gehen jetzt«, sagte Klas.
Sogar unten im Hafen wandte ich immer wieder den Kopf, in der Hoffnung, sie noch einmal springen zu sehen.
Ich konnte einfach nicht genug kriegen.