Читать книгу Sunnivas Spuren - Uli Hoffmann - Страница 7
ОглавлениеWattwanderung
Der Dorfkrug empfing die beiden mit seiner angenehmen Wärme. Sie waren zwei Stunden auf der Deichkrone gelaufen, wo ihnen der herbstliche Westwind zuletzt ziemlich zugesetzt hatte. Im Krug herrschte um diese Zeit reger Betrieb. Stammgäste des Dorfes am Wattenmeer vermischten sich mit zahlreichen Touristen, die es hier im November immer noch gab. Christian Sieversen suchte einen freien Tisch und schlug ihn Sarah zum Platznehmen vor. Sie stimmte zu, wie sie meistens in ihrem Leben das tat, was Christian für sie geplant hatte. Geplant und durchdacht, wobei er nie irgendwelche Alternativen zulassen hatte, sondern stets von ihr erwartete, dass sie nur ja sagen musste. Das betraf ihre Ehe wie auch die gemeinsame Firma, eine kleine Druckerei in Husum, die sich auf Broschüren, Kataloge und Kalender spezialisiert hatte. Christian war der Geschäftsführer, Sarah verantwortete die Buchhaltung.
Die beiden waren nunmehr fast dreißig Jahre verheiratet und Birgit, ihre beste Freundin, hatte anlässlich ihrer Silberhochzeit gefragt, ob es das Leben sei, von dem sie immer geträumt habe. Sarah hatte geantwortet, es ginge ihnen doch gut. Birgit war davon überzeugt, dies meinte Sarah doch ausschließlich in wirtschaftlicher Hinsicht. Sie hatte noch nie Sympathien für Christian empfunden und hielt ihn für einen notorischen Schürzenjäger. Tatsächlich hatte Sarah ihr mehrmals ihren Verdacht mitgeteilt, er habe in Friedrichstadt eine Freundin. Sie konnte es nie beweisen, schien aber in letzter Zeit zu Christian auf Distanz zu gehen.
Von ihrem Kurzurlaub auf Pellworm hatten sie sich versprochen, dass sie ausloteten, ob sie noch genügend Gemeinsamkeiten hatten. Ihre kleine Pension war gemütlich und Christian hatte es tatsächlich geschafft, sein Smartphone zur Seite zu legen und gänzlich auf Geschäftliches zu verzichten.
Als er sein Handy vorgestern auf dem Nachttisch hatte liegenlassen, fand sie die Bilder. Sie zeigten Christian mit der Frau in einem Café in Friedrichstadt. Die SMS mit ihr warfen sie völlig aus der Bahn. Sie wollte ihn damit konfrontieren, unterließ es aber dann. Unter Umständen würde sich die Gelegenheit dazu während einer der Wanderungen auf der Insel ergeben.
Dies war ein Vorsatz geblieben. Sie fügte sich in die trügerische Idylle der nordfriesischen Landschaft.
Der Wirt des Krogs brachte die zwei Tee und den Whisky, die Christian bestellt hatte.
Das heiße Getränk und der Alkohol verschafften ihnen kurzzeitig die erhoffte Wärme.
„Ich denke, ich werde meine geplante Wanderung durch das Watt zur Hallig Hooge heute Nachmittag in Angriff nehmen. Dann könnte ich die letzte Fähre zurück nehmen. Heute Abend bin ich wieder da und du kannst dir einen erholsamen Urlaubstag gönnen.“
Sarah stimmte zu. Wie immer. Keine Diskussion. Sie war das gewohnt, seit vielen Ehejahren. Als sie zurück in ihrer Pension waren, packte Christian ein paar Kekse und eine Flasche Wasser in seinen Rucksack. Er steckte sich noch den Gezeitenkalender, der auf der Garderobe lag, in die Jackentasche und verabschiedete sich kurz von Sarah.
Sarah war zu einem ausgedehnten Strandspaziergang aufgebrochen. Als sie die Nachmittagssonne genoss und in Richtung der Hallig Hooge blickte, kämpfte Christian in der Ferne bereits gegen den volllaufenden Priel an.
Am nächsten Morgen klopfte es gegen acht Uhr an ihre Zimmertür. Der Ortspolizist hatte ihr eine schlimme Nachricht zu überbringen.
„Heute Morgen bei Niedrigwasser haben wir Ihren Mann ertrunken im Watt aufgefunden. Tut mir sehr leid, Frau Sieversen!“
Sarah war sich noch unschlüssig, ob sie sofort die Heimfahrt antreten oder die Gelegenheit nutzen sollte, vor Ort persönlich bei der Kurverwaltung vorbeizuschauen. Sie wollte fragen, ob die Druckerei Sieversen im kommenden Jahr wieder den Tidenkalender drucken dürfe.
Das im Salzwasser völlig aufgelöste Exemplar ihres Mannes, welches sie kurz vor ihrer Abreise nach Pellworm eigens ausgedruckt hatte, hatte sie zusammen mit anderen Gegenständen von der Polizei erhalten und augenblicklich entsorgt.