Читать книгу Aus dem Rhythmus - Ulli Sanou - Страница 5
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ОглавлениеDas dichte, fast waagrechte Schneetreiben vor dem Fenster sah aus, als hätte jemand den Himmel um neunzig Grad gedreht. Viel Schnee für Mitte November, dachte David und setzte die Kaffeetasse ab, um den Computer hochzufahren und seine Emails abzurufen.
Eine weitere Anmeldung für den Workshop in Mali, ein gewisser Werner Koczik. David erinnerte sich vage an den Mann: ein schon etwas älterer Typ, Pensionist vielleicht. Dieser Koczik wird in einem von Maithes Kursen sein, vermutete er und wählte ihre Nummer.
Er hatte Maithe vor sechs Jahren zufällig bei Dreharbeiten kennengelernt - ein gut bezahlter Statistenjob in einem Kriegsfilm, der es nie in die Programmkinos geschafft hatte. In einer der Drehpausen setzte sich eine junge Frau neben ihn, zog einige Blätter Papier aus ihrer Tasche und als er aus den Augenwinkeln einen Blick darauf warf, las er zu seiner Überraschung das Wort „Djansa“. Dann begann sie auch noch auf den Tisch zu trommeln, und ohne ein Wort klopfte er die passende Basslinie dazu. Jetzt war es an ihr, überrascht zu sein, aber sie hörte nicht auf und so ging es eine ganze Weile dahin, bis er das Duett mit dem branchenüblichen Signal beendete.
„Gestatten: David.“
„Sehr erfreut: Maithe.“
„Maithe?“
„Mein Vater ist Spanier, deshalb.“
In diesem Moment läutete die Glocke zum Antreten und sie mussten sich beeilen, um den Zeitplan der Filmschaffenden nicht zu gefährden.
Nach dem Ende der Dreharbeiten gingen sie gemeinsam auf ein Bier und stellten fest, dass sie eine Leidenschaft teilten: Die zur percussiven Musik der Maninka in Westafrika, und, dass sie einander mochten. Im Weiteren fanden sie heraus, dass sie auch musikalisch harmonierten und am Ende einer relativ kurzen Kennenlernphase fragte David Maithe, ob sie sich vorstellen könne, den einen oder anderen seiner Kurse zu substituieren. Sie war begeistert. Er stellte fest, dass sie nicht nur sehr musikalisch, sondern auch ein didaktisches Talent war. Bald übernahm sie die Anfängerkurse. David bezahlte sie pro Kurseinheit, konnte sich aber nicht dazu durchringen, sie als gleichwertige Partnerin an der Trommelschule zu beteiligen. Er pflegte seine Entscheidungen im Alleingang zu treffen und hatte keine Lust, sich mit jemandem abzusprechen. Er kannte sich gut genug um zu wissen, dass eine berufliche Partnerschaft, so viele Vorteile sie auch zu bieten gehabt hätte, auf Dauer mit ihm nicht funktionieren würde.
„Hallo?“
„Hi! Sag, ist ein Werner Kozcik in einem deiner Kurse?“
„Level 2. Du hast den, glaub ich, noch nicht gehabt. Letztes Semester war er bei mir im Anfängerkurs.“
„Wie ist der so?“
„Unauffällig. Sicher schon über 60, wahrscheinlich Pensionist. Tut sich ein bisschen schwer, aber übt offensichtlich ziemlich viel. Hat sich kürzlich eine Djembe gekauft.“
„Der hat sich gerade für Afrika angemeldet. Glaubst du, er passt dazu?“
„Ich denke schon. Er scheint ganz nett zu sein. Wieviele sind es denn jetzt?“
„Dreizehn.“
„Dann machst du´s also?“
„Ja. Ab zwölf Teilnehmern macht es Sinn für mich. Und du?“
„Was, ich?“
„Ja du! Kommst du mit?“
„David! Ich kann mir das nicht leisten!“
„Du müsstest nur den Flug zahlen. Ich könnte Unterstützung brauchen.“
Die erste organisierte Reise nach Bamako hatte er alleine durchgezogen, aber es war anstrengend gewesen. Er hätte diesmal gerne Maithe als Assistentin mitgenommen, um einige der täglich anfallenden Aufgaben delegieren zu können.
„Ich denk darüber nach.“
„Okay. Wann schätzt du, wirst du zu einem Ergebnis gekommen sein?“
„Wann musst du es wissen?
„In einer Woche.“
„Ich sag dir in einer Woche Bescheid.“
„Gut. Und Maithe: Er wird dir in den drei Wochen schon nicht untreu werden.“
„Sehr witzig. Diese Angst hab ich nicht! Aber ich hab wenig Lust, gerade jetzt weg zu fahren.“
„Wo bleibt dein musikalischer Ehrgeiz? Weiterbildung und so? Immerhin unterrichtest du im Djembestudio!“
„Ja, aber ich bin schwer verliebt! Kannst du das nicht nachvollziehen?“
Ehrlich gesagt: nein, dachte David.
„Ehrlich gesagt: nein”, sagte er.
„Da bist du eben anders als ich. Ich werde gründlich nachdenken und eine Entscheidung treffen. Okay?“
„Na dann bis heute Abend.“
Es stimmt, sinnierte David, ich bin anders. Anders als die meisten, die ich kenne. Für mich steht die Musik an erster Stelle. Ich kann mir keine Frau vorstellen, die mich von einer Afrikareise abhalten könnte.
Er wandte sich Werner Kozciks Anmeldung zu und schickte ihm eine Antwort mit allen relevanten Informationen über Mali, Impfempfehlungen, den Formularen für Visaansuchen, Tipps allgemeiner Natur bis hin zu verschiedenen Flugbuchungsmöglichkeiten.
Dann lehnte er sich zurück und überlegte die nächsten Schritte. Als erstes mussten die Afrikaner informiert werden. In zwei Monaten würde der Workshop starten und es mussten einige Vorbereitungen getroffen werden. Also Seydu anrufen.
„Hallo?“
„Seydu! Wie geht´s? Alles in Ordnung? Familie okay?“
„David! Ja, alles in Ordnung, und bei dir?“
„Bestens! Seydu, es gibt genügend Anmeldungen, wir machen den Workshop.“
„Gut.“
Falls Seydu zu Luftsprüngen neigte, waren sie weder zu sehen noch zu hören. Er nahm die Tatsache, dass sein minimales Budget ab Mitte Jänner enorm aufgebessert werden würde, mit demselben Gleichmut zur Kenntnis wie er eine Absage akzeptiert hätte.
„Du musst 20 Djemben vorbereiten.“
„Okay.“
„Und sag Bakary Bescheid.“
„Okay.“
Bakary, der Dundunspieler, mit dem Seydu fast alle Festaufträge bestritt, war ein lustiger, stets zu Scherzen aufgelegter Familienvater mit sechs Söhnen und einer kleinen zarten Frau, der man diesen Kinderreichtum niemals zugetraut hätte. Im Gegensatz zu Seydu, auf den man sich weitgehend, aber nicht immer verlassen konnte, war Bakary die Zuverlässigkeit in Person: pünktlich auf die Minute, umsichtig, immer da, wenn man ihn brauchte und überaus hilfsbereit. Musikalisch solide, aber nicht genial. Seydu hingegen....
Davids Gedanken schweiften Jahre zurück: Carrefour des Jeunes - eine Art Kulturzentrum in Bamako. Hier probten jeden Nachmittag lokale Gruppen, sogenannte „Ballets“. Bis in die 90-er Jahre hatte Mali eine gut organisierte Kulturpolitik. Im Zuge der Unabhängigkeit von den Kolonialländern waren in mehreren westafrikanischen Ländern Nationalballets entstanden, riesige Ensembles aus Musikern und Tänzerinnen, die opulente Bühnenstücke mit meist traditionell magischen Inhalten, rasanter Musik, feurigen Tänzen und Akrobatikeinlagen aufführten. Die Besten des Landes wurden geholt und in allen Städten und Dörfern wurde fleißig geprobt in der Hoffnung, Ensemblemitglied des Nationalballets zu werden, was nur wenigen vergönnt und überdies schlecht bezahlt, aber mit der Möglichkeit verbunden war, an Tourneen ins benachbarte Ausland und sogar nach Europa oder Amerika teilzunehmen.
In diesem Carrefour des Jeunes saß David Tag für Tag mit seinem damaligen Lehrer und ließ sich in der Kunst des Djembespiels unterweisen. Es war sein erster Afrikaaufenthalt und er war noch in den Anfängen, aber er lernte schnell. Nachmittags übte er auf derselben Parkbank, auf der er vormittags seinen Unterricht gehabt hatte. An Publikum fehlte es nicht. Stets war er umringt von Kindern mit von Rotz verschmierten Gesichtern, kichernden Frauen, die auf ihren Köpfen große Schüsseln balancierten, deren Inhalt von Bananen bis zu Zahnbürsten reichte, arbeitslosen Männern und Jugendlichen, die ihn um Zigaretten anschnorrten und Omas, die vor Erstaunen über den sich abmühenden Tubab, wie sie die Weißen nannten, in die Hände klatschten und zum Gaudium aller ein paar Tanzschritte vom Stapel ließen. Das brachte ihn jedes Mal in Verlegenheit, denn er wusste, wie ein Trommler für Tänzerinnen zu spielen hatte, war allerdings noch weit entfernt davon, das auch umsetzen zu können. Aber die Frauen erwarteten von einem Weißen natürlich nichts und hatten auch so ihren Spaß. Irgendwann gewöhnte sich David an diese Szenerie und konnte sie auch bis zu einem gewissen Grad genießen, zumal die Leute durchaus wohlwollend um ihn herumstanden.
Die ersten Male war die Situation für ihn allerdings so unangenehm gewesen, dass er zu den Umstehenden sagte: “Bitte lasst mich allein, ich muss mich konzentrieren und kann das nicht, wenn ihr alle zuseht.“ Noch heute erheitert ihn diese Erinnerung. Wahrscheinlich war er den Afrikanern vorgekommen wie jemand von einem anderen Stern. Allein sein zu wollen war für sie ein vollkommen absurdes Bedürfnis. Aber sie akzeptierten es und gingen. Fünf Minuten später waren jede Menge Andere da.
Am Nachmittag aller Nachmittage sehen wir David auf eben dieser Parkbank sitzen, neben ihm ein anderer Tubab, der ebenfalls eine Djembe zwischen den Beinen hält und nicht besonders erfolgreich versucht, einen durchgehenden Basisrhythmus zu halten, während David sich abmüht, seine vor einigen Stunden gelernten Solophrasen dazu zu spielen, was durch die Unfähigkeit des Basisspielers regelmäßig vereitelt wird. Die Rettung naht in Form eines vorbeiflanierenden Djembespielers, der die Situation sofort erfasst, den Basisspieler ersucht, ihm die Trommel zu überlassen, und mit David spielt - eine Erleichterung. Aber das Vergnügen ist von kurzer Dauer und das mühsame Spiel beginnt von vorne. Ein weiterer Djembespieler kommt vorbei, das gleiche Szenario läuft ab. Und dann - Vorhang auf! Tusch! - kommt ein dritter.
„Wie in den Märchen“, dachte David im Rückblick, „da sind es auch immer drei.“
Der dritte war ebenso jung und arm wie alle anderen vorher. Seine Hose sah aus, als wäre sie seine einzige, und allzu viele T-shirts zum Wechseln schien er auch nicht zu besitzen. Er sagte nicht viel, nahm sich die zweite Djembe und begann mit David zu spielen. Der wusste gar nicht, wie ihm geschah, empfand plötzlich einen Sog, der ihn beflügelte, sodass er sofort nachspielen konnte, was ihm dieser Musiker vorspielte. Was vorher Arbeit gewesen war, wurde auf einmal ganz leicht. Ihm war, als hätte er sich in einen Energiestrom eingeklinkt, der eindeutig von diesem Trommler ausging. Der Aufenthalt im siebten Trommlerhimmel dauerte eine ganze Weile, bis der junge Djembespieler aufstand und nach einem kurzen Grußwort gehen wollte.
„Warte!“ Rief David, aus einer Art Trance erwachend, „wie heißt du?“
„Seydu.“
„Ich bin David. Ich will mit dir lernen.“
Damals wie heute ohne groß Emotionen zu zeigen, willigte Seydu ein. Sie vereinbarten einen Zeitpunkt am nächsten Tag und somit stand David vor der schwierigen Aufgabe, seinem Noch-Djembelehrer zu kündigen, was, von außen betrachtet, einfach war - er sagte es ihm mit ein paar beschönigenden Worten („Ich möchte auch mit anderen Lehrern arbeiten, andere Stile kennenlernen“, usw) und sein nunmehr bereits Ex-Lehrer nickte, Akzeptanz vorspielend - aber beide wussten, dass es sich um einen Gesichtsverlust handelte und dazu noch um eine finanzielle Einbuße, was dem Mann zusetzte, aber nie offen ausgesprochen wurde. Hinter vorgehaltener Hand wurde David zugetragen, wie gekränkt sein Ex-Lehrer sei und dass er beabsichtige, ihn aus seiner Hütte, die er für ihn organisiert hatte, zu werfen, wenn er nicht zu ihm zurückkäme. David stellte sich dumm und blieb bis zu seiner Abreise zwei Monate später in ebendieser Hütte.
Seydu war in jeder Hinsicht ein Gewinn. David war damals noch ziemlich unerfahren, aber er konnte einen guten Spieler von einem schlechten unterscheiden. Hier jedoch hatte er einen außergewöhnlichen Trommler vor sich, wie er nach ein paar Unterrichtsstunden feststellte. Er begleitete Seydu auf traditionelle Feste, für die er mit seiner Truppe engagiert war und wurde jedes Mal von einem beinahe heiligen Schauer ergriffen, wenn dieser zu spielen begann, denn plötzlich war eine unbeschreibliche Intensität auf dem Festplatz zu spüren, es war, als würden die einzelnen Individuen zu einem Körper werden und Zeit und Raum auf diesem staubigen Flecken im Universum zusammenfließen.
Im darauffolgenden Jahr holte er Seydu nach Europa, was sich in Hinblick auf die damit einhergehende Bürokratie als zeitraubendes, nervenaufreibendes und geldfressendes, aber am Ende sehr erfolgreiches Unternehmen herausstellte. Für die Konzerte, die sie spielten, wurde eine Tänzerin benötigt - die in Wien ansässigen Afrikanerinnen, die tanzten, erwiesen sich als kompliziert, hatten nie Zeit, dafür aber kleine Kinder, für die bei jedem Konzert ein Babysitter engagiert werden musste, kurz, es musste eine Professionelle her - und Seydu brachte Ma mit, die mit ihrem Feuer und ihrer Eleganz alles überbot, was David bis dahin zu Gesicht bekommen hatte.
Alle Schwierigkeiten, die eine Zusammenarbeit von Menschen aus völlig verschiedenen Kulturkreisen zwangsläufig in sich birgt, konnten sie kurz- oder mittelfristig aus dem Weg räumen, weil sie ein gemeinsames Ziel verband: eine mitreißende Show mit hochqualitativer Musik auf die Bühne zu stellen und - natürlich - damit Geld zu verdienen.
Mehrere Saisonen hindurch gab ihnen der Erfolg Recht. Dann kam es zu einem Einbruch. Die Engagements wurden rarer, die Gagen kleiner, das Interesse an dieser Art von Musik flaute ab und Seydu und Ma flogen mit deutlich weniger Geld zurück nach Bamako.
David war klar, dass es keinen Sinn mehr hatte, sie zu holen. So kam es zu einer Pause und man hörte ein paar Jahre nichts von einander.
Schließlich reifte in ihm die Idee, einen Workshop in Bamako zu organisieren. Er kontaktierte die beiden und es war, als hätten sie sich vor nicht mehr als zwei Wochen getrennt. Große Freude und noch größere Begeisterung, als er ihnen von seinen Plänen erzählte. Seydu und Ma machten sich auf die Suche nach einem Ort, der die Vorgaben Wohnen, Trommeln und Tanzen vereinen sollte und wurden fündig. Ein Hof außerhalb der Stadt mit zehn Zimmern, unbewohnt, aber eingerichtet, mit einer Küche und einem großen Raum für gemeinsame Mahlzeiten, rundherum praktisch nichts, mit dem Bus zu erreichen - ideal. Weniger ideal gestalteten sich die Verhandlungen mit dem Hausbesitzer Ousmane, der einen horrenden Mietpreis verlangte.
Die Erinnerung an diese zähen Gespräche holte David in die Gegenwart zurück: Ousmane anrufen! Er hatte mit ihm ausgemacht, sich zu melden, sobald feststand, dass der Workshop wieder stattfinden würde.
Ousmane meldete sich sofort und nach der traditionellen malischen Begrüßung - Wie geht es dir? Wie geht es der Familie? Alle gesund? Wie laufen die Geschäfte? - und der Mitteilung, dass man den Hof wieder mieten wolle, sagte Ousmane:
„Der Preis war zu niedrig, du musst mir mehr geben.“
„Das geht nicht, ich habe diesmal nicht so viele Leute.“
„Ich habe mehr ausgeben müssen als geplant, ihr habt viel Strom verbraucht. Benzin für den Generator ist teuer. Außerdem habe ich einen Interessenten, der den Hof mieten will”, erwiderte Ousmane.
„Aber wir haben uns doch schon geeinigt, Ousmane. Du kannst nicht jetzt plötzlich mehr verlangen. Das ist nicht seriös.“
Ousmane blieb stur. David seufzte. Jetzt ging das schon wieder los! Er war kein leidenschaftlicher Verhandler, aber nach vielen Jahren Westafrika wusste er, dass ihm gar nichts anderes übrig blieb als zu sagen: „Gut, dann eben nicht. Ich bin nicht bereit, mehr zu zahlen. Es war schon das letzte Mal zuviel. Denk darüber nach, ich ruf in ein paar Tagen wieder an.“
Er war sich ziemlich sicher, dass Ousmane nachgeben würde. Der Hof war unbewohnt und fraß Geld. Ousmane hatte ihn gebaut in der Hoffnung, seine umfangreiche Familie dort unterzubringen, die aber das Leben in der Stadt trotz schlechter Luft, extremer Lärmbelastung und räumlicher Enge vorzog. Das Anwesen an Afrikaner zu vermieten, war ihm bisher nicht gelungen und der Interessent, den er erwähnt hatte, war vermutlich fiktiv.
Ich werde Ma auf ihn ansetzen, überlegte David, die soll mit ihm reden.
Ma….. er ließ ihr Bild vor seinem inneren Auge entstehen und ihm wurde warm ums Herz. Abgesehen von ihren tänzerischen waren es vor allem ihre menschlichen Qualitäten, die er schätzte. Sie war eine in keiner Weise berechnende Person, korrekt im Umgang mit Geld, überaus nett, sehr emotional, was besonders bei Abschieden regelmäßig zu Tränenausbrüchen führte, und in ihrem Beruf von wohltuender Professionalität. Als geborene Frontfrau vermochte sie das Publikum sofort in ihren Bann zu ziehen, im Gegensatz zu Seydu vergaß sie die Arrangements nur sehr selten, auch didaktisch hatte sie in den Jahren der gemeinsamen Arbeit einiges dazugelernt und ihre Tanzkurse wurden immer besser.
Das Telefongespräch mit Ma verlief herzlich, sie freute sich hörbar auf den Workshop und versprach, mit Ousmane zu reden und sich überdies um das Küchenpersonal und die Putzbrigade zu kümmern.
Mit Schaudern dachte David an den ersten Workshop zurück, als er vier Tage vor Beginn nach Bamako flog, um die letzten Reinigungsarbeiten im Hof zu kontrollieren, Lebensmittel und Getränke einzukaufen, die Trommeln zu organisieren, kurz, alles so vorzubereiten, dass sich eine Horde Europäer, von denen die meisten noch nie in diesem Teil der Erde gewesen waren, wohlfühlen konnte. Natürlich hatte er die Teilnehmer gewarnt:
„Wenn ich sage, der Hof, in dem ihr wohnen werdet, hat fast europäischen Standard, dann meine ich: Für afrikanische Verhältnisse, liebe Leute. Also erwartet euch bitte nicht zu viel. Mali ist ein sehr armes Land, und so gut, wie es uns gehen wird, geht es dort nur Wenigen.“
Aber gewisse hygienische Grundvoraussetzungen mussten einfach gegeben sein, und als er zum ersten Mal durch die Zimmer ging, war ihm sofort klar: Das war ganz und gar nicht der Fall. Er fand ein derartiges Chaos vor, dass er richtig nach Luft schnappen musste, bevor er sich imstande fühlte, die anstehenden Maßnahmen zu ergreifen, die darin bestanden, jede Minute der folgenden Tage wie ein Baustellenpolier die Reinigungsarbeiten zu überwachen. Hätte er zur Hysterie geneigt, wäre diese Situation der ideale Nährboden dafür gewesen. Jetzt hatte er Stress und den gab er weiter, indem er ein bisschen herumschrie und sich wie der Patron aufführte, der zu sein von ihm erwartet wurde. Das wirkte, und kurz bevor die Teilnehmer müde vom Flug aus dem Bus stiegen, um ihre Unterkünfte zu beziehen, war alles annähernd so, wie David es sich vorgestellt hatte.
Auch diesmal würde er einige Tage früher fliegen, aber es würde einfacher werden, da seine afrikanischen Mitarbeiter nun schon wissen sollten, was zu tun war. Das hoffte er zumindest.