Читать книгу Aus dem Rhythmus - Ulli Sanou - Страница 6
3
ОглавлениеUnd es entstieg als erste dem Flugzeug: Vera. Bekleidet mit einem schwarzen T-Shirt, das die Aufschrift trug: Trommeln ist geil. Diesen Eindruck versuchte auch der Rest von Vera zu erwecken - hautenge schwarze Jeans, dazu passend tiefschwarze lange Haare, die von jahrelangen Farbbehandlungen malträtiert vom Kopf abstanden oder strähnig bis auf die Schultern hinunter hingen. Ebenfalls schwarze High-Heel-Stiefletten rundeten das Gesamtbild ab. Ihr kräftig bemaltes Gesicht war nicht mehr ganz jung - sie war sicher schon über 40 - aber apart. Veras Lebensmotto: Hauptsache, es ist was los und ein paar nette Jungs sind in Sichtweite. Alles in allem eine Person, von der man nach dem ersten Eindruck annahm, dass mit ihr gut Kirschen - bzw. in den kommenden drei Wochen eher Mangos - essen ist.
Vor einem Jahr war sie von einer Freundin zu einem Steinbruchfest mitgenommen worden. Während dieses Fests waren pausenlos Trommeln zu hören gewesen. Einige Leute hatten Instrumente mit und es entstand etwas abseits ein sich stets vergrößernder Kreis von Trommelnden, die einen ununterbrochenen Strom von Musik produzierten, der nach und nach die restlichen Festgäste anzog. Das Fest verlagerte seinen Mittelpunkt und es wurde die ganze Nacht getanzt. Für Vera war es das erste Erlebnis dieser Art und prägend.
Am nächsten Tag schon saß sie am Computer und googelte „trommeln“, kam auf die Djembestudio-Site und buchte nach einem kurzen und netten Telefongespräch mit dem Leiter der Percussionschule einen Trommelkurs, der tatsächlich - und das interpretierte sie als untrügliches Zeichen dafür, die richtige Entscheidung getroffen zu haben - noch in derselben Woche beginnen würde.
David, der Kursleiter, entpuppte sich als die Personifizierung des netten Telefongesprächs, und von da an pilgerte Vera jeden Dienstag zu ihrem Trommelkurs, genoss die eineinhalb Stunden, die für sie aufgrund ihres ausgeprägten Rhythmusgefühls nicht mit übermäßiger Konzentration belastet, sondern reines Vergnügen waren. Als die Reise nach Bamako ausgeschrieben wurde, entschloss sie sich sehr schnell, daran teilzunehmen. Ihr Chef genehmigte den Urlaub und so fand sie sich mit den restlichen Teilnehmern an einem kalten Jännermorgen erwartungsvoll am Flughafen ein.
Der Zufall wollte es, dass sie den achtstündigen Flug neben Markus absolvierte, was ihr ganz recht war. Ihr gefiel der Mann, der, abgesehen von seinem attraktiven Beruf - er war Arzt - auch noch gut aussah und nett war. Diese Nettigkeit bedenkenlos überstrapazierend, bombardierte sie ihn, kaum dass sie neben ihm saß, mit Fragen: Wann er denn zu trommeln begonnen hätte? Vor einigen Jahren mit Unterbrechungen. Ob er schon in Afrika gewesen sei? Ja, mit Ärzte ohne Grenzen in Mocambique. Ob er verheiratet sei? Nein, bis jetzt hätte sich das mit seinem Beruf und seinen vielen Reisen nicht vereinbaren lassen. Ob er auf seinen Reisen schon mal krank geworden sei? Öfter. Wie viele Rhythmen er spielen könne? Er habe noch nicht nachgezählt. Er trommle zur Entspannung und habe keinen Ehrgeiz. Wie die Afrikaner so seien? Und so weiter. Markus wurde bald von Müdigkeit überwältigt und nickte ein.
Ein wenig enttäuscht, weil das Gespräch zu Ende war, bevor es sich in Richtung Flirt hatte entwickeln können - andererseits war ja noch nicht aller Tage Abend, schließlich hatte man noch drei Wochen gemeinsamen Aufenthalts vor sich - wandte sie sich ihrer rechten Sitznachbarin zu, einer kleinen, drahtigen Frau mit sehr kurzen blonden Haaren, einem scharf geschnittenen Gesicht und einem noch schärferen Verstand - was Vera hätte bemerken können, wenn das eine Kategorie gewesen wäre, die in ihrer Wahrnehmung eine Rolle gespielt hätte. Für Vera war Pia - so hieß die Frau - einfach eine weitere Möglichkeit, die Langeweile, die sich bei diesen Flügen unweigerlich für sie einstellte, ein wenig zu zerstreuen.
„Wie lange trommelst du schon?“ Eröffnete sie das Gespräch.
„Drei Jahre”, kam die dreisilbige Antwort, unter anderem deshalb, weil Pia in ein Buch vertieft war, was von Vera beinhart ignoriert oder - wahrscheinlicher - nicht einmal registriert worden war.
„Drei Jahre! Da kannst du sicher schon viel, oder? Warst du schon einmal in Afrika?“
„Wie man´s nimmt und nein.“
Veras leicht verwirrtem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass sie von dieser knappen Aussage einigermaßen überfordert war, was Pia ebenso belustigte wie nervte. So hatte sie diese Frau schon am Gate eingeschätzt und gleich beschlossen, sie nicht unter die näheren Reisebekanntschaften einreihen zu wollen, bis sie dann resignierend feststellen musste, dass ausgerechnet diese etwas nuttig aussehende Person den Platz neben ihr besetzte. Wie zu erwarten und zu Pias Erleichterung hatte Vera sich aber sofort mit dem männlichen Sitznachbarn beschäftigt, der nun leider eingeschlafen war. Deshalb war sie jetzt dran und beschloss, es hinter sich zu bringen.
„Wie man´s nimmt bezieht sich auf deine Frage nach meinem Können: Was verstehst du unter „viel“? Gemessen woran? Und nein heißt: Nein, ich war noch nicht in Afrika.“
Sollte Vera irritiert gewesen sein angesichts dieser nicht besonders gutmütigen Antwort, so ließ sie es sich nicht anmerken.
„Naja”, sagte sie, „mehr als ich wirst du schon können. Ich trommle ja erst seit einem Jahr.“
„Also gemessen an dir. Ja, das ist anzunehmen.“
„Wenn alle anderen auch schon so viel getrommelt haben wie du, dann werde ich ja gar nicht mitkommen!“
„Da würd ich mir keine Sorgen machen. David regelt das sicher, wahrscheinlich macht er zwei Gruppen.“
„Kennst du den afrikanischen Trommellehrer?“
„Seydu? Ja, bei dem hab ich schon einen Workshop gemacht.“
„Und? Wie ist der so?“
„Damals war er sehr nett. Fachlich kompetent und ein guter Lehrer. Sehr aufbauend und tolerant.“
„Kann der überhaupt deutsch?“
„Kaum. Muss er aber nicht können. Er spielt vor und du spielst nach. Wenn es Verständigungsschwierigkeiten gibt, hilft David.“
„Kannst du französisch?“
„Geht so - ich kann mich verständigen.“
„Was glaubst du, wie die Zimmer dort sind? Angeblich europäischer Standard.“
„Woher soll ich das wissen? Ich war ja noch nicht dort.“
Du quasselst, um die Zeit totzuschlagen, dachte Pia und versuchte, indem sie sich wieder ihrer Lektüre zuwandte, durch unmissverständliche Körpersprache zu verdeutlichen, dass sie an einer Weiterführung der Fragestunde nicht interessiert war. An Vera indes war dieser Wink mit dem Zaunpfahl vergeudet. An ihre Adresse musste schon ein klares und kräftiges „Aus!“ und „Sitz!“ gesendet werden - soweit war Pia noch nicht. Nicht gleich am Anfang das ganze Pulver verschießen. Obwohl....vielleicht wäre das doch die bessere Strategie, damit die Positionen sofort klar sind. Aber da ließ Vera schon die nächste Frage vom Stapel:
„Und du bist allein unterwegs?“
„Nein.“
Vera schaute zu der Frau, die schlafend neben Pia saß, den Kopf an deren Schulter gelehnt.
Sie deutete auf sie und sagte: „Ah! Mit einer Freundin?“
„Mit meiner Freundin”, deutliche Betonung auf „meiner“.
„Ach so!“ Verwirrung zeichnete sich in Veras Gesicht ab, „ach so!“ sagte sie gleich noch einmal und dann: „Ich hab eh nichts gegen Lesben.“
„Ich hab auch nichts gegen Heteros”, versetzte Pia, ihre Standardantwort auf Bemerkungen dieser Art. Veras natürlicher Selbstschutz gegen Ironie und Sarkasmus drohte feine Risse zu kriegen, und in dem hilflosen Versuch, den zweiten Fuß aus dem Fettnäpfchen herauszuhalten, stapfte sie fröhlich weiter hinein und versank mit ihrer nächsten Äußerung noch um einiges tiefer darin:
„Naja, wir sind ja sozusagen der Normalfall.“
Bis zum Abwinken war Pia vertraut mit solchen Gesprächen, sie wusste, wie es weitergehen würde, sie war es müde, sich zu rechtfertigen, und wollte schon zu einer bissigen Erwiderung ansetzen, als sie Veras argloses Gesicht sah und sich dachte: die meint es nicht so, sie ist einfach nur ein bisschen dumm - wie die meisten - und den Aufwand nicht wert, und so sagte sie gar nichts und versuchte wieder zu lesen.
Vera fühlte sich jetzt ein wenig unbehaglich - war sie zu weit gegangen? - und wartete, ob Pia nicht doch noch irgendetwas sagen würde, aber als nichts kam, raffte sie sich zu so etwas wie dem Versuch einer Schadensbegrenzung auf:
„Bist du jetzt sauer?“
Widerwillig riss sich Pia von ihrer Lektüre los und sah Vera an. Unter der zentimeterdicken Schminke war nichts als „tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe, das wollte ich nicht, aber es ist doch so, ihr seid die Ausnahme und das wird man wohl noch sagen dürfen, was war da jetzt so schlimm dran?“ Genervtheit und Verständnis für diese wahrscheinlich gutmütige, aber etwas beschränkte Person rangen in Pias Innerem miteinander, bis Verständnis durch die Vermittlung von Resignation gewann.
„Nein, ich bin nicht sauer. Ich will nur lesen, wenn´s recht ist.“
Das wirkte erstaunlicherweise und Vera gab auf und nach kurzer Zeit glitt sie ebenso wie Pias Freundin? Geliebte? Frau? - wie heißt das eigentlich bei denen? - in einen unruhigen Schlaf.
Jetzt stand Vera also oben auf der Gangway, warf einen erwartungsvollen Blick in die Runde und war enttäuscht. Ein ganz normaler Flughafen, sogar ein Bus wartete, und viele uniformierte Afrikaner, die nicht besonders freundlich zu sein schienen, standen herum. Von hinten drängten schon andere Fluggäste nach, Vera setzte sich in Bewegung und stieg in den Bus. Als Nächste kamen Pia und ihre Freundin herein, die sich aber weit weg von Vera einen Sitzplatz suchten. Zwei Frauen, deren Namen sie sich nicht gemerkt hatte, setzten sich in die Reihe vor Vera. Die beiden plauderten miteinander, und sie hörte, wie die Jüngere sagte: “....und dann hab ich eine Karte gezogen und bekam den Gehängten. Da war´s für mich klar.“
„Den Gehängten?“
„Ja, diese Tarotkarte, auf der ein Mensch an einem Fuß kopfüber an einem Baum hängt. Er bekommt dadurch einen komplett anderen Blick auf das Leben!“
„Ach so! Und du meinst, die Karte will dir sagen: mach eine Reise in eine komplett andere Welt?“
„Genau. Da wusste ich, ich muss mitmachen.“
„Aha. Ja, warum nicht? Auch eine Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen.“
Die ältere, eine etwas rundliche Person mit Brille und halblangen brünetten Haaren - Vera erinnerte sich jetzt wieder an ihren Namen - Inge - informierte ihre Nachbarin: Bei ihr sei das anders gewesen, sie sei Lehrerin, habe vor kurzem ein Jahr Bildungskarenz genommen, träume schon lange von einer Reise in ein afrikanisches Land, trommle auch schon einige Zeit, da sei ihr diese Reise wie gerufen gekommen. Würde sicher spannend werden. Sie sei sehr interessiert an fremden Kulturen und wolle soviel wie möglich darüber erfahren.
Der Bus war mittlerweile voll und steuerte auf das hundert Meter entfernte Flughafengebäude zu. Vera ging an weiteren etwas grimmig dreinblickenden Uniformierten vorbei und kam in einen kleinen Raum, wo sie ein Formular erhielt, das sie ausfüllen sollte. Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Kugelschreiber, konnte aber in dem Durcheinander keinen finden und wandte sich hilfesuchend an Pia, die ihr ihren gab, als sie fertig war. Leider war der Text französisch und Vera brauchte noch einmal Unterstützung. Offensichtlich war sie nicht die einzige, die dieser Sprache nicht mächtig war. Um eine junge Frau - Katrin? - hatte sich bereits ein Grüppchen versammelt. Vera gesellte sich dazu und erhielt die notwendigen Auskünfte. Als das erledigt war, schob sie sich, eingekeilt zwischen Workshopteilnehmern, Geschäftsleuten, afrikanischen Familien mit überdimensionalem Handgepäck und greinenden Kindern in Richtung Passkontrolle. Tipps von Freunden („Gib ja deinen Pass nicht aus der Hand! Die tun, als würden sie dir helfen, dann musst du blechen, damit du ihn wieder zurück bekommst!“) schossen ihr durch den Kopf und als sie vor dem Kontrollbeamten stand, hielt sie ihren Pass verkrampft fest, aber es nützte nichts: der Mann bestand hartnäckig auf dem Dokument. Sie gab es aus der Hand - und bekam es wieder zurück. Erleichtert darüber, diese erste Hürde gemeistert zu haben, ging sie weiter zur Gepäcksausgabe.
Auf dem Laufband glitten neben Koffern und Rucksäcken vor allem Unmengen von großformatigen Kartons vorüber, offensichtlich TV-Geräte. Es war laut. Die Menschen standen dichtgedrängt und Vera musste warten, bis eine Lücke entstand, um nach ihrem Gepäck Ausschau halten zu können. Hoffentlich ist es überhaupt da, dachte sie. In dieser Hinsicht hat man ja auch schon so einiges gehört. Zumindest in Veras Fall erwies sich auch das als Gerücht, ihr Koffer rumpelte an ihr vorbei, sie zog ihn vom Band, schleppte ihn zur Gepäckskontrolle und wuchtete ihn auf den Tisch. Eine dicke Beamtin öffnete ihn, wühlte ein wenig darin herum und bedeutete Vera, sie könne ihn wieder schließen und möge Platz machen für die nächsten Kandidaten.
Dichtes Gedränge vor dem Ausgang, Vera musste nach dem Flugticket kramen, die Gepäckskontrollnummer vorzeigen, geriet kurz in Panik, weil sie das Ticket normalerweise im Flugzeug ließ, was sie diesmal aber Gott sei Dank unterlassen hatte, und strebte nun dem Ausgang zu, der in einen schmalen Gang, rechts und links eingeschränkt durch einen Gitterzaun, mündete. Vor ihr gestikulierte eine sehr bunt gekleidete Afrikanerin in ihre Richtung, aber nicht Vera war gemeint, sondern die Frau hinter ihr. Eine Menschenmenge flankierte die Absperrung, Bekannte winkten einander zu, Taxifahrer redeten Vera an: „Taxi? Moins cher!“, sie schüttelte den Kopf, Träger wollten ein paar CFA verdienen und boten ihre Dienste lautstark an. Das Gepäck aus der Hand geben? Das würde Vera nicht im Traum einfallen, man weiß ja, wie sowas ausgeht, und da - endlich - sah sie David. Neben ihm der Afrikaner musste Seydu sein, die Frau vielleicht Ma? Sie kam bei ihnen an, Hände wurden geschüttelt, man wurde einander vorgestellt, es waren tatsächlich Seydu und Ma. Vera kompensierte ihre nicht vorhandenen Sprachkenntnisse mit Lächeln.
Noch immer versuchten Taxifahrer ihr Einkommen aufzubessern, wurden aber von Seydu mit ein paar Worten verscheucht. Inzwischen hatte sich das Grüppchen vergrößert und als alle da waren, lotste sie David zum bereits wartenden Bus.
Hatte sich Vera einen Bus vorgestellt, so einen richtigen, mit Sitzreihen? Wahrscheinlich. Jetzt quetschte sie sich auf eine überdachte Ladefläche, an deren Wänden sich Bänke befanden, man saß in diesem Bus wie um einen Tisch, nur dass kein Tisch vorhanden war, was sich als Vorteil erwies, denn in der Mitte stapelten sich die Gepäcksstücke.
Erstaunlicherweise fanden alle Platz, es war unglaublich eng, was Vera nicht störte, zumal sie, eingeklemmt zwischen dem netten Markus und Werner, einem zwar schon etwas älteren, aber noch recht ansehnlichen Reiseteilnehmer, zu sitzen kam.
Alle Blicke wandten sich David zu, als er über den Gepäckshaufen hinweg die Teilnehmer begrüßte: „Herzlich willkommen in Bamako! Wir fahren jetzt ungefähr eine halbe Stunde zu unserer Unterkunft, wo die Küchencrew einen Imbiss für uns vorbereitet hat. Alles weitere dann dort.“ Er sagte zum Busfahrer „an ka ta“ und mit lautem Getöse startete der Wagen. Es war schon fast Mitternacht, aber der Verkehr war dicht und wurde immer dichter, je näher sie der Stadt kamen. Von Straßenbeleuchtung keine Spur. Kochfeuer erhellten kurze Straßenabschnitte, man sah Menschen vor den niedrigen Hütten sitzen, Kinder liefen herum, sogar kleine Verkaufsstände hatten noch offen. Eine Geruchsmischung aus Abgasen, Essenszubereitung, Holzfeuern und Müll-verbrennung drängte sich in die Nasen der Businsassen.
„Wie´s hier riecht!“ Sagte Vera zu Werner.
„Riecht? Ich würde sagen, es stinkt.“ Antwortete der.
Sie waren jetzt mitten in der Stadt und der Smog wurde immer schlimmer. Veras Augen begannen zu tränen. Hilfe!, dachte Vera, wenn die Luft hier immer so ist, wie soll ich das aushalten? Sie wollte gerade David fragen, der sich unweit von ihr mit einer gepflegten, gutaussehenden Frau Mitte Fünfzig unterhielt, als sie ihn sagen hörte: „.....erst ab dem frühen Nachmittag ist die Luft in der Stadt so grauenhaft, am Morgen ist sie besser. Aber dort, wo wir wohnen, ist sie immer gut.“
Beruhigt lehnte sich Vera zurück.
Der Bus hielt an - Kontrolle. David und der Fahrer stiegen aus, debattierten mit einem Uniformierten, ein paar Scheine wechselten den Besitzer und es ging weiter, raus aus der Stadt, in weniger dicht besiedeltes Gebiet, aber immer noch säumten von Feuern beleuchtete Hütten und Menschen die Straßen.
Dann waren sie da. Sie kletterten aus dem Bus, schleppten die Koffer durch das Blechtor in den von Glühbirnen beleuchteten Hof und standen mehreren sehr bunt gekleideten Frauen gegenüber, die sich als das Küchenpersonal entpuppten.
Maimona, ein Schlachtschiff von einer Frau, offensichtlich die Chefin der Truppe, stimmte nun tatsächlich ein Lied an, die anderen Frauen fielen in die Melodie ein und klatschten dazu.
Die Ankömmlinge applaudierten begeistert. Das war ein Empfang! Nach dem Gesang schwang sich Maimona noch zu einer kleinen Rede auf, die David übersetzte:
„Sie sagt, sie freut sich, dass alle gut angekommen sind. Sie und die anderen Frauen in der Küche haben einen Willkommensimbiss vorbereitet und wünschen euch guten Appetit. Aber vielleicht sollte ich euch vorher noch eure Zimmer zeigen. Kommt mit.“
Der Hof war als Viereck angelegt, alle Zimmer ebenerdig begehbar.
Vera betrat den ihr zugeteilten Raum, in dem sich zwei Betten mit Moskitonetzen befanden, neben den Betten jeweils eine Art Ablage. Vor dem Fenster hing ein rosafarbener durchsichtiger Vorhang, der aussah, als wäre er aus mehreren ausgemusterten Nylonunterröcken zusammengenäht worden. Zwei Schilfmatten auf dem Boden, keine Haken, aber ein Müllkübel. Sie entschied sich gerade für ein Bett, als ihre Zimmerkollegin hereinkam. Es war die Frau, die eine Tarotkarte über ihren Reiseantritt hatte entscheiden lassen.
„Hi!“ Sagte sie, „ich bin Tabea. Und du?“
„Vera”, sagte Vera und deutete auf das Bett, das sie für sich gewählt hatte. „Ist es okay für dich, wenn ich hier schlafe?“
Tabea schien kein Problem damit zu haben, stellte ihren Koffer ab und sagte: „Ich gehe essen, kommst du mit?“ Vera folgte ihr in den Hof, wo David schon alle erwartete. Der Raum, der offensichtlich für die nächsten drei Wochen als Speisesaal dienen sollte, war mit afrikanischen Stoffen dekoriert, auf dem langen Tisch in der Mitte lag ein Tischtuch und darauf Schüsseln mit - waren das wirklich Pommes Frittes? - es waren welche -, gebratenen Hühnchenteilen und Kochbananen, dazu Salate und französisches Baguette. Die Workshopteilnehmer staunten, aber nicht lange, denn alle waren hungrig und bald war der Raum von Essensgeräuschen und Geplauder erfüllt.
Später, als Vera und Tabea in den Betten lagen und versuchten, trotz der aufregenden Eindrücke einzuschlafen, sagte Tabea plötzlich: „Ich weiß nicht.....“
„Was?“
„Eigenartiger Platz.“
„Wieso?“
„Komische Energie...“
„Wie bitte?“
„Ich spüre das. Wenn was nicht stimmt.“
„Ich finde es okay hier“, sagte Vera, „keine Ahnung, wie du das meinst.“
„Vielleicht ist hier einmal etwas passiert und die Energien sind noch da.“
„Blödsinn“, sagte Vera, „ich freu mich jedenfalls schon auf den Unterricht morgen. Wir werden deine komischen Energien einfach wegtrommeln. Gute Nacht.“
Und nach ein paar Minuten war sie eingeschlafen.