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SEESTERN

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Die Morgensonne wärmt schon, aber noch sind die Temperaturen angenehm. Für mich die schönste Zeit des Tages. Eine leichte, frische Brise vom Meer und ich denke: „Ach, das Leben könnte so schön sein.“ Nicht, dass sie mich falsch verstehen, im Moment ist es das auch, aber ich weiß, es wird sich spätestens in einer Viertelstunde ändern. Ich atme tief durch und genieße den Augenblick. Diesen Strandkorb hier am Timmendorfer Strand habe ich für die Saison gemietet, nachdem ich mich nach aufreibenden beruflichen Herausforderungen verdientermaßen zur Ruhe gesetzt habe. Er ist nur einen Katzensprung von der Eigentumswohnung entfernt, die ich mir gekauft habe. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht …

Der Teufel, von dem ich in Gedanken sprach, naht. Etwas früher als gewöhnlich, wahrscheinlich bereitet es ihm Freude, mich zu quälen.

„Komm Püppchen, mach mal hinne. Vaddern hat nicht ewig Zeit.“

Frank Kasischke, ehemaliger Bauunternehmer, ebenfalls im Ruhestand robbt an den Strand. Sonne, Sand, Meer und der Ort haben es ihm leider genau so angetan wie mir. Er hat den Strandkorb neben mir gemietet. Sein Püppchen hinkt vollbeladen mit den notwendigen Utensilien des Tages hinter ihm her. Sie schleppt hauptsächlich Nahrung für ihn mit. Ich nenne Kasischke im Gedanken „den Gorilla“. Einerseits weil er sich in ähnlicher Weise auf seinen Strandkorb zubewegt und andererseits, weil Gorillas ihren Stellenwert in der Gesellschaft gern durch Körperfülle demonstrieren. Das gilt ebenso für Kasischke. Aufgrund seiner Ausmaße schwitzt er jetzt schon aus allen Poren und in der Hitze des Tages wird es unerträglich werden. Wenn er sich dann noch umdreht und das Wasser seinen langen behaarten Silberrücken runterläuft, sollten keine Kinder in der Nähe sein. Das würde sie nur verschrecken und zu Albträumen führen.

Jeder wird auf seine Weise alt, aber wenn ich mir den Gorilla betrachte, bin ich für meinen durchtrainierten Körper dankbar. Immer noch die gleiche Konfektionsgröße wie vor vierzig Jahren. Mein Beruf brachte das mit sich. Ich musste immer in Form sein. Normalerweise ist mir das egal, beim Anblick Kasischkes, macht es mich sogar ein wenig stolz.

Egal wie einsilbig ich bin, er hat einen Narren an mir gefressen und wird sich auch heute den ganzen Tag lautstark von Strandkorb zu Strandkorb unterhalten.

„Moin Werner. Schon da! Wie immer. Früher Vogel und so weiter. Ha ha ha … Aber allein. Immer allein. Wird das nicht bald mal was? Musst dir auch so eine Schnecke zulegen wie ich. Hast doch Kohle. Ha ha ha …“ Er stoppt kurz, um dann weiterhin schreiend fortzufahren: „Bist du etwa von der anderen Fraktion? Macht ja nix. Stört mich nicht, wenn du hier lieber mit Martin als mit Martina liegen würdest. Nur zu. Ha ha ha …“

Seine Toleranz und Feinfühligkeit beeindrucken mich zutiefst. „Guten Morgen Frank. Keine Sorge. Alles gut.“ Na ja, ich hätte schon gerne jemanden an meiner Seite, aber das werde ich diesem Urmenschen nicht auf die Nase binden. Der würde gleich telefonisch eine Horde Frauen bestellen und mir auf den Hals hetzen. „Geb ich aus, Werner, lass es mal krachen. Ist doch ungesund, wenn man gar nicht … Ha ha ha!“ Nein danke! Mein Beruf hat mich zum Einsiedler werden lassen. Irgendwann werde ich auch das ablegen. Es braucht nur ein wenig Zeit.

Jetzt kommt das Beste vom Gorilla. Sein Püppchen. Marion, zwanzig Jahre jünger als er und daher altersmäßig nicht mehr in der ersten Liga der potentiellen Geliebten. Aber immer noch blendend aussehend. Sie nenne ich insgeheim meinen Seestern. Seesterne sind unglaublich hübsch, haben aber kein Gehirn. Damit sind Marions Eigenschaften treffend beschrieben. Immerhin ist sie clever genug zu wissen, dass ihre geistigen Fähigkeiten sie nicht durch das Leben bringen werden. So erträgt sie Frank Kasischke. Sie ist halt ein echter Profi und davor habe ich schon immer den größten Respekt gehabt.

Der Gorilla redet in einer Tour. Mit stoischem Gesichtsausdruck verfolge ich seine Ausführungen und er glaubt wahrscheinlich, dass ich ihm zuhöre. Unbemerktes Beobachten liegt mir, ebenfalls meinen Beruf geschuldet. Und so betrachte ich Marion, die ihren perfekten Körper einölt, um ihre Bräune zu vervollkommnen, was mir fast unmöglich erscheint. Wäre sie ein Braten, würde ich sagen: Angerichtet. Wirklich zum Anbeißen. Sie ist nicht so geschickt wie ich, doch auch sie beobachtet mich heimlich. Für ihren Mann reicht ihr Können. Sie ist vorsichtig genug, ihn nicht merken lassen, dass sie den Markt sondiert. Da tut sie gut daran, denn es gibt keinen Ehevertrag. Das weiß ich, weil es Frank lautstark verkündet. Täglich.

„Nicht wahr Püppchen. Du weißt, dass du es gut bei Vaddern hast. Solange wir am gleichen Tisch sitzen. Allein würdest du verhungern. Ha ha ha …“

Marion lächelt dann immer milde und legt ihren Kopf an seinen beharrten Oberarm. In diesen Momenten bewundere ich sie. Auch ihre Gesten passen. Wie gesagt, ein Profi.

Frauen müssen für mich nicht vor Intelligenz strotzen. Ich begehre mit dem Herzen und den Augen. Marion ist liebenswert, nett, nicht intelligent aber clever und sieht fantastisch aus. Wenn es überhaupt etwas gibt, um das ich den Gorilla beneide, dann ist es sein Seesternchen.

Ich bin darauf trainiert, Wesentliches zu erkennen und zu hören und so nehme ich aus der endlosen Tirade meines Gegenübers plötzlich wahr: „Du bist ja ein Gesundheitsapostel. Ich habe da so meine Probleme. Soll mich schonen, sagt mein Arzt. Die Pumpe. Demnächst bekomme ich Stents, oder wie das heißt. Bis dahin muss mein Püppchen die Hauptarbeit leisten, wenn Du verstehst was ich meine. Ha ha ha …“

Beide lächeln wir gequält, ob dieses Scherzes. King Kong fällt das nicht auf. Ich lehne mich zurück und stelle mich schlafend. So geht es nicht weiter. Irgendetwas wird heute Abend in meinem Musterkoffer zu finden sein. Ich werde sehen.

Es gäbe einige Möglichkeiten, so habe ich ein experimentelles Produkt in meiner beruflichen Laufbahn bisher nicht genutzt. Zu einem weil es recht neu ist, aber auch weil Experimente während meiner Tätigkeit nicht in Frage kamen. Da bedurfte es eindeutiger Resultate. Irgendwie fände ich es jetzt passend, einen Versuch zu starten. Ein Mittel basierend auf dem Extrakt der Meeresqualle Irukandji Jellyfish müsste genau das Richtige sein. Es soll erstmals gelungen sein, die Nebenwirkungen der Vergiftung und den erheblichen Schmerz zu unterdrücken. Wenn es schon enden soll, wenigstens einigermaßen angenehm. Das war schon immer mein Motto. Außerdem passt so etwas ans Meer. Hat einen gewissen Stil und das war mir immer wichtig.

Am nächsten Tag ist Kasischke begeistert von mir. Wir reden, ich lache über seine Scherze und am Nachmittag schlägt er mir anerkennend auf die Schulter: „Mensch Werner, Du bist ja gar nicht so eine Spaßbremse. Wird doch noch was, mit guter Strandkorbnachbarschaft.“

„Frank, darauf einen Dujardin. Nein im Ernst. Ich habe da ein leckeres Tröpfchen.“

Frank leckt sich genüsslich die Lippen und hält mir fordernd das leere Glas nochmals hin. Nun, wenn Du unbedingt willst, denke ich mir und schenke nach. Kurz darauf stellt der Gorilla sein schier endloses Geschwafel ein. Stattdessen betrachtet er Marion, legt sich ein Handtuch über den Schoß, grunzt und leckt sich wieder die Lippen. Diesmal will er nichts trinken. Stattdessen greift er Marions Hand, zieht sie hoch und stapft mit ihr so schnell es geht, Richtung Promenade. Nach einer halben Stunde packe ich auch zusammen und nehme aufgrund der inzwischen guten Strandkorbnachbarschaft auch die Sachen mit, die die beiden aufgrund ihres eiligen Aufbruchs haben liegen lassen. Da aus der Wohnung der beiden laute Geräusche erklingen, lege ich die Tasche höflicherweise vor der Tür ab.

Tags darauf bleibt der mir gegenüberstehende Strandkorb leer. Offensicht wirkte das Mittel wie erhofft.

Es ist eine schöne Trauerfeier. Als der Pastor erwähnt, dass dem geschätzten Mitbürger und ehemaligen Bauunternehmer ein kurzer, friedvoller Tod beschieden war, huscht der mittellosen Witwe ein kurzes Lächeln über die Lippen. Zum Glück fällt es nur mir auf. Der Extrakt des Jellfishes verlängert die Erektion eines Mannes erheblich. Das kann von Vorteil sein, muss es aber nicht. Sorgen mache ich mir keine. Die Aufklärungsquote der bekanntgewordenen Morde in Deutschland liegt zwar bei 95,6 Prozent, aber mir war es in meiner Karriere als Auftragsmörder immer wichtig, dass keiner meiner Fälle jemals als solcher erkannt wurde. Ich darf behauten: Das ist mir gelungen. Ich finde es schön, in seinem Rentnerdasein, auf berufliches Können zurückgreifen zu können.

Wir stehen am Grab als sich Marion sich so bei mir einhakt und an mich drückt, dass ich ihre perfekte Brust spüre. Sie legt den Kopf an meine Seite und flüstert für andere unhörbar: „Danke für die Anteilnahme!“ Wie gesagt, ich schätze Profis.

Am nächsten Tag scheint wieder die Sonne. Auch wenn die Wärme mich träge macht, lasse ich es mir nicht nehmen und sage: „Komm mein Seesternchen, das braucht du doch nicht selber machen. Leg dich hin. Ich öle dich ein.“

Was haben Sie da Angerichtet

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