Читать книгу Was haben Sie da Angerichtet - Ulrich Borchers - Страница 8
DER BESTE KAFFEE
ОглавлениеKarsten sitzt zu ersten Mal in diesem neuen, angesagten Café. Rappelvoll. Kein Wunder, denkt er. Er hatte schon so einiges gehört und es ist in seinem Städtchen tatsächlich etwas Besonderes. Mit Glück ergattert er einen Platz, da gerade, als er dort steht, ein größerer Tisch frei wird. Interessiert studiert er die Karte. Wie umfangreich! Meine Güte, denkt er, das sind ja über hundert Variationen.
„Hallo, ist bei Ihnen vielleicht noch ein Plätzchen frei für uns?“ Er schaut auf und sieht in die Gesichter eines Paares, welches für dieses edle Café offensichtlich die Idealbesetzung darstellt.
„Natürlich, gerne. Ich halte nur einen Platz frei für meine Frau“, antwortet er und wendet sich erneut der Karte zu.
Der elegant gekleidete Herr nimmt sogleich das Gespräch mit ihm auf. „Ja, das ist schon mal anderes, als wir es in unserem Kaff gewohnt sind, oder?“
„Allerdings“, gibt er zu. „Die meisten der hier angebotenen Kaffeevariationen sagen mir ehrlicherweise nichts. Wiener Melange. Kenne ich nicht.“
Das Paar lächelt sich milde an. „Das ist eine österreichische Kaffeespezialität.“
Na toll, denkt Karsten. Das hätte ich eventuell auch noch gewusst.
Doch der Herr ist noch nicht fertig: „Sie besteht aus einem Teil Kaffee, zumeist Espresso und einem Teil Milch mit einer Haube aus geschäumter Milch. Erstmals um 1830 in Wien serviert.“
Jetzt wechselt das Lächeln der beiden in eine selbstgefällige Variante.
„Ach“, erwidert Karsten.
„Wenn ich etwas empfehlen darf, der Espresso ist hervorragend. Sehr gutes Mischungsverhältnis, exzellente Bohne, gut gemahlen, hervorragende Maschine.“ Der Herr tätschelt seiner Frau die Hand. „Oder wenn Sie etwas Besonderes bevorzugen, sie führen hier natürlich auch Jamaica Blue Mountain No. 1.“
Karsten hat zufälligerweise gerade diese Sorte im Blick. Zum Glück überschlägt sich seine Stimme nicht als er sagt: „Vierzehn Euro die Tasse? Ist das flüssiges Gold?“
„Na ja, dazu müssen Sie wissen, dass das Anbaugebiet recht klein ist. Der vulkanische Boden auf Jamaika und ideale Temperaturen verhelfen ihm zu einem hervorragenden Reifeprozess. Eine perfekte Ausgewogenheit von leichter Säure, leicht süßem, fruchtig, nussigem Geschmack, sowie einem harmonisch fülligem Charakter. Der Champagner unter den Kaffeesorten.“
Karsten hatte neulich etwas über fermentiertem Kaffee gelesen. Irgendwie so eine seltene Bohne, die für den wahren Gourmet zuerst durch den Verdauungstrakt der sogenannten Schleichkatze gewandert sein muss. Er überlegt, ob er mit diesem Wissen angeben soll, nachher kennt der Herr hierzu noch mehr eklige Details, und zu allem Überfluss gibt es die Sorte hier vielleicht sogar. „Nun, ich bin an sich nicht so anspruchsvoll“, antwortet er daher nur.
Das führt bei der Frau zu einem kaum merklichen Kopfschütteln. Die Wertung seiner Aussage bleibt unausgesprochen, aber hängt dennoch im Raum. Was macht er dann hier, denken die beiden. Kurzes Schweigen. Schließlich fragt der Mann: „Vielleicht mal das Grundsätzliche. Was mögen Sie denn so? Geschmacklich meine ich. Erdig, nussig, aromatisch, fein, blumig, gehaltvoll, ursprünglich?“
Blumig, denkt Karsten, wie schmeckt das denn? „Äh, mild?“
Seine Antwort führt zu einem kaum hörbaren Aufstöhnen. Die Dame öffnet ihre Tasche. Ablenken. Karsten kennt diese Verhaltensweisen an sich nur von Weinproben. Die sind ihm verhasst.
„Also der portugiesische Milchkaffee ist recht mild“, erbarmt sich schließlich der Herr.
Karsten schaut zur Tür und die Sonne geht auf. Sabine betritt das Café. Sie strahlt ihn an und ihm ist, als ob der Raum plötzlich von Licht geflutet wird. Endlich ist sie da. Sie begrüßt den Herrn und die Dame, nimmt Platz, streicht ihm über das Haar und küsst ihn sanft auf die Wange. Sie sind schon ein paar Jahre zusammen und dennoch schlägt sein Herz immer einen Takt schneller, wenn sie ihn so berührt. Jetzt wird es ein angenehmer Nachmittag.
Doch der Herr gibt noch nicht auf: „Welcher Kaffee hat Ihnen denn bisher am besten geschmeckt?“ Karsten hat gerade den portugiesischen Milchkaffee in der Karte entdeckt und schaut bei seiner Antwort gar nicht auf: „Jeder, den ich Gegenwart meiner Frau getrunken habe.“