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Vorwort von Andrej Hunko Bundestagsabgeordneter der Partei Die LINKE

Die Zustimmung zu Krieg wird mit Bildern erkauft. Wenn irgendwo in der Welt ein Militäreinsatz legitimiert werden soll, sind es die allabendlichen Bilder, die in die Wohnzimmer ausgestrahlt werden, die so unerträglich sind, dass der Militäreinsatz zwangsläufig erscheint, um diese Bilder zu beenden. Oder wenigstens massive Sanktionen und Waffenlieferungen.

Der Krieg im Donbass begann im April 2014, nicht im Februar 2022. Als der nicht gewählte und verfassungswidrig an die Macht gekommene ‚Übergangspräsident‘ Oleksandr Turtschynow die ‚Anti-Terror-Operation‘ ausrief, also den Einsatz des ukrainischen Militärs gegen die Aufständischen im Donbass, war ich gerade mit einer Delegation des EU-Ausschusses des Bundestages auf dem Weg von Kiew nach Donezk.

Abseits dieser Delegation besuchte ich das besetzte Verwaltungsgebäude in Donezk, sprach dort mit protestierenden Bergarbeitern. ‚Wegen dem banderistischen Regime in Kiew‘ hörte ich als Antwort auf meine Frage, warum sie dort demonstrieren. Ja, man wolle in der Ukraine bleiben, aber mit föderalem Status, mit Autonomierechten und der Akzeptanz der russischen Sprache. 69% der Bevölkerung im Oblast Donezk hätten diese Auffassung, wie uns der damalige Bürgermeister von Donezk mitteilte.

Ich ging an einem dieser lauen Aprilabende in Donezk spazieren, junge Mütter schoben Kinderwagen durch einen Park. Jemand spielte Saxophon. Ich dachte, hier wird bald der Krieg toben, ein grotesker Kontrast zu dieser Szenerie des Friedens. Und es gibt nichts, was ich tun kann, um diese Entwicklung aufzuhalten, vielleicht ein klein wenig Öffentlichkeit herstellen, sonst nichts.

Aus den Föderalisten wurden schnell Separatisten, katalysiert durch den Kiewer Einsatz der Armee und durch das Massaker in Odessa: Am 2. Mai 2014 wurden dort knapp 50 Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, als sie nach einer Anti-Maidan-Demonstration in ein Gewerkschaftshaus flüchteten. Ich habe den Ort mehrfach besucht und mit den Angehörigen gesprochen: Alle Opfer kamen aus Odessa oder unmittelbarer Umgebung, es waren keine russischen ‚grünen Männchen‘, wie es viele meiner Bundestagkolleg/innen glaubten.

Ein Jahr später war ich erneut in Donezk, am Flughafen. Übriggeblieben war ein apokalyptisches Szenario. Kein Stein war mehr auf dem anderen, Baumstümpfe, die in drei Metern Höhe endeten, ließen erahnen, welche Feuerkraft hier geherrscht haben musste. Diese Bilder, ebenso wie diejenigen aus dem ebenfalls bombardierten Kinderkrankenhaus in Gorlovka, für das ich zusammen mit Wolfgang Gehrcke Medikamente brachte, haben sich bei mir eingeprägt.


Der bei den Kämpfen zerstörte Flughafen von Donezk 2015, Foto: Ulrich Heyden

Diese Bilder waren nicht allabendlich in deutschen Fernsehnachrichten zu sehen.

Die Hilfslieferung für das Krankenhaus und die begleitenden Bilder habe ich teuer erkauft: Ich wurde auf eine schwarze Liste des ukrainischen Geheimdienstes SBU gesetzt, bei Einreise würden mir fünf Jahre Gefängnis drohen. Aus dem Donbass sollte ein schwarzes Loch werden, kein westlicher Journalist oder Politiker sollte sich so ohne weiteres ein Bild des von den Separatisten kontrollierten Teils machen können.

In einer Zeit, in der schon die Erinnerung an die Genese des Konflikts im Donbass und der Ukraine, schon als ‚Relativierung von Putins Krieg‘ gebrandmarkt wird, ist es ein wertvolles Verdienst von Ulrich Heyden mit diesem Buch einen anderen Blickwinkel aus dem Donbass vor allem uns Leser/innen in Deutschland zu liefern.

Es mutet schon sehr befremdlich an, wenn ein Großteil derjenigen, die in Deutschland nach immer neuen Sanktionen, weiteren Waffenlieferungen oder gar einer Flugverbotszone durch die NATO rufen, noch nicht einmal wissen, was im Donbass in den letzten Jahren passiert ist oder was etwa das Minsk-II-Abkommen konkret beinhaltete. Auch wenn ich den jetzigen Krieg für eine Tragödie halte und auch entsprechend verurteile: Die Erinnerung an seine Vorgeschichte, der Blick der anderen Seite der Ukraine ist so unendlich wichtig, wenn wir aus einem dauerhaften Zyklus von Krieg und Konfrontation aussteigen wollen.

Andrej Hunko, März 2022

Andrej Hunko ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2010 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Seit 2015 ist er dort stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken

Der längste Krieg in Europa seit 1945

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