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3 Bei Nestor in Pylos

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Es war schon heller Tag, als die Seefahrer den Strand von Pylos ausmachten. Dort brachte man gerade dem Poseidon heilige Opfer dar. In neun Reihen saßen je fünfhundert Männer, und in jeder Reihe wurden neun Stiere geopfert, deren Lenden dem Gott vorbehalten waren.

Nachdem das Schiff gelandet war, ging Telemach hinter der Gestalt Mentors von Bord.

„Nun mach dich geradewegs zum alten Nestor auf und bitte ihn um Auskunft. Er wird dir sagen, was er weiß“, ermunterte Athene den jungen Mann.

„Aber wie soll ich diesen ehrwürdigen Greis anreden? Soll ich als jüngerer etwa einfach den älteren ansprechen?“

„Vertraue auf dein Gespür und darauf, dass du auch bisher nicht ohne den Schutz der Götter aufgewachsen bist.“

Die Gestalt Mentors schritt nun kräftig aus und Telemach musste ihr ohne eine weiteres Wort hinterhereilen.

Als die Söhne Nestors die Fremden kommen sahen, standen sie auf und gingen ihnen zum Willkommensgruß entgegen. Peisistratos bot den beiden einen Platz in den weichen Schaffellen neben seinem Bruder Thrasymedes und seinem Vater an. Dann legte er ihnen einige Stücke von den Innereien vor und füllte Wein in einen goldenen Becher. Den reichte er zuerst Athene und sprach dazu: „Bete auch du zum Gott der Meere, denn seinetwegen sind wir hier zusammengekommen. Nach deinem Trunk zu Ehren Poseidons reiche den Becher an deinen Gefährten weiter, der wohl in meinem Alter sein dürfte und sicher auch ein Trankopfer darbringen will. Wir alle sind ja dem Willen der Götter ausgesetzt und bedürfen ihrer Unterstützung. Doch dir als dem Älteren gebührt der Vortritt.“

Mit Wohlgefallen hörte Athene die ehrerbietigen Worte des Peisistratos und bat Poseidon dann auch laut um Erfüllung der Bitten aller Pylier, und auch darum, dass sie und Telemach erlangten, worum sie ausgezogen waren. Insgeheim gedachte sie jedoch, dieses Gebet selbst auf den Weg der Erfüllung zu bringen.

Telemach fand ähnliche Worte wie seine göttliche Vorrednerin, und nachdem sich alle an der köstlichen Mahlzeit gesättigt hatten, erkundigte sich Nestor freundlich nach dem Woher und Wohin. Erst jetzt wagte Telemach Nestor zu bitten, ihm ohne Umschweife zu sagen, was er über das Schicksal seines Vaters wisse – und wenn es nur die Kunde von dessen Tod wäre.

Es stellte sich jedoch heraus, dass der altehrwürdige Nestor zwar noch tagelang über die Zeit des trojanischen Krieges und über das Schicksal mancher Helden hätte erzählen können, er aber über den Verbleib des Odysseus genauso wenig wusste, wie Telemach selbst.

Telemach nahm es jedoch ziemlich gelassen hin, erfuhr er nun doch aus erster Hand etwas über die Heimfahrt der anderen Helden. Von vielen lebten ja nur noch die klangvollen Namen: Achilleus und sein weiser Freund Patrokolos waren tot, ebenso der gewaltige Aias, und auch ein Sohn Nestors, der tapfere Antilochos und viele, viele andere waren vor Troja gefallen.

Als nach dem blutigen Sieg endlich die Heimfahrt angetreten werden sollte, hatte Athene aus Rache die beiden Söhne des Atreus, Agamemnon und Menelaos entzweit: Menelaos wollte sofort nach Hause, der Heerführer Agamemnon erst noch die gekränkte Göttin mit einem großen Opfer milde stimmen. Athene aber war zur Versöhnung nicht bereit.

Schließlich hatte sich die eine Hälfte der Flotte eingeschifft, während die andere unter der Führung Agamemnons am Strand zurückgeblieben war.

Nestor hatte sich dem Menelaos zugesellt, und sie durcheilten das Meer unter vollen Segeln. Dann aber brandete ein neuerlicher Streit auf, und auch diese Flotte fiel auseinander: Odysseus hatte mit Kurs auf Troja gewendet, Nestor aber war noch eine Weile mit Menelaos unterwegs, um zuletzt auch ihn aus den Augen zu verlieren.

Menelaos musste eine zeitraubende Irrfahrt überstehen. Aber schließlich gelangte auch er in seine Heimat, wie schon lange vor ihm Philoktetes und Idomeneus, Nestor selbst und Diomedes. Der rechtschaffene Sohn des Achilleus, der gewaltige Kämpfer Neoptolemos war ebenfalls glücklich mit seinen Myrmidonen nach Phtia zurückgekehrt. Ob Telemach schon genaueres von der feigen Ermordung des Agamemnon gehört habe?

„Tja, wären Agamemnon und Menelaos zusammengeblieben, hätte Aighistos keine Chance gehabt.

Das muss man sich mal vorstellen, während wir blutige Kämpfe zu bestehen hatten, saß dieser Aighistos im friedlichen Argos und umschmeichelte Agamemnons Gemahlin, die, im Grunde genommen, kluge und sittsame Klytaimnestra.

Agamemnon hatte ihr einen weisen Sänger zur Seite gestellt, damit er sie während seiner Abwesenheit beschütze. Doch die Schicksalsgöttinnen wollten es anders. Aighistos entführte den Sänger auf eine einsame Insel und ließ ihn dort zum Fraß für die Raubvögel zurück. Danach wusste er geschickt, die allein gelassene Klytaimnestra an sich zu binden. Zum Dank für diese gelungene Schandtat opferte er den Göttern große und kostbare Gaben.

Als nun Agamemnon glücklich zu Hause ankam, ermordete ihn Aighistos mit Hilfe der Klytaimnestra und zwang die Bewohner Mykenes, ihn für sieben Jahre als ihren Herrscher anzuerkennen.

Dann aber kehrte Orestes, der Sohn Agamemnons, aus Athen zurück und rächte den Tod seines Vaters an Aighistos und an seiner Mutter. Und erst als Orestes beim anschließenden Totenmahl den Göttern ein Versöhnungsopfer darbringen wollte, lief Menelaos mit seinen schwer beladenen Schiffen im Hafen ein.“

An dieser Stelle musste das Opfermahl wegen des nahenden Sonnenuntergangs beendet werden.

Nestor riet Telemach nun, was ihm vorher schon der vermeintliche Mentes geraten hatte, nämlich nach Sparta zum König Menelaos zu fahren. Nestor würde ihm für die Landreise seine Söhne zu Begleitern geben und die nötigen Wagen und Pferde zur Verfügung stellen. Und es sei doch wohl selbstverständlich, dass der Sohn des Odysseus nicht auf der harten Ruderbank schlafen würde, wenn er es ihm in seinem Hause doch weitaus bequemer machen könnte.

Da meldete sich die Gestalt Mentors noch einmal kurz zu Wort: „Wir haben deinen Erzählungen mit Freude zugehört, und Telemach tut gut daran, deinem Rate zu folgen. Ich aber werde lieber zum Schiff gehen und auf die Mannschaft Acht geben. Es sind ja noch alles junge Männer und auf den Zuspruch eines erfahrenen Alten angewiesen. Außerdem will ich am Morgen mit dem Schiff zu den Kaukonen fahren, um bei ihnen eine größere Schuld einzutreiben. Wenn du Telemach in dein Haus nehmen und, wie du vorhin gesagt hast, ihm für die Reise zu Menelaos mit guter Begleitung und schnellen Pferden aushelfen willst, kann ich meine Angelegenheiten regeln, ohne mir größere Sorgen um ihn machen zu müssen.“

Anstatt sich aber zum Schiff zu begeben, erhob sich die Gestalt Mentors wie ein Seeadler in die Lüfte und entschwand den Blicken der erstaunten Männer. Nestor nahm Telemach bei der Hand und sagte anerkennend: „Das war niemand anderes als Athene! Sie hatte schon vor Troja deinen Vater mit ihrer Gunst ausgezeichnet, und jetzt wird auch dir so leicht niemand etwas anhaben können, obwohl du noch so jung bist.“

Dann streckte Nestor die Hände gegen den Himmel und betete für sich und die Seinen um ihr Wohlwollen. Er werde auch ein einjähriges Rind opfern und dessen Hörner zuvor vergolden lassen, gelobte er, und Athene erhörte sein Gebet.

Nachdem sich alle in Nestors Palast erfrischt hatten, mischte ihnen der ehrwürdige Alte einen elfjährigen Wein zurecht. Gar mancher Tropfen davon wurde wiederum Pallas Athene gewidmet. Zuletzt bereitete Nestor dem Telemach ein weiches Lager, und sein einziger noch unvermählte Sohn, Peisistratos, bettete sich daneben. Die anderen aber gingen in ihre Häuser, und Nestor begab sich alsbald zu seiner Königin.

Am frühen Morgen war Nestor als Erster wieder auf den Beinen. Er erwartete seine Söhne vor dem Eingangstor des Palastes. Als sie ihn aufsuchten, saß er auf einem der geglätteten, weißen Steine, wie schon früher sein längst verstorbener Vater Neleus.

Nestor bat seine Söhne um Hilfe bei der Erfüllung des Gelübdes. Da war keiner, der ihm die Bitte ausgeschlagen hätte. Auch die Gefährten Telemachs eilten vom Schiff herbei, um bei diesem Opfer mit Hand anzulegen.

Eine gut gewachsene Kuh wurde von der Weide geholt, und Laerkes, der Goldschmied, vergoldete ihre Hörner so kunstvoll, dass Athene ihre helle Freude daran hatte.

Als die Kuh schließlich den Streich mit der Axt erhielt und das Blut in der Opferschale aufgefangen war, wurde ein regelrechtes Festmahl ausgerichtet. Die besten Stücke waren feierlich für die Göttin verbrannt und mit dunklem Wein übergossen worden, während das Übrige an Spieße gesteckt und zum eigenen Verzehr gebraten wurde.

Telemach durfte sich währenddessen von der Schiffsreise erholen und wurde von Polykaste, der jüngsten Tochter Nestors, gepflegt. Diese badete ihn und rieb ihn danach mit wohlriechendem Öl ein. In frische Gewändern gehüllt, fühlte er sich wie neugeboren, als er zu der Festgesellschaft stieß. Die hatte nur noch auf ihn gewartet, um endlich mit dem Essen beginnen zu können.

Schließlich ließ Nestor vor einen prächtigen Wagen zwei schnelle Pferde anspannen und ihn mit reichlich Proviant bepacken. Bald hatten Telemach und Peisistratos Pylos weit hinter sich gelassen, und sie erreichten am Abend die gastfreundliche Burg des Diokles zu Pherai. Schon bei der ersten Morgenröte machten sich die beiden von dort wieder auf und trieben die Pferde zwischen den Weizenfeldern des flachen Landes zu großer Eile an.

Noch vor dem nächsten Sonnenuntergang erreichten sie Sparta.

Homer: Die Odyssee

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