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Ein Schrei! Ein unglaublich schriller Schrei. Draußen, direkt vor meiner Tür. Eine Frau, die ihrem Schlächter begegnet ist. Mindestens. Was weiß ich, was sich da draußen im Gang für ein Gesindel rumtreibt. Wieso eigentlich Frau? Hab‘ ich nicht grade noch von den dreiundzwanzig Kutterfrauenzimmern gesprochen? Also wenn‘s eine Frau war, dann war der Schlächter eine Maus.

Klatsch, die Tür geht auf, schlägt gegen die Holzvertäfelung, fliegt federnd ein Stück zurück, aber da hat die Nurse schon ihren Fuß in der Tür. Beziehungsweise ihren nun wahrlich hübsch anzusehenden Leib. Steht mit schreckverzerrtem Gesicht auf der Schwelle, reißt die Augen auf und ringt um Luft. Ein traumatischer Schock eingraviert auf dieser süßen weichen Stirn. Es kann nur eine Maus gewesen sein.

»Sie, Sie ...«, stammelt sie.

»Sie dürfen überhaupt nicht hier reinkommen«, gebe ich barsch zurück, »und mit mir sprechen schon gar nicht.«

»Könnten Sie mal nachsehn, da … da war eine ...!«

»Eine Maus?«

Ihr »Fürwahr« fällt dann schon wieder als Schrei aus. »Ein Riesenbiest«, kreischt sie, »aber … aber woher wissen Sie?«

»Und was soll ich da jetzt gegen unternehmen?«

»Wegmachen, töten, vernichten – ich weiß es nicht.«

»Das ist doch die gute Seele hier auf dem Gang.«

»Was, wie, Sie kennen die?«

Bevor es noch absurder wird, nehme ich ihre Hand, ziehe sie in meine Kabine und lege die Tür ins Schloss. Ich meine, wann hat man als Strafgefangener unter der Obhut des Gott- und Majestätsvertreters zur See schon mal Gelegenheit, eine weibliche Schönheit in seiner Haftkabine verschüchtert von einem Bein aufs andre treten zu sehen! Und das bei derart schlanken Fesseln, traumhaft zart geschwungenen Fußknöcheln. Ich weiß auch nicht wieso, aber ist nun mal meine Obsession: der Blick auf die, sagen wir: Fußtaille. Es gibt nichts Eleganteres als gertenschlanke Untergestelle. Und andersrum: Fällt der Anfang der Beine am Boden schon plump aus, dann kann man getrost davon ausgehen, dass der Rest als Stempel durchgeht. Diese Exemplare hier jedenfalls sind edel!

»Ich darf doch gar nicht«, immerhin bekommt sie wieder Luft, »darf doch gar nicht hier reinkommen.«

»Wo ist denn das arme Wesen?«, komme ich zurück auf des Übels Grund.

»Armes Wesen, armes Wesen!! Was weiß ich. Bin ich die Hüterin der Fauna hier an Bord?! Der ungebetenen Gäste, blinden Passagiere, sämtlichen hergelaufenen Kroppzeugs?!«

»Wenn Sie mich so direkt fragen: Ich nehme mal an, dass nein.«

»Ja, machen Sie sich bloß lustig!«

»Nie! Das würde ich in so einem ernsten Fall nie tun. Aber eines ist man sicher: Commodore Smith würde das unerlaubte Erscheinen einer Maus im Gang vor meiner Haftkabine vermutlich eher nicht als Grund dafür akzeptieren, dass jemand – sei‘s Männlein oder Weiblein – das strenge Verbot, meine Kabine zu betreten, im wahrsten Sinne des Wortes: umgeht! Ich bin bekanntlich mindestens eine Persona non grata, wenn nicht ein längst überfälliger Knastbruder, und meine Zelle ist verbotenes Terrain, solange nicht der Schuss der Schüsse gefallen ist. Wenn ich Sie daran erinnern darf.«

»Was für ein Schuss?«, die Nurse reißt die Augen auf. »Von einem Schuss weiß ich nichts, ich weiß nur, dass ich hier nicht ...«

Sie verstummt mitten im Wort. Ihr Blick ist hängen geblieben am immer noch aufreizend auf dem Regal neben meinem Bett liegenden Revolver. Und man kann zusehn, wie sich ihr schönes Köpfchen seinen Reim macht auf die danebenliegende Patrone. Sie weicht zurück, zieht, während ihre Blicke zwischen der Pistole und mir hin- und hergeistern, ganz leise ganz langsam ihre Sohlen über den Boden, als wolle sie ihre Rückschritte auf keinen Fall erkennen lassen. Keine Bewegung, fast keine. Als würde sie ohne ihr Zutun von unsichtbarer Hand allmählich aus der Gefahrenzone gezogen. Nach hinten weg. Erst, als sie sich auf der Schwelle weiß, wendet sie den Blick ab, dreht eine halbe Pirouette, so schnell, dass ihr braunes Haar wie eine Wolke dunkler Lichtlocken durch die Luft wirbelt. Sie will gerade raus in den Flur trippeln, raus aus der Hölle des Löwen in die Höhle voller wimmelnder Plagegeister, voller piepsender Wollknäule mit großen Ohren, Knopfaugen und frisch gespitztem, durch die Luft kreisendem Dreizack, als mich, ja, als mich ein Dämon der übelsten Sorte reitet.

Ich kann nicht anders, ich muss, ich krieg meine Fußspitze einfach nicht mehr rechtzeitig zurückgezogen, bevor sie der schönen, der bildschönen Nurse in die Fluchtschritte fährt. Ihren wohlgeformten linken Knöchel trifft, gerade eben, der Hauch einer Berührung. Aber Hauch genug, um das linke dem rechten Bein in die Quere kommen und die Schöne der Länge nach hinschlagen zu lassen. Ich spüre, wie mir ein Grinsen durchs Gesicht huscht, gezeichnet von der puren, der reinen Lust am Schabernack. Ich weiß auch nicht, vielleicht war‘s dieser lächerliche Anlass, der die Madame zu mir hereingeweht hatte und dem ich jetzt bei ihrem Rückzug die Krone aufsetzen wollte. Aber verstehn, eigentlich verstehn tu ich‘s nicht.

Sie scheint es nicht mal gemerkt zu haben. In ihrer Panik, entweder auf Captain Smith oder auf die Maus zu treffen – wobei noch nicht ausgemacht ist, welche Begegnung die schlimmere sein würde. Die Attacke meiner Fußspitze jedenfalls hat sie augenscheinlich nicht registriert, bedenkt mich keines wütenden Worts, keines stechenden Blicks, rappelt sich stumm auf und zieht meine Tür hinter sich zu. Ich höre ihre Schritte auf dem Gang. Nach hinten weg. Weg.

Ich könnte mich ohrfeigen.

Stattdessen verbanne ich den Revolver einstweilen in die noch intakte Konsolenschublade.

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Und die Titanic fährt doch

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