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Nein, natürlich hab ich von den Geschehnissen in Kaiser Wilhelms Audienzsaal zu dem Zeitpunkt damals nichts gewusst. Sind mir erst reichlich zwei Monate später zugetragen worden durch das besagte Loch im Zaun des kaiserlichen Palais, das genauer zu beschreiben der Vertrauensschutz meiner Informanten verbietet.

Ich lief um jene Zeit, ahnungslos wie ich war, bei der Villa Hügel auf, nahm die zwei Stufen zum Eingangsportal in einem Satz und knöchelklöpfelte gegen die schwere Tür. Es dauerte eine Ewigkeit, dann räusperte sich das Schloss und die Tür ging einen Spalt auf. Ich drückte den Rücken durch und bedeutete dem noch finstrer als sonst dreinblickenden Diener, er möge mich der Frau des Hauses melden.

»Tut mir leid. Frau Krupp sind verreist«, knurrte der Diener unwillig, und als wenn er bemerkt hätte, dass er mit seiner abweisenden Haltung vielleicht doch ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen war, schob er schnell noch nach: »Zur Kur nach Jena.«

Ich war platt. Derart platt, dass ich jede Contenance fahren ließ und entgeistert mehr krähte als fragte: »Wie, was heißt hier ›Kur‹? Davon hätte sie mich doch unterrichtet. Noch mal: Es ist dringend! Melden Sie mich sofo...!«

Krawumm – da war die Tür ins Schloss gefallen. Unglaublich! Schlug dieser räudige Lakai mir, Fahrenhorst, Privatdetektiv im Auftrag seiner Herrin selbst, die Tür vor der Nase zu! Nicht zu fassen. Wenn das Portemonnaie ganz aus dem Häuschen ist, tanzen die Münzen auf dem Tisch. Wie’s aussah, war gnä’ Frau allerdings tatsächlich aushäusig, sonst hätte sich kein noch so kammgeschwellter Kammerdiener wie ein dermaßen unwirscher Gimpel betragen, nicht mal so einem zugegeben kleinen Licht wie mir gegenüber. Immerhin musste ihm wohlbekannt sein, dass Margarethe Krupp einen zumindest sporadischen Kontakt zu mir unterhielt.

Und Frau Krupp also sollte’s beliebt haben, tatsächlich zur Kur zu fahren, während die Luft brannte!? Glaubt ja keiner. Gut gut, kannst recht haben, nicht auszuschließen, dass sie von der ersten Reaktion ihres feinen Herrn Gemahl tatsächlich nichts mitbekommen hat. Wie der sich mit Schreiben vom 27. Oktober bei von Richthofen, dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, ausheult und ihn um »Beistand in einer persönlichen Angelegenheit« angeht, weil ihm von einem »Socialisten-Blatt« unsägliche Schmach angetan worden sei, indem man unter der Schlagzeile »Capri-Sodoma« höchst blamable Anwürfe platziert, ihm die »gemeinsten und infamsten Laster« angedichtet habe. Und auch von der zwei Wochen später eingehenden Antwort aus Berlin, dass man ihm zu beharrlichem Schweigen rate, um nicht mit Kanonen nach Spatzen zu schießen und noch mehr Staub aufzuwirbeln. Mag sein, dass Margarethe auch davon nichts erfahren hat. Andererseits war sie ja aber durch mich und vorher schon durch die anonymen Briefe von der Sache selbst in Kenntnis gesetzt worden, und dass ihr Göttergatte urplötzlich den Firmenjustitiar mit der Wahrnehmung seiner Interessen betraut und sich verzieht, irgendeine Geschäftsreise vorgaukelt, keiner weiß wohin, keiner weiß wieso, das muss sie mitgekriegt haben! In so einer Situation also, da sollte sie freiwillig – mir nichts, dir nichts – die Fabrik, die Villa, die Töchter sich selbst überlassen? Und das, wo doch zu allem Überfluss das Ganze jetzt dick und fett im Berliner »Vorwärts« stand. Die Sozis hatten sich, wie gesagt, der Sache angenommen, mit sichtlichem Vergnügen. Und erzähl mir keiner, die gewiefte Margarethe hätte davon nicht Wind bekommen!

»... der Geheime Kommerzienrat Krupp, Mitglied des preußischen Herrenhauses und kapitalistisches Kulturbild krassester Färbung, der reichste Mann Deutschlands hatte sich Capri gewählt, weil das italienische Strafgesetzbuch keinen besonderen § 175 kennt. In seiner verschwenderisch ausgestatteten Villa ...«

Falsch. Blödsinn. Das weiß ich nun wirklich besser. Nicht: Villa. In der Grotte, da ist die Chose gestiegen!

»... In seiner verschwenderisch ausgestatteten Villa huldigte er mit den jungen Männern der Insel dem homosexuellen Verkehr. Das Mitleid aber, das das Opfer eines verhängnisvollen Naturirrtums verdient, muß versagen, wenn die Krankheit zu ihrer Befriedigung Millionensummen in den Dienst stellt. Nachdem die Perversität zu einem öffentlichen Skandal geführt hat, erwägt man vielleicht jetzt die Beseitigung des § 175, der das Laster nicht ausrottet, aber das Unglück zur furchtbaren Qual verschärft.«

Besagter § 175 war dreißig Jahre zuvor ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden und legte fest, dass »Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechts« mit Gefängnisstrafen geahndet wurde. In ihrer ablehnenden Haltung zu diesem Paragraphen jedoch waren die Sozialdemokraten keineswegs widerspruchsfrei, bezeichneten sie Homosexualität doch als »widernatürliches Laster«, das typischerweise in den verzärtelten gehobenen Kreisen gepflegt werde. Wofür ihnen der Krupp-Skandal offenbar ein willkommener Beleg war.

Und nach diesem »Vorwärts«-Artikel, während die Wogen meterhoch schlagen und längst über sämtliche Werksmauern schwappen, da soll eine Frau vom Schlag einer Margarethe Krupp in Kur gefahren sein?! Noch dazu nach Jena. Was denn bitte sehr wäre in Jena zu kuren?

Noch am Tag ihres Erscheinens, am 15. November 1902, wurde die entsprechende »Vorwärts«-Ausgabe beschlagnahmt, und am Nachmittag des gleichen Tages stimmte der Reichskanzler persönlich einer Verleumdungsklage gegen Redaktion und Verlag zu. Was selbstredend keine großartige Wirkung mehr zeitigte; die Lawine war nicht mehr aufzuhalten.

Krupps Katastrophe

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