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Vorwort

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Vor vielen Jahren gab es in zahnärztlichen Kreisen eine Sorge: Karies als Krankheit könnte bald aussterben und es würde deshalb ein spürbarer Geschäftsrückgang zu verzeichnen sein. Grund für diese Überlegungen war ein (eigentlich erfreulicher) nachgewiesener jährlich zunehmender Rückgang von Karies.

Davon abgesehen, dass den Kolleginnen und Kollegen, die solche Ängste haben, die Weitsicht fehlt und dass Zahnärztinnen und Zahnärzte auch ohne die Krankheit Karies genug bedeutsame (und auch lukrative) Aufgaben haben, frage ich mich bei meinen täglichen Kontrollen, warum Karies wieder so allgegenwärtig ist.

Wenn ich mir meine Generation, also die um 1990 Geborenen, vor Augen führe, dann haben die meisten einen akzeptablen bis guten Zahnstatus. Viele von ihnen haben noch nie ein »Loch« gehabt.

Auch die Jugendlichen in Deutschland oder Österreich haben zwar einen durchwegs guten Zahnstatus, in letzter Zeit bemerken wir hierzulande jedoch wieder einen deutlichen Anstieg von Karies, vor allem bei den Milchzähnen.

Bei den unter Dreijährigen ist laut neuesten Untersuchungen der Anstieg am größten. Dies war einer der Hauptbeweggründe, um dieses Buch zu schreiben. In meinen Augen ist dies nämlich ein absolut vermeidbarer Trend. Wir haben heutzutage das Wissen und die Mittel, um die Krankheit Karies weitgehend in den Griff zu bekommen und sukzessive auszurotten.

Ein weiterer Beweggrund für dieses Buch: Zusätzlich zu der Tätigkeit in meiner Praxis bin ich einmal pro Woche an der Grazer Klinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit als Lehrbeauftragter tätig und ein- bis zweimal im Monat übernehme ich dort einen Dienst auf der Kinderklinik für die Sanierung in Narkose.

Was wird im Rahmen einer solchen Sanierung gemacht? Kinder werden in Vollnarkose behandelt. Sie bekommen Füllungen und gegebenenfalls werden auch Zähne gezogen. Das muss geschehen, wenn Kinder nicht herkömmlich in der Zahnarztpraxis zu behandeln sind, entweder aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie zu viel Angst haben.

Die Termine für diese Sanierungen sind mittlerweile an unserer Klinik fast ein Jahr ausgebucht. (Wenn es sich um eine Notsituation handelt, wie zum Beispiel eine gefährliche Schwellung, wird natürlich ein Termin eingeschoben.) Pro Kind sind zwischen fünf und sechs Personen beschäftigt, die Kosten für so einen Eingriff sind immens.

Mich erschreckt einerseits die immer weiter steigende Anzahl an sanierungsbedürftigen Kinderzähnen, andererseits die Tatsache, dass viele Kinder sich vor lauter Angst bei der Voruntersuchung oftmals nicht einmal in den Mund schauen lassen.

Wenn ich mit den Eltern spreche, stoße ich immer wieder auf Schuldabweisung und Nichtwissen. Sie unterschätzen die Bedeutung von Milchzähnen und die Gefahr von Karies ebenso wie das Risiko des Eingriffs. Mich überrascht immer wieder, wie leichtfertig die Eltern die Narkoseeinwilligung unterschreiben, ist doch ganz groß als Komplikation »möglicher Todesfall« angegeben. Wie kann man es nur so weit kommen lassen?

Und das Ganze wäre so leicht zu vermeiden! Ein Kind ohne Karies freut sich über einen Besuch bei seiner Zahnärztin/seinem Zahnarzt, wo es natürlich viel Lob für die schönen Zähne gibt, und manchmal springt sogar eine Belohnung heraus. Das Kind assoziiert dann etwas Positives mit dem Besuch, vor dem so viele Menschen Angst haben, und die jährlichen Kontrollen und Mundhygienetermine werden problemlos eingehalten. Somit steht einem lebenslangen gesunden Gebiss nichts mehr im Weg.

Aber wie bereits erwähnt, ist in den meisten Fällen leider genau das Gegenteil zu beobachten. Schon fast vergessene Probleme wie Zuckerteekaries (oder Nuckelflaschenkaries, auch bekannt als nursing bottle syndrome) tauchen vermehrt auf.

Wenn ich die Eltern über das Ess- und Trinkverhalten ausfrage, erzählen sie mir immer wieder von dem Apfelsaft, der Milch und dem gesüßten Tee aus der Flasche. Auf meinen Einwand, dass nur Wasser als tägliche Begleitung in Frage kommt, höre ich Aussagen wie »Er/ Sie trinkt aber kein Wasser« oder »Das wusste ich ja gar nicht«.

Auch neuartige Krankheiten, wie zum Beispiel die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (kurz: MIH), im Volksmund auch »Kreidezähne« genannt, bei der eine veränderte Zusammensetzung des Zahnschmelzes zu beobachten ist, vermehren sich zunehmend. Die Ursache der MIH ist bis heute ungeklärt, aber manche sprechen schon von einer neuen Volkskrankheit. Die Prävalenz liegt diffus zwischen 0,5 und 40%.

Weiters sind nicht nur offensichtliche Erkrankungen der Zähne, sondern auch Zahnfehlstellungen wieder im Ansteigen. Noch nie wurden so viele Zahnspangen verschrieben wie heutzutage. Und auch wenn eine Zahnspange als »normal« gilt, muss man Zahnfehlstellungen zu jenen Erkrankungen des Kausystems dazuzählen, bei denen eine Therapie benötigt wird.

Aber woran liegt der Anstieg von Karies, Schmelzstörungen und Zahnfehlstellungen?

Hinsichtlich Karies ist der Schuldige schnell gefunden: Zucker. Aber liegt es allein am steigenden Zuckerkonsum? Laut einer Statistik aus dem Jahr 2017/18 konsumierten die Österreicher pro Kopf durchschnittlich 33,3 Kilogramm Zucker im Jahr. Dies ist zwar deutlich mehr als vor 100 Jahren, aber seit ungefähr 10 Jahren ist wieder ein leichter Rückgang zu beobachten. Also würde ich hier nicht den alleinigen Grund der zunehmenden Zahnerkrankungen vermuten.

Meiner Erfahrung nach findet sich die Ursache in der Aufklärung und in der Erziehung. Unsere Generation hat aufgrund der zurückgehenden Karies verlernt, auf diese Krankheit zu achten. Hinzu kommen Unwissen oder Ignoranz der mundgerechten Ernährung und eine Überdosis an kieferfeindlichen Schnullern oder Fläschchen.

Denn wenn Kinder schreien, gibt es die Nuckelflasche, um sie zu beruhigen. Am besten noch mit Saft oder Milch. Das sorgt dann für Zuckerattacken bei jedem einzelnen Schluck.

Insgesamt schlucken wir ungefähr 600 bis 2000 Mal täglich. Da braucht sich keiner mehr wundern, warum sich Karies bildet, wenn bei jedem Schluck Zucker auf die Zähne gelangt. Zusätzlich entsteht eine starke Sogwirkung auf Zähne und Kiefer, die gerade dabei sind, sich zu entwickeln. Das fördert Zahn- und Kieferfehlstellungen.

Des Weiteren sind Milchzähne deutlich anfälliger für Karies als bleibende Zähne, und: Wenn Karies erst einmal entstanden ist, schreitet sie immer schneller fort. Das führt zu frühzeitigem Zahnverlust, der wiederum Fehlstellungen begünstigt. Ein fataler Kreislauf, der zur Schädigung des Kindergebisses führt.

Bei Zucker alleine die Schuld zu suchen, ist in meinen Augen jedoch der falsche Weg. Damit würden wir es uns zu einfach machen. Denn, wie wir später noch erfahren werden, die Entstehung von Karies ist von vielen Faktoren abhängig, nicht nur vom Zuckerkonsum.

Fakt ist jedoch, dass seit dem Auftauchen der industriellen Nahrung die Häufigkeit von Zahnfehlstellungen und Karies rapide zugenommen hat. Wir essen einfach zu weich, zu oft und zu nährstoffarm. (Corruccini, 1990)

In diesem Buch werden wir die unterschiedlichen Gründe der Entstehung von Karies und Zahnfehlstellungen genau beleuchten und die Faktoren, welche wir beeinflussen können, erörtern. Genau bei diesen Hebeln können wir dann ansetzen und die Grundlage für ein gesundes Gebiss schaffen. Jedes weitere Kind ohne Karies bringt uns einen Schritt näher an ein absolut realistisches Ziel der Weltgesundheitsorganisation: 80% der sechsjährigen Kinder in Österreich sollen kariesfrei sein.

Das war das Ziel für 2020. Auch wenn wir es leider verfehlt haben, glaube ich an die Chance, dieses Ziel in naher Zukunft zu erreichen. Deutschland hat es bereits vorgemacht: In der Gruppe der Zwölfjährigen kann das Land bereits solche Zahlen vorweisen.

Dieses Buch soll Ihr Interesse an der Mundgesundheit wecken, eine Anleitung zur bestmöglichen Vermeidung von Karies darstellen und als ein Nachschlagewerk für den täglichen Gebrauch dienen.

Des Weiteren finden sich Empfehlungen, Tipps und Tricks für jede Altersgruppe, um Kariesbildung zu verhindern. Auch weitere wichtige Punkte, wie zum Beispiel die Ernährung, die uns hilft, die Zähne von innen zu stärken, möchte ich kurz anschneiden.

Gesunde Zähne sind möglich. Jedoch liegt dies in den ersten Jahren vor allem in den Händen der Eltern.

Interessierte, die meine Quellen nachlesen wollen, finden das Quellenzitat immer direkt in Klammer gesetzt nach den zitierten Beiträgen, mit Namen natürlich. Ein ausführliches Quellenverzeichnis befindet sich am Ende des Buches. Ich finde, große Namen gehören möglichst oft erwähnt.

Viel Spaß beim Lesen.

Ulrich Remschmidt

Kinder ohne Karies

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