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Die Bedeutung der Milchzähne, oder: Wie alles begann …

Die Aussage eines Vaters, welcher mit seinem Sohn in meine Praxis kam, beschäftigt mich bis zum heutigen Tag. Der Grund für seinen Besuch war eine erste Zahnkontrolle bei seinem dreijährigen Sohn. Als ich die Mundhöhle des Kindes inspizierte, fielen mir sofort einige Löcher auf. Einige seiner Milchzähne waren nur noch Wurzelreste.

Ich wandte mich mit ernster Miene an den Vater und klärte ihn darüber auf, wie wichtig das Nachputzen ist und dass eine Erstvorstellung in der Zahnarztpraxis eigentlich ab dem ersten Zahn notwendig sei. Er schaute mich jedoch nur fragend an und sagte: »Das sind doch nur Milchzähne, oder?«

Natürlich weiß ich, dass diese Haltung nicht auf alle Eltern übertragbar ist, aber dennoch merke ich häufig, dass heutzutage einem Großteil der Bevölkerung die Wichtigkeit des Milchgebisses nicht bewusst ist. Dies wurde auch bereits durch diverse Umfragen belegt.

Eine Studie aus Indien zum Beispiel zeigte: Nur 39% der Eltern sind sich der Wichtigkeit von frühzeitigen Kontrollen und der Gefahr von Milchzahnkaries überhaupt bewusst. Wenn es die Eltern nicht wissen, wie sollen es dann die Kinder wissen? Auch andere Länder, wie zum Beispiel Saudi-Arabien, schnitten in solchen Umfragen sehr schlecht ab und zeigten deutliche Wissenslücken. (Kamil et al., 2015; Setty, & Srinivasan, 2016)

Nun könnten Sie selbstverständlich das Argument einbringen, dass die Bevölkerung in Europa besser aufgeklärt ist. Das mag bedingt zutreffen, aber auch deutsche Kollegen berichten von unzureichendem Wissen bei Eltern. (Stumpf, 2012)

Bei diesen Umfragen ging es übrigens gar nicht um wissenschaftlich komplexe Themen. Es wurden Fragen zu Lage, Anzahl und Funktion der Milchzähne sowie deren Auswirkung auf die bleibenden Zähne gestellt.

Fakt ist: Ein entzündungsfreies Milchzahngebiss ist eine der wichtigsten Grundlagen für ein gesundes Leben. Die ersten sechs Jahre eines Kindes sind sehr bedeutsam für die weitere Entwicklung, und gerade sie unterliegen einem starken Einfluss durch die Außenwelt. Schäden in dieser Zeit können langfristige Folgen haben.

Mittlerweile wissen wir dank neuester Erkenntnisse der Wissenschaft, dass die Grundlage für ein gesundes Leben sogar noch viel früher geschaffen wird, nämlich bereits im Mutterleib.

In der Frühphase unserer Entwicklung sind wir vulnerabel und ein Mangel an Nährstoffen, ein gesundheitsschädigendes Verhaltensmuster oder vermeintliche Kleinigkeiten, wie zum Beispiel ein entzündeter Zahn, können lebenslange Konsequenzen haben.

Auch wenn manche Eltern der Meinung sind, dass Milchzähne wenig Relevanz haben und nur die »Erwachsenen-Zähne« eine Wertschätzung verdienen – dies ist ein falscher Zugang und Denkansatz, denn die Funktionen von Milchzähnen sind vielseitig und bedeutsam.

Die Funktionen der Milchzähne

Wir brauchen Milchzähne unter anderem als Platzhalter für die nachkommenden Zähne. Bei frühzeitigem Verlust der Milchzähne kann es zu einem nachgewiesenen Verlust dieses wertvollen Platzes kommen, welchen die nachfolgenden Zähne eigentlich brauchen. (Heilmann, Sheiham, Watt, & Jordan, 2016)

Wird ein Milchzahn also durch Karies zerstört und muss entfernt werden, können die weiter hinten stehenden Zähne nach vorne kippen oder wandern. Der bleibende Zahn, welcher noch im Knochen liegt, hat dann leider keinen Platz mehr zum Durchbrechen und bleibt regelrecht im Kiefer stecken.

Wird der Platzverlust nicht durch einen sogenannten »Platzhalter« verhindert, kann es im weiteren Verlauf zur Notwendigkeit einer sowohl finanziell als auch zeitlich aufwendigen Zahnspange kommen. Und nicht nur Zeit und Geld sind ein Thema. Jeder, der eine Zahnspange hatte, weiß, wie schmerzhaft sie hin und wieder (gerade in den ersten Tagen nach dem Nachstellen) sein kann.


Foto 1: Ein »Platzhalter«

Falls der Schaden nicht rechtzeitig behoben wird, kann er sich sogar auf die Entwicklung unseres Gesichts auswirken. Wir brauchen unsere ersten Zähne, um die Kieferbögen richtig auszuformen. Die Zähne und der Zahnkontakt geben dem Körper und den Knochen Reize für das richtige Wachstum.

Ein früher Verlust kann eine Reihe von sowohl ästhetischen als auch funktionellen Problemen nach sich ziehen. Diese sind dann im höheren Alter oft nur noch mittels einer Operation zu lösen. Natürlich wird keiner den Eltern die Schuld geben, wenn eine aufwendige Kieferoperation ansteht, jedoch wäre sie eventuell vermeidbar gewesen.

Unterschätzen Sie nicht die umfassenden Folgen früher Zahnfehlstellungen! Ein optimaler Mundschluss ist äußerst wichtig, ansonsten kommt es zur Austrocknung der Mundhöhle und verminderter Speichelbildung. Das wiederum begünstigt Karies, und die Kinder sind anfälliger für alle möglichen Infektionserkrankungen.

Selbstverständlich brauchen wir unsere Milchzähne auch für die Nahrungszerkleinerung. Essen ohne Zähne macht wenig Spaß und ohne sie kann es zu einem gestörten Essverhalten kommen. Denn ein schmerzender, durch Karies zerstörter Zahn kann beim Essen wehtun. Dies führt wiederum zu einem Schmerz-Vermeidungs-Verhaltensmuster. (Frenzel, & others, 1933)

Damit wird eine Spirale ausgelöst, die in diesem Stadium der Entwicklung enorme Schäden, wie zum Beispiel Mangelerscheinungen, anrichten kann. Zusätzlich steigt durch frühkindliche Karies auch das Risiko für Karies im bleibenden Gebiss. (Colak, Dülgergil, & Dalli, 2011; P E Petersen, & Kwan, 2009)

Ebenso spielen die Zähne eine wichtige Rolle bei der Lautbildung, also beim Erlernen der Sprache. Gehen die vorderen Zähne verloren, kann die Zunge nicht in ihrer natürlichen Position verweilen. Dies resultiert dann in einer Missbildung der S-Laute, auch bekannt als Lispeln. (Fymbo, 1936; Koroluk, & Riekman, 1991)

Doch auch erziehungstechnisch spielen unsere ersten Zähne eine wesentliche Rolle, denn dadurch bekommen unsere Kinder einen Erstkontakt mit der oralen Hygiene. Durch konsequente Pflege der Zähne lernt ein Kind, langsam Verantwortung für den eigenen Körper zu übernehmen.

Sie sehen, die Bedeutung der Milchzähne ist vielseitig. Deswegen ist es unsere oberste Pflicht, diese zu erhalten. Die tägliche Mundhygiene an die Kinder zu delegieren und sie damit alleine zu lassen, ist definitiv der falsche Zugang. Ja, natürlich gibt es Kinder, die sich mit der Mundhygiene leichter tun, aber im Allgemeinen gilt:

Bevor ein Kind nicht schreiben kann, kann es auch nicht Zähne putzen. Meiner Meinung nach sollte ein Kind mindestens 8 Jahre alt sein, ehe man es sukzessive alleine putzen lässt, davor ist ein selbstständiges Putzen nicht zu erwarten. Deswegen helfen Sie Ihren Kindern beim Putzen und erklären Sie ihnen genau, wie wichtig Zähne sind.

Wenn Sie die Bedeutung der Milchzähne erkennen und dieses Bewusstsein Ihren Kindern weitergeben, haben Sie schon einen wichtigen Grundstein für ein kariesfreies und zahngesundes Leben gelegt.

Und ich weiß genau, dass das nicht immer leicht ist, aber Ihr Kind wird es Ihnen im Nachhinein danken. Mein Vater erzählt heute noch davon, wie er mich mit der Zahnbürste durch das Haus gejagt hat. Dennoch bin ich ihm rückblickend sehr dankbar dafür. Ich selbst habe noch nie ein »Loch« gehabt und ich bin damit der Erste in unserem Familienstammbaum, seit sehr langer Zeit. Es ist besser, die Zahnhygiene mit Nachdruck konsequent einzufordern, als sich später mit den Folgen von unzureichender Mundhygiene – z. B. Karies – herumzuschlagen.

Foto 2: Zähneputzen Klein-Ulrich

Das Bild links aus meiner Kindheit zeigt, dass auch ich als Kind das Nachputzen nicht gerade jubelnd über mich ergehen ließ, aber dank der Fürsorge meines Vaters habe ich noch nie einen Bohrer zu spüren bekommen.

Zusammenfassung der Milchzahnaufgaben

Platzhalter für die bleibenden Zähne

Gesichtsentwicklung

Optimaler Mundschluss

Nahrungszerkleinerung

Lautbildung

Erstkontakt mit der Körperhygiene

Kinder ohne Karies

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