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1. Der modifiziert zweistufige Überschuldungsbegriff nach altem Recht

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Vor Inkrafttreten der InsO musste nach h.M. in Schrifttum und Rechtsprechung der Geschäftsleiter bei einer bloßen handelsbilanziellen Überschuldung keineswegs unbedingt Insolvenzantrag stellen. Nach dem sog. modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff bestand die Überschuldungsprüfung vielmehr aus zwei Teilen.

Zum einen war die Aufstellung eines Überschuldungsstatus erforderlich, mit der die sog. rechnerische Überschuldung der Gesellschaft festgestellt wurde. Im Rahmen einer solchen Überschuldungsbilanz waren, soweit bestand weitgehend Einigkeit, die tatsächlichen Zeitwerte zu ermitteln, die handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften spielten keine Rolle mehr. Die Aktiva waren nach ihren „wahren“, d.h. realisierbaren Verkehrswerten unter Auflösung der stillen Reserven anzusetzen und bei den Passiva waren sämtliche echte Verbindlichkeiten einzusetzen. Unbewegliches Vermögen war mit dem Verkehrswert zu berücksichtigen. Im Umlaufvermögen mussten die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie die Halb- und Fertigprodukte unter Liquidationsgesichtspunkten mit ihrem Marktwert angesetzt werden. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen waren nach dem handelsbilanzrechtlichen Vorsichtsprinzip zu bewerten. Bei den Passiva mussten sämtliche Verbindlichkeiten, auch solche, die noch nicht fällig oder gestundet waren, eingesetzt werden. Rückstellungen waren dann zu passivieren, wenn mit einer Inanspruchnahme ernstlich zu rechnen ist.[13]

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Zum zweiten kam es für die Überschuldung aber entscheidend auf die sog. Fortbestehensprognose an.[14] Zur Begründung wird insbesondere das Folgende angeführt: Die rechnerische Überschuldung entspreche nicht den „wirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen“. Überschuldung sei nicht nur ein rechnerischer Begriff, sondern ihre Feststellung erfordere darüber hinaus die Aufstellung einer Fortführungsprognose, die nicht als spekulative Hypothese verstanden werden dürfe, sondern auf „konkrete Zukunftsberechnungen“ (!) gegründet sein müsse. Es stelle sich die prognostische (!) Frage, ob die juristische Person in der Lage sei, die Überschuldungssituation (!) zu überwinden und zumindest auf mittlere Sicht wieder eine Finanzkraft zu entwickeln, die zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Selbstverständlich sei nicht erforderlich, dass diese Überlebensprognose mit absoluter Sicherheit gestellt werden kann. Für eine positive Fortbestehensprognose sei aber erforderlich, dass die Überwindung der Überschuldungssituation überwiegend wahrscheinlich ist. Praktisch kann die Fortführungsprognose durch einen von den Geschäftsleitern aufgestellten „Finanzplan“ durchgeführt werden, in dem dargelegt wird, wie sich die Geschäfte der Gesellschaft im Einzelnen voraussichtlich entwickeln werden.

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Nur wenn diese Fortführungsprognose negativ ausfalle, könne man von Überschuldung im Rechtssinne sprechen. Dass die Fortführungsprognose etwa im Fall 15 dagegen positiv ausfällt, kann sich beispielsweise daraus ergeben, dass die Gesellschaft im vergangenen Jahr kostendeckende Umsätze mit weiten Zahlungszielen erwirtschaftet hat und/oder neue Aufträge in Sicht sind. Ebenso könnte etwa berücksichtigt werden, dass die Verbindlichkeiten langfristig sind und eine werterhöhende Änderung des Bebauungsplanes für den Ort zu erwarten ist, in dem das Grundstück liegt.

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Das Hauptproblem der Fortführungsprognose ist, dass sie eben nur eine Prognose ist. Der Geschäftsleiter kann natürlich nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn bloße „Vorhersagen“ später nicht eintreten. Da der Geschäftsleiter um seine Position besorgt ist, wird seine Prognose regelmäßig (zu) gut ausfallen (wenn eine konkrete Prognose mit Finanzplan überhaupt aufgestellt wird, meist ist das nicht der Fall). Daher führt die Fortführungsprognose in der Praxis nur dazu, dass der Insolvenzantrag so lange hinausgeschoben wird, bis die Gesellschaft nicht nur überschuldet ist, sondern auch tatsächlich zahlungsunfähig. Dann aber ist es in aller Regel zu spät für eine Sanierung, das Unternehmen wird zerschlagen, die Gläubiger bleiben auf ihrem Verlust weitgehend sitzen.

Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften

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