Читать книгу Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften - Ulrich Wackerbarth - Страница 189
1. Fortführungsprinzip und Vorsichtsprinzip als Gefahren für die Gläubiger
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Das deutsche Bilanzrecht tendiert zu einer von Liquidationswerten abweichenden Bewertung der Aktiva und Passiva der Gesellschaft. Dass die durch die Prämisse des going concern (oben Rn. 253) ermöglichten Fortführungswerte und damit eine Überbewertung des Vermögens dem Gläubigerschutz zuwiderläuft, sollte sofort einleuchten: In Wahrheit ist weniger da, als in der Bilanz angegeben ist.
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Aber auch das Vorsichtsprinzip (oben Rn. 254) führt zur Gläubigergefährdung, weil es hilft, im Wege stiller Reserven die wahre Vermögensentwicklung der Gesellschaft zu verstecken. Zwar mag zunächst tatsächlich ein größeres Vermögen vorhanden sein, als in der Bilanz angegeben (damit lassen sich z.B. Steuern sparen). Jedoch kann infolgedessen erstens nicht ermittelt werden, ob sich die Gesellschafter durch ein unausgewogenes Geschäft (verdeckte Gewinnausschüttung) verdeckt Geld aus der Kasse genommen haben.
Beispiel:
Eine Immobilie ist 200 wert, steht aber nur mit 100 in der Bilanz. Gesellschafter und Gesellschaft veräußern die Immobile nun zum Buchwert (100) an den Gesellschafter. In der Bilanz scheint alles seine Richtigkeit zu haben (Aktiventausch). Tatsächlich aber ist eine Zuwendung in Höhe von 100 an den Gesellschafter erfolgt.
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Stille Reserven verschleiern und erleichtern also zum ersten verdeckte Gewinnausschüttungen und erschweren es später dem Insolvenzverwalter, Verstöße gegen die Kapitalerhaltung festzustellen. Zweitens sinkt durch eine solche verdeckte oder „stille“ Auflösung der stillen Reserven das Vermögen der Kapitalgesellschaft, ohne dass dies in der Bilanz publik wird. Die Gläubiger erhalten also keine Warnsignale, dass es der Gesellschaft in Wahrheit bereits schlechter geht, als aus der Bilanz ersichtlich.
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Ziel der Handelsbilanz müsste es daher eigentlich sein, den Zeitpunkt Z2 zu ermitteln. Sie müsste auf die Zeitwerte der Vermögensgegenstände abstellen. Damit sind das heutige Verständnis des Vorsichtsprinzips (v.a. das Anschaffungswertprinzip) und der Grundsatz des going concern (Fortführungswerte) jedoch nicht vereinbar.