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Michael Röder warf seine Dienstmütze auf den Schreibtisch und ließ sich auf den Bürostuhl fallen. Sie hatten sich alle gegen ihn verschworen. Alle. Seine Frau Sandra, sein Freund Arndt und dessen Frau Wiebke, sogar Amir, sein Heidewachtel. Selbst in den Augen des Hundes hatte er ein Leuchten gesehen, als in der Küche der Dienstwohnung zum wiederholten Male das Wort »Rock’n’Roll Tanzkurs« gefallen war. Dessen war sich der Inselpolizist ganz sicher. Das war nun drei Wochen her, und seitdem ging es jeden zweiten Abend ins Hotel Strandhof, und dort wurde abgerockt. Ohne Amir natürlich. Aber unter Einsatz seiner ganzen Kräfte. Erst gestern Abend hatte er einen kräftigen Stich unterhalb des linken Fußknöchels verspürt, als er seine Frau auf Anweisung der Tanzlehrerin angehoben und mit einer kräftigen Drehung wieder abgesetzt hatte.

Es war nicht so, dass er die Musik nicht gut fand. Im Gegenteil. Aber Tanzen war nun mal nicht seins. Kurz hatte er darüber nachgedacht, seinen Kollegen zu fragen, ob er nicht mit Sandra den Kurs besuchen könne. Das war ihm dann allerdings etwas albern erschienen. Außerdem hätte Sandra das nicht mitgemacht. Oder noch schlimmer, sie hätte begeistert zugesagt und wäre mit Daniel losgezogen. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Noch eine Woche, dann war es geschafft.

»Hallo, Michael. Nicht einschlafen.«

Röder zuckte zusammen. Er hatte nicht mitbekommen, dass sein Kollege, der seit einigen Tagen Dienst auf der Insel machte, zurück war.

»Na, warst du erfolgreich?«, fragte er ihn.

»War ich. Die Baltrum I legte an, und fünf Mädels mit E-Scootern kamen von Bord. Sie verteilten kleine Fläschchen Jägermeister, nahmen jeder einen kräftigen Schluck und …«

»… warfen die leeren Flaschen ins Wasser!«, fuhr der Inselpolizist fort.

»Nein, das nicht. Sie haben das Leergut in eine Tasche gesteckt, die offensichtlich schon recht gut gefüllt war. Dann allerdings musste ich sie daran hindern loszufahren, was bei den kräftig geschminkten jungen Damen für reichlich Ärger sorgte. Ich konnte sie jedoch davon überzeugen, dass der Gebrauch der Dinger hier verboten ist.«

»Junggesellinnenabschied?« Röder war heilfroh, dass dieser Einsatz an ihm vorbeigegangen war. Die Stimmung konnte nämlich ganz schnell ins Gegenteil umschlagen, wenn man die Herrschaften auf Recht und Ordnung hinwies. »Normalerweise fahren die doch nach Norderney.«

Daniel lachte. »Die wollten nur ein ganz klein wenig feiern. Das erwähnte die Frau, die wohl die zukünftige Gattin war. Sie trug rosa Öhrchen, eine buntbedruckte Küchenschürze und einen Bikini darunter.«

»Woher weißt du …?«

»Keine Sorge. Ich habe keine Ganzkörperkontrolle durchgeführt. Eine Bö hob den Kittel, und so war der Bikini im Blick.«

»Wie habt ihr euch geeinigt?«, fragte Röder.

»Die Scooter warten nun auf dem Schiff auf die Rückkehr der Mädels. Und eben die habe ich zuletzt laut singend, Arm in Arm, mit einem weiteren Schnäpschen in der Hand auf der Hafenstraße gesehen«, berichtete Daniel.

»Dann hoffen wir mal das Beste. Liegt bei dir sonst etwas an?«

»Nein. Eigentlich nicht. Bis darauf, dass Meta Paulsen sich gemeldet hat. Jemand hat Pferdeäpfel an ihrer Fensterscheibe verschmiert.« Daniel Gebert zog einen Kaugummistreifen aus einer kleinen Plastikdose, die auf dem Schreibtisch lag, und schob ihn sich in den Mund.

Michael Röder schüttelte sich innerlich. Beinahe hätte er dieses Döschen heute Morgen bereits entsorgt, wusste jedoch genau, dass das nichts nützte. Daniel hätte seinen Vorrat in Kürze wieder bereitgelegt. Er konnte nicht verhindern, dass sich sein Gesicht verzog. Kaugummi hasste er, solange er denken konnte. Nein, nicht solange er denken konnte, sondern seit dem Tag, als er als Kind nichtsahnend in einen dicken Klumpen, der auf der Straße lag, hineingetreten war und verzweifelt versucht hatte, die klebrige Masse abzupulen. Letztendlich hatte seine Mutter die Reste mit dem Küchenmesser von der Sohle geschabt.

Daniel schaute ihn freundlich an, aus seinem Mund drang leichtes Schmatzen, als er bestätigte: »Ja, ich weiß. Pferdeäpfel sind ekelig. Es war sicher einer dieser Kinderscherze. Soll ich hinfahren?«

Sein Kollege hatte offensichtlich die Situation ein wenig falsch verstanden. Nicht die Pferdeäpfel waren der Grund für seinen Ekel gewesen. Irgendwann bald würde er mit seinem Kollegen darüber sprechen.

»Mach das. Wer weiß, ob nicht etwas anderes dahintersteckt. Wenn sie sich schon bei uns meldet, kümmern wir uns«, erwiderte Röder.

»Galerie Eiland, richtig?«

»Genau. Meta Paulsen betreibt die Galerie, und dann ist da ihre Schwester Änne Paulsen. Die kümmert sich mehr um das Haus, wenn ich richtig informiert bin. Zwei nette ältere Damen.«

»Ich bin schon unterwegs.«

Ein feiner Kerl. Röder war froh, ihn bei sich zu haben. Trotz der blöden Angewohnheit mit dem Kaugummi. Von April bis Oktober musste sich der Inselpolizist alle paar Wochen an neue Gesichter gewöhnen. Es war klar, dass es unter seinen Kollegen, die ihn in der Saison unterstützten, nicht nur Sympathieträger gab. Aber wenn er zurückdachte, hatte er Glück gehabt. Beinahe alle hatten sich schnell an die Inselgegebenheiten gewöhnt und, er erinnerte sich gern, kein Problem damit gehabt, sich um die Reparatur der Diensträder zu kümmern. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Aber immerhin. Er hatte so gar kein Händchen dafür. Er liebte seine Arbeit. Meistens war es ruhig. Nur einmal im Jahr passierte etwas, das seine ganze Aufmerksamkeit und die seiner Kollegen verlangte. Da hatten die Kommissare am Festland mehr Unruhe. Wobei er wieder mitten im Thema war. Sein bester Freund, Hauptkommissar Arndt Kleemann aus Aurich, würde am Wochenende mit seiner Frau auf die Insel kommen, um, wie er sagte, richtig abzutanzen. Natürlich ging kein Weg daran vorbei, sich dieser Idee anzuschließen. Das hatte zumindest Sandra festgestellt. Röder war sich nicht ganz klar, ob er bereit war, seinem Freund zu verzeihen, aber es nützte nichts. Sein Umfeld wollte es so, und er kam da nicht raus. Dabei wäre er so gerne ans Festland gefahren, denn er hatte ein neues Hobby für sich entdeckt: seine Vespa. Ein warmes Gefühl durchlief ihn. Er hatte den Roller vor zwei Wochen bei eBay gefunden, als er auf der Suche nach einer Harley, dem Traum seiner Jugendzeit, war, und sich sofort verliebt. Am nächsten Tag war er mit dem Bus nach Norden gefahren, hatte sich die Maschine angesehen und mit Erlaubnis des Besitzers eine Probefahrt gemacht. Ohne lange zu überlegen, hatte er sie gekauft. Keinen Gedanken verschwendete er mehr daran, mit einem Affenzahn die Harzer Bergwelt aufzumischen, nie wissend, was hinter der nächsten Kurve auf ihn wartete. Stattdessen hatte er sich fest vorgenommen, auf der Primavera mit elf PS erst einmal Ostfriesland in Ruhe zu erkunden. Doch mit einem freien Tag hatte es bisher nicht funktioniert. So stand die Vespa in Neßmersiel in der Garage und wartete dringend auf Bewegung.

Aber jetzt gab es anderes zu tun. Sein Chef, Müller, hatte ihn gebeten, nach einem jungen Mann zu schauen, der am Festland ein paar Brände gelegt hatte und eventuell auf Baltrum seit einiger Zeit untergetaucht war. Die Daten waren gerade hereingekommen.

Baltrumer Dünensingen

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