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Ein kleines Stück Kindheit

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Es gibt ein Buch, „Schlüssel des Glücks“, von Michail Soschtschenko. Er beschreibt, wie er seine psychische Krankheit heilen konnte. Nur durch erinnern, verarbeiten, schreiben. Oder auf der anderen Seite durch Analyse und Therapie. Ich hatte damals in meiner ersten Therapiegruppe, als eine andere Patientin das Buch empfahl, nicht daran geglaubt. Ich konnte mich bis zum Schulanfang erinnern, den schwarzen Rock einer Tante, die drückenden Schuhe und die große Zuckertüte. Ich hätte nie geglaubt, dass man sich bis zu seiner eigenen Geburt erinnern kann. Nun gut, gegen die pawlowschen Reflexe kommt man nicht an und die Krankheit ist schwer zu ertragen, aber die gesunden Teile, wenn du sie findest, gib sie dir selbst und einem anderen.

Ich weiß noch, wie ich auf die Welt kam und meine Mutter Gudula Lieselotte Baumann „de Müller“ in der spanisch sprachigen Welt, weiß das auch noch ganz genau. Es war dunkel und sehr eng. Mutter sagt immer, dass es vierundzwanzig Stunden Wehen gedauert hat. Dann rief die Hebamme ganz laut: „Frau Müller! Ein Jungenkopf!“ Doch oh blub, ein Mädchen. Es war an einem Sonntag, zur Mittagszeit, als ich das Licht der Welt erblickte. Es hieß dann immer, ich sei ein Sonntagskind. Man klebte mir ein Pflaster mit meinem Namen an das Ärmchen und ich lag mit vielen anderen Babys in einem großen Saal. Nur zum Stillen wurden wir zu den Müttern gebracht. Ich bekam den Namen Ulrike, weil meiner Tante dieser Name immer so gut gefiel und sie zwölf Tage vor meiner Geburt, im Alter von neunundzwanzig Jahren, verstarb. Sie war meine einzige Tante. Jahre später, nach meinem Aufenthalt in der Psychiatrie, fand Mutter zwischen alten Kleidern in der Bodenkammer ein Nachthemd von Tante Maria - hellgrün geblümt. Sie fragte mich, ob ich es haben wolle. Mir gefiel es und ich war mir sicher, dass ich trotz der schweren Krankheit mindestens neunundzwanzig Jahre werden würde. Was ich genau weiß ist, dass mich mein Vater sehr liebte. Er nahm mich gern hoch, an seine linke Schulter. Meine Mutter legte all ihren Ehrgeiz in mich. Sie schrieb nachts sogar Tagebuch für mich und schreibt mir auch heute noch. Wenn wir uns gestritten haben, verzeihen wir uns auf diese Weise. Schriftlich. Das heißt, wir können uns vergeben.

Als meine Schwester geboren wurde, war es Nacht und tiefer Winter. Mutter war die Fruchtblase geplatzt, sie musste schnell in die Klinik. Ich war wach geworden, denn es gab eine helle Aufregung, weil wir eingeschneit waren. Vater musste erst noch den Weg frei schippen. Dann kam der Krankenwagen. Henriette war ganz schnell da. Mutter Gudula hatte schon bei mir mit einer in Mode gekommenen neuen Atemtechnik eine schmerzarme Geburt gehabt.

Es wird erzählt, dass ich nicht essen wollte. Erst als Henriette da war, kam der Futterneid und ich hätte auch gegessen. Ich erinnere mich an den Geschmack des Apfelbreis und an die Fläschchen. Sie standen noch viele Jahre im Küchenschrank. Nachdem Henriette geboren war, und Mutter nicht wusste, wo ihr der Kopf stand, kamen Oma und Opa nach H. So konnte Mutter weiter als Lehrerin arbeiten. Vormittags blieben wir Kinder bei Oma Emma und wenn Mutter aus der Schule kam, waren wir bei ihr. Mit den Nachbarkindern spielten wir oft stundenlang in unserem Zimmer. Wir hatten alles erdenkliche Spielzeug. Ich hatte einen Teddy, der brummte, und ein Schaukelpferd, das ich zum ersten Weihnachtsfest geschenkt bekam. Ich weiß noch, wie ich mit dem Schaukelpferd so richtig eigensinnig wurde und das Stubenmöbel rammte, so dass Schrammen blieben. Als ich ein dreiviertel Jahr alt war, sagte ich meine ersten Worte: „Teddy“ und „hüh“. Ich schlafe noch heute mit meinem Teddy, sonst kann ich nicht einschlafen. Gegenwärtig ist er in Rosis Puppen- und Teddyklinik, bekommt neue Tatzen und das Stroh wird nachgefüllt. Oma hatte viel Liebe für ihre Enkelkinder, war lustig und machte uns viele Geschenke. Opa wusste sehr viel. Er war auch Lehrer und brachte mir vor Schulbeginn das Alphabet in alten deutschen Druckbuchstaben bei. In der ersten Klasse war es etwas langweilig, da ich die Buchstaben schon kannte, doch zur Abiturzeit habe ich die „Buddenbrooks“ in alter deutscher Schrift gelesen. Mein erstes Klassenzimmer hatte noch Holzbänke mit schrägen Pulten.

Patchwork – Leben mit einer psychischen Krankheit

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